17. Kapitel

»Schau mal, hier sind noch mehr.« Elfe-Sieben trug einen ganzen Wäschekorb voller neuer Wunschzettel ins Büro des Weihnachtsmannes. Dessen Frau saß wieder am Computer und prüfte die am heutigen Tage eingegangenen Wunschzettel-E-Mails. Als sie den Blick vom Bildschirm wandte, weiteten sich ihre Augen.

»Ach du liebe Zeit, das gibt es doch nicht! So viele?« Sie deutete auf den freien Platz neben ihrem Schreibtischstuhl. »Stell den Korb einfach hier ab. Ich kümmere mich gleich darum. Erst einmal muss ich die ganzen E-Mails sortieren. Außerdem habe ich da gerade ein seltsames Piepsen gehört, und ich weiß nicht, was es bedeutet.«

»Was denn für ein Piepsen?« Neugierig trat Elfe-Sieben neben den Schreibtisch, stellte den Wäschekorb ab und warf einen Blick auf den Computerbildschirm. Genau in diesem Moment piepst es erneut. Sie lachte. »Das ist doch nur das Weihnachtswunsch-Radar. Anscheinend hat jemand gedanklich einen sehr wichtigen Weihnachtswunsch ausgesendet, jedoch keinen Wunschzettel geschrieben.«

»Das Weihnachtswunsch-Radar?« Die Frau des Weihnachtsmannes runzelte die Stirn. »Kannst du mir zeigen, wie man das aufruft?«

»Aber klar.« Elfe-Sieben tippte ein paar Befehle auf der Tastatur ein, und prompt öffnete sich eine Software, die ganz ähnlich aussah wie das E-Mail-Programm. »Siehst du, hier ist der Wunsch eingegangen.« Elfe-Sieben deutete auf einen Bereich, der wohl so etwas wie der Posteingang war. »Die Techniker-Elfen haben das Radar vor einigen Monaten neu programmiert und kalibriert«, erklärte sie weiter. »Es ist nun viel einfacher zu handhaben als vorher, und man sieht sofort, welche Wünsche hinzugekommen sind, welche bereits bearbeitet wurden und welche entweder archiviert sind oder auf der Warteliste landen, weil sie etwas schwieriger zu erfüllen sind.«

Santas Frau nickte anerkennend. »Das ist ja toll geworden! Ich weiß noch, dass mein lieber Mann sich vorher immer ein bisschen über dieses Radar beschwert hat, weil es unübersichtlich war. Das hier ist wirklich sehr schön zu handhaben.« Sie klickte auf den eingegangenen Wunsch und runzelte gleich darauf erneut die Stirn. »Na so was?« Sie rückte näher an den Schreibtisch heran. »Das ist ja ein Wunsch von Melissa! Den muss ich mir aber sofort näher ansehen.«

»Etwa die Melissa, um die wir uns schon die ganze Zeit kümmern?« Elfe-Sieben krabbelte ihr auf den Schoß und beobachtete genau, wie sich das Interface des Wunsches öffnete, als Santas Frau die Details aufrief. »Ui!«, stieß sie verblüfft aus, als sie den Inhalt überflogen hatte.

»Das kannst du laut sagen«, stimmte die Frau des Weihnachtsmannes ihr zu. »Mir wird ganz warm ums Herz, wenn ich diesen Wunsch lese. Andererseits bereitet er mir auch einige Sorgen, denn wir wissen ja, dass Melissa und Andy schwierige Zeiten bevorstehen. Jetzt müssen wir uns gleich doppelt so sehr anstrengen, nicht nur Andys Wünsche zu erfüllen, sondern auch den ihrer Mutter. Ich sorge mich, weil gleich so viele verschiedene Komplikationen auf einmal auf die beiden zukommen.«

»Was für Komplikationen?«, erklang die Stimme des Weihnachtsmannes von der Tür her. »Gibt es ein Problem bei der Wunscherfüllung?«

»Santa Claus, du sollst doch im Bett liegen!«, rief Elfe-Sieben erstaunt. »Was machst du denn hier unten?«

»Mein Lieber, Elfe-Sieben hat recht. Du sollst dich doch erholen.« Die Frau des Weihnachtsmannes erhob sich und eilte zu ihm, falls er Hilfe benötigte.

Er schüttelte sie jedoch mit einem energischen Kopfschütteln ab. »Kommt gar nicht infrage, mein Schatz. Ich habe jetzt lange genug untätig im Bett herumgelegen. Es wird allmählich Zeit, dass ich mich wieder um meine Pflichten kümmere, immerhin bin ich der Weihnachtsmann! Es sind nur noch wenige Wochen bis Weihnachten, heute ist der erste Dezember! Da kann ich nicht krank sein.«

»Aber fühlst du dich denn wirklich schon kräftig genug, um dich wieder den alltäglichen Pflichten zu widmen?« Skeptisch musterte sie ihn von Kopf bis Fuß.

»Ich habe beschlossen, wieder gesund zu sein«, brummte er lächelnd. »Und wie es sich eben angehört hat, ist meine Anwesenheit hier im Büro dringend erforderlich, oder etwa nicht? Worüber habt ihr euch eben unterhalten? Nicht, dass irgendetwas bei einer Wunscherfüllung dieses Jahr schiefgeht, bloß weil mich diese ärgerliche Erkältung erwischt hat.«

»Hier Santa, schau mal.« Elfe-Sieben eilte zur Videowand und deutete auf den Bildschirm, der das Leben von Melissa und Andy zeigte. »Die beiden sind dieses Jahr ein ganz komplizierter Fall. Wir haben einen wunderschönen Wunschzettel von dem kleinen Jungen erhalten, einen gemalten!«

»Tatsächlich?« Interessiert trat Santa Claus näher und beobachtete eine Weile, was sich auf dem Bildschirm tat. »Kannst du mir den Wunschzettel einmal zeigen?«

»Selbstverständlich.« Elfe-Sieben eilte zu der Ablage, in der sie die noch nicht erfüllten Wünsche alphabetisch geordnet hatte. Sie zog den Brief hervor, den Andy geschickt hatte, und reichte ihn dem Weihnachtsmann.

Santa Claus betrachtete die Zeichnung, und seine Miene wurde dabei ganz weich. »Das ist einer der rührendsten Wunschzettel, die mir seit langer Zeit untergekommen sind«, befand er. »Ihr habt also schon mit der Wunscherfüllung begonnen?«

Seine Frau nickte. »Ja, wir haben einiges in die Wege geleitet, aber leider hat das Gefühlsradar uns vermeldet, dass es einige Komplikationen geben wird. Ich habe alles in einer separaten Wunscherfüllungsdatei festgehalten.« Sie setzte sich zurück an den Computer und rief die Datei auf, dann winkte sie ihren Mann näher und überließ ihm den Schreibtischstuhl. »Wie du siehst, ist das alles ziemlich kompliziert.«

»Mhm.« Der Weihnachtsmann las sich alles in Ruhe durch. »Sehr gewagt, was du da angestoßen hast«, wandte er sich schmunzelnd an seine Frau. »Wenn ich diesen Vorschlag gemacht hätte, dann hättest du ganz sicher mit mir geschimpft.«

»Kann sein«, gab sie mit einem verlegenen Lächeln zu. »Aber schwierige Situationen erfordern manchmal ungewöhnliche Maßnahmen, nicht wahr? Das sagst du zumindest immer.«

»So ist es.« Der Weihnachtsmann minimierte die Datei und rief die Oberfläche des Weihnachtswunsch-Radars auf. »Und was ist das hier?«

Seine Frau beugte sich dicht neben ihm zum Bildschirm vor. »Dieser Wunsch ist gerade eben erst hereingekommen. Er ist unglaublich rührend, insbesondere im Hinblick auf den Wunsch, den Andy uns geschickt hat. Findest du nicht auch?«

»Allerdings.« Wieder las sich der Weihnachtsmann alles sehr genau durch. »Aber wenn ich das mit den Ergebnissen des Gefühlsradars vergleiche, dann sehe ich schon, dass es tatsächlich eine sehr komplizierte Wunscherfüllung wird. Da kommt ja einiges …« Er brach abrupt ab, denn in diesem Moment schrillte das Gefühlsradar los. »Du liebe Zeit!« Er drehte sich mit dem Schreibtischstuhl und rollte in die Zimmerecke, wo er mit wenigen Handgriffen die Lautstärke des Gefühlsradars herunterregelte. »Hast du mich aber erschreckt«, sagte er erheitert zu dem Gerät.

»Warum hat es denn schon wieder angeschlagen?«, wollte Elfe-Sieben wissen.

»Ich schaue es mir gerade an.« Der Weihnachtsmann übertrug die Daten des Gefühlsradars auf den Computer und überprüfte sie dort. »Tja, ich schätze, jetzt muss uns wirklich ganz schnell etwas einfallen. Seht her!« Er deutete auf die Fotos, die zusätzlich zu der Meldung von dem Gefühlsradar übertragen worden waren.

Seine Frau stieß einen erschrockenen Laut aus. »Das gibt es doch nicht! So schnell hatten wir damit aber noch nicht gerechnet.« Sie eilte zur Videowand und nahm ein paar Einstellungen vor, um neben dem Feed von Melissa und Andy noch einen weiteren zu empfangen. »Das gefällt mir überhaupt nicht«, murmelte sie dabei vor sich hin. »Hoffentlich bringt das nicht alles endgültig durcheinander. Melissa hat sich solche Mühe gegeben in den letzten Jahren …« Sie stockte. »Nanu!«, rief sie verblüfft. »Was ist das denn?«

»Was meinst du?« Santa Claus erhob sich und trat neben sie an den Bildschirm. »Noch mehr Probleme?«

»Ich weiß es nicht.« Sie deutete auf den neuen Feed, der als Bild im Bild zu sehen war. »Das ist etwas ganz anderes, als wir erwartet hatten. Elfe-Sieben, sieh dir das an!«

Das musste sie der kleinen Elfe nicht zweimal sagen; sie war bereits ebenfalls zur Videowand gekommen und beobachtete gespannt, was sich auf den Bildschirmen tat. »Ach herrje, was ist denn da los?«, stieß sie verblüfft hervor.

»Sag ich doch!« Santas Frau rieb sich nachdenklich über die Stirn. »Ich glaube, wir müssen die Kundschafterelfen noch mal ausschicken und auch in den Himmelsarchiven recherchieren. Da ist uns offensichtlich etwas sehr Wichtiges entgangen.«

»Elfe-Sieben, weißt du, wo …«, erklang die Stimme von Elf-Zwei, brach jedoch sofort wieder ab, als der Kundschafter-Elf in der Tür zum Büro erschien. »Santa Claus! Da bist du ja. Bist du wieder gesund?«

»Nicht ganz«, gab der Weihnachtsmann mit einem unterdrückten Husten zu. »Aber gesund genug, um hier wieder meine Pflichten aufzunehmen.«

»Oh, gut!« Elf-Zwei betrat das Büro. »Ich war gerade mit Elfe-Acht noch einmal unterwegs, um ein paar Erkundigungen einzuholen, da ist uns etwas höchst Interessantes aufgefallen. Das wollten wir deiner Frau gerade mitteilen. Aber jetzt, wo du da bist, können wir es auch gleich dir erzählen.« Er rannte zur Tür zurück. »Elfe-Acht! Wo steckst du denn?«

»Hier bin ich doch«, antwortete die zweite Kundschafter-Elfe und betrat ebenfalls das Büro. »Ich musste nur gerade Dasher und Blitzen davon abhalten, sich in die Küche zu schleichen.« Sie kicherte. »Jemand hat vergessen, die Hintertür zu schließen.«

»Oh, oh, das muss mir passiert sein«, gab Santas Frau mit zerknirschter Miene zu. »Ich habe heute Morgen frische Lebkuchen gebacken und ein paar davon hinaus zu den Rentieren gebracht. Als ich zurückgekommen bin, hat gerade der Computer das Signal für ein übervolles Postfach ausgegeben, deshalb bin ich gleich hier hereingeeilt und habe ganz vergessen, die Hintertür wieder richtig zu schließen. Diese verfressenen Rentiere aber auch immer!« Sie lachte. »Man darf sie keinen Augenblick aus den Augen lassen, sonst futtern sie unseren gesamten Lebkuchen- und Keksvorrat weg. Ich bin sowieso schon ganz arg im Rückstand mit dem Backen.«

»Vielleicht kannst du dich ja jetzt wieder etwas mehr aufs Backen und all die anderen Dinge konzentrieren, die du sonst um diese Jahreszeit machst«, befand Elfe-Sieben. »Santa Claus ist ja nun wieder hier, nicht wahr?«

»Das bin ich allerdings«, stimmte Santa Claus zu. »Aber so ganz fit bin ich natürlich noch nicht, also werde ich noch euer aller Hilfe benötigen.« Er wandte sich an Elfe-Acht. »Nun erzählt aber, was ihr so Wichtiges herausgefunden habt.«

Elfe-Acht nickte eifrig. »Natürlich, deshalb sind wir hierhergekommen. Also, hört euch das an.«