KAPITEL 12
1989
Gil wacht spät am Morgen von einem Pfeifen auf. Mum hat immer gesagt, es gibt zwei Sorten von Pfeifern. Die einen pfeifen ein bekanntes Liedchen und sind Klempner, die anderen machen einfach nur ihrer Wut Luft, und Wut hat keine Melodie. Diese Leute sind Mörder.
Der Fremde in der Unterhose, der am Herd steht und Dosenschinken brät, pfeift ein Liedchen.
Als er Gil sieht, schiebt er die Pfanne zur Seite und streckt die Hand in seine Richtung. »Dutch.«
Gil sieht die Hand an und geht mit einem Auge auf diesen Dutch um den Tisch.
»Und du bist Gil.« Dutch wendet sich wieder der Pfanne zu.
Gil setzt sich neben seinen Großvater. Der alte Mann rührt das Frühstück vor sich nicht an. Seine rechte Hand ist frisch verbunden und mit Pflastern umwickelt. Er raucht mit der linken Hand, was ihm etwas Zögerndes verleiht.
»Hast du deine Hand noch?«, fragt Gil.
Joss nimmt einen tiefen Zug.
»Nun.« Dutch bringt den gebratenen Schinken und schiebt die Soßenflaschen auf dem Tisch hin und her, über seiner Schulter liegt ein Geschirrtuch. Er sieht Joss an. »Sie mögen Ihr Frühstück nicht?«
»Das Frühstück ist okay.« Joss steht auf, schiebt den Stuhl kratzend über den Boden, geht nach draußen und knallt die Fliegentür hinter sich zu.
»Er kann die Hand nicht mehr gebrauchen«, sagt Dutch. »Sie wollten ihn operieren, aber er wollte nicht, nicht während der Saison.«
Dutch stellt auch für Gil und sich zwei gefüllte Teller auf den Tisch und deckt das Frühstück von Joss mit einem Deckel ab. Er setzt sich und lächelt Gil zu. Gil sieht weg.
Dutch haut rein. Gil wirft ihm einen Blick zu. Es ist der Deckarbeiter von Silvias Foto, nur älter und zerfurchter. Drahtig und dünn wie jemand, der nicht auf die lockere Art leben kann. Dutch ist tiefbraun, hat blaue Augen und ein Stoppelkinn, kurz geschorenes Haar, hellrotbraun mit ein paar grauen Flecken.
Gil sieht auf seinen Teller. Die gebratenen Sachen sind hübsch arrangiert, wie in einem Café. »Wo ist Silvia?«
»Sie ist zurück bei Papa Zanetti.«
»Wo du früher warst?«
»Jepp.« Dutch lächelt. »Aber jetzt bin ich hier.«
Gil isst sein Frühstück und sieht heimlich immer wieder zu Dutch hin. Ihm fällt die rot gefleckte Haut auf dessen Hals auf.
Dutch merkt es. »Man sagt, ein Muttermal ist der Todesstoß aus deinem letzten Leben.« Er mimt einen hektischen Stich in seinen Hals. Gil wendet sich wieder seinem Teller zu.
»Du bist also der große Gilgamesch?«
»Ich heiße Gil.«
»Hat dich deine Mutter nicht nach dem großen Krieger benannt?«
Gil bewegt eine Tomate an den Rand seines Tellers. »Bist du Ire?«
»Ja.«
»Warum heißt du dann Dutch?«
Dutch ist mit dem Frühstück fertig, schiebt seinen Teller von sich weg und dreht sich geschickt eine Zigarette. Er verteilt den Tabak auf dem Papier, dreht einmal vor, einmal zurück, leckt über den Rand, zwickt die Enden ab, und schon brennt die Zigarette.
»Den Namen habe ich, weil ich unter den ersten Tauchern unten bei dem holländischen Wrack war. Weißt du von der Batavia.«
Gil nickt. »Hast du einen Schatz gefunden?«
»Habe ich. Silbermünzen. Ich zeige sie dir mal.«
»Auch Knochen?«
»Himmel, nein.« Dutch lacht. »Die liegen alle in Silvias verdammter Grotte.«
Gil lacht mit.
»Wie bekommt dir das Inselleben, Gil?«
»Ist schon in Ordnung.«
Dutch nickt zu einem Karton auf der Arbeitsplatte hin. »Vielleicht solltest du da mal hineinsehen. Dein Granddad hat gestern Abend was für dich gewonnen.«
Gil sieht, dass Löcher in die Seiten des Kartons gestanzt sind. »Was ist das?«
»Ein Kumpel für dich, mit dem du rumalbern kannst.«
Gil öffnet den Karton und sieht hinein. »Das ist ja eine verdammte Schildkröte.«
Dutch lacht. »Eine verdammte Schildkröte.«
Gil berührt den Panzer des Tieres sanft und vorsichtig. Die Schildkröte weicht zurück. Der Kopf wackelt und sieht irgendwie obszön aus. Der Panzer ist wie geschnitzt. Zwei heimtückische Augen.
Gil findet sie wunderbar.
»Hol sie nur heraus. Halt sie in der Mitte. Aber Vorsicht mit den weichen Stellen an den Achseln. Nimm sie ganz sanft, Gil.«
Die Schildkröte ist etwa so groß wie ein Essteller, und sie ist überraschend schwer. Dutch schafft Platz, und Gil trägt sie zum Tisch.
Gil streichelt die platte Nase der Schildkröte. Zwei winzige Luftlöcher. Er hält sie kurz zu. Die Schildkröte drückt mit den Füßen auf das Wachstuch.
»Sie heißt Frisbee.«
Die Schildkröte scheint sich langsam umdrehen zu wollen.
»Wer hat das gesagt?«
»Der Typ von der Tombola. Er hat so getan, als wollte er sie werfen.«
Gil zieht die Stirn kraus.
»Er war ein Idiot, Gil. Du musst sie nicht Frisbee nennen.«
Die Schildkröte hört auf, sich zu bewegen, und ruht sich aus.
»Wie soll ich sie denn nennen?«
Dutch denkt nach. »Enkidu. Das war Gilgameschs bester Freund.«
Enkidu. Gil wiederholt den Namen stumm für sich. Enkidu. Enkidu.
Gil weiß, es ist ein magisches Wort. Mehr noch, es ist genau der Name für die Schildkröte.
»Ich überlege es mir«, sagt er.
Sie packen das Frühstück des alten Mannes in Pergamentpapier. Sie werden es ihm bringen. Dutch findet eine alte Sporttasche, in der Enkidu mitkommen kann.
Joss wird auf dem Anleger sein, sagt Dutch, weil es da einen Elektroanschluss gibt. Er will unbedingt, dass die Ramona wieder in Ordnung kommt. Es ist Hochsaison, und jeden Tag, an dem er nicht hinausfährt, verliert er Geld. Und seine Reusen liegen draußen. Gil fragt sich, ob dort auch die Gedanken seines Großvaters liegen, im Riff verfangen.
Auf dem Weg hinunter bleibt Dutch stehen, um sich den Horst des Seeadlers anzusehen. Er holt ein Fernglas hervor, klein, faltbar, leistungsstark. Zufällig kommt der Adler gerade herangeflogen. Dutch gibt Gil das Fernglas und hilft ihm, es richtig einzustellen. Der Seeadler plustert die Brust. Es ist irrsinnig, Gil kann jede einzelne Feder erkennen.
»Das sind versierte Nestbauer.«
»Da hängt sogar Lametta drin. Es glitzert in der Sonne.«
Dutch lacht, als hätte Gil ihm Weihnachten geschenkt.
Sie kommen an Bill Nords Camp vorbei, der Ausgrabungsstätte, aber Wissenschaftler sind keine zu sehen. Der Bereich ist immer noch abgesperrt, auf den Gräben liegen Planen.
»Birgit wird mit ihnen draußen am Wrack sein. Die Tauchbedingungen sind offenbar bestens«, sagt Dutch mit einem gewinnenden Lächeln.
»Du kennst sie?«
»Ja, und Sam und Mick auch.«
Gil erinnert sich, wie Dutch an seinen Namen gekommen ist. »Wie ist das so, zu einem Wrack runterzutauchen?«
»Als ich die Kanonen auf dem Meeresgrund entdeckt habe, sind mir die Tränen gekommen, wirklich, in meiner verdammten Maske, es war die reine Magie. Und die Silbermünzen, ganze Schwärme von ihnen, und wie die glitzerten. Als hätte sie gerade jemand auf dem Meeresgrund verstreut. Jahrelang haben sie nach der Batavia gesucht, die alten Aufzeichnungen gaben einfach nicht genug her, um sie zu finden.«
»Ich nehme an, hier gibt’s jede Menge Meer.«
»Stimmt, und verlassene Inseln und tödliche Riffe.«
Gil gibt das Fernglas zurück.
»Du kannst es dir für eine Weile ausleihen, wenn du willst. Den Seeadler ein bisschen beobachten.«
Gil nickt dankend.
»Die Fischer haben die Batavia lange vor den Wissenschaftlern gefunden, es aber für sich behalten. Einer hatte eine Ahnung und ist an einem ruhigen Tag rausgefahren. Er hatte ein Glas dabei, um auf den Grund sehen zu können, und da lag eine Kanone. Klar zu erkennen.«
»Ist das Schiff immer noch da unten?«
»Sie haben Planken nach oben geholt, von den Seiten, dem Rumpf, was noch übrig war. Was das Meer über die Jahrhunderte nicht aufgefressen hat.«
Sie gehen stumm dahin, nur das Meer und die Möwen sind zu hören, dazu ihre Schritte im Korallenkies. Gil gefällt es, dass Dutch nicht jede freie Sekunde mit Gerede füllt. Und wenn er etwas sagt, ist seine Stimme weich und locker und angenehm in den Ohren.
»Du bist deiner Mum wie aus dem Gesicht geschnitten.«
Gil sieht ihn an. Dutch trägt ein Lächeln auf dem Gesicht.
Er guckt weg, findet aber, er muss ihn etwas fragen: »Bist du mit ihr ausgegangen?«
»Lass mich raten: Hat Silvia dir das erzählt?«
»Ja.«
»Silvia ist eine Schwatztante. Deine Mum und ich waren sehr jung.«
»Hast du meinen Dad gekannt?«
»Nein. Du?«
»Nein.«
Dutch zögert. »Weißt du seinen Namen, Gil?«
»Den hat Mum mir nie gesagt.«
Gil gibt Joss sein Frühstück. Sein Großvater deutet auf die Schildkröte in der Sporttasche.
»Lass die sich mal ein bisschen die Beine vertreten.«
»Sie heißt Enkidu«, sagt Gil.
Joss wirft Dutch einen Blick zu.
Dutch grinst. »Die beiden großen Krieger.«
Gil sitzt mit Enkidu auf dem Steg, während die beiden Männer am Boot arbeiten. Joss und Dutch reden sehr einsilbig miteinander. Die Motorabdeckung liegt an der Seite, und der Geruch von Öl und Diesel mischt sich in die salzige Luft. Enkidu scheint nicht sonderlich beeindruckt von dem, was um ihn herum vorgeht. Seine Mundwinkel weisen nach unten.
Gil geht mit der Schildkröte ein wenig im Wasser plantschen. Enkidu guckt mürrisch drein.
Gil setzt ihn auf den Uferkies, wo er herumkrabbeln kann. Enkidu guckt mürrisch drein.
Gil versucht Enkidu mit ein paar Blättern zu füttern. Enkidu hat nur einen genervten Blick für ihn übrig.
Also setzen sie sich wieder auf den Steg. Gil trinkt einen Saft aus der Kühlbox, die beiden Männer ein Bier. Dutch stellt der Schildkröte einen Teller Wasser hin, den sie ignoriert. Auch im Schlaf guckt Enkidu mürrisch drein.
Die anderen Fischer kommen zurück. Der Lärm der Motoren kündigt sie an, dann fahren sie rein. Die Deckies springen von Bord, um die Boote zu vertäuen. Sonnenverbrannte, schwitzende Männer. Sie schleppen Ausrüstung und Kisten mit Langusten über den Steg und rufen Dutch laute Grüße zu. Er kommt vom Boot, um ein paar von ihnen die Hand zu schütteln. Sie klopfen ihm auf die Schulter. Einige nicken Gil im Vorbeigehen zu. Sie zeigen auf Enkidu und heben den Daumen oder lächeln.
Joss Hurley könnte genauso gut nicht existieren. Er hält den Kopf unten, achtet nicht auf das, was vorgeht, und fummelt mit der falschen Hand am Motor herum.
Das Licht wird weniger.
»Bring den Jungen zurück«, sagt Joss. »Ich mach noch eine Weile weiter.«
Gil und Dutch gehen in Richtung Camp. Es ist ein schöner Spaziergang, die Luft ist noch warm.
»Lass uns mal bei Papa Zanetti vorbeigehen und sehen, was Silvia kocht.«
»Ich darf nicht zu ihnen.«
»Hat sie das gesagt?«
»Wegen Frank und Roper.«
Dutch mustert Gil einen Moment. »Vergiss es. Du kannst gehen, wohin du willst.«
»Ich mag Roper nicht.«
»Klar, den mag keiner. Er ist ein Arschloch. Mach dir wegen dem keine Sorgen.«
Gil zieht die Brauen zusammen. »Hat er dir nicht die Scheiße aus dem Leib geprügelt?«
»Wer hat das gesagt?«
»Silvia.«
»Also, um die Wahrheit zu sagen, wir beide, aber ich mehr aus ihm, weil da mehr drin ist.«
Gil lächelt.
»Gilgamesch, manchmal ist Gewalt ein notwendiges Übel.« Dutch grinst. »Und das war lange fällig.«
Silvia wirkt leicht benebelt, als sie die Fliegentür öffnet. »Du hast Nerven, Dutch.«
»Vermisst du mich, Silvia?«
»Immer.«
»Ist der große Meister da?«
»Im Wohnzimmer. Der andere Wichser ist weg.«
Dutch wirft Gil einen Blick zu, ein Lächeln um die Lippen. »Du errätst nie, was dieser Junge in seiner Sporttasche hat.«
»Kann ich es kochen?«
Dutch wendet sich an Gil. »Sieh mal, was Silvia für uns zusammenbrutzeln kann, während ich mit Papa Frank Frieden schließe.«
Silvia holt zwei Bier aus dem Kühlschrank und gibt sie Dutch. »Die wirst du brauchen.«
Dutch nickt. »Super. Ruft mich, wenn das Schildkrötenrisotto fertig ist.«
Gil öffnet langsam seine Sporttasche.
Silvia späht hinein und macht ein entsetztes Gesicht. »Wie mach ich die auf? Wie eine Dose?« Sie zwinkert Gil zu.
Gil zeigt ihr die Hauptmerkmale seiner Schildkröte: dass sie ständig verstimmt aussieht, im Kreis laufen kann und echt harte Kiefer hat. Sie kriechen mit Enkidu über den Boden. Silvia singt ein widerliches Lied über ein Schildkrötenrisotto, das Gil gleichzeitig schlecht werden lässt und ihn zum Lachen bringt.
Dann ist sie schon wieder auf den Beinen, holt Töpfe heraus, geht in die Vorratskammer, gibt Enkidu ein paar Salatblätter und schenkt Gil eine Limonade ein.
»Mach mein Kreuzworträtsel fertig, Gil. Erfinde ruhig Wörter, wenn du willst. Es kostet mich den letzten Nerv.«
Gil setzt sich an den Tisch und sieht es sich an. Mit Mrs Baxter hat er oft Kreuzworträtsel gelöst, er ist nicht schlecht darin. Seine Schrift ist nicht toll, aber immer noch besser als Silvias.
Ein Ruf von nebenan. Silvia verschwindet.
Sie ist gleich wieder da und scheint besorgt. »Frank will dich sehen.«
Frank Zanetti sitzt im grellen Neonlicht des Wohnzimmers. Sein Thron ist ein Lehnsessel, Teil einer dreiteiligen kaffeebraunen, plüschigen Couchgarnitur. Dutch sitzt ihm gegenüber. Zwischen den beiden steht ein Couchtisch aus Rauchglas. Das Zimmer wird beherrscht von einem fast wandgroßen hässlichen Gemälde eines Löwen. Fauchend, mit gelockter Mähne. Gil hat das Zimmer schon gesehen, als Silvia ihn herumgeführt hat, aber Frank hat es verändert. Jetzt wirkt es so glamourös wie bedrohlich, wie ein Casino.
Silvia bringt ein Tablett mit Getränken und nimmt die leeren Flaschen und Gläser mit. Frank sieht sie an und schüttelt die große goldene Uhr an seinem Handgelenk.
Silvia zuckt zusammen. »In einer halben Stunde.«
»Sagen wir zwanzig Minuten.« Er wendet sich an Dutch. »Isst du mit uns?«
»Wenn du mich dahaben willst.«
»Ich habe nichts gegen dich. Ich mag nur die Leute nicht, mit denen du dich abgibst.« Frank wendet sich Gil zu. »Du bist Hurleys Enkel?«
Gil nickt.
Frank sieht ihn sich genau an. Gil fühlt sich wie eine Languste, die gewogen, bewertet, für minderwertig befunden und zurück ins Meer geworfen wird. Frank hat etwas Hartherziges an sich. Eine Stille. Wie ein Stein im Wasser, der alles um sich herum verwirbeln lässt, selbst aber reglos bleibt.
»Du kannst nichts dafür, mit wem du verwandt bist. Bist du Dawns Junge?«
»Ja.«
»Sie war eine Plage. Bist du auch eine?«
Gil weiß nicht, ob er eine Plage ist.
»Siehst jedenfalls so aus«, sagt Frank. »Hat mir leidgetan, das mit deiner Mutter. Verdammt dämlich, so was zu tun.«
Gil sieht weg. Er betrachtet das hässliche Gemälde.
»Die Löwenaugen sind aus Glas«, erklärt Frank. »Deshalb schimmern sie so.«
»Es ist scheußlich«, sagt Gil.
»Ja«, sagt Frank. »Das ist es.«
Dutch lächelt, Frank nicht. Die beiden Männer nehmen ihr Bier und trinken.
Gil sitzt mit am Tisch und hört zu. Dutch redet am meisten, dann kommt Frank, und ab und zu wirft Silvia mit vernünftiger Stimme ein paar Worte ein, ohne dabei etwas Derbes über tote holländische Mädchen oder deren Knochen zu sagen. Sie schenkt Gil nach und küsst ihn auf den Kopf. Er zuckt zusammen, weil er es nicht hat kommen sehen. Enkidu besteigt den Besen bei der Hintertür und bringt den ersten Lacher des Abends bei Frank hervor. Franks Lachen kommt tief aus ihm heraus, es ist ansteckend, und alle stimmen ein.
Dann kommt Roper. Leicht betrunken und völlig verschwitzt füllt er die Türe. Silvia steht auf und beginnt wie eine Barfrau in einem Western, die spürt, dass es Ärger geben wird, den Tisch abzuräumen.
Dutch steht auf und streckt die Hand aus. Roper sieht sich im Zimmer um, versteinert, boshaft. Sein Blick bleibt einen Moment an Gil hängen und wechselt dann zu Dutch.
Gil wird übel, Angst steigt in ihm auf.
»Roper«, knurrt Frank mit warnendem Unterton. »Gib dem Mann die Hand.«
Roper bolzt wieder nach draußen und nimmt dabei fast die Haustür mit.
Frank und Dutch sitzen im Wohnzimmer und rauchen. Silvia und Gil sind in der Küche, sie trinkt einen Sherry, er eine Limonade. Silvia hat Gil einen Teller für seinen Opa eingepackt und stellt ihn mit einem Lächeln in Gils Sporttasche. Es ist das eine, den Enkel deines Feindes an deinem Tisch sitzen zu lassen, das andere, dem Feind selbst etwas zu essen nach Hause zu schicken.
»Unser Geheimnis.« Sie tut so, als müsste sie flüstern, und schiebt sich an ihm vorbei in die Vorratskammer. »Und jetzt ein Eis! Für dich und mich und Enkidu!«
Enkidu sitzt mit einem nassen Geschirrtuch auf sich in der Spüle, überwältigt von seinen Bemühungen mit dem Besen.
»Nein. Er kriegt ein Blatt«, sagt Gil klar und knapp. Er weiß aus Erfahrung, dass das der beste Weg ist, mit betrunkenen Erwachsenen umzugehen.
Silvia macht sich daran, das Eis in Scheiben zu schneiden, die sie zwischen Waffeln legt. Aus dem Zimmer nebenan hört man Dutchs erhobene Stimme irgendeine Pointe bringen, worauf Frank Zanetti wieder in sein tiefes Lachen ausbricht.
»Ich habe Dutch vermisst. Er macht alles so viel besser.« Silvia wischt ihre Finger an der Tischdecke ab. »Frank lacht immer nur, wenn Dutch da ist.«
Der Wind wird stärker, als Gil und Dutch den Uferweg hinüber zu Joss Hurleys Camp gehen. Der Mond sieht verschmiert aus, und die Wolken ziehen wie dahinflatternde Geschirrtücher über sie weg. Die in ihre Nester zurückkehrenden Nachtvögel lassen schwermütige Rufe hören. Dutch richtet seine Taschenlampe in ihre Höhlen. Er redet über Sternbilder und deutet mit ausgestreckter Hand auf einige. Gil hört nicht zu. Er hätte es lieber, wenn die Sterne eine wilde Masse blieben und nicht zu was würden, worüber er Bescheid wissen muss.
Aber er behält seine Gedanken für sich. Er überlegt, ob er Dutch fragen soll, warum alle seinen Großvater hassen und was für eine Art Fehde zwischen ihm und den Zanettis besteht. Doch stattdessen überrascht er sich selbst.
»Glaubst du an Geister?«
»Wie kommst du jetzt darauf, Gil?«
»Silvia sagt, dass ein totes Mädchen vom Wrack auf der Insel umgeht.«
»Silvia erzählt nur Mist, Gott sei mit ihr.«
Gil schnauft. Das ist keine Antwort.
»Little May, oder?«, sagt Dutch versöhnlich. »Einige von den alten Inselbewohnern schwören, sie gesehen zu haben.«
»Glaubst du ihnen?«
»Deine Augen und Ohren können dir hier draußen leicht einen Streich spielen, mit dem Wetter, den Vögeln und der Einsamkeit. Es ist ein hartes Leben, und Fischer können abergläubisch sein.«
»Da sind viele Leute getötet worden …«
»Vor langer, langer Zeit.«
»Falls es so etwas wie Geister gibt, würden sie an Orten wie dem hier leben.«
Dutch bringt das Gespräch wieder auf die Sterne.
Sie erreichen Joss Hurleys Camp. Das Verandalicht brennt, und die Insekten bringen sich um, um ihm nahe zu sein. Der alte Mann liegt auf einer Liege und schläft, den Mund offen. Mottenschatten huschen über sein Gesicht.
»Wenn du mal reden willst«, sagt Dutch leise. »Über deine Mutter …«
»Ist schon okay«, erwidert Gil genauso leise. »Will ich nicht.«