Kapitel 6

Selbst schuld

I ch versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Weder dass ich vor Schmerz laut schreien könnte, weil sich die Armlehnen des Stuhls so fest in meine Oberschenkel drücken, noch wie sehr mir sein Geruch nach kaltem Zigarettenrauch einen Schauer über den Rücken jagt.

»Ihr Alter?«, fragt er in genervtem Ton von der anderen Seite des Schreibtisches, und am liebsten würde ich gleich wieder aufstehen und gehen.

Völlig egal, dass es mich größte Überwindung gekostet hat, überhaupt anzurufen, um hier einen Termin zu vereinbaren. Scheiß auf die neun Wochen Wartezeit, während der ich mich jeden Tag zwingen musste, nicht doch noch abzusagen. Ich kann kaum mehr schlucken, so wütend bin ich. Auf den Arzt, aber noch mehr auf mich selbst. Warum bin ich stark geblieben? Bin ich doch sonst auch nie, und dieses Mal hätte es sich wenigstens gelohnt, zu kneifen.

»Ich bin am 13 . Juni zweiundzwanzig geworden«, antworte ich, eingeschüchtert durch sein herablassendes Verhalten. Ich warte auf die nächste Frage, die ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – wie alle anderen zuvor gestellten – bereits auf dem Fragebogen beantwortet habe. Schon beim Betreten der Arztpraxis habe ich mich wie ein unerwünschter Fremdkörper gefühlt. Dass mir die Sprechstundenhilfe das Klemmbrett mit den vor dieser Untersuchung auszufüllenden Unterlagen nicht einfach vor die Füße geworfen hat, sondern es nur mit voller Wucht auf den Tresen knallte, grenzt an ein Wunder.

»Größe, Gewicht?«, nuschelt er leise.

Zum zweiten Mal, seit ich sein Behandlungszimmer vor fünf Minuten betreten habe, blickt er von seiner Mappe auf.

»1 ,68 groß und ungefähr 115 Kilo«, antworte ich und schaue auf meine Hände, um seinem Blick auszuweichen. Die weißen Fingerknochen zeichnen sich deutlich ab, so fest habe ich meine Hände zu Fäusten geballt.

»Stellen Sie sich mal hin!«, fordert er mich auf.

Als ich gerade dabei bin, aufzustehen und einen Schritt zur Seite zu treten, kommandiert er: »Los, drehen Sie sich!«

Ich komme mir vor wie eine Kuh bei der Viehschau. Warum haue ich nicht ab? Einfach raus, einfach weg. Warum tue ich mir das hier an?

Irritiert fragt er: »115 Kilo, sicher?« Er geht um seinen Schreibtisch herum und nimmt eine Personenwaage aus dem Regal links neben mir. Er wischt die dicke Staubschicht ab, während er »Normalerweise kennen unsere Patienten ihr Gewicht« vor sich hin grummelt.

Die Waage stellt er dicht vor meine Füße. Scheiße! Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, und ich spüre, wie ich knallrot anlaufe. Er deutet auf die Waage. Als ich kurz zögere, weil ich nicht sofort verstehe, ob ich mich direkt daraufstellen oder das Gerät erst einmal kurz antippen muss, drängt er mich mit dem Ellbogen unsanft zur Seite und stellt sich selbst darauf.

»76 Kilo!«, ruft er sichtlich erfreut, die Zahl erlischt.

Ich steige auf die Glasfläche. Bei 118 ,2 bleibt die Anzeige stehen, und er mustert mich skeptisch von oben bis unten.

»Setzen Sie sich wieder! Ihr Gesicht ist gar nicht so fett, dass man auf die 118 kommen könnte, da sind wir bei …« Er bricht mitten im Satz ab, um irgendetwas in seiner Schreibtischschublade zu suchen.

Mir entgleisen alle Gesichtszüge. Mit dieser Deutlichkeit hatte ich nicht gerechnet. Ich war unglaublich stolz, mich überhaupt zu diesem Arztbesuch überwunden zu haben, obwohl ich die Vorstellung, jemandem meine Beine zeigen zu müssen, nur schwer ertrage.

Als ich die letzten Monate bei dem Gedanken an diesen Termin abends vor Aufregung nicht einschlafen konnte, habe ich immer wieder überlegt, wann zuletzt jemand meine nackten Beine gesehen hat, aber ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern.

Schwimmen wäre ein solcher Moment, aber das war ich nur als kleines Mädchen, bis ich mit sechs auf Langeoog in der Kur mein Seepferdchen absolvierte, danach nie wieder. Kurze Kleider oder Röcke kommen für mich auf keinen Fall infrage. Nur beim Abschlussball in der Tanzschule, als ich vorher wochenlang hungerte und die Strumpfhose eher quetschte anstatt stützte. Ansonsten: Hosen, ich trage immer Hosen.

Ich schaue auf meine eingeengten Oberschenkel, die jeden Moment diesen Stuhl zu sprengen drohen. Für diese Jeans habe ich Monate gespart, da alle, die ich sonst aktuell von Größe 48 bis 62 im Schrank habe, so sehr an den Innenseiten der Oberschenkel aufgeraut sind, dass sie bei der nächsten ungünstigen Bewegung zu reißen drohen.

Ich bin frisch geduscht, meine Beine sind rasiert, und ich habe mich sogar ein bisschen geschminkt. Ich habe wirklich versucht, für diesen Arztbesuch das Beste aus mir herauszuholen, weil ich weiß, dass mein Anblick eine Zumutung ist. Aber so behandelt zu werden, nein, das tut einfach nur weh.

Mit einem »Frau Crämer!« taucht er aus seiner Schublade auf. »Ich muss Ihnen wohl nicht erklären, dass Sie mit 118 Kilo, die Kleidung ziehen wir ab, massiv F-E-T-T-leibig sind. Dafür gibt es kein anderes Wort. Keines, das Sie verstehen.« Er schiebt irgendetwas auf dem kleinen Pappkreis, den er nun in der Hand hält, hin und her und sagt dann, fast euphorisch: »Sehen Sie, wir haben hier einen BMI von über 40 ! Dort hört die Skala auf, und da brauchen Sie auch nicht schauen wie ein angeschossenes Reh. Das sind Fakten, Frau Crämer.« Er lacht.

Ich schlucke. Ich starre ihn einfach nur an, so perplex bin ich. Die schlimmsten Horrorszenarien hatte ich mir ausgemalt, aber das hier übertrifft alles. Nie wieder gehe ich freiwillig zum Arzt.

»Sie steuern auf Ihren sicheren Tod zu, das muss Ihnen klar sein: Fettleber, Herzinfarkt, Bluthochdruck, allen Arten von Krebs bieten Sie die besten Voraussetzungen mit Ihrem Lebensstil. Suchen Sie sich eine Todesursache aus, der Tisch an Möglichkeiten ist reich gedeckt.«

Ich höre seine Worte, unfähig, auch nur einen Ton von mir zu geben. Ich hatte auf Hilfe gehofft, doch jetzt fühle ich nichts außer Angst. Wie gelähmt sitze ich da und spüre meinen Körper nicht mehr. Nur mein immer schneller pumpendes Herz.

»Diabetes haben Sie seit wann?«

Ich reagiere nur noch mit leichtem Kopfschütteln, und er schaut mir direkt in die Augen.

»Wann zuletzt getestet?«, donnert er mir die nächste Frage regelrecht wütend entgegen.

Was habe ich ihm getan? Vielleicht, weil ich keine Privatpatientin bin? Aber das hatte ich doch direkt bei der Terminvergabe erklärt, nachdem ich die Homepage viel zu schick für einen normalen Arzt gefunden hatte. Also einen, zu dem jeder kommen darf. Deshalb habe ich ausdrücklich nachgefragt, ob ich als gesetzlich Krankenversicherte einen Termin vereinbaren kann, und die Dame am Telefon antwortete, das sei kein Problem.

Ich bin mit dieser Situation komplett überfordert, am liebsten würde ich flüchten, aber dafür ist es jetzt vermutlich zu spät. »Wann – zuletzt – getestet?«, wiederholt er die Frage.

Ich antworte, dass meine Hausärztin das bei meinem letzten Besuch vor etwa vier Wochen überprüft hat, weil ich so viel trinke. Manchmal fünf Liter am Tag, obwohl eigentlich eineinhalb bis zwei an normalen Tagen ideal für einen Erwachsenen sind.

Auf sein abschätziges »Fünf Liter Cola oder was?!« reagiere ich wieder mit Kopfschütteln und erkläre: »Ich trinke nur Wasser und ungesüßten Tee. Seit einigen Jahren nicht mal mehr kalorienfreie Softdrinks.«

»Diese Masse«, sagt er und deutet auf mich, »haben Sie aber nicht von Wasser, das können Sie jemand anderem erzählen.« Ich stimme ihm zu, denn er hat ja recht.

»Hose aus!«, kommt es im Befehlston, und fast im selben Moment betritt eine junge Arzthelferin das Zimmer. Dabei lässt sie die Tür weit geöffnet, und die Patienten, die draußen vorbeilaufen, schauen nacheinander neugierig ins Zimmer. Ich fühle mich ausgeliefert und gedemütigt, bin aber zu feige, um etwas zu sagen.

Ich folge der unmissverständlichen Aufforderung des Arztes, steige mit nackten Füßen auf den kalten Tritt aus Metall vor der Liege und raffe mein langes T-Shirt etwa auf Sliphöhe zusammen, damit er bitte nicht auf die Idee kommt, es würde bei der Untersuchung der Beine stören. Währenddessen schnappt er sich den rollenden Hocker aus der Ecke und winkt die junge Frau zu uns herüber, obwohl sie nur zwei Meter von uns entfernt in der Tür steht und von dort alles gut sehen könnte.

Mit einem »Kommen Sie mal näher, Fräulein, das hier sehen Sie in keinem Lehrbuch!« deutet er auf meine Beine und greift mir fest in die Haut. Ich zucke erschrocken zusammen. Er schaut zu mir nach oben und sagt: »Glauben Sie mir, für mich ist das hier auch kein Spaß!« Dann drückt er weiter an meinen Oberschenkeln herum, zieht die labberige Haut auseinander, ehe er an anderer Stelle wieder mit zwei Fingern ins Gewebe drückt. Es tut so weh, dass ich fest die Zähne zusammenbeiße, um nicht zu schreien.

»Bindegewebsschwäche liegt in der Familie?«, fragt er.

Ich schlucke einmal kräftig, ehe ich antworte: »Eigentlich eher nicht, meine Eltern haben damit keine Probleme. Aber ich habe in den letzten Jahren durch zahlreiche Diäten immer wieder viel ab- und wieder zugenommen, es …«

»Um wie viel Kilo schwankt Ihr Gewicht?«, unterbricht er mich.

Nach kurzem Überlegen sage ich: »Das können schon mal 10 bis 15 Kilo pro Woche sein.«

»Pro Woche?«, wiederholt er und zieht seine Augenbrauen nach oben. Er tastet weiter grob meine Beine ab.

Ich nicke.

Er rollt mit dem Hocker ein Stück zurück, mustert mich von oben bis unten, und als ich seine Frage »Magen-OP ?« mit einem Kopfschütteln verneine, scheint er endgültig irritiert zu sein.

»Wenn ich abnehme, dann immer nur am Oberkörper, nie an den Beinen. Wenn ich Hosen kaufe, steht der Hosenbund total weit ab, aber die Beine passen gerade eben.«

Ich versuche ihm meine Situation zu erklären, aber er steht auf, zieht mein Shirt um meinen Bauch enger und sagt: »Kein Wunder, Sie haben auch ein massives Hohlkreuz. Sie haben natürlich eine Beckenfehlstellung, Ihre komplette Haltung ist total im Arsch! Aber wenn wir damit anfangen, kommen wir hier gar nicht mehr zum Ende! Ihr Körper ist eine einzige Baustelle.« Er zuckt mit den Schultern und deutet fassungslos auf meine Beine und den Po.

»Durch Ihre vielen offensichtlich allesamt gescheiterten Diätversuche hat Ihr Körper angefangen, das Fett umzuverteilen. Frauen gebären Kinder, die wollen im Mutterleib versorgt sein. Damit ein Kind …« Er hält kurz in seiner Ausführung inne, um zu fragen, ob ich im Moment schwanger bin. Da ich verneine, erklärt er weiter: »Damit ein Kind gut versorgt ist, legt Ihr Körper die Fettdepots, auf die er schnell zugreifen kann, in der Nähe des Bauchraumes an, in dem irgendwann mal das Kind wächst und gedeiht.«

Während ich mich dagegen entscheide, zu sagen, dass ich vermutlich keine Kinder bekommen möchte, führt er bereits aus, dass von einer Schwangerschaft bei einem solch massiven Übergewicht sowieso dringend abzuraten sei, falls sich der Embryo überhaupt einnisten würde.

Wieder setzt er sich auf den Hocker und rollt in meine Richtung. Erneut fasst er mir mit solcher Kraft in die Haut und das darunterliegende Gewebe, dass mir nun Tränen in die Augen schießen. Ob vor Schmerz, Scham, Fassungslosigkeit oder Überforderung, weiß ich nicht. Ohne ein Wort zu sagen oder mir zu erklären, was passiert, nimmt er einen langen weißen Stab, schmiert eine durchsichtige glibberige Masse auf den runden Kopf und drückt ihn an verschiedenen Stellen mit ganzer Kraft in mein Bein.

Auf einem Monitor zeichnen sich je nach Position und Bewegung des Stabes unterschiedliche Bilder ab, und dazu ertönen merkwürdige Geräusche, die mich an Walgesänge erinnern.

Keine dreißig Sekunden später gibt er der jungen Frau, die während der kompletten Untersuchung nichts anderes getan hat, als dicht neben meinem Ohr mit offenem Mund Kaugummi zu kauen, den Stab in die Hand. Sie wischt ihn sauber und schaltet den Monitor wieder aus, ehe sie auch mir ein Papiertuch in die Hand drückt und wortlos das Behandlungszimmer verlässt.

Ich bin einfach nur erleichtert, dass es vorbei ist, und putze schnell meine Beine ab. Beim Hochziehen der Hose merke ich, wie es an vielen Stellen noch klebt und kalt ist, aber das ist mir egal. Hauptsache, ich darf mich endlich wieder anziehen.

Er deutet auf den Stuhl, und ich nehme Platz. Diesmal aber so weit wie möglich an der vorderen Kante, um meine Oberschenkel nicht wieder einzuzwängen. »Ich sehe das folgendermaßen: Aus eigener Kraft werden Sie es nicht schaffen. Dafür haben Sie einfach nicht genug Disziplin. Ich werde Sie zu einem Spezialisten überweisen mit der dringenden Empfehlung, eine Magen-OP durchzuführen. Ihre Krankenkasse wird die Kosten mit großer Wahrscheinlichkeit übernehmen, denn sonst werden Sie eher früher als später zum Pflegefall, und das wird dann richtig teuer.«

Er legt mir einen Stapel Broschüren vor die Nase und fährt dann fort: »Zudem strebt ein einmal ausgedehntes Fettgewebe immer wieder das Maximum seiner Ausweitung an. Da können Sie machen, was Sie wollen. Sie werden immer kämpfen müssen, das halten Sie nicht durch. Deshalb führt in Ihrem Fall an der Magen-OP kein Weg vorbei. Sonst fressen Sie sich zu Tode. Einmal operiert, wird Ihnen nach drei Esslöffeln schlecht, und Sie können nicht weiteressen. Ganz einfach. Sie werden in kurzer Zeit massiv an Gewicht verlieren.«

Er wiegt den Kopf hin und her und führt dann weiter aus: »Die überschüssige Haut wird natürlich zum Problem werden. Die bildet sich nicht zurück, egal wie viel Sport Sie treiben würden. Machen Sie aber eh nicht, oder?«

Ich verneine und erkläre: »Ich leide seit der Grundschule an Belastungsasthma und nehme seit Ewigkeiten Kortison.«

»Befreiung vom Sport?«, fragt er.

Ich nicke.

»Das passt ins Bild! Wer etwas will, findet Lösungen. Wer etwas nicht will, findet Gründe.« Er lacht spöttisch. »Also kein Sport. Wie gesagt, bringt jetzt sowieso nichts mehr. Die Haut hängt schon an einigen Stellen über, weshalb sich früher oder später durch die Reibung wunde Stellen ergeben werden. Dann müssen Sie auf ausreichend Körperhygiene achten, damit sich die Wunden nicht infizieren. Eine Hautstraffung würde es an einigen Stellen vereinfachen, ist aber bei Ihnen noch lange kein Thema und nur in seltenen Fällen eine Kassenleistung. Aber so ist es eben, wäre ja noch schöner, wenn die Kassen für Menschen geplündert würden, die nicht krank, sondern selbst schuld sind.« Wieder greift er neben sich und legt mir eine weitere Broschüre auf den Stapel. »Ich mache Ihrem Hausarzt den Bericht fertig, dass die Venen frei sind. Die Entfernung der Krampfadern wäre somit eine rein kosmetische Angelegenheit, und die Kosten müssten selbst getragen werden. Ich sage es Ihnen aber gleich, bei Ihrem Bindegewebe tauchen die wieder auf. Das Geld würde ich in diese Beine nicht investieren, aber das müssen Sie selbst wissen.«

Er steht auf und bedeutet mir unmissverständlich: Dieses Gespräch ist beendet.

»Und die vielen blauen Flecken?«, frage ich, denn das ist doch der Grund, warum ich überhaupt hierher überwiesen wurde.

Er schaut verwundert, als ob er überhaupt nicht gesehen hätte, wie die vielen großen und kleinen Flecken auf meinen Unter- und Oberschenkeln in allen Blautönen strahlen, und wirft noch mal einen flüchtigen Blick auf den Überweisungsschein in seiner Mappe. Dann steht er auf, geht zur Tür und sagt beim Verlassen des Zimmers: »Einfach mal bisschen besser aufpassen beim Laufen. Viel Masse will vorsichtig bewegt werden. Schönen Tag!« Dann ist er weg. Wie in Trance stehe ich völlig benommen auf, greife nach dem Stapel Broschüren und kämpfe mit den Tränen. Jetzt nicht zusammenbrechen, jetzt nicht zusammenbrechen … jetzt noch nicht, sage ich mir in Gedanken immer wieder vor, während ich aus dem Behandlungsraum gehe.

Ich fühle mich unglaublich leer. Es ist, als hätte er mir mit jedem Satz, jedem Blick und jeder Berührung die Hoffnung ausgesaugt, dass es besser wird. Ich habe es versaut. Ich bin selbst schuld an meinen Schmerzen, ich ganz allein, und habe keine Hilfe verdient. Als ich hinaus auf den hell erleuchteten Flur mit den vielen riesigen Bildern von makellos schönen Beinen an den Wänden trete, lassen sich die Tränen nicht mehr zurückhalten.

Ich will einfach nur ganz schnell hier weg. Aber meine Beine sind so schwer, ich kann kaum einen Schritt vor den anderen setzen. Reiß dich zusammen! Ich gebe mir selbst einen lautlosen Ruck, wische mir die Tränen weg und gehe, ohne auch nur ein Wort zu sagen, an der Empfangsdame vorbei, hinaus zum Aufzug.

Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis endlich das erlösende »Pling« ertönt, sich die Tür hinter mir schließt und mich vor den Blicken schützt, die sich in meinen Rücken bohren.

Ich lege den Kopf in den Nacken und erschrecke, als ich meinen Anblick in der verspiegelten Decke des Lifts sehe. Er hat recht, ich bin ein fettes, undiszipliniertes Monster, das es gar nicht anders verdient hat. Ich bin schuld.

Während mir die vielen Krankheiten, die mir in Zukunft bevorstehen, mit schrecklich realen Bildern durch den Kopf schießen, schnürt sich mir die Kehle zu. Ich halte die Schmerzen heute schon kaum noch aus, wie soll ich sie in Zukunft ertragen? Ich wünsche mir, dass es endet. Ich wünsche mir, dass es einfach nur endlich vorbei ist.