KAPITEL 39

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Fünf Kinder, alle in einer Reihe, zwei Mädchen aus der Unterwelt und drei Schiffsjungen. Die Soldaten schichten Steine um sie, damit ihnen nicht kalt wird. Aber es ist zu spät, sie sind bereits erfroren. Mayken hat ihre Gesichter gesehen, blaue Lippen und die Augenlider ebenfalls von blauen Adern durchzogen. Die Soldaten legen die Steine behutsam aufeinander, als wollten sie sich dafür entschuldigen. Sandfliegen schwärmen.

Der Durst wird unerträglich. Einige trinken aus dem Meer, andere ihr eigenes Wasser. Zungen schwellen an, Lippen reißen auf, Augen versinken tief in ihren Höhlen. Das Ende ist nicht so schlimm, sagen sie. Wenn der Durst aufhört, kannst du dich einfach hinlegen und einschlafen. Der Prädikant betet um Regen, und der Himmel verdunkelt sich. Andere fallen in sein Gebet mit ein, aber nichts geschieht. Vasthouden findet eine halbe Tasse von etwas Brackigem. Mayken kann kaum schlucken. Er nimmt sie überallhin mit, wenn er nach Essbarem sucht. Er lässt sie Meeresschnecken essen, die er zwischen flachen Steinen zu einer Paste zerreibt, er wischt den Schmier mit einem Finger auf und drückt ihn ihr in den Mund.

Aris kommt mit seinem Fang. Creesje kocht ihn und verteilt ihn unter den Kranken. Mayken bekommt auch etwas. Sie bringt es zu Vasthouden, der am Strand sitzt und nach Treibgut Ausschau hält.

»Iss du, kleine Großmutter.«

»Nur, wenn du es dir mit mir teilst.«

Vasthouden schüttelt den Kopf.

»Nimm schon, es sind sowieso fast nur Gräten.«

Vasthouden lacht.

Der Fisch schmeckt fürchterlich, aber sie essen auch noch den letzten Fetzen.

Das Beiboot fährt Richtung Osten. An Bord sind der Oberkaufmann, der Skipper und eine Mannschaft guter Seemänner. Sie suchen nach Wasser, sagen die Leute, alle Inseln in der Nähe wollen sie absuchen. Die Jolle wartet weiter draußen. Sie haben Sachen aus dem Wrack gerettet, aber das Wetter ist immer noch gegen sie. Einige Kisten Silber stehen auf dem Streifen Korallenschutt, auf dem sie die erste Nacht verbracht haben, weitere Seelen sind jedoch nicht vom Schiff gerettet worden. Mayken und Vasthouden halten nach dem Beiboot Ausschau.

»Sie werden uns Wasser bringen«, sagt er, und es klingt wie ein Gebet.

Mayken sieht ihren Freund an. Er hat ein Stück Stoff gefunden, das er sich um seinen alten Kopf gebunden hat. Er trägt es wie sein verlorenes Ostindien-Tuch und sieht damit wieder mehr aus wie er selbst. Nur dass er es nicht mehr ist. Seine einst ruhigen Hände zittern, sein Mund ist aufgesprungen und steif wie ihrer. Er wendet sich ihr zu und lächelt mit den Augen. Sie haben ihren Glanz verloren.

Das Beiboot nähert sich Batavias Friedhof. Die, die gehen können, kommen zum Ufer und jauchzen. Der Oberkaufmann und der Skipper bringen Neuigkeiten und Vorräte! Es heißt, sie hätten einen besseren Ort gefunden. Eine höhere Insel mit Süßwasser, mehr Vegetation und sogar Unterschlüpfen.

Aber aus der Hoffnung wird Verwirrung, als sich das Boot weiter nähert. Die Leute können sehen, dass etwas nicht stimmt. Pelsaert ruft etwas, doch sie verstehen es nicht, denn der Wind verweht seine Worte. Er versucht, über die Reling zu klettern und an Land zu waten, doch die anderen halten ihn zurück. Und jetzt ändert das Boot die Richtung, steuert nicht weiter auf ihre Insel zu, sondern segelt davon!

Die Überlebenden laufen ins Wasser und rufen dem Oberkaufmann hinterher, dem Skipper, den Männern an Bord des Bootes. Sie betteln um Wasser. Sie betteln um etwas zu essen. Aber das Boot hält seinen Kurs und bewegt sich weiter und weiter von der Insel weg. Pelsaert hält sein Gesicht in Händen, die Seemänner lassen ihn immer noch nicht wieder los.

Das Boot hält kurz bei dem Streifen Korallenschutt, auf dem die Schiffbrüchigen zuerst gelandet sind. Einer der Seemänner geht von Bord und watet hinüber. Er steht da und winkt. Wer scharfe Augen hat, sieht, dass er etwas in Händen hält. Er lässt es zurück. Watet zurück zum Boot, und ihm wird wieder hineingeholfen. Das Boot dreht ab, entschiedener jetzt, und fährt aufs Meer hinaus. Die Jolle folgt ihm.

Der Streifen Korallenschutt wird von den Zurückgelassenen die Verräterinsel genannt.

Die Seemänner glauben, dass der Skipper vorhat, zum Südland zu fahren, um Vorräte zu besorgen, obwohl die Küste unwirtlich und wahrscheinlich unbewohnt ist.

Die Überlebenden verfluchen die Davonfahrenden, die sie hier zurücklassen. Sie haben beide Boote genommen und ihnen kein Wasser und keine Vorräte dagelassen. Auf der zerstörten Batavia sind immer noch siebzig Mann, und die auf der Insel haben keine Möglichkeit, ihnen zu helfen. Die armen Seelen müssen sich um ihre eigene Rettung kümmern. Ein paar klammern sich an Holzstücke, nutzen die Flut und schaffen es auf die Insel. Sie erzählen, was sie auf dem sinkenden Wrack erlebt haben. Der Laderaum ist geflutet und ein großer Teil der Ladung ruiniert. Es gibt noch Fässer mit Trinkwasser und Essensvorräte, die gerettet werden könnten. Aber wie, ohne ein Boot, um hinzufahren? Auf dem Wrack herrscht keine Art von Ordnung mehr. Die Truhen, die noch an Bord sind, sind geöffnet und die Münzen verstreut worden.

Die Bedienstete des Prädikanten, Wybrecht Claasen, steigt aus ihren Holzschuhen, zieht ihre Röcke aus und legt die Haube ab. Mit entschlossener Miene geht sie in ihrem Unterzeug zum Wasser.

Frau Prädikant ruft nach ihr. Der Prädikant selbst läuft mit einem Tuch los, in das er das Mädchen hüllen möchte.

»Lasst sie«, sagt Judick. »Sie ist bei Aalfischern aufgewachsen. Sie ist eine gute Schwimmerin.«

Wybrecht watet ins Wasser, bis zu den Knien, den Schenkeln.

Alle blicken zu ihr hin, und sie sehen, dass Judick recht hat, die junge Frau ist für das Meer gemacht. Ihre Schultern und Arme sind muskulös, sie ist groß und schlank.

Über dem Horizont, hinter dem aufgelaufenen Schiff, bricht die Sonne durch eine Wolkenbank und wirft lange Bahnen von Licht aufs Wasser. Die Streifen sehen aus wie Makrelen.

Der Prädikant wertet das als ein Zeichen. Er beginnt zu beten, und andere fallen mit ein.

Wybrecht schenkt all dem keine Beachtung. Sie tauft sich im flachen Wasser, gießt sich Wasser über Beine, Bauch, Schultern und Kopf. Als es ihr bis zur Taille reicht, senkt sie den langen Rücken ins Meer und stößt sich ab.

Auf der Verräterinsel macht sie Station. Sie sehen, wie sie darauf entlanggeht. Sie hebt ein kleines Fass in die Höhe, das der Mann vom Boot dort zurückgelassen hat, und blickt zurück. Zögert, als versuchte sie eine Entscheidung zu treffen. Dann ist sie wieder im Wasser und hält auf die Batavia zu.

Alle sehen gespannt zu ihr hinaus, bis sie außer Sicht gerät. Am Ende verschwindet sie unter einem Brecher. Der Prädikant betet. Die Soldaten marschieren auf und ab. Die Seemänner murmeln alte Zauberformeln.

Am Nachmittag wird Wybrecht erneut gesichtet, und ein Ruf geht herum. Sie schwimmt unbeholfen heran, schleppt etwas hinter sich her und kämpft sich schließlich den Strand herauf, rot im Gesicht und halb erfroren. Sie hält ein kleines Fass Wasser in den Armen. Ein Kampf bricht aus.

»So wird es also sein«, sagt Vasthouden.

Die Männer auf dem Schiff haben den Verstand verloren, sagt Wybrecht. Sie starren vor Waffen, tragen Messer unter den Mützen und Schwerter am Gürtel. Sie streifen durch das halb gesunkene Schiff und haben das Heckkastell zu ihrem Lager gemacht. Die Große Kabine gleicht einer Hafenkneipe mit Wein und Bier. Die Leute betrinken sich. Auch die letzten Truhen sind offen, und die Männer bewerfen sich mit den Münzen und schleudern sie über Bord. Währenddessen bricht das Schiff um sie herum immer weiter auseinander. Der Lärm ist unerträglich. Das ständige Reiben, Krachen und Bersten, die Gischt. Keiner von den Verbliebenen kann schwimmen oder sich ein Floß bauen, um sich damit zu retten. Ihr haben sie nichts getan, die wilden Männer. Ein paar haben sogar geweint, als sie zurück ins Meer gegangen ist.

Der Prädikant liest laut die Nachricht vor, die Wybrecht unter dem Fass auf dem Streifen Korallenschutt gefunden hat. Verfasst vom Oberkaufmann und vom Skipper unterschrieben. Da steht, dass sie zur nächsten Küste segeln wollen, und wenn sich das nicht als erfolgreich erweist, nehmen sie Kurs auf Batavia und stellen eine Rettungsmannschaft zusammen, um die Überlebenden zu holen. Das stößt auf bittere Mienen. Wie soll es ohne Wasser und Essen Überlebende geben? Sie sind im Stich gelassen worden. Pelsaert und Jacobsz sind Hurensöhne.

Eine Bö. Der Himmel öffnet sich, und Mayken liegt mit offenem Mund und geschlossenen Augen da. Die Leute fangen das Wasser mit allen möglichen Behältnissen auf und suchen unter den wenigen errichteten Zelten Schutz. Vasthouden kann Mayken nicht trocken halten, und so umarmt er sie, um sie zu wärmen. Ihre Zähne klappern, aber sie lebt.