KAPITEL 62
1989
Gil riecht seinen Großvater, bevor er ihn sieht, es stinkt nach Verbranntem und Benzin. Er geht um die Veranda, und da sitzt Joss und blickt aufs Meer hinaus. Er sieht Gil an.
Gil setzt sich neben den alten Mann, auch wenn der Gestank überwältigend ist.
Joss hat das Ruderboot aufs Land heraufgezogen, bis seitlich vors Klo. Im Heck sind Benzinkanister festgezurrt.
Joss holt seine Tabakdose heraus, überlegt es sich jedoch anders und legt sie zur Seite. Der Verband an seiner verletzten Hand ist völlig verdreckt.
Sein Mundwinkel zuckt. »Um einen Dämon zu fangen, musst du ihn aufscheuchen.«
Gils Blick trifft den seines Großvaters. Das Lächeln des alten Mannes wird breiter.
»Bleib beim Camp, bis die Geschichte erledigt ist, hörst du?«
»Okay.«
Gil steht auf und geht hinein. Er findet, was er braucht, auf dem Frisiertisch.
Joss hat die Augen geschlossen, sitzt zurückgelehnt auf dem Stuhl da und genießt die frühe Sonne auf seinem Gesicht. Er öffnet die Augen, als sich Gil wieder neben ihn setzt.
»Bill Nord hat es mir gezeigt.«
»Wirklich?«
Der alte Mann protestiert nicht, als Gil den schmutzigen Verband von seiner Hand wickelt, sie sanft mit Watte säubert und frischen Mull und eine Binde auspackt. Am Ende ist der neue Verband dicker als der vorher und um den Daumen vielleicht etwas fest. Aber er ist sauber.
Der alte Mann dreht die Hand und bewegt die Finger. »Danke, Gil.«
»Bitte, Grandpa.«
Dutch redet nicht mit Joss. Der Deckie läuft mit einer tonlosen Melodie auf den Lippen durch die Küche, knallt Türen zu und scheppert mit Töpfen. Joss zuckt jedes Mal zusammen.
»Dutch ist schlimmer als eine verdammte Frau«, flüstert er Gil zu.
Dutch stellt ihnen ihr Frühstück auf den Tisch, die Teller klirren, und er sieht finster zu Joss hin.
»Sieht perfekt aus, Dutch.«
Dutch zeigt mit einer Gabel auf ihn. »Hör auf. Hör verdammt noch mal auf.« Er setzt sich und sticht in seine Eier, den Blick auf Joss gerichtet.
Joss greift nach dem Salz und streut ein wenig über sein Frühstück.
Die Ramona wird außer Reichweite gebracht, für den Fall eines Vergeltungsschlags.
Dutch kocht Kaffee, als Joss zurückkommt. Stark, für alle, auch für Gil.
»Werden sie die Polizei rufen und Anzeige wegen Brandstiftung erstatten?«
»Das ist nicht ihr Stil, Dutch.«
Es ist später Nachmittag, als die Besucher sich vor der Veranda versammeln, in die Steine treten und mit schmalen Augen zur Hütte hinsehen. Joss trinkt seinen Kaffee aus, schüttet sich noch einen ein und lässt sie warten. Nach einer Weile setzt er seine Kappe auf, erhebt sich vom Tisch und geht zur Tür.
Dutch und Gil sehen durchs Küchenfenster zu.
Dutch stößt Gil an. »Das Gesicht von Papa Zanetti. Wie am Jüngsten Tag.«
Joss tritt zu ihnen.
»Jetzt geht’s drum«, murmelt Dutch. »Sieh dir deinen Grandpa an, wie er sich reckt und groß macht. Guter Mann, Joss!«
»Ich dachte, ihr wärt keine Freunde mehr?«
Dutch wendet den Blick nicht von den Geschehnissen draußen ab. »Er ist ein verdammter alter Mistkerl, zugegeben. Warte jetzt hier, ich gehe raus und gebe ihm Rückendeckung. Du bleibst.«
Frank Zanetti hat zwei Männer dabei. Einer davon ist Cherry, der raucht und wie ein Revolverheld zum Himmel hochsieht. Der andere ist ein mittelalter Kerl, den Gil nicht kennt. Er sieht wie ein Stunt-Double für Roper aus, mit rotem Gesicht und einem Bierbauch. Dutch tritt hinter Joss und klopft ihm auf die Schulter. Der alte Mann dreht sich um und nickt.
Der Austausch zwischen Joss und Dutch besteht aus einer Salve von Knurrlauten. Dann hebt Frank die Hand zu einer auffordernden Geste. Joss bäumt sich auf, macht einen Schritt auf ihn zu. Dutch macht ihm einen Schritt nach, um ihn zurückzuhalten.
Ein Grunzen von Joss, und Frank hebt die Fäuste. Cherry wirft seine Zigarette weg, und Ropers Stunt-Double zieht sich die Shorts über den Bauch. Sie packen Frank und ziehen ihn zurück.
Gil denkt, es ist wie ein Tanz, vor, zurück und wieder vor.
Frank, mit seinem Kopf nun einen Zentimeter von Joss’ Gesicht entfernt, zischt etwas, und plötzlich lächelt Joss. Er lächelt, wirft den Kopf zurück, und dann lacht er.
Frank ist verdutzt. Joss reagiert mit einer eigenen Geste: Er tätschelt Frank sanft die Wange.
Jetzt sind drei Männer nötig, um Frank zurückzuhalten.
Gil darf nicht mal mehr alleine aufs Klo. Dutch muss von der Veranda aus zusehen.
Es ist spät, als Bill Nord kommt.
Joss schließt auf und schiebt ihn in die Küche. Die Männer sehen hinüber zu Gil, der schnell den Kopf senkt und so tut, als läse er.
Bill gibt Joss ein Päckchen. »Von mir hast du sie nicht.«
Joss nickt.
Bill zischt: »Und Himmel noch mal, benutze sie nicht, wenn du es nicht unbedingt musst.«
In der Nacht hat Gil Durst und trifft auf seinen Großvater, der ein Kreuzworträtsel löst. Auf dem Küchentisch, neben seiner guten Hand, liegt eine Pistole. Joss hebt den Blick und bedeckt die Pistole mit der Zeitung.
»Musst du raus, Junge?«
Gil schüttelt den Kopf. Er fühlt sich komisch, ihm ist mulmig, als wäre die Welt irgendwie gekentert. Alles scheint unwirklich: sein Großvater, wie er in Unterhemd und Unterhose am Tisch sitzt, die Soßenflaschen, die Teller auf dem Abtropfgestell. Das alles könnte eine gemalte Kulisse sein. Das Einzige, was wirklich scheint, ist das schwarze Metalldings. Obwohl es verdeckt ist, spürt Gil seine Anziehung. Als wäre es das schwerste, massigste Objekt. Als ankerte die ganze Welt daran.
Bei Tagesanbruch ist nur Dutch noch da, der Kaffee kocht. Er wirkt angespannt. Grandpa und die Pistole sind weg.