Raub in Brasilien

Reisen zu zweit ist gefährlich. Davon soll die Geschichte erzählen. Von Tereza und mir. Von einem Ritt durchs Fegefeuer. Ich werde mich hüten, dieser intelligenten, attraktiven Frau alle Schuld zuzuschieben. Doch, die Hälfte gehört ihr, die andere mir. Aber die Frage nach Schuld ist hier belanglos. Was zählt, sind die Fakten. Die anstrengend waren. Und die ich – wie so oft – nicht bereue. Denn ich gehöre tatsächlich zu denjenigen, die aus Schaden klug werden. Okay, klüger.

Tereza flog aus Prag, ich aus Paris nach Rio de Janeiro. Drei Wochen lang wollten wir Brasilien besichtigen. Und Tereza dort einen Ex treffen. Ein Vorhaben, das mich nicht störte. Erst hinterher dachte ich, es gibt angenehmere Zeitgenossen als ihn, den Wichtigen und Maulhelden.

Ich komme einen Tag eher an und besuche einen Freund, der vor Jahren von Europa hierher umzog. In eine Villa. Der Mann ist clever, erfand einst ein paar TV-Formate, verdiente Kisten voller Geld und ist nun LuxusPrivatier. Was ihn nicht hindert, bisweilen einen seiner Geistesblitze umzusetzen. Sodass noch mehr Geldkisten herumstehen.

F. ist großzügig und wohltuend crazy. Und ein Vielleser. Das Einzige, was irritiert, ist seine Vorliebe für Damen, die sich – auch ein Stockblinder würde es erkennen – gern um seine Konten kümmern. Zum ganz und gar eigenen Vergnügen. Meine Warnschüsse überhört er, die früheren, die jetzigen.

Wir plaudern, er berichtet von einem Überfall auf ihn. Diesmal bin ich es, der nicht hinhört. Würde ich es, hätte ich weniger schmerzhafte Erinnerungen an Brasilien.

Die angenehmen Brasilianer, sie geben lässig Auskunft, sie gehen sogar ein Stück des Wegs mit, damit der Fremde ja nicht die Richtung verfehlt. Und, unbezahlbar für einen Schreiber: Man sitzt in einer Kneipe, und sie beachten dich nicht. Niemand verletzt den Wunsch nach Alleinsein.

Tags darauf trifft meine Freundin ein. Mitten im warmen Sand der Copacabana bekomme ich das Begrüßungsgeschenk überreicht: ihre schlechte Laune. Viel später werde ich wissen, dass sie unter einer Hormonstörung leidet. Wäre ich eher darüber informiert worden, hätte ich es leichter ertragen, wohl wissend, dass gegen Gene antreten nicht hilft. Man verliert, garantiert.

Als Lektüre habe ich Shunryu Suzukis Zen-Geist, Anfänger-Geist mitgebracht. Ich bin leider kein Anfänger, keiner eben, der »offen«, der »neu« auf Situationen reagiert, sondern einer, der – beladen von Vergangenheit und Erfahrungen – in alte Muster verfällt, um Probleme zu lösen.

Bisweilen entsteht zwischen Mann und Frau eine Nähe, mit der beide überfordert sind. Denn beiden fehlt das »Werkzeug«, die emotionale Intelligenz, um die Wärme zu halten, den Flow, der sie durch den Tag trägt. So zuckt alle paar Stunden das Ego, der beleidigte Narzissmus, der keine Leichtigkeit aufkommen lässt. Nur einen lauernden Missmut, ahnungslos und unfähig, aus den Sackgassen herauszufinden.

Als wir in unser Hotel fahren, lese ich im Bus eine Zeile, die dick an die Decke gemalt ist: »O Sangue de Jesus Christo nos purífica de todo o pecado« – oh, dass das Blut Jesu Christi uns von jeder Sünde reinige. Erstaunlich, was sich Leute einfallen lassen, um ihre Sorgen loszuwerden. Suzuki ist da unnachgiebiger, er besteht darauf, dass nur einer uns retten kann: wir selbst. Das immerhin weiß ich. Aber Tereza und ich werden uns gegenseitig beweisen, dass wir das Retten nicht können. Wir machen es wie alle: Einer klagt den anderen an – rabiat toxisch.

Es heißt, dass inniger Sex als Kitt taugt, um eine Beziehung zu stabilisieren. Bei mir nicht. Herrscht keine Freude aneinander, dann funkelt es auch nicht im Bett. Nur Pflichtübungen, weit weg vom verliebten Umschlingen.

Vor dem Hotel gibt es einen Kiosk, ich entdecke die Brasil-Post, eine deutschsprachige Wochenzeitung. Das Cover zeigt ein Foto, auf dem – so die Bildunterschrift – die Bundeskanzlerin zu mehr Wachstum aufruft. Man fühlt sich in eine Irrenanstalt versetzt, in der morgens Direktorin Merkel vor die versammelten Insassen tritt und via Megafon »Mehr Wachstum« brüllt. Und die Irren begeistert losrennen, um – trotz Übergewicht, Bluthochdruck, Fettleber und Diabetes, trotz Dürre und Überflutungen, trotz Waldsterben, Gletschersterben und Weltsterben – schweißgebadet für Wachstum zu sorgen. Auf dass wir noch schneller und zielgenauer mitten in der Hölle landen.

Tereza und ich fahren nach Salvador de Bahia, im Norden, glatte achtundzwanzig Stunden mit dem Bus. Dort lebt der Ex. Ich bin neugierig auf ihn. Tereza hat ihn bereits mehrmals schlechtgemacht, ob nun als Liebhaber oder als Freund. Dennoch will sie ihn treffen. Um uns gegeneinander auszuspielen?

Sorry, das wird kein Reisebericht, ich bin hier nicht als Reporter unterwegs, sondern als Tourist. Ich flaniere, schaue links und rechts, sehe die Hungerleider und die elegant Gekleideten, sehe die Schönheit und die Abgründe, bewundere und bin fassungslos, bin froh, hier zu sein, und froh, nicht hierbleiben zu müssen. Eines der erfreulicheren Dinge beim Reisen ist der Griff zum Pass. Und die Gewissheit, auf und davon zu dürfen.

Verabredung mit G., dem Ex, und seiner neuen Frau Patricia, einer hübschen Brasilianerin, die als Lehrerin arbeitet. G. hat hier eine Stelle als IT-Fachmann bekommen, hat einen guten Kopf, und sein Blick auf mich sagt eindeutig, dass Tereza mit dem falschen Mann unterwegs ist. Was durchaus stimmt.

Die beiden Ex gehen voraus, Patricia und ich hinterher. Ich kann kein Portugiesisch, aber ihr Spanisch ist passabel. Sie ist ein freundlicher Mensch, sie weiß Antworten auf meine vielen Fragen. Überraschenderweise erzählt sie, ungefragt, von ihrer Ehe mit G. Nicht lustig, er ist der notorische Rechthaber, zudem zieht er regelmäßig über Brasilien her, mahnt an, was alles hier – im Gegensatz zur glorreichen Heimat – nicht funktioniert.

Jetzt passiert etwas Bizarres, und ist doch so leicht zu durchschauen. Wir finden ein Wirtshaus mit Terrasse, setzen uns, und die Bierflaschen kommen. G. gibt den Ton an, den großspurigen. Er lässt uns wissen, »wie geil« es hier sei, wie »easy« das Leben, wie unkompliziert der Umgang mit den Brasilianern. Er scheint die Anwesenheit seiner Frau vergessen zu haben, denn sonst würde er leisere Töne spucken. Aber die Botschaft ist sonnenklar, sie ist einzig an uns beide gerichtet, an Tereza und mich: Ich hab’s gewagt und bin davon in die Neue Welt, während ihr Nachtwächter im alten, muffigen Europa hocken geblieben seid!

Natürlich widerspreche ich nicht. Er soll sich ungehindert bloßstellen. Das habe ich als Reporter gelernt: nicht ins Wort fallen, keinen Widerspruch äußern, im Gegenteil, ein Gefühl des Wohlwollens verbreiten. Man glaubt nicht, mit welcher Inbrunst sich Leute dann herzeigen.

Auf dem Weg zurück ins Hotel erfahre ich von Tereza, dass G. ausgiebig über mich gelästert hat. Er weiß nichts von mir, hat keine Zeile von mir gelesen, er weiß nur, dass ich sein Nachfolger bei der Frau bin, die ihn verlassen hat. Folglich muss ich eine Pfeife sein, denn nach einem Prachtexemplar wie ihm stehen nur noch Zwerge zur Verfügung. Ich bin keinesfalls verstimmt, ja, irgendetwas in mir beneidet Zeitgenossen, die so unkompliziert mit der Wirklichkeit zurechtkommen. Sie sparen sich Tonnen von Energie.

Der folgende Tag hätte nicht sein müssen, aber er kam. Ich habe ihn mitorganisiert, und so darf ich nicht klagen. Wie abgemacht kommen Tereza und ich um zehn Uhr zur Wohnung von G. und Patricia. Das Mobiliar wie in einem Iglu, kalt, die kahlen weißen Wände, die paar Bücher, keine Ecke, die zum Sitzen und Plaudern einlädt. Das sei modern, erfahre ich. Im Schlafzimmer steht der Fernseher, ich grinse heimlich. Der Hausherr verkündet stolz, dass er allein für die Einrichtung verantwortlich ist.

An einem solchen Ort kann man nur ein Unglück ausbrüten, und wir tun es. Auf zum Strand, rein ins Auto und los Richtung Stella Maris. Dort soll es am schönsten sein. Heute ist ein Feiertag, und die restlichen drei Millionen Einwohner von Salvador de Bahia denken dasselbe. So wälzt sich mehrspurig eine Blechlawine zur anderen Seite der Halbinsel. Am Schluss werden es neunzig Minuten für dreiundzwanzig Kilometer sein.

Patricia und ich sitzen hinten, vorne G. und Tereza, sie hecheln alte Bekanntschaften durch. Er sagt, dass sein Land, das, wo er geboren ist, eine Neidgesellschaft ist. Dass einer den anderen – besonders in seiner Berufssparte – für ein Arschloch hält. Das ist nicht unwitzig. G. erwähnt ununterbrochen Arschlöcher, die ununterbrochen andere für Arschlöcher halten. Das muss eine anstrengende Welt sein. Ich frage mich, welches Karma ich gerade abarbeite: brüllende Hitze, das kleine Auto, mitten in einem vierspurigen Stau, nah zwei Frauen, zu deren Glück ich wenig beizutragen vermag – und einem Master of the Universe zuhören, der mit Lust die Menschheit anschwärzt.

Irgendwann ankommen, runter zum Strand, wo die drei Millionen uns bereits erwarten. Da ich unter Klaustrophobie leide, ist das meine absolute Lieblingsgegend. Die drei setzen sich auf den letzten verfügbaren Quadratmeter, ich gehe lieber, die Füße im Wasser, ein paar Kilometer auf und ab. So kann ich es aushalten. Zudem ist es friedlich hier, niemand grölt, niemand streitet, die Leute amüsieren sich. Das Meer und seine sanften Wellen beruhigen.

Die Ruhe vor dem Desaster. Ich komme rechtzeitig zurück, denn G. hat entschieden, dass er nun Hunger hat. Wir finden ein leeres Strandrestaurant (was sich bald als erster Fehler erweisen wird) und bestellen. Wir werden rasch und höflich bedient, wir essen, G. redet.

Nun passieren die drei entscheidenden Minuten: Ein ambulanter Händler mit Bauchladen begrüßt uns und fragt, ob wir etwas brauchen. Batterien, Haarnadeln, Sonnencreme, Zahnstocher, Nagelfeilen, was immer. Er streckt einen Artikel nach dem anderen in die Luft. (Hinterher wird klar, warum er das tut.) Ich mache den nächsten Fehler und kaufe – aus Mitgefühl, ach, armer Mensch – einen Filzschreiber. Der Mann steht hinter G. und Patricia, die uns gegenübersitzen. Auch das war clever vorbedacht, da nun die beiden ihn ebenfalls anblicken, so alle Augen auf ihn gerichtet sind. Jetzt der Knall: Ich will zahlen und greife nach unten, denn zwischen Terezas Stuhl und meinem hatte ich den kleinen Rucksack platziert. Mit dem Geld, unter anderem.

Ein Aufschrei, aufspringen, das Teil ist weg. Und sofort alles verstanden: Der Halunke hat uns abgelenkt, und ein zweiter Halunke griff zu. Deshalb sein Zeitschinden, deshalb das umständliche Kramen nach der Ware. Klar, als wir um uns blicken, ist der Mittäter längst verschwunden, sprich: der perfekte Diebstahl, wir haben nicht den Hauch eines Beweises. Gerissen war das Gesindel, kein Zweifel.

Ich hasse Brasilien, ich hasse G., ich hasse mich. Denn man lässt in der Fremde sein Hab und Gut nicht unbeaufsichtigt, erst recht nicht in einem Land, in dem es von Armseligen wimmelt. Ich hätte den Rucksack zwischen meine Beine stellen sollen, ihn anbinden an einem Knöchel. Was ich oft tat, diesmal nicht. Bequemlichkeit, die Hitze, der Alkohol – der Ausreden sind genug. Sie alle gelten nicht.

Auf der Rückfahrt – wieder verstopft, wieder kriechen – ist über zwei Stunden Zeit, Bilanz zu ziehen: inklusive dickem Bargeld ein Schaden von etwa 950 Euro. Die einzig selige Nachricht: Mac, Kreditkarten und Papiere – versteckt – im Zimmer gelassen. Zum materiellen Verlust kommt der Zorn, die schwärende Einsicht, dass einer cleverer war, smarter. Das Ego blutet. Mit Badehose und Schuhen betrete ich das Hotel. Viel uncooler kann es kaum werden.

Tereza läuft zur Hochform auf, sie hat die Nerven, von mir ihre 35 Euro zu verlangen, die sich im Diebesgut befanden. Noch absurder, denn sie und ich waren für den Rucksack verantwortlich. So war es vereinbart. Wir brüllen uns an, und schon beim Brüllen erkenne ich, dass uns beiden nicht zu helfen ist. Die Freundschaft ist längst auf die schiefe Bahn geraten, und jeder Versuch, die Talfahrt zu stoppen, verspricht nur weitere Abstürze. Ein bug sitzt in unseren Köpfen, unreparierbar, er wird so lange unsere Wut befeuern, so lange wir nicht den Mut haben, uns zu trennen. Nein, noch immer keine Schuldzuweisung, nur der unbedingte Wunsch, das Minenfeld zu verlassen.

 

Kleines Nachwort. Das ist das Schöne am Leben eines Schreibers: Er kann nach dem Crash noch einmal zum Tatort zurückkehren und das Fiasko in Zeitlupe – er muss ja nachdenken – notieren. Um die Minen beim Namen zu nennen. Damit er es beim nächsten Mal, der nächsten Nähe, intelligenter anstellt. Das Aufschreiben von Niederlagen bereitet durchaus Vergnügen, sprich, das Sezieren der Leiche (der Beziehung), um herauszufinden, was zu ihrem Tod führte. Konkret: Die Trennung ist konsumiert, längst, und ich kam davon. Und kein Trauma hält mich wach. Nur die Klarheit, dass ich es heute – so übermütig soll es dastehen – gewitzter anstelle. Weil ich gleich zu Beginn eiskalt hinschaue. Und sobald es aus irgendeiner Ecke toxisch riecht, renne ich weg. Wohl wissend, dass ich niemanden zu heilen imstande bin. Und niemandem mehr erlaube – bis zum letzten Stündlein –, seine Misslaunen und Kaprizen vor mir aufzuführen.