Das Mädchen am Fluss

Irgendwo in Indien an einem Flussufer. Durch die Mangobäume glitzert die Sonne auf das träge Wasser. Dasitzen und stumm sein. Wann immer ich kann, gehe ich Flüsse anschauen. Ruhe kehrt ein.

Frühabends kommen die Leute aus der Stadt, Arbeiter mit ihren Familien. Plötzlich liegen viele Fahrräder herum. Ausgelassene Vertreibung der Stille. Kleiderhändler packen aus, andere verkaufen Schmuck, eine Bretterbude wird zum Café. Zwei junge Kerle und ein Mädchen machen Musik. Ihr einlullender Singsang schwebt durch die Dämmerung. Er passt zur Temperatur und dem Licht der Stunde.

Als sie mich sehen, bin ich überführt. Als Millionär. Sie lachen und machen Zeichen, ihnen Geld zuzuwerfen. Ich warte, lächle zurück. Will wissen, was passiert.

Die Kleine mit dem zerschlissenen Kleid löst sich aus der Gruppe und nähert sich mir. Um ihren Nacken läuft ein Band, an dem eine Bongo befestigt ist. Sie hört nicht auf zu spielen. Sanft und gleichmäßig trommelt sie auf das Leder.

Aus der Zehnjährigen (?) wird eine Kindfrau. Ihr makelloses Gesicht, den Mund leicht geöffnet, die Zunge an der Unterlippe, sieht sie mir in die Augen. Ganz da, ganz abwesend. Als würde sie so vieles versprechen. Ein leerer, geheimnisvoller Blick. Sie spielt Verführen – zu Dingen, von denen sie nichts weiß. Intuitiv ahnt sie bereits die Macht ihrer Schönheit

Aber ja, alles geplant, alles inszeniert. Was die Intensität des Augenblicks nicht schmälert. Irgendwann ziehe ich meine Börse mit den Münzen hervor. Souverän fischt das Mädchen die Rupien aus der Luft, gönnt eine letzte Sekunde – und hat mich vergessen.