Schilderkrieg
„Das klingt aber sehr ähnlich.“ sagte Letty und schaute verwirrt zwischen den beiden Schildern hin und her.
„Das ist eine Frechheit und sonst gar nichts.“ knurrte Karen.
Sie stürmte erbost los und überwand die wenigen Meter zwischen den beiden Buden in Rekordzeit. Kurz japste sie nach Luft. Sofort setzte sie zu einer gewaltigen Strafpredigt an.
„Wie kommt man bloß dazu, sich so frech den gleichen Namen zu geben?“ brüllte sie lauter, als sie geplant hatte.
Fast erschrak sie selbst über ihren barschen Ton. Erschrocken blickte der Kerl von der Leiter auf sie herunter. Das Schild hatte er gerade in seine endgültige Position gebracht, sonst wäre er wohl nach Karens Attacke nach unten gesegelt. Am Fuße der Aluminiumleiter stand ein junger Mann, unter dessen Mütze ein Pferdeschwanz sich auf den Rücken der dicken Jacke legte. Er sah dem Leiterkletterer zum Verwechseln ähnlich. Offensichtlich hatte er die Holme der Leiter fixiert, damit der Handwerker nicht unerwartet zum Flieger mutierte. Spöttisch musterte er die aufgebrachte Blondine mit den wilden Locken, die wie ein Racheengel über die zwei Männer hergefallen war.
„Na, runter vom Gas. Sonst fällt mein geliebter Zwilling Toni noch runter.“
Umständlich setzte dieser gerade einen Fuß in der Jahreszeit nicht angepassten Sneakern nach dem anderen auf die Sprossen um sich vorsichtig wieder auf den Erdboden stellen zu können.
„Jetzt habe ich mich aber erschrocken. Ich bin der Toni.“ sagte dieser als er wieder festen Grund unter seinen dünnen Schuhen hatte.
Er streckte die Hand aus, die Karen reflexartig ergriff. Gleichzeitig ärgerte sie sich über ihre Geste, denn sie war keineswegs für einen Friedensschluss hier. Von der anderen Seite der Budenstrasse sahen sie stumm ihre Aushilfen Laetitia und Benny. Benny reckte sogar einen Daumen hoch, was sie mit einem Augenrollen quittierte. Offensichtlich glaubte der naive Junge an eine blitzartige Versöhnung. Lettys Mine hingegen war sorgenvoll. Gespannt verfolgte sie die Bewegungen ihrer Chefin.
„Karen von der Glüheralm.“ antwortete sie kurz angebunden.
„Und ich bin der Kilian, der fast hinterbliebene Bruder des stattlichen Handwerkers hier.“ mischte sich der Leiterhalter wieder ein.
„Du kannst gleich wieder hoch klettern. Das Schild kann keinesfalls so bleiben.“ erklärte Karen und deutete auf ihr eigenes Schild.
Die Zwillinge sahen sich verwirrt an, wobei Toni sich die dicke Wollmütze nachdenklich in den Nacken schob. Er hatte im Gegensatz zu dem langhaarigen Kilian eine Glatze, was Karen einen Moment verwirrte. Anscheinend war Kilian der selbstbewusstere und wortgewandtere der beiden, denn er übernahm die weiteren Verhandlungen.
„Hör mal, du scheinst ja ein nettes Mädel zu sein. Aber warum sollten wir unser Firmenschild wieder abnehmen? Dürfen wir dich und deine Freunde zu einem Glas unseres Glühweins einladen? Um die gute Nachbarschaft zu besiegeln? Schließlich ist ja Weihnachtszeit und damit Frieden und Freude und glückliche Stimmung. Die nächsten Wochen müssen wir es ja miteinander aushalten.“
Karen schnaubte. Nettes Mädel? Der war wohl verrückt.
„Hör du mal selbst zu. Was soll das mit Almglüher? Seit 20 Jahren heißt der Stand meiner Mutter Glüheralm. Nun kommt ihr hier an und nennt euch auch so. Runter mit dem Schild. Und zwar sofort.“
Toni ruckelte wieder an seiner Mütze herum und trat von einem Bein auf das andere. Offensichtlich kroch ihm die Kälte durch die dünnen Schuhsohlen. Wenn er die Treter jeden Tag trug, dann würde der Stand über kurz oder lang sowieso wegen Krankheit geschlossen werden, bemerkte Karen zufrieden. Nach außen gab sie ihrem Gesicht einen Ausdruck von Entschlossenheit. Zumindest hoffte sie das.
Kilian lachte. Er lachte so laut und herzlich, dass Passanten, die das Treiben an den Ständen mit Vorfreude und Neugier auf den Christkindlmarkt beobachtete, ihn ebenso fröhlich anlächelten. Auch sein Zwilling schien angesteckt worden zu sein und stimmte in das wiehernde Gelächter ein. Sogar Benny und Letty lächelten. Nur Karen hätte den Typen an seinem albernen Pferdeschwanz packen und schütteln können. Was bildete sich der eitle Fatzke ein?
Nachdem sich der gespielte Lachanfall gelegt hatte, sah er ihr direkt ins Gesicht.
„Entschuldige bitte, das ist lächerlich. Das sind zwei völlig verschiedene Wörter. Wie kommst du auf so eine hanebüchene Idee? Nimm doch du dein Schild ab, wenn es dich stört. Oder musst du erst auf Mutti warten?“
Okay, nun wurde es hässlich Soviel zu Weihnachtsfrieden und entspannter Stimmung. Alleine die Erwähnung ihrer armen Mutter, die sich mit ihrem Knöchelbruch quälte, trieb ihr die Zornesröte ins Gesicht. Sogar ihre Ohren liefen rosa an. Lässig schob ihr Gegenüber sich die Daumen in den Hosenbund und stand da wie ein Cowboy. Sie trug hingegen warme Handschuhe. Hoffentlich bekamen beide Brüder eine Lungenentzündung, wünschte sie sich gar nicht fromm.
„Nenn meine Mutti nicht Mutti.“ war ihre wenig geistreiche Erwiderung, was wiederum einen Lachanfall auslöste.
Wenn das so weiter ging, dann würde der ganze Christkindlmarkt sich lachend auf dem kalten Boden wälzen. Okay, es war Zeit für härtere Bandagen. Die würden sie noch kennenlernen, diese Neuankömmlinge am Markt. In ihrer Wut war ihr entfallen, dass sie auch Neuling war.
„Letzte Chance für euch zwei Grinsebacken. Das Schild kommt sofort runter und ihr überlegt euch was eigenes. Nicht bei anderen klauen, hört ihr. Das ist verboten.“ knurrte sie.
„Was passiert denn, wenn wir uns nicht auf deine seltsamen Forderungen einlassen?“ fragte Kilian scheinheilig, was ihm ein anerkennendes Nicken seines Zwillings einbrachte.
„Dann...“
Ja, was würde sie dann machen? Einen Rechtsanwalt beauftragen? Das klang jetzt schon teuer, wenn sie nur daran dachte.
„Dann gehe ich zur Marktaufsicht.“ stieß sie wütend aus. „Ihr habt 15 Minuten.“
„Ich brauche keine 2 Minuten. Das Schild bleibt wie es ist. Ich weiß gar nicht, was du für einen Film in deinem hübschen Köpfchen fährst, aber ich erkenne da überhaupt keine Ähnlichkeit bei den Namen. Koch lieber schon mal ein bisschen Glühwein.“ entgegnete ihr Kilian eiskalt, was ihm einen anerkennenden Blick seines Bruders einbrachte.
Wütend stapfte Karen zurück auf ihre Seite der Marktstraße.
„Und? Machen sie das Schild weg?“ fragte Letty besorgt, als sie verdrießliche Mine analysierte.
„Soll ich sie mal ordentlich verhauen?“ war Bennys Vorschlag zur Problemlösung.
Karen schüttelte nur den Kopf. Sie würde die Frist abwarten, die sie so großzügig eingeräumt hatte und sich dann an die aufsichtführende Stelle wenden. Was anderes blieb ihr im Moment nicht übrig.
Man konnte die gespannte Atmosphäre zwischen den Ständen fast mit den Händen greifen. Beide Streitparteien beäugten sich misstrauisch Kurz überlegte Karen, ob sie übertrieben hatte. Vielleicht konnte ihre Mutter ihr einen Rat geben. Auch wenn Kilian sich sicher wieder schrecklich darüber amüsiert hätte, zog Karen sich hinter den Stand zurück und zog im Schutze der Bretterbude ihr Handy aus der Anoraktasche. Mittlerweile war der unangenehme Regen stärker geworden. Zum Glück waren einige der von den Handwerkern aufgestellten Tische überdacht. Unter einen solchen Unterstand stellte sie sich nun.
„Mama? Ich muss dich was fragen.“ legte sie gleich los, als sie die vertraute Stimme hörte.
„Aber natürlich, mein liebes Kind. Ich bin glücklich, wenn ich dir helfen kann. Schließlich ist es wahnsinnig lieb von dir, wie sehr du mir die Arbeit abnimmst. Ich bin so wütend, dass ich mir den Knöchel gebrochen habe.“
„Dafür kannst du doch nichts.“ erklärte Karen.
Das Thema hatten sie wirklich seit dem Tag des Unfalls oft genug durch gekaut. Maria machte sich schwere Vorwürfe, wie sie nur so ungeschickt sein konnte. Niemand außer sie sich selbst hielt sie für unfehlbar.
„Aber das kann wirklich jedem passieren. Immer wieder auf der ganzen Welt werden Menschen krank oder verletzen sich. Manche brechen sich sogar was. Sonst bräuchten wir gar keine Krankenhäuser oder gar Ärzte.“ hatte Valentin mit einer Engelsgeduld immer wieder erklärt.
Aber Maria blieb untröstlich.
„Mama, ist unser Name eigentlich geschützt? Also irgendwo registriert oder eingetragen.“ schob sie die Entschuldigungen ihrer Mutter rigoros zur Seite, um endlich zu ihrem Anliegen zu kommen.
„Meinst du unseren Nachnamen? Gerber?“ fragte Maria verständnislos, aber besorgt.
„Nein, ich meine den Namen unseres Standes. Glüheralm. Hast du das markenrechtlich gesichert““ bemühte Karen sich um einen ruhigen Ton.
„Ach Gott, Kind, nein, natürlich nicht. Wie käme ich denn da drauf. Warum fragst du? Wie läuft es auf dem Markt? Habt ihr alles fertig aufgebaut? Ich wollte, ich könnte bei euch sein. Aber mit Krücken und dieser Orthese, keine Chance.“ fuhr Maria unbeirrt fort mit ihren Fragen.
Karen konnte nur noch mit Mühe an sich halten.
„Ich habe ein paar Probleme mit den Jungs vom Glühweinstand gegenüber. Die nennen sich Almglüher. Das ist nicht nur frech, sondern lädt auch zu Verwechslungen ein. Deshalb meine Frage nach einem Schutz für die Glüheralm. Da hätte man sich natürlich rechtlich absichern müssen.“
„Was erzählst du denn da? Du musst dich irren. Gegenüber ist der Stand von Herrn Moser. Sehr netter älterer Mann, der selbstgemachte Fruchtweine und Liköre anbietet. Ich habe mich immer bestens mit ihm verstanden. Bitte mach da bloß keinen Ärger.“ flehte Maria.
„Was heißt hier Ärger?“ antwortete Karen zornig. „Da ist kein Herr Moser mehr. Das sind Zwillinge, die nicht nur rotzfrech zu mir waren, sondern genau das selbe Angebot wie wir haben: Glühwein.“
„Das sind vermutlich seine Enkel. Nette Burschen, heißen Weber und sind so höflich. Haben sogar mir immer ein bisschen geholfen beim Tragen, wenn etwas zu schwer oder zu sperrig war. Herr Moser war letztes Jahr schon nicht mehr ganz fit. Vermutlich betreiben sie seinen Stand weiter. Richte bitte schöne Grüße von mir aus. So guten Kirschwein hatte der immer. Habe ich auch mal für uns privat gekauft. Vielleicht bringst du mir ein Fläschchen mit.“ plapperte Maria.
Karen hätte aus der Haut fahren können. Die netten Knaben. Da hatte sie aber deutlich andere Erfahrungen bei der ersten Kontaktaufnahme gemacht. Von handgemachten Fruchtweinen war auch nichts mehr zu sehen gewesen. Das war ein Konkurrent um den hart umkämpften Glühweinmarkt und sonst gar nichts.
„Mama, du hörst nicht zu. Aber egal. Wenn ich mich beschweren wollen würde, an wen müsste ich mich wenden auf dem Christkindlmarkt? Nur mal so zur Information.“
Insgeheim hoffte Karen natürlich, dass die bösen Zwillinge von gegenüber sich inzwischen während ihres Telefonats mit einem großen Knall in Nichts aufgelöst hatten. Oder zumindestens ihr Schild vom Dach des Glühweinstandes abgebaut hatten. Es war trotzdem gut, einen Plan B in der Hinterhand zu haben.
„Ach, beschweren willst du dich? Der Markt ist noch nicht mal eröffnet und schon willst du dich beschweren? Am Besten beim Bürgermeister persönlich. Hahaha. Nein, im Ernst. Bei der Marktaufsicht. Die machen aber vor der Eröffnung sowieso einen Rundgang. Du findest die Herren meistens im Prunkhof des Rathauses. Da wo die Vitrine steht mit der goldenen Christkindlstatue. Die habe ich ja leider nie gewonnen.“ sprach ihre geliebte Mutter einfach weiter.
So sehr sich Karen auch um Verständnis bemühte wegen der vermutlichen Langeweile der sonst so aktiven Geschäftsfrau, so schnell wollte sie jetzt doch wissen, woran sie war. Es war Zeit, wieder aus ihrer Tauchstation hervor zu treten und den Kampf aufzunehmen. Die würden sie noch kennen lernen. Deshalb würgte sie etwas unhöflich das Telefonat ab. Noch ein paar Luftküsschen für die Mama und ein Stoßgebet nach oben, dann ging sie an die Vorderseite der Bude.
Mit verschränkten Armen und provokativem Blick standen die zwei Männer vor dem gegnerischen Stand gegenüber. Das Schild prangte nach wie vor auf dem Dach.