Kapitel 15
Johanne flieht. Madame Krieger hat sie gesehen, hat sie wahrgenommen wie ein Jäger eine Beute im Schilf.
Krieger verfolgt Johanne durch die Bibliothek. Die Ankleiderin ist nackt, vollkommen außer sich. Die weißen Pobacken leuchten im Dunkeln, während sie zwischen zwei Globen und einer ausgestopften Raubkatze aus Afrika hindurchschlüpft. Sie bedeckt ihre Brüste mit beiden Händen und weint wie ein Kind.
Madame Krieger versteckt sich, beobachtet, wohin die junge Frau läuft, und überlegt, wo sie zuschlagen kann.
Johanne stolpert über eine Treppe nach unten, reißt eine Tür auf und kommt in einen anderen Saal. Madame Krieger ist dicht hinter ihr, das Messer noch immer in der Hand. Im Saal erahnt man einen langen Esstisch, geschmückt mit Skulpturen und Porzellan. Johanne erreicht das hintere Ende der Tafel und hastet panisch weiter. Sie reißt die nächste Tür auf und stürmt durch eine ganze Reihe dunkler Gemächer.
Schließlich gelangt sie auf einen langen Flur, von dem rechts und links weitere Räume abzweigen. Sie drückt eine Klinke nach der anderen herunter, aber alle Türen sind verschlossen. Madame Krieger folgt ihr in den Schatten, sie zieht die Schuhe aus und läuft lautlos auf Zehenspitzen weiter.
Sie riecht Johannes säuerlichen Angstschweiß, hört ihre hektischen Atemzüge. An der Dienstbotentreppe rennt Johanne nach unten. Am anderen Ende des langen Flures sind Schritte zu hören, ein seltsames Knarren. Sie dreht sich um und erahnt das Profil von Andersen. Das lange Elend stolpert vorwärts und stößt um ein Haar eine Vase von einem Tisch.
»Hallo, bleiben Sie stehen!«, ruft er.
Madame Krieger tritt auf die Treppe und schiebt einen schweren Sessel vor die Tür. »Fräulein Poulsen, Fräulein Poulsen«, flüstert sie.
Sie hört Johanne nach unten rennen.
Madame Krieger folgt ihr.
»Lassen Sie mich Ihnen helfen. Ich bin ein Freund des Prinzen.«
Die junge Frau bleibt stehen.
Madame Krieger geht langsam nach unten, während sie die kleine Flasche mit Engelsatem und ein Tuch aus ihrem Kostüm zieht.
»Ich passe auf Sie auf«, sagt Madame Krieger. »Bis die Gefahr vorüber ist.«
Madame Krieger sieht Johannes Hand auf dem Geländer. Sie ist nicht mehr weit von ihr entfernt.
»Haben Sie keine Angst. Wir gehen durch den Salon und das Arbeitszimmer«, sagt Madame Krieger und versucht, sich an die Raumaufteilung im Erdgeschoss zu erinnern. »Und über den Säulengang in den Palais Brockdorff. Ich begleite Sie bis zu Ihrer Kammer.«
Oben hören sie Andersen an der Tür.
»Schnell, wir müssen hier weg«, sagt Madame Krieger. Johanne sieht sie an.
»Woher wissen Sie, wo meine Kammer ist?«, fragt Johanne.
»Ich dachte einfach, dass Sie im Dienstmädchentrakt untergebracht sind.«
Johanne sieht zu ihr hoch.
»Kann ich … kann ich Ihnen wirklich trauen?«
Was für eine naive Frage, wie sie nur von einem Menschen kommen kann, der die Bosheit der Welt nicht kennt. Der sich nicht vorstellen kann, dass Madame Krieger, die sich Schritt für Schritt nähert, ein mit Gift getränktes Tuch in der Hand hält.
Johanne presst sich ein Kissen vor den Unterleib, den anderen Arm hat sie vor ihre üppigen Brüste gelegt. Selbst in der Dunkelheit erkennt Madame Krieger die Brustwarzen wie blasse Blüten auf heller Haut. Schon bald werden sie nicht mehr den Körper dieser Frau zieren.
»Aber ja, wertes Fräulein«, sagt Madame Krieger. »Legen Sie Ihr Herz ruhig in meine Hände.«