Schlaflosigkeit

Eine Million Stunden Schlaf fehlen mir. Das ist übertrieben, doch nur wenig. Nichts hilft, um meinen todmüden Körper zur Ruhe zu überreden, ich habe alles befolgt: stilles dunkles Zimmer, wohl durchlüftet, nicht über 18 Grad, kein Kaffee, kein Tee zu später Stunde, keinen Boxkampf anzetteln, kein Kokain mehr in die Nase ziehen, keinen Horrorfilm herunterladen, gewiss mit niemandem um Mitternacht streiten, besser kurz vorher warm duschen, das Handy (hätte ich eins) in der Küche lassen, eine Schlafbrille bereitlegen, die Melatonintablette rechtzeitig einnehmen, autogenes Training, keine Pflanzen und Tiere in der Nähe, nichts Schweres essen, kühle Farben für Wände und Möbel, die wahre Schlafstellung trainieren, unbedingt den Kopf auf ein ergonomisches Kissen legen, wenn möglich Liebe machen. Nackt schlafen, auch allein. Und grundsätzlich: jede weiche Matratze verbrennen und unbelehrbar auf einem harten Teil bestehen.

Just bullshit. Alles brav erledigt und dennoch – an der Schlaflosigkeit war nicht zu rütteln. Sie ist taub gegen jeden Ratschlag.

Laut Alarmisten sollte ich so gut wie tot sein. Dank des mangelnden Schlafs. Oder von Herzinfarkten verfolgt. Zudem heimgesucht von bösen Depressionen. Erstaunlicherweise bin ich noch da, mit einem Herzmuskel, der bisher vieles weggesteckt hat. Ja, ich dämmere eher selten durch lebensmüde Stunden. Freilich, bisweilen wanke ich tranig in den Morgen. Dann nehme ich ein Tilidin – 50 mg/4 mg. An ganz tranigen Tagen müssen 100 mg/8 mg her. Das runde kleine Ding wirkt euphorisierend, vertreibt das Träge.

Bei anderen Defätisten las ich, dass ich aufgrund des ausdauernden Konsums der Wunderpille schon vor Jahren im Koma gelandet sein müsste. Auch das steht noch aus. Möglicherweise liegt es daran, dass ich Tabletten mag. Und sie mich. Ohne sie wäre ich längst verschwunden.

Wo ich am besten schlafen kann? Nirgends. Mein teuerstes Hotelzimmer – vom Arbeitgeber bezahlt – kostete 3800 Dollar. In Chicago. Das billigste 100 Birr, in Äthiopien, umgerechnet knapp zwei Euro. Von Tiefschlaf keine Rede, nicht in Amerika, nicht in Afrika. Zugegeben, das Aufstehen fiel in der Suite leichter, weil ein sprudelnder Jacuzzi auf mich wartete, während neben der Strohmatte nur eine Wasserflasche stand, gerade groß genug, um Gesicht und Hände zu benetzen.

Ich rechne nach und siehe da: In über 3000 verschiedenen Betten verbrachte ich eine Nacht. (Reporter gehen eben jeden Tag woanders zur Arbeit.) In Betten, leider. Denn seitdem ich in einem Zenkloster gelebt habe, hasse ich sie und liebe Futons: mit Kapok gefüllte Matratzen, die unschlagbar ästhetisch daliegen, nie knarzen und nie den Body mit Sprungfedern drangsalieren.

Frühabends meditiere ich, um Ruhe zu finden. Die ich natürlich nicht finde, auch nachts nicht, selbst dann nicht, wenn abends die perfekte Lagerstatt auf mich wartet. Mein vegetatives Nervensystem will nicht dämmern, es will wachen.

Gelassen sein ist eine Begabung. Sie fehlt, und ich weiß nicht, wie man an sie herankommt. Das muss ein Gen sein, das man beim Zeugungsakt von seinen Eltern geschenkt bekommt. Eine Göttergabe, unbezahlbar.

Jetzt soll die volle Wahrheit raus: Einmal hielt ich sechs Stunden durch. Im Tiefschlaf. Das war in einer verranzten Bude, in einem Hostel in Perth. Im äußersten Westen Australiens. Vor der Tür grölten die Saufbrüder, und ich schlief. Angezogen – weil ich dem Leintuch nicht traute. Ich kann bis heute nicht sagen, wie es zu diesem kleinen Wunder kam.

Der Körper ist eine magische Maschine, die einsame und geheimnisvolle Entscheidungen trifft. Ganz ohne uns. Ein Rätsel, unerreichbar.

Dennoch, käme eines Tages eine Fee des Wegs und fragte, ob ich meine Schlaflosigkeit eintauschen wollte gegen die vielen Stunden Leben, die ich ihr verdanke, ich antwortete ihr bestimmt und leise: »Lieber nicht.«