III
Oh, Mann. Was für eine ätzende Nacht.
Cora und die Mädels haben sich schnell von der Ohrfeigensituation erholt und Demon hat sich sogar dafür entschuldigt, dass sie Cora den Kuss mehr oder weniger aufgedrängt hat.
Sie hat uns einen schönen Abend gewünscht, ist zum Barkeeper gegangen und hat ihm laut seiner Aussage ausgerichtet, dass die nächsten fünf Runden auf sie gehen.
Dann ist sie verschwunden und seitdem zergehe ich in Langeweile. Ich scheine ein derart graues Mäuschen zu sein, dass ich von dem Barkeeper ständig übersehen werde. Daher habe ich den Energydrink, mit was immer darin war, doch getrunken und auch ein paar der kostenlosen Shots.
Inzwischen ist es drei Uhr morgens, die Mädels sind nach wie vor in Feierlaune, haben eine der geräumigeren Flächen zwischen den Theken als Tanzfläche umfunktioniert, und ziehen damit sämtliche Blicke auf sich.
Ich habe Durst, will aber keinen Alkohol mehr trinken, weil ich nämlich doch etwas benebelt bin und der Barkeeper ignoriert mich weiterhin ziemlich konsequent.
Schulterzuckend klettere ich vom Barhocker und mache mich auf zum Damen-WC, wo ich mich einfach unter den Wasserhahn klemme. Ich weiß jetzt schon, dass ich mich morgen fragen werde, was mich wohl geritten hat, als ich freiwillig das Leitungswasser von New Juarez getrunken habe.
Wie vorhin betrachte ich mich im Spiegel und überlege, ob der Abend anders verlaufen wäre, wenn ich die Brille doch abgenommen und meinen Zopf gelöst hätte.
Spontan entscheide ich mich dazu, das jetzt endlich zu tun. Und wo es gerade so schön ist, durchströmt mich ein rebellischer Anflug, als ich aus dem Damen-WC heraustrete: Ich drücke die Klinke der Staff Only -Tür hinunter und trete hindurch.
Mich erwartet ein leerer Gang von etwa zwei Metern Breite und fünf Metern Länge, der von einer einzelnen, flackernden Neonröhre beleuchtet wird. An dessen Ende prangt eine Feuerschutztür.
Entschlossen durchquere ich den Gang, stelle fest, dass die Feuerschutztür nicht verschlossen ist und dass sie sich auch von außen wieder öffnen lässt.
Mit einem gedämpften Klappen fällt die Tür hinter mir ins Schloss und ich atme wie befreit die trockene Nachtluft ein, die von der Hitze des Tages nachhallt. Mit den Fingerspitzen streiche ich über die Backsteinwand des Gebäudes, die ebenfalls noch Wärme abstrahlt, und schaue mich neugierig um: Ich befinde mich auf einem, mit hohen Mauern eingefassten Hinterhof. Einzelne Müllsäcke liegen zu meiner Rechten auf dem Boden, aber im Großen und Ganzen macht der Platz einen sauberen, wenn nicht sogar gepflegten Eindruck.
Die Mauer reicht am gesamten Gebäude entlang, und zu dessen Ende glaube ich, ein metallenes Schiebetor zu sehen, das bestenfalls breit genug ist, um einen Lieferwagen hindurchzulassen.
Ich wette, das Tor ist verriegelt und eine Flucht von hier aus dürfte sich als schwierig gestalten, es sei denn, man hat keine Probleme mit Klimmzügen.
Das letzte Mal sah ich mich in der Highschool gezwungen, welche zu machen, von daher habe ich keine Ahnung, ob ich es nun schaffen würde, mich an der Mauer hochzustemmen.
Ist ja auch egal. Ich weiß gar nicht, wie ich schon wieder auf solche absurde Ideen komme. Ich möchte lediglich ein bisschen frische Luft schnappen und mir eine Strategie zurechtlegen, wie ich die Mädels innerhalb der nächsten halben Stunde ins Hotel bekomme.
Wenn es so weitergeht, werde ich mir nämlich für mich allein einen Wagen rufen und darauf scheißen, ob die Mädels mitkommen oder nicht.
Vielleicht begleitet Demon mich ja nach draußen und passt auf, dass mir nichts passiert, bis der Wagen kommt.
Meine Güte, jetzt fange ich schon wieder mit der Frau an!
Seufzend lehne ich mich an die Backsteinwand, lege den Kopf in den Nacken und schaue in den Himmel. Von hier aus kann man so gut wie keine Sterne erkennen, weil New Juarez selbst zu viel Licht abstrahlt. Aber trotzdem verursacht der Blick auf den klaren Nachthimmel das gewohnte Gefühl von Sehnsucht in mir. Die Sehnsucht nach einem Ort, an dem ich einfach Evie sein kann und mir keine Gedanken darüber machen muss, was X oder Y von meinem Verhalten denken könnte.
Scheiß drauf. Ich gehe jetzt wieder rein und sage den Mädels, dass ich zurück zum Hotel fahre und biete ihnen an, mitzukommen.
Ich stoße mich von der Wand ab und drücke die Klinke der Feuerschutztür herunter. In diesem Moment verwende ich meine volle Konzentration auf meine Handtasche, die mir über die Schulter rutschen will, doch als ich den Kopf wieder hebe, erstarre ich.
Der Raum ist nicht mehr leer.
Ein Mann lehnt an der Wand. Er trägt Anzug und Krawatte, die lose um seinen Kragen gebunden ist. Dicke Schweißperlen kleben an seiner Stirn und eine rinnt gerade über seine Schläfe.
Er scheint mich nicht zu bemerken, denn er starrt mit weit aufgerissenen Augen in die Mündung einer Waffe. Besser gesagt, in die Mündung ihres Schalldämpfers.
Und im nächsten Moment gibt es einen dumpfen Knall und der Mann ist nicht mehr.
In derselben Sekunde, wie mir entgeistert der Mund aufklappt, spritzen Blut und Gehirnmasse an die Wand hinter ihm, gefolgt von dem Hinterkopf des Mannes, der dem Druck des Schusses nachgibt.
Es folgt ein Augenblick der absoluten Stille und dann rutscht der leblose Leib des Mannes mit einem leisen Rascheln an der hellgrauen Betonwand hinab; sein Hinterkopf hinterlässt eine rote Spur an der Wand.
Seine Augen starren ins Leere, sein Kopf fällt schlaff zur Seite, der Mund öffnet sich und ein rötlicher Speichelfaden rinnt ihm über die Unterlippe, übers Kinn und tropft auf den Boden.
Ich stehe da wie schockgefroren und betrachte den Toten. Das Einzige, was mir durch den Kopf geht, ist die Frage, ob ich schon zuvor einen Leichnam gesehen habe oder ob ich die Bilder, die jetzt vor meinem geistigen Auge erscheinen, mit der Realität verwechsle, da sie ursprünglich einer Serie oder einem Film entstammen.
»Doch klar, Vater hat mich gezwungen, meiner Grandma Lebewohl zu sagen«, murmle ich selbstvergessen.
Zu dem Zeitpunkt war ich ein kleines Kind und bis heute spüre ich die kalte, wächserne Haut ihrer Hand unter meinen Fingern, die ich ein paar Ewigkeiten lang halten sollte. Ich hatte monatelang Albträume.
»Ein denkbar schlechter Zeitpunkt, um hier aufzukreuzen«, höre ich eine weibliche Stimme direkt vor mir.
Ach du Scheiße. Der Mann hat sich schließlich nicht selbst erschossen.
Bestürzt schaue ich auf, in dunkle, funkelnde Augen. Demon. Demon hat den Mann erschossen.
»Dein Überlebensinstinkt ist nicht sehr ausgeprägt, oder?«, fragt sie und legt den Kopf schief, die Waffe direkt auf meine Stirn gerichtet.
»Oh, fuck«, sage ich nur und hebe wie automatisiert die Hände in die Höhe, wie um ihr zu beweisen, dass ich keinerlei Waffen bei mir trage. Vielleicht will ich sie auch einfach beschwichtigen. Keine Ahnung.
Welche Ironie des Schicksals, dass ich von der Frau umgebracht werde, die mir irgendwie schon den gesamten Abend durch den Kopf schwirrt. Nur, weil ich zur falschen Zeit am falschen Ort aufgetaucht bin.
»Was machst du hier?«, herrscht sie mich an, anstatt mir die Kugel ins Gehirn zu jagen. »Kannst du nicht lesen? Auf der Tür steht Staff Only
Mit der Waffe vor meiner Nase weiche ich immer mehr zurück, gefolgt von Demon, die mir Schritt für Schritt folgt. »Ich ... ich wollte nur ...« Und dann stoße ich gegen die Feuerschutztür.
Demon stemmt eine Hand neben meine Schulter in das kühle Metall und drückt den Lauf ihrer Waffe gegen meine Stirn.
Wieder neigt sie den Kopf zur Seite, während ihre dunklen Iriden über mein Gesicht huschen und sich jede Einzelheit einzuprägen zu scheinen.
»Erzähl es mir. Warum bist du hier? Und weshalb trägst du plötzlich keine Brille mehr und hast die Haare geöffnet? Gehörst du überhaupt zu den Grazien dort drinnen oder hast du dich lediglich an ihre Fersen geheftet, um nicht aufzufallen?«
Was? Ist sie jetzt vollkommen bescheuert? Wie paranoid kann man sein?
Das ist doch absurd. Als würde es denen nicht auffallen, wenn ich zufällig das gleiche Shirt trage, mich an den Unterhaltungen beteilige und ihnen auf Schritt und Tritt folge!
Hektisch schüttle ich den Kopf. »Ich ... ich wollte eigentlich nur frische Luft schnappen.« Während sich meine Stimme in ein helles Krächzen verwandelt hat, beobachte ich verstört, wie Demon ihren Kopf zur anderen Seite kippen lässt und der Waffe dabei zusieht, wie ihr Lauf von meiner Stirn zu meiner Schläfe gleitet, über meine Wange und hinunter zu meinem Hals.
Sie nimmt einen tiefen Atemzug, drängt sich mit grimmiger Miene dicht an mich und drückt mir den Lauf unters Kinn. »Du weißt selbst, wie unglaubwürdig das klingt.«
Ich spüre ihren Atem in meinem Gesicht und schließe verängstigt die Augen. Mein Herz schlägt so schnell und panisch, dass mir schwindelig wird. Tränen steigen mir in die Augen und ich merke, wie mein Kinn bebt.
»Nun sag. Warum markierst du schon den ganzen Abend die Einzelgängerin? Wieso gehst du deinen Freundinnen aus dem Weg, siehst dich nach mir um, sobald du mich nicht im Blick hast, und glotzt mich an, wenn du glaubst, dass ich es nicht merke? Weshalb spionierst du Räume aus, zu denen du keinen Zutritt hast?«, zischt sie mir ins Ohr, während sie die Waffe noch fester gegen mein Kinn drückt.
Die ersten, heißen Tränen laufen mir über die Wangen und ich deute ein Kopfschütteln an, weil ich mich nicht traue, mich allzu markant zu bewegen, solange sie den Finger am Abzug hat.
Unglücklicherweise muss ich ihr recht geben. Aus ihrer Perspektive klingt mein Verhalten in der Tat danach, dass ich das El Paso – oder eben eine oder mehrere Personen ausspionieren will.
Die Sache mit dem Junggesellinnenabschied ist eine halbwegs gute Tarnung. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Coras Hochzeit erst in ein paar Monaten stattfindet.
»Muss ich deine Freundinnen etwa auch beiseitenehmen und befragen? «
Erneut schüttle ich den Kopf. »Das ist ein Missverständnis«, wimmere ich zwischen leisen Schluchzern. »Wirklich.«
»Sieh mich an!«, fordert sie mich mit zusammengepressten Zähnen auf und ich gehorche sofort. Ein weiterer Schwall Tränen bahnt sich seinen Weg über meine Wangen, doch ich blinzle sie weg und habe wieder klare Sicht auf Demons vor Wut verzerrte Miene.
»Wer bist du?«, knurrt sie.
Echt jetzt? Sie hält mich für eine Spionin, oder was auch immer, und hat nicht einmal meine Identität überprüfen lassen? Wozu gibt es denn die gute alte Gesichtserkennung?
Demon lässt mir wieder etwas Raum, hält die Waffe aber nach wie vor an meine Kehle.
Ich schlucke hart und nehme einen befreiten Atemzug. Aus irgendeinem Grund habe ich den Eindruck, dass die Situation sich gerade etwas entschärft hat. »Ich bin Evie Stowe. Die Tochter von Governor Stowe. Die Verlobte von Senator Bertram Ignatius Godfrey III. Das da draußen sind wirklich meine Freundinnen. Cora feiert wirklich ihren Junggesellinnenabschied, obwohl die Hochzeit noch gar nicht ansteht. Aus terminlichen Gründen. Sie hat wirklich darauf bestanden, nach New Juarez zu fahren, weil sie auf Adler steht. Sie bildet sich ein ...« Ich stocke. Wenn ich das jetzt fortführe, wird Demon bloß wieder wütend.
»Sie bildet sich was ein?«, hakt sie mit einem mehr als argwöhnischen Unterton nach.
Ich räuspere mich leise und senke den Blick, doch Demon verstärkt sofort den Druck der Waffe auf meine Kehle und ich schaue erneut zu ihr auf.
»Bitte werd nicht wieder wütend.«
»Das lass mal mich entscheiden, ob ich einen Grund habe, wütend zu werden oder nicht.« Ihr Gesicht nähert sich meinem und ihre fast schwarzen Iriden scheinen sich in meinen Kopf bohren zu wollen.
Ich atme tief durch. »Sie ... ist extrem von sich selbst überzeugt. Und sie bildet sich ein, dass sie ... Adlers Seelenverwandte ist.«
Einen Wimpernschlag lang starrt Demon mich an. Angespannt hole ich Luft. Mein Kinn bebt noch immer und ich bange gerade wirklich um mein Leben, glaube ich.
Ein irrwitziger Gedanke breitet sich in meinem Kopf aus: Wenn Coras Selbstverliebtheit tatsächlich den Grund liefert, weswegen Demon mich erschießt, werde ich Cora als Poltergeist heimsuchen und ihr das Leben zur Hölle machen.
Demon stößt ein geringschätziges Schnauben aus, tritt von mir zurück und sichert ihre Waffe.
»Ohne Scheiß?« Kopfschüttelnd steckt sie die Pistole in ihren Hosenbund. Sie macht sich allerdings nicht die Mühe, das Holzfällerhemd darüber zu stülpen. Womöglich eine stumme Warnung an mich, dass sie die Waffe bei dem kleinsten Sinnesreiz wieder an meine Kehle halten wird und diesmal vielleicht sogar abdrückt.
»Tut mir leid«, hauche ich und rutsche mit einem leisen Quietschen, das meine nackten Oberarme verursachen, weil sie an dem Metall der Feuerschutztür haftenbleiben wollen, dem Boden entgegen. Ich will gar nicht theatralisch wirken, oder so. Meine Beine verweigern schlicht ihren Dienst.
Mein aufgewühlter Blick wechselt zwischen Demon, die abschätzig zu mir hinunterschaut, und dem erschossenen Mann, der glücklicherweise ein paar Meter von mir entfernt liegt, hin und her.
Schließlich folgt Demon meinem Blick und dreht ihren Kopf in Richtung des Toten, während sie mit einer Hand an ihre Gesäßtasche fasst.
Automatisch spanne ich mich an, obwohl meine Augen ganz genau verfolgen, wie sie bloß nach ihrem Smartphone greift und nicht nach der Waffe.
»Keine Sorge«, sagt sie, während sie auf das Display schaut. »Der Vogel hat den Tod verdient.« Sie legt das Handy ans Ohr und sieht mich wieder an. »Er hat mit den falschen Leuten die falschen Geschäfte abgeschlossen. Menschenhandel. Und außerdem war er selbst ein überzeugter Frauen- und Kinderschänder.«
Ich schlucke schwer. In erster Linie hätte ich ihr gerne vorgehalten, sofern ich denn den Mut dazu aufbringen könnte, dass ein einzelner Mensch sich niemals in der Lage befinden darf, über Leben und Tod zu entscheiden. Schon gar nicht, wenn das Gegenüber sich nicht wehren kann.
Andererseits sagt sich das so leicht daher.
Was ist mit den Menschen wie ihm, die selbst schon mehrfach über Leben und Tod entschieden haben? Haben diese nicht irgendwann den Tod verdient?
»Ich bin’s. Ich möchte, dass du Evie Stowe überprüfst. Die Tochter des Gouverneurs. Und ob sie eine von den bescheuerten Püppchen ist, die gerade den Club unsicher machen.« Während sie spricht, lässt sie mich nicht eine Sekunde lang aus den Augen. »Außerdem habe ich Vasquez erledigt. Ich mache die Schweinerei später weg, falls sich irgendwer beschwert. Ich habe etwas Dringenderes zu erledigen.«
Sie drückt den Menschen am anderen Ende der Leitung ohne ein weiteres Wort weg und hält mir auf einmal die Hand hin. »Ich sage nicht, dass ich dir glaube, aber so wie du dich anstellst, bist du entweder eine richtig gute Schauspielerin oder du wurdest tatsächlich noch nie mit einer Waffe bedroht.«
Zögerlich nehme ich ihre Hand und lasse mich von ihr auf die Füße ziehen. Ihre Haut fühlt sich zwischen meinen Fingern weich und geschmeidig an.
Irgendwie irritiert es mich. Sie ist eine von Adlers Schatten. Die Frau für das Grobe. Da stelle ich mir automatisch vor, dass sie raue, schwielige Hände hat.
Sie macht einen Schritt auf mich zu und wischt auf einmal mit ihren Daumen über meine Wangen. Ich will entgeistert zurückzucken, doch da ist nach wie vor die Feuerschutztür in meinem Rücken.
»Und du wurdest wohl auch nie Zeugin eines Mordes, richtig?«, murmelt sie in einem mitfühlenden Tonfall.
Ich nicke perplex.
»Okay«, macht sie, als ihre Daumen endlich von mir ablassen. Ich schätze, sie hat versucht, meine verlaufene Wimperntusche zu entfernen. »Ich verrate dir etwas, Evie.« Sie lächelt mich mit ihren weißen, ebenmäßigen Zähnen an. »Ich wollte dir nur ein bisschen Angst machen. Auch wenn sich herausstellen sollte, dass du für irgendwen arbeitest, der ein Problem mit mir und meinen Leuten hat, würde ich dich zuerst Vaughn und Ramirez vorstellen, bevor ich dich kaltmache.«
»Wie beruhigend«, krächze ich und räuspere mich. Meine Lebensgeister kehren langsam zu mir zurück und damit auch die Kühnheit, hin und wieder die Klappe aufzumachen, wenn ich es für notwendig erachte.
»Ja, oder?« Ihr Lächeln wächst zu einem breiten Grinsen heran. »Eine Sache interessiert mich dagegen.« Sie lässt endgültig von mir ab, wirbelt herum und läuft mit zielstrebigen Schritten zu der Tür, die uns vom Club trennt. »Insofern du echt so harmlos bist, wie du vorgibst zu sein ...« Gerade vermute ich, dass sie tatsächlich zurück in den Club will, doch stattdessen tastet sie den Türrahmen ab und findet letztlich, was sie sucht: einen Schlüssel. »Weshalb hast du mich dann ständig beobachtet?« Sie versperrt die Tür und legt den Schlüssel zurück auf den Türrahmen.
»Das war bestimmt nicht mit Absicht«, erkläre ich und verschränke die Arme vor der Brust, als Demon sich wieder zu mir umdreht. »Weshalb sperrst du uns jetzt aus?«
Schulterzuckend kommt sie auf mich zu. »Weil wir das immer so handhaben , wenn hier eine Leiche liegt.«
Oh Gott. »Das hier ist der Killing Floor? «, hauche ich erstickt.
Sie runzelt die Stirn und angelt nach meiner Handtasche, die mir irgendwann in den vergangenen Minuten endgültig von der Schulter gerutscht sein muss und bis jetzt völlig vergessen zu meinen Füßen lag. »Hat sich irgendwie so ergeben, ja. Ramirez ist nicht besonders begeistert darüber, aber wenn man sich die Adlers ins Haus holt, sollte man auch damit rechnen, dass Menschen sterben.«
Anstatt mir die Tasche auszuhändigen, zieht Demon den Reißverschluss auf und wühlt argwöhnisch darin herum. Sie fördert mein Handy zutage, inspiziert es einmal von allen Seiten und lässt es achtlos zurückfallen.
Danach holt sie eine Packung Feuchttücher heraus und reicht mir eines davon. »Hier. Mach deine Wangen sauber.«
Irritiert nehme ich das Tuch entgegen, ignoriere Demons spöttisches Schmunzeln und gehorche.
Erst, als ich fertig bin und meine Wangen sich nicht nur durch die Reibung des Tuchs erhitzt haben, reicht Demon mir immer noch feixend die Tasche und ich stecke das Tuch weg.
Ohne ein weiteres Wort greift sie an mir vorbei, nach der Klinke der Feuerschutztür, sodass ich automatisch zur Seite weiche, damit sie die Tür öffnen kann.
Sie tritt hinaus ins Freie und schaut sich fragend zu mir um, als ich ihr nicht folge. »Was ist?«
»Kannst du mich nicht zurück in den Club lassen? Ich verspreche dir auch, dass ich mir direkt die Mädels schnappe und einen Wagen rufe. Du wirst uns niemals wiedersehen.«
Sie stemmt eine Hand in die Seite. »Wir laufen einmal ums Gebäude herum und dann kannst du wieder rein. Ist das zu viel verlangt?« Sie seufzt. »Außerdem bist du noch nicht entlassen. Ich brauche erst einmal Rückmeldung von Chase, ob du sauber bist.«
Ich seufze ebenfalls und trete hinter Demon ins Freie. »Ich verstehe trotzdem nicht, weshalb du mich nicht einfach durch die Tür lässt.«
Sie sieht mich von der Seite an und grinst wieder. »Du läufst nicht gerne, was?«
Sie ist ein paar Zentimeter größer als ich und obwohl sie mich eben noch mit einer Waffe bedroht hat, vermittelt sie mir mit ihrer Körperhaltung ein Gefühl von ... ja. Vertrautheit.
Eigenartig. Genau das habe ich mir vorhin noch gewünscht .
»Doch, schon. Ich verstehe dich bloß nicht. Und übrigens legst du eine übertriebene Vorgehensweise von Angstmachen an den Tag. Hat dir das mal jemand gesagt?«
»Klar. Ständig.« Sie grinst mich noch immer an. »Ich dachte, die frische Luft tut uns beiden ganz gut, um durchzuatmen und wieder klarzukommen .« Wir erreichen das Schiebetor und Demon gibt einen mehrstelligen Zahlencode in das Tastenfeld, das an der Mauer befestigt wurde und mir vorhin vollkommen entgangen ist. »Und hier draußen kann man sich auch wesentlich besser unterhalten.«
»Demon Adler will sich mit mir unterhalten? Worüber denn?« Wir treten durch das Tor, das sich direkt hinter uns verschließt, kaum dass es vollständig aufgeschwungen ist.
Sie weist in die Richtung, wo ich den Eingang des Clubs vermute. Schön, dass sie mich für derart orientierungslos hält.
»Vielleicht möchte Demon ja immer noch herausfinden, weshalb du sie ständig angestarrt hast. Das fing ja schon vor dem Club an, als deine Freundinnen mit den Türstehern diskutiert haben.«
Angespannt presse ich die Lippen aufeinander. Demon lässt einfach nicht locker. »Fein, dann möchte Evie allerdings wissen, wie es kommt, dass Demon so leichtfertig andere Menschen erschießt, während einen Raum weiter feuchtfröhliche Stimmung herrscht.«
Mit einem Mal drosselt Demon das Tempo. Wir sind eigentlich recht zügig vorangekommen, doch nun scheint sie es sich anders zu überlegen.
Schließlich bleibt sie stehen und wendet sich mir zu. Ich mache es ihr automatisch nach.
»Ganz einfach. Weil es mein Job ist, Evie.«
Diesmal weiche ich ihrem Blick nicht aus. »Ich glaube dir nicht.«
»Ist mir egal. Alles andere, was damit im Zusammenhang steht, geht dich nichts an.«
Ich nicke. Irgendwie habe ich für einen kurzen Moment vergessen, dass wir uns erst seit ein paar Minuten normal unterhalten. Davor haben wir gerade einmal einen Satz miteinander gewechselt und sie hat mich mit einer Waffe bedroht.
Automatisch überkommt mich ein Frösteln und ich nehme einen Schritt Abstand zu ihr.
Vielleicht ist da ein Teil von mir, der es nicht wahrhaben will, aber Demon ist eine tickende Zeitbombe. Und sie hat mich mit einer echten, geladenen Waffe bedroht, kurz nachdem sie jemanden umgebracht hat. Das sollte ich nicht auf die leichte Schulter nehmen. Eben hat sie mir noch eine Scheißangst eingejagt und nun schlendern wir nebeneinander her wie alte Freundinnen oder ... als hätten wir ein Date.
»Was denn? Hast du jetzt doch wieder Angst vor mir?«, erkundigt sie sich prompt. Sie scheint mich intensiver zu beobachten, als mir lieb ist.
»Eigentlich befürchte ich eher, dass ich nicht genug Angst vor dir habe.«
Sie neigt den Kopf zur Seite. Wir befinden uns mittig zwischen zwei flackernden Straßenlaternen. Wenn sie mir doch etwas antun will, wäre hier ein geeigneter Ort dafür. Sie müsste mich nur einmal kräftig von der Straße schubsen und ich befinde mich in völliger Dunkelheit.
»Ich habe dir eben schon gesagt, dass ich dir nichts tun werde.«
Zögerlich setze ich mich wieder in Bewegung, nur um in den Lichtschein einer der Laternen treten zu können. Im Prinzip bezweifle ich, dass es etwas hilft, aber dann fühle ich mich wenigstens besser.
»Du hast es anders formuliert. Du sagtest, du würdest mich kaltmachen, nachdem du mich Adler und Ramirez vorgestellt hast.«
Die durchdringenden, vibrierenden Rhythmen aus dem Club sind bis hierhin zu vernehmen. Außerdem hört man in der Ferne einen Hund bellen und das stetige Rauschen einer selbst um diese Uhrzeit stark befahrenen Fernstraße. Die Luft bringt ein modriges Aroma von unsauberen Straßenecken mit sich: Urin, Erbrochenes und vergammelte Lebensmittel, vermischt mit Benzin und Abgasen.
»Ja, aber nur, wenn ich einen Grund dazu sehe.« Demon folgt mir und befindet sich nun direkt in meinem Nacken. Vielleicht war es ein Fehler, ihr den Rücken zuzukehren.
Sie packt mich am Unterarm und bringt mich dazu, stehenzubleiben. »Weshalb siehst du mich schon den ganzen Abend so komisch an, Evie?«
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich es nicht mit Absicht gemacht habe.« Als sie mich von der Seite mustert, weiche ich ihrem Blick aus, was eventuell nicht besonders schlau ist, aber ich kann nicht anders. »Warum stört es dich denn so?«
Meine Aufmerksamkeit richtet sich auf meinen Ringfinger, an dem sich Barrys Verlobungsring befindet. Ich habe überlegt, ihn im Hotel zu belassen, weil der Klunker ein paar Tausender gekostet haben soll, aber dann habe ich mich doch dagegen entschieden. Im El Paso herrscht eine Klientel vor, die über den Wert dieses Ringes, wenn überhaupt, ein müdes Schmunzeln übrig hätte.
»Außerdem könnte ich dir genauso gut vorwerfen, dass du mich komisch angesehen hast«, schließe ich und schürze die Lippen.
Auf einmal befinden sich Demons Finger unter meinem Kinn, die meinen Kopf entschieden in ihre Richtung drehen. »Es stört mich nicht. Ich versuche es nur zu deuten.«
Verblüfft ziehe ich die Stirn kraus. »Das war doch einer der Gründe, weswegen du mich für eine Spionin hältst.«
Sie gibt ein erstauntes Lachen von sich. »Ich habe nicht gesagt, dass ich dich für eine Spionin halte.«
»Doch, im Prinzip schon.«
»Na gut. Wenn du dich dann besser fühlst: Okay, ich halte dich für eine Mata Hari.«
Ich lache auf. »Na ja.«
Sie grinst mich an. »Wieso denn nicht?«
»Ich bin bestimmt nicht hier, um irgendwen mit meinen Schleiertänzen zu beeindrucken oder anderweitig zu verführen.«
»Nicht? Schade. Das würde zumindest deine Blicke erklären.«