23 . Juli 2144
Das Dekanat brauchte zwei Tage, um herauszufinden, dass Med die Ergebnisse einer wichtigen Forschungsarbeit an die Medien weitergegeben hatte, ohne dafür die üblichen Kanäle der Öffentlichkeitsarbeit zu benutzen. Das hatte zur Folge, dass ihr Terminkalender an diesem Morgen für ein obligatorisches Treffen mit dem Verwaltungsrat freigeräumt worden war.
Als sie den Konferenzraum betrat, befand sich der Dekan bereits in offensichtlich herzlicher Unterhaltung mit einem ihr vage bekannt vorkommenden Mann und zwei IPC -Vertretern.
Wie sich herausstellte, handelte es sich bei dem Mann um den Gründer von Zaxy. Er strahlte die typische Vive-Jugendlichkeit aus und stellte sich selbst als Roger vor. Er trug einen polierten Waffengürtel, dazu eine teure Tunika und Jeans. Roger sprach exakt wie die Nachrichtensprecher auf Zonefeed. »Dr. Cohen, Ihre Retcon-Therapie war wirklich eine außergewöhnliche Arbeit – ganz außergewöhnlich.« Er lachte kurz und routiniert. »Genau die Art von Arbeit, die ich sofort aufkaufen würde, wenn sie nicht schon unter einem offenen Patent veröffentlicht wäre.« Er hielt kurz inne, und nun veränderte sich seine Miene, drückte eine Mischung von echter Sorge und gekünsteltem Bedauern aus. »Sicher können Sie Zaxys Standpunkt in dieser Sache verstehen. In ihrer Arbeit behaupten sie, dass es sich dabei um eine ›Heilung‹ für die von Zacuity verursachten gesundheitlichen Probleme handeln würde. Sie können uns gerne besuchen kommen und mit dem Zacuity-Team ganz vertraulich über mögliche Schwächen der Substanz diskutieren. Aber wir sind uns sicher, dass Zacuity völlig ungefährlich ist, wenn es korrekt eingenommen wird.«
»Ich verstehe Ihren Standpunkt, Roger, aber Hunderte von Menschen sind an einer rekonstruierten Version von Zacuity gestorben.«
Roger warf dem Dekan einen Blick zu. »Die Behauptung, es handele sich bei dieser Straßendroge um rekonstruiertes Zacuity, entbehrt jeglicher Grundlage. Dass die Medien unser Produkt nun mit illegalen Drogen in Verbindung bringen – worin Sie sie mit ihrer Veröffentlichung ja bestärken –, hat bei uns schon zu enormen finanziellen Verlusten geführt. Laut unseren Anwälten könnten wir sie und die Universität auf Schadenersatz verklagen.«
»Ich habe keine Kontrolle darüber, was die Leute im Netz sagen. Aber ich habe den Wirkstoff selbst analysiert. Es handelt sich eindeutig um eine rekonstruierte Version von Zacuity.« Unter dem Konferenztisch ballte Med ihre Hände zu Fäusten.
»Immer mit der Ruhe. Niemand hier beschuldigt sie einer fehlerhaften Arbeit.« Der Dekan war offensichtlich darauf aus, die Wogen zu glätten. »Retcon ist ein humanitäres Projekt und hat schon viele Menschen von einer Sucht geheilt, die sonst ihr Leben zerstört hätte.«
Für Roger schien der Fall damit geklärt. »Da stimme ich absolut zu. Wir wollen nur sichergehen, dass Sie nicht weiteren Gerüchten Vorschub leisten, es könnte eine Verbindung zwischen Zacuity und diesen … tragischen Vorfällen geben.«
Med wollte etwas erwidern, doch der Dekan schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. »Aber sicher, darauf können Sie sich verlassen, Roger. Als Wissenschaftler und Lehrkräfte sehen wir es als unsere Pflicht an, die Leute aufzuklären, wenn in den Medien mal wieder die Pseudowissenschaft ihre Blüten treibt.«
»Es gibt gar keinen Zweifel daran, dass Zacuity süchtig macht.« Med konnte den Zorn in ihrer Stimme nicht mehr unterdrücken .
Roger sprach nun nicht mehr direkt mit Med, sondern warf dem Dekan einen mitfühlenden Blick zu. »Einfach wunderbar, welche Leidenschaft Sie hier bei Ihren Wissenschaftlern wecken. Leidenschaft ist der Motor aller Innovation.« Er wusste, dass er gewonnen hatte, und gab daher nur noch Phrasen von sich. Die Universität konnte sich keinen Rechtsstreit mit Zaxy leisten. Das Ergebnis des Treffens war, dass Med alle Hinweise auf Zaxy und Zacuity aus den Unterlagen zu Retcon würde löschen müssen. Der Dekan willigte ein, Meds Veröffentlichung über das rekonstruierte Zacuity offiziell zurückzuziehen, bis sie einer gründlichen Begutachtung durch ein angesehenes Seviert-Journal standgehalten hatte.
Unter herzlichem Händeschütteln verabschiedeten sich Roger und die IPC -Vertreter. Med konnte kaum glauben, was gerade geschah. »Zaxy hält bei Seviert die Mehrheit der Anteile.«
»Das ist nur Politik, Medea«, beruhigte sie der Dekan. »Die Hauptsache ist doch, dass es mit dem Retcon-Projekt weitergehen kann.«
Während Med zum Free Lab zurückging, sah sie sich in den Feeds um. Seit die Zacuity-Geschichte bekanntgeworden war, hatte es keine manischen Zusammenbrüche mehr gegeben, also spielte es vielleicht keine Rolle, dass Zaxy nicht zur Rechenschaft gezogen wurde. Vielleicht hatte sie schon genug bewirkt. Immerhin wusste die Öffentlichkeit nun von Retcon, und die Vorab-Verkäufe von Zacuity an die Unternehmen waren im Keller. Ihre Veröffentlichung über das rekonstruierte Zacuity war längst auf einen Server des Anchorage Radical Archives gespiegelt worden, wo niemand sie löschen würde.
Sie fragte sich, ob Jack und Krish gewusst hatten, dass so etwas passieren würde, als sie sie aufgefordert hatten, ihre Arbeit zu veröffentlichen. Doch sie konnte sie nicht mehr fragen. Sie musste selbst entscheiden.