Nachwort

»Mais c’est une révolte? – Aber das ist eine Revolte« , soll Ludwig XVI. (frz. Louis XVI) am Abend des 14. Juli 1789 über die Erstürmung der Bastille gesagt haben. »Non, Sire, c’est une révolution! – Nein, Sire, das ist eine Revolution« , habe die Antwort des Duc de La Rochefoucauld-Liancourt gelautet, der als Vermittler zwischen dem König und der Nationalversammlung fungierte und ihn über die Ereignisse in der Hauptstadt informiert hielt.

Höchstwahrscheinlich hat dieses Gespräch so nie stattgefunden 1 , aber das Zitat beschreibt die merkwürdige Realitätsverweigerung des Königs und großer Teile der adligen Elite des französischen Königreichs zum Ende des 18. Jahrhunderts. Frankreich befand sich zu dieser Zeit bereits in einer länger währenden, vielfältigen Krise, deren Bewältigung sowohl die Monarchie als auch die führenden Köpfe des ersten und zweiten Standes überforderte oder deren Bewältigung ihnen schlicht egal war. Der daraus resultierende Volkszorn, der sie im Lauf der nächsten Jahre hinwegfegen sollte, kam für die privilegierten Schichten des Landes überraschend. Das lag vermutlich auch an der Vielschichtigkeit der Gründe für die Ereignisse, die wir heute als Französische Revolution bezeichnen. Es handelt sich dabei eher um einen Prozess und weniger um ein singuläres Ereignis. Außerdem gibt es sehr unterschiedliche Träger der revolutionären Ereignisse, die teilweise gegensätzliche Ziele verfolgten, sodass es eher inkorrekt ist, von der Französischen Revolution zu sprechen, vielmehr sollte man von mehreren Revolutionen sprechen.

Die sogenannte Verfassungsrevolution , die von den Abgeordneten der Nationalversammlung vorangetrieben wurde, wird von wohlhabenden und gebildeten Bürgern getragen, also Ärzten, Juristen, Staatsbeamten, deren Leben sich fundamental von dem der verarmten Bauern oder Arbeiter unterschied. Diese Schichten, wirtschaftlich einflussreich, aber politisch entmündigt, forderten eine politische Teilhabe, die ihrem ökonomischen Gewicht entsprach. Mehr als ein erfolgreicher Unternehmer war wohlhabender als Adlige mit altem Namen und verfallenden Schlössern und Landhäusern, und dennoch hatten sie vor diesen Männern den Hut zu ziehen und standen gesellschaftlich unter ihnen. Die Bourgeoisie 2 (Besitzbürgertum) war geprägt durch die Philosophie der Aufklärer, deren Vertreter die Gleichheit aller Menschen proklamierten und damit die religiöse Legitimation der Ständegesellschaft in Zweifel zogen. Gleichzeitig stellten diese Vordenker damit den auf dem Gottesgnadentum basierenden Herrschaftsanspruch der Krone infrage. Die Bourgeoisie strebte eine konstitutionelle Monarchie an, wie es sie bereits in England gab. Kaum einer dieser Bildungs- und Wohlstandsbürger hatte vor, den König zu stürzen oder eine Republik auszurufen.

Ihnen gegenüber stand die ländliche Einwohnerschaft, die Ende des 18. Jahrhunderts etwa 80 Prozent der Bevölkerung 3 umfasste. Allein diese Zahl zeigt, dass die Revolution ohne diese Gruppe niemals zum Erfolg hätte führen können. Viele französische Bauern besaßen, anders als in den meisten anderen Ländern Europas, eigenes Land, aber oft reichte es kaum, um die eigene Familie zu ernähren. Das zeigt sich schon an der Verteilung des Landbesitzes in Frankreich: Den Bauern gehörte etwa ein Drittel des landwirtschaftlich nutzbaren Landes, wohingegen dem Adel, der nur etwa ein Prozent der Bevölkerung ausmachte, etwa 25 Prozent Agrarland gehörte.

Das stetige Bevölkerungswachstum im 18. Jahrhundert sorgte dafür, dass die Diskrepanz zwischen möglichen Erträgen auf diesen Kleinstflächen und den davon zu Versorgenden immer größer wurde. Daher konnten sich viele Bauern nicht mehr selbst versorgen, sondern mussten Lebensmittel dazukaufen. Die steigenden Getreidepreise aufgrund der Missernten von 1780 und 1788 trafen sie deshalb besonders hart.

Auch kleine Handwerksbetriebe und Tagelöhner in den Städten waren vornehmlich von dieser Entwicklung betroffen. Dieser Gruppe ging es bei den revolutionären Ereignissen um bessere Lebensbedingungen, die ihnen das reine Überleben sicherten. An Verfassungsänderungen waren die Vertreter der Bauern- beziehungsweise Kleinbürgerrevolution nicht interessiert 4 , zumal davon auszugehen ist, dass ein Großteil von ihnen gar nicht lesen konnte, geschweige denn die Zeit gehabt hätte, sich mit den Texten der Aufklärer auseinanderzusetzen.

Hinzu kamen die vom Königshaus selbst zu verantwortenden Krisen. An erster Stelle sind da vor allem die enormen Schulden zu nennen, die der Staat aufgrund einiger kostspieliger Kriege angehäuft hatte. Bereits 1715, zum Zeitpunkt des Todes des legendären »Sonnenkönigs« Ludwig XIV., war der Staatshaushalt um das 18-Fache 5 überzogen. Damit wurde der französische Anspruch erkauft, die stärkste Macht auf dem europäischen Kontinent zu sein. Aber auch das Engagement in den Kolonien und in Übersee kostete Unsummen. Besonders das Eingreifen in den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zugunsten der Siedler und gegen die britische Krone in den 1780er-Jahren spitzte die Krise weiter zu.

Dennoch wurden weder die Militärausgaben noch die extrem aufwendige Hofhaltung eingeschränkt. Das Königshaus hatte kein Gespür dafür, dass der in Versailles zelebrierte Luxus aufgrund der finanziellen Nöte in der Bevölkerung immer weniger akzeptiert wurde. Statt mit diesem Prunk den Herrschaftsanspruch der Krone zu zementieren, wie es gedacht war, untergrub der Hof sich damit selbst.

Der extravagante Lebensstil Ludwigs XV., gepaart mit seinem gleichzeitigen Desinteresse an den Regierungsgeschäften, zerstörte die Autorität des Hofs weiter, sodass die Staatskasse 1788 den Staatsbankrott verkünden musste.

Ludwig XVI. schließlich hatte die Schulden seiner Vorfahren geerbt und schlicht so weitergemacht wie sie.

Verwunderlich an dieser Finanzkrise ist, dass Frankreich zu jener Zeit eines der reichsten und mächtigsten Länder der Welt war und dennoch nicht in der Lage, seine monetären Probleme zu lösen. Das Steuersystem war ineffizient und ungerecht, der Staat unfähig, es zu reformieren, um die Einnahmen zu erhöhen. Die privilegierten Stände wie Klerus und Adel waren ohnehin von Steuerzahlungen ausgenommen. Damit lag die gesamte Belastung auf den Schultern der Bauern und des Bürgertums, die sich in ihrer Ablehnung dieser Ungerechtigkeit einig waren – so wie der erste und zweite Stand übereinkamen, nichts an diesem System ändern zu wollen.

Die Generalständeversammlung, deren Einberufung vor allem vom Finanzminister Jacques Necker betrieben wurde, sollte diesen gordischen Knoten durchschlagen. Es war mehr als 150 Jahre her, dass die drei Stände auf diese Weise zusammengekommen waren. Necker zauberte dieses Instrument wie bei einem Taschenspielertrick hervor, um endlich einen Weg zu höheren Steuereinnahmen zu finden. Vermutlich war seine Intention tatsächlich eine Reform des ineffektiven Steuersystems, aber ein Streiter für die Rechte des dritten Standes war auch der bei der Bevölkerung beliebte Necker nicht. Letztlich wollte er die Generalständeversammlung dazu nutzen, sich auch vom dritten Stand die Einwilligung in weitere Steuererhöhungen zu holen. Das Problem bei diesem Schauspiel war, dass viele der ursprünglichen Regeln für die Zusammenkunft der Stände in Vergessenheit geraten waren. Daher erdachte man einfach neue.

Dem König war dabei vor allem an der Darstellung der Monarchie und seiner selbst gelegen. Die Schweizergarde trug zur Eröffnung der Generalstände extra angefertigte barocke Uniformen, altertümliche Helme und Waffen, um an die Prunkzeiten des Hauses Bourbon zu erinnern. Der König selbst ritt einem antiken Feldherrn gleich in vollem Ornat den Abgeordneten auf einem Schimmel hinterher. All das in Verkennung der Tatsache, dass dieser Prunk eher den Zorn vieler Abgeordneter wecken würde, da sie ja zusammengekommen waren, um die Finanzkrise des Staates zu lösen. Dass der König während des Eröffnungsprozederes auch noch bewusst die Demütigung der selbstbewusst gewordenen bürgerlichen Vertreter zelebrierte, brachte für viele der Abgeordneten des dritten, aber auch für einige aus dem ersten und zweiten Stand, das Fass zum Überlaufen.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Hierauf konnten sich schließlich die unterschiedlichen Träger der Revolution einigen. Die Entlassung des Finanzministers Necker nach einem wochenlangen Stillstand der Beratungen über die Finanzreform war schlussendlich der Auslöser. Der Sturm der Bastille durch etwa 8000 Bürgerinnen und Bürger 6 galt eher einem Symbol der verhassten Monarchie und weniger einem wirklichen Ort des Schreckens. Nur noch eine Handvoll Gefangene saßen in den Mauern der alten Festung ein und auch die erhofften Waffen fanden die Erstürmer dort nicht.

Vermutlich in einem Akt der Verzweiflung und Überforderung ließ der Festungskommandant Marquis de Launay auf die Belagerer schießen. Knapp hundert Tote waren zu beklagen, aus Rache lynchten die Eroberer den Kommandanten und sieben seiner Gardisten.

Interessant ist es, sich anzusehen, wer zu den berühmten ›Siegern der Bastille‹ gehörte, die später in eine Ehrenliste aufgenommen wurden. Von den 662 Teilnehmern 7 stammte gerade mal eine Handvoll aus dem Bürgertum, das den Kern der Nationalversammlung bildete. Die große Mehrheit waren einfache Leute: Handwerker, Arbeiter oder Tagelöhner. Dennoch retteten sie durch ihren aufopferungsvollen Mut die Nationalversammlung, die aufgrund der Erstürmung der Bastille zur offiziellen Stimme des dritten Standes wurde.

In dieser gegensätzlichen Konstellation liegt die Begründung für die Veränderung der Revolution in den folgenden Jahren, die oftmals als ›Tugend und Terror‹ zusammengefasst wird.