KAPITEL 32

1989

Gil liest der Schildkröte auf dem Küchentisch laut vor. Dutch hat gestern Abend damit angefangen. Er meinte, Enkidu würde es mögen, dem Gilgamesch-Epos zu lauschen, weil es so alt ist wie er, und wem gefällt es nicht, seinen Namen laut ausgesprochen zu hören? Es würde Enkidu von seinen Verletzungen ablenken.

Dutch hat ihm die ersten Seiten vorgelesen, mit unaufgeregter, warmer Stimme, und dann Gil das Buch gegeben. Gil liest sorgfältig Wort für Wort und bleibt oft stecken, aber Enkidu hat ein bequemes Nest zwischen den Soßenflaschen und scheint zufrieden zuzuhören.

Der Angriff hat Gils Freund verändert. Er bewegt sich nur noch mit unsicheren Schwimmbewegungen voran und sackt dabei nach rechts weg. Manchmal verliert er die Kontrolle über seine Hinterbeine und muss sie hinter sich herziehen. Enkidus Maul ist schief, und seine Augen sind verhangen.

Schritte auf den Steinen draußen. Gil blickt von seinem Buch auf. Silvia steht vor der Fliegentür.

Enkidu schenkt den Blättern, die Silvia mitgebracht hat, keine Beachtung. Er erkennt eine Schlange, wenn sie sich ihm durchs Gras nähert. Silvia lächelt freundlich und möchte ein Glas Wasser, wenn es nicht zu viel Mühe ist.

Sie setzt sich, nimmt das Buch vom Tisch, blättert zu schnell hindurch, um etwas lesen zu können, und legt es zurück.

Gil setzt sich auf den am weitesten von ihr entfernten Stuhl.

»Dein Granddaddy war bei Frank, um sich über die Jungs zu beschweren.«

Gil verzieht keine Miene.

»Sie haben geschworen, deine Schildkröte nicht angerührt zu haben.«

»Sie lügen.«

Silvia wirft einen düsteren Blick auf Enkidu. »Ist er okay?«

Enkidu sieht schief zu Gil hinüber. Gil antwortet nicht.

»Es tut mir leid, dass ich nicht mehr kommen konnte. Roper hat dich auf die schwarze Liste gesetzt. Er will nicht, dass du seinen Jungs nahekommst, verstehst du?«

Gil konzentriert sich darauf, die Fäuste unter dem Tisch zu öffnen.

Silvia holt unbekümmert ihre Tabakdose heraus, nimmt eine Selbstgedrehte und steckt sie sich an.

»Sie haben mich wegen Granny Iris’ Kleidern beleidigt.«

»Ich musste Frank von unserem Verkleiden erzählen.« Silvia raucht und zupft sich an einem Fingernagel. »Er wollte wissen, warum ich mit Make-up nach Hause gekommen bin. Alte Kerle sind eifersüchtig.«

Gil steht vom Tisch auf.

»Frank fand es nur lustig!« Sie lacht, doch es klingt hohl.

Gil nimmt Enkidu mit größter Vorsicht und macht die Küchentür leise hinter sich zu.

Nach einer Weile kommt Gil zurück. Keine Spur mehr von Silvia, nur ihr leeres Glas steht noch auf dem Tisch. Er schiebt ihren Stuhl an seinen Platz, geht die Tür zur Vorratskammer zumachen, und dabei fällt sein Blick auf die Sherryflasche. Sie ist über ein ganzes Regiment von Dosenschinken gesprungen. Er nimmt sie, riecht an Silvias Glas auf dem Tisch, füllt es auf und nimmt es mit in sein Zimmer.

Er prostet dem schlafenden Enkidu zu, ganz ähnlich wie Mum einem schönen Sonnenuntergang zugeprostet hat, und lässt sich mit seinem Buch auf dem Bett nieder.