VII
Drei Wochen. Drei verdammte Wochen ist es her und es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Demon denken muss.
Jedes Mal, wenn ich es tue, verkrampft sich mein Magen, und mein Herz macht einen Satz. Es ist eine Mischung aus positiven und negativen Empfindungen.
Zum einen ist es ein absolut aufregendes Gefühl, das mich durchströmt; eines, das mich unwillkürlich zum Lächeln bringt. Zum anderen bringt es ein Gefühl von unerwiderter Sehnsucht mit sich. Die Erkenntnis, dass Demon nicht da ist.
Selbst wenn, ich dürfte ihr nicht auf der Weise nahe sein, wie ich es gerne wäre.
Demon hat mir vollkommen den Kopf verdreht. Sie hat meine Seele auf eine Weise berührt, wie es noch kein Mensch getan hat.
Ich brauche mich nicht zu fragen, ob diese Gefühle richtig oder falsch sind, denn es ist nicht von Interesse, was ich empfinde. Ich bin verlobt und ich werde diesen Mann heiraten, unabhängig davon, ob ich mich in eine andere Person verliebt habe oder nicht. Ob diese Person ein Mann oder eine Frau ist.
Barry hegt zwar keinerlei romantische Gefühle für mich, allerdings bin ich für ihn eine Art Errungenschaft. Und in erster Linie bin ich sein Eigentum. Es ist ihm wichtig, der Welt zu zeigen, dass ich ihm gehöre.
Wenn er von mir und Demon erfahren würde, würde er mir das Leben zur Hölle machen.
Seufzend steige ich aus dem Taxi, streiche den Bleistiftrock glatt und zupfe an dem dazugehörigen Jäckchen herum. Die weiße Bluse habe ich bis zum Brustansatz aufknöpft und der schwarze Push-up tut sein Übriges.
Für das, was ich vorhabe, würde Demon mich sowas von verurteilen. Aber was soll ich machen? Barry hat mich dazu beauftragt, zu diesem Vorstellungsgespräch zu gehen und den CEO derart um den Finger zu wickeln, dass er mich als seine neue Assistentin einstellt.
Nach dem, was Demon zu diesen Jobs gesagt hat, die ich immer wieder in Barrys Auftrag erledige, fühle ich mich wie eine Hure. Vorher habe ich es als selbstverständlich angesehen, das für meinen Verlobten zu tun, ja, ich war sogar froh, mich nützlich machen zu können.
Kurz bevor ich den vollkommen mit Spiegelglas bestückten Wolkenkratzer betrete, bleibe ich noch einmal stehen und zücke den Taschenspiegel aus meiner Clutch.
Während ich das Make-up überprüfe, die Präzision meiner Hochsteckfrisur absegne und noch einmal meine Sekretärinnenbrille zurechtrücke, kommt mir ein absurder Gedanke: Was, wenn ich Barry irgendwie dazu verleiten könnte, mit dem RA-Kartell gemeinsame Sache zu machen?
Dann würde er mich nach New Juarez schicken und ich dürfte hochoffiziell für ein paar Wochen oder Monate mit Demon zusammenarbeiten und mich sogar von ihr anbaggern und befummeln lassen.
Es gibt nur ein Problem bei der Sache: Ich habe null Kontakt zu Demon, um ihr davon zu erzählen. Und ich selbst habe keine Ahnung, wie ich Barry dazu bringen soll, mit einem berüchtigten Kartell zu kollaborieren.
Der Portier hinter der gläsernen Flügeltür beäugt mich kritisch.
Ich schätze, er hält mich für eine Edelprostituierte, die für ein entsprechendes Sekretärinnen-Rollenspiel herhalten muss.
Ist ja im Prinzip auch gar nicht so weit hergeholt, besser gesagt, im weitesten Sinne stimmt es sogar. Bis auf die Sache, dass der CEO ja wohl hoffentlich nicht meint, dass er mich vögeln darf.
Doch da wird Barry klipp und klar gesagt haben, dass das nicht zur Abmachung gehört. Er hat viel zu große Angst davor, dass ich ihm einen Bastard unterjubeln könnte. Wenn ich eines Tages ein Kind austrage, dann eines mit seinen exzellenten Genen.
Bei dem Gedanken, von Barry schwanger zu sein, läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter. Ich möchte keine Kinder. In diese Welt sollte man keine Kinder setzen. Die Menschheit geht vor die Hunde und ich will nicht dazu beitragen, eine weitere verkorkste Seele auf die Welt loszulassen.
Denn das ist es, was mit dem Kind unter Barrys Fuchtel früher oder später passieren würde. Da könnte ich mich noch so sehr bemühen, einen guten Menschen aus dem Kind zu machen.
In der Eingangshalle herrscht geschäftiges Treiben. Klackernde Absätze, Stimmengewirr und klingelnde und vibrierende Telefone.
Ich darf die Empfangsdame ignorieren, habe ich mir sagen lassen.
In Ordnung.
In meinen eigenen hohen Absätzen klackere ich bis zu einem der Hochgeschwindigkeitsfahrstühle und drücke auf die Ruftaste.
Es dauert nur ein paar Sekunden, bis die Türen flüsternd auseinandergleiten. Ich betätige die einzige Taste, die keine Zahl anzeigt, sondern ein Liliensymbol. Die Türen gleiten abrupt aufeinander zu, als haben sie nur auf diesen Befehl gewartet und der Fahrstuhl setzt sich mit einem kaum spürbaren Ruck in Bewegung.
Ich stelle mir vor, wie ich in der Kabine nach oben rase und dabei so viel Speed aufnehme, dass ich am Ende des Schachts wie eine Rakete in die Luft schieße und von einem Privatjet eingefangen und nach New Juarez gebracht werde. Barry und alle anderen Angehörigen halten mich für tot und hören nie wieder etwas von mir.
Welche Ideen mir in letzter Zeit kommen, nur weil ich meine Zukunft mit Barry entkommen will!
Wäre ich bloß nie nach New Juarez gefahren. Dann ... ja, was dann? Dann würde ich mich meinem Schicksal noch immer wie ein gefühlloser Zombie geschlagen geben.
Mein Magen kribbelt. Das Gefühl, dass die Schwerkraft mich zurückhat und ich mein Ziel erreicht habe.
Der Fahrstuhl gibt ein leises Ping von sich und ich trete, den Blick unterwürfig auf den Boden vor mir gerichtet, durch die sich öffnenden Türen.
Viele CEOs, die ich bisher kennenlernen durfte, stehen darauf, wenn ich mich ihnen gegenüber so verhalte. Von daher will ich gleich von Anfang an alles richtig machen, zumal Mister Coleman mir über Barry ausrichten ließ, dass er mich höchstpersönlich am Fahrstuhl entgegennimmt.
Doch es kommt nichts. Keine Begrüßungsfloskeln oder irgendetwas, dass überhaupt darauf schließen lässt, dass mir jemand gegenübersteht.
Auch die typischen Bürogeräusche von unten, wie Telefonklingeln, Stimmengewirr und Tastaturklappern fehlen.
Irritiert hebe den Blick und finde mich in einer vollkommen verwaisten Etage wieder, die offenbar gerade renoviert wird. »Was ...«
Auf einmal werde ich grob zurückgerissen und eine flache Hand presst sich auf meinen Mund: »Schhh, Engelchen«, zischt eine weibliche Stimme direkt in mein Ohr. Ein Körper drückt sich von hinten gegen meinen und ich spüre warmen Atem an meinem Hals.
Engelchen?
»Ich bin schwer enttäuscht von dir, Evie«, murmelt sie. »Ich dachte, ich hätte dir bezüglich dieser Jobs ins Gewissen geredet.«
Oh, Gott. Demon. Tausend Fragen jagen mir durch den Kopf.
Doch sie hält mir weiterhin den Mund zu und das Einzige, was ich von mir geben kann, sind einige erstickte, protestierende Laute.
Nachdrücklich versuche ich, mich aus ihrem Griff zu befreien, und beiße ihr sogar in die Finger. Doch es hilft nichts, außer dass Demon ein zorniges Knurren von sich gibt und mir mit der anderen Hand, die mich festhält, in die Seite kneift.
Wieder gebe ich einen protestierenden Laut von mir, während Demon mit mir im Schlepptau einige Schritte rückwärts läuft und dann mit dem Rücken gegen eine Wand zu stoßen scheint.
»Beruhig dich doch!«, zischt sie.
Wie soll ich mich beruhigen, wenn sie mich fest umschlungen hält und mir den Mund zuhält?
»Sonst bemerkt uns noch jemand.«
Wer soll uns denn bemerken? Hier ist doch niemand.
Erbost ziehe ich die Augenbrauen zusammen, halte aber still und gebe keinen Mucks mehr von mir.
Zögerlich lässt Demon mich los und tatsächlich höre ich jetzt Stimmen: In der Spiegelung eines der Fenster uns gegenüber erkenne ich drei orange Flecken, die ich spontan Bauarbeiterhelmen zuordne.
Okay, diese Etage ist doch nicht verwaist; das leise Ping des Fahrstuhls verkündet allerdings, dass die Bauarbeiter wohl gleich verschwunden sind.
»Wie geht’s dir?«, haucht Demon leise in mein Ohr, noch bevor die Fahrstuhltüren sich ihrem Geräusch nach wieder verschlossen haben.
Anstelle einer Antwort wirbele ich zu ihr herum und will sie eigentlich zurechtweisen, mein Zorn bleibt mir jedoch im Halse stecken.
Ich schätze, ihr Anblick hätte mich ebenso aus der Bahn geworfen, wenn sie dieselbe Kleidung wie vor drei Wochen tragen und quasi identisch aussehen würde wie zu dem Zeitpunkt, als ich ihren Schrank Hals über Kopf verlassen habe.
Ihr jetziger Anblick dagegen, haut mich genauso um, wie er mich schockiert. Es ist nicht die Camouflage-Drillichhose in den unterschiedlichsten Beige- und Brauntönen, noch weniger die Kampfstiefel, die sie ja bereits neulich im El Paso getragen hat. Es ist auch nicht das beigefarbene Shirt, das Messer in ihrem Gürtel oder die beiden Berettas in ihrem Halfter, das sie klar ersichtlich über dem Shirt trägt.
Demon hat noch immer den schwarzen Nasenring, ihre Sommersprossen und die Grübchen und sie hat noch immer dieselben dunklen Augen, die mich derart fasziniert haben, schon allein, weil sie im direkten Kontrast zu ihrem goldblonden Schopf stehen.
Und Schopf ist hier nämlich genau die richtige Bezeichnung. Demons Haar ist raspelkurz. Nicht, dass es ihr nicht steht oder dass ich es hässlich finde, es ist nur ... ich merke jetzt erst, wie sehr ich ihre Dreadlocks mochte.
Vielleicht, weil sie für mich die Art von rebellischer Selbstverwirklichung verkörpert haben, die ich mir inzwischen mit jedem Tag mehr für mich wünsche.
»Was machst du hier? Und woher, zur Hölle, wusstest du, dass ich hier bin?! Und was , verdammt nochmal, hast du mit deinen Haaren gemacht?!«, fauche ich sie mit gedämpfter Stimme an.
Ihr Mundwinkel verzieht sich zu einem schiefen Feixen, während sie sich entspannt an die Wand hinter sich lehnt und die Arme vor der Brust verschränkt.
»Keine Läuse, falls du das denkst«, murmelt sie und das Feixen verbreitert sich. »Und wenn du nur ansatzweise wüsstest, was ich in den vergangenen Wochen über dich in Erfahrung gebracht habe, würdest du mich anfallen und mir das Gesicht zerkratzen.«
»Wie bitte? « Ich stemme meine Hände in die Seiten und habe dummerweise vergessen, dass ich aufpassen sollte, dass niemand auf uns aufmerksam wird. »Wie kommst du darauf, dass ich gleich an Kopfläuse denke, wenn ich bemerke, dass du deine Haare abgeschnitten hast?«
Wie auf Kommando legt Demon ihren Zeigefinger auf den Mund, packt im nächsten Augenblick mein Handgelenk und zieht mich zu einer Feuerschutztür, die nur ein paar Meter von uns entfernt in der Wand verankert ist.
»Irgendwie sind Feuerschutztüren unser Ding, habe ich das Gefühl«, stelle ich absurderweise fest.
Demon hat die Tür inzwischen einen Spalt geöffnet und schaut sich nun perplex zu mir um. »Hast du was eingenommen?«
»Nein, ich bin nur in letzter Zeit etwas komisch drauf«, gebe ich mit einem lässigen Schulterzucken zu, vermeide es aber, ihrem Blick zu begegnen. Ich weiß gerade nicht, ob mir ihre neue Frisur gefällt.
Ich betrete nach ihr das Treppenhaus, bleibe jedoch abrupt stehen, als sie die ersten Stufen abwärts nimmt.
»Nein. Ich habe einen Termin, Demon, und den werde ich wahrnehmen. Warum auch immer du hier bist.«
Sie dreht sich zu mir und funkelt mich verärgert an. »Du wirst nicht zu diesem Termin gehen.«
»Ach. Und was macht dich da so sicher?«, fahre ich sie an, ungeachtet dessen, dass wir möglicherweise nicht die Einzigen im Treppenhaus sind.
Mit einem Satz nimmt Demon die Stufen und ist mit einem weiteren Schritt bei mir. Ihre Finger bohren sich in meinen Kieferknochen, während sie mich grob zurückschiebt, sodass ich mit Rücken und Hinterkopf gegen die Feuerschutztür knalle, die durch den Aufprall und dem zusätzlichen Druck, den Demon auf meinen Leib ausübt, mit einem protestierenden Knatschen ins Schloss fällt.
Ihre Finger drücken sich noch fester in meine Haut, als sie sich dicht vor mir aufbaut und mit finsterer Miene zu mir hinabsieht. Ich spüre ihren Atem im Gesicht und nehme das leichte Aroma ihres Blütendufts wahr, aber auch von Zigarettenqualm.
»Hörst du das?«, faucht sie.
Ich runzle die Stirn, doch lausche tatsächlich angestrengt. Ich vernehme mehrfaches Knallen, kann diesen Lärm allerdings im ersten Moment nicht einordnen. Aber als ich den langgezogenen Schrei einer Frau höre, trifft es mich auf einmal wie ein Schlag.
»Sind das Schüsse?!«, hauche ich mit weit aufgerissenen Augen.
Natürlich. Wieso bin ich da nicht vorher drauf gekommen? Demon wird diesen Kleidungsstil bestimmt nicht aus Spaß an der Freude gewählt haben und ihre Waffen sind genauso wenig zu Dekorationszwecken dabei.
Was ist eigentlich los mit mir? Seit wann bin ich so schwer von Begriff?
»Ja. Und deswegen werde ich dich jetzt hier wegbringen.«
»Aber ...« Demon löst sich von mir, doch ich bleibe unbewegt gegen die Tür gelehnt, als würde sie mich noch immer dagegen pressen. »Du bist gar nicht meinetwegen hier?«
Wieder sind einige Schüsse zu vernehmen und ich fahre merklich zusammen.
Ihr Mundwinkel zuckt. »Na ja. Wir sind möglicherweise durch dich hier. Nachdem ich dich von Chase überprüfen lassen habe, ist er auf deinen Verlobten aufmerksam geworden. Schon allein, auf welche Weise er Geschäfte mit den großen Konzernen des Landes macht und weshalb er die CEOs mit deinen Reizen besticht. Nachdem er ihn näher durchleuchtet hat, war das natürlich nur nebensächlich für ihn. Es geht nicht darum, was er für krumme Dinge abzieht und warum. Uns geht es vielmehr darum, dass er versucht, uns langfristig zu vernichten.«
Verwirrt runzle ich die Stirn. Natürlich ist es für mich nichts Neues, dass Barry irgendwelche zwielichtigen Geschäfte mit zwielichtigen Menschen abschließt. »Was hat Barry denn mit den Kartellen am Hut?«
Die Kartelle existieren quasi neben dem Staat. Die zahlreichen Drogengeschäfte finanzieren und schmieren den einen oder anderen Politiker. Von daher können Ramirez und Adler im Prinzip schalten und walten wie sie wollen. New Juarez gehört ihnen nicht nur inoffiziell, weil sie dort ihren Hauptsitz haben. Die Stadt gehört wirklich den beiden Clans. Sie wurde von der Regierung an die beiden Kartelle abgetreten.
Solche Städte findet man überall auf der Welt. Und je nachdem wie geistig umnachtet die Anführer der Kartelle sind, desto mehr oder minder werden jene Städte von Privatpersonen gemieden.
Da Adler wiederum halbwegs normal im Kopf ist, lässt sich die Umgebung von NJ betreten, ohne dass man gleich eine Kugel in den Kopf bekommt. Allerdings sollte man einen guten Personenschützer dabei haben, sich einen Namen gemacht haben oder selbst mit Waffen und seinen Fäusten umgehen können.
»Im Prinzip hat Barry nichts mit irgendwelchen Kartellen zu tun. Nur hat uns ein Vögelchen in Washington D.C. gezwitschert, dass President Reddington an einem Plan arbeitet, die Kartellhochburgen wieder zu verstaatlichen und den Kartellen die Daumenschrauben anzulegen, sodass die meisten Einnahmen direkt in die Staatskasse fließen.«
»Und Barry spielt da ganz oben mit?«
»Ja. Er ist einer der beliebtesten Fußabtreter des Präsidenten.«
»Und wieso schießt ihr hier alles zusammen?«
»Eine Warnung an deinen Verlobten. Der CEO dieses Konzerns hat sich ohnehin ständig mit Adler in den Haaren. Jetzt ist ihm der Kragen geplatzt und er wollte ein Statement setzen.«
Ich glaube Demon nur bedingt. Denn ich bezweifle, dass Adler ausgerechnet mit einem Geschäftsführer im Klinsch liegt, dessen Konzern sich eine Tagesreise von NJ entfernt befindet. Ich vermute viel eher, dass Adler ein allgemeines Statement setzen will und Coleman Enterprises ihm ... ja, aus den unterschiedlichsten Gründen vor die Füße gefallen ist.
»Ihr erschießt ihn und alle anderen Angestellten, um ein Statement zu setzen?«, wiederhole ich erstickt. »Wenn du mich nicht abgefangen hättest, müsste ich womöglich auch dran glauben?«
»Ja, dann wärst du wahrscheinlich ein Teil des Kollateralschadens gewesen.«
Entgeistert schnappe ich nach Luft. »Ich dachte, du tötest nur Menschen, die den Tod verdient haben.«
»Haben sie doch auch. Zumindest die meisten.«
»Alle anderen Todesfälle sind blöde Nebenwirkungen . Verstanden. Wie oft hattest du schon so einen Kollateralschaden?«, erkundige ich mich mit emotionsloser Stimme.
»Oft.«
»Also hast du tatsächlich mehrere unschuldige Leben auf dem Gewissen.«
Demon zuckt die Schultern. Ihre Miene ist angespannt und als ich ihr fest in die Augen sehe, schürzt sie die Lippen. »Das bleibt nun einmal nicht aus.«
»Du hast mich angelogen. Dir ist es egal, ob derjenige, den du umbringst, es verdient hat oder nicht.«
»Richtig.«
Jetzt erst merke ich, wie mir die Tränen in die Augen steigen. »Dass du damit leben kannst. Irgendwie habe ich ja gedacht, dass du ein guter Mensch bist, weil du nur die Bösen killst. Aber du bist genau so ein Monster wie sie.«
»Das ist mein Job, Evie.« Sie seufzt und ergreift meine Hand, die ich ihr allerdings sofort entreiße. »Adler weiß, was er tut. Die Entscheidungen, die er trifft, sind nicht falsch. Er lässt uns ja nicht wahllos irgendwelche Unschuldigen töten.«
»So? Und was, wenn ich irgendetwas tun sollte, das er als falsch einstuft? Was, wenn er dich dazu beauftragt, mich umzulegen? Würdest du es tun?«
Sie starrt mich erschrocken an. »Wie kommst du darauf ...?« Sie stockt und atmet einmal tief durch. »Wenn mir Vaughns Begründung plausibel erscheint, dann ja.«
»Schön.« Eigentlich würde ich jetzt am liebsten vor ihr weglaufen, doch ich bin wie erstarrt. Wenige Stockwerke über uns wird wild um sich geschossen und ich weiß absolut nicht, was ich dagegen machen kann.
Demon tritt wieder an mich heran. Sie stemmt ihre Hände rechts und links neben meine Schultern, sodass ich mich schon ziemlich verrenken müsste, um ihr zu entkommen. »Das war unfair, Evie. Ich bin kein Monster. Vor allem nicht dir gegenüber«, sagt sie mit leiser Stimme. »Das da oben hört sich jetzt furchtbar an, aber ich verspreche dir, dass die Jungs größtenteils Warnschüsse abgeben, um ein bisschen Angst zu verbreiten. Sie haben es ausschließlich auf den CEO und seine Berater abgesehen.«
Ich presse die Lippen zusammen und weiche ihrem Blick aus. »Warum hast du mich angelogen?«
»Hättest du dich sonst auf mich eingelassen?«
Ich schüttle den Kopf. »Ich bin mir auch gerade ziemlich sicher, dass ich dich nicht wiedersehen will, Demon.«
»Ist gut. Doch wenn du mir so etwas sagst, dann schaue mir bitte dabei in die Augen«, murmelt sie und ich weiß nicht, ob ich es mir einbilde, aber ihre Stimme klingt leicht erstickt.
Ich schaue auf und die Erkenntnis, dass ich vorhabe, sie wegzuschicken, sorgt dafür, dass mein Herz auf einmal wie wild zu klopfen beginnt, sodass ich seine harten Schläge in meinen Ohren höre. Zeitgleich verkrampft sich mein Magen und mir wird schlecht.
Demon legt den Kopf schief und sieht mir geduldig in die Augen. »Sag es, Evie. Sag, dass ich gehen und dich aus meinem Gedächtnis streichen soll. Sag, dass ich in deinen Augen ein Monster bin.«
Ich beiße mir für einen Moment auf die Unterlippe. »Ich ... ich mochte deine Dreadlocks«, presse ich hervor.
»Was?«
Erneut senke ich den Kopf und starre auf die dämlichen Highheels. Ich hasse diese Scheißdinger. »Ich kann dich nicht wegschicken, Demon. Du ... hast irgendetwas mit mir angestellt und jetzt bedeutest du mir zu viel. Denke ich. Warum auch immer.«
Mit einem Mal ist da eine Hand an meiner Wange und ein Daumen auf meiner Unterlippe. »Evie. Wir kommen aus komplett unterschiedlichen Welten. Es wäre verrückt, wenn wir das ignorieren würden. Du musst nur nicken und dann bin ich weg. Es ist okay. Ich verstehe deine Skrupel.«
»Du verstehst mich nicht, Demon.« Ich schaue wieder zu ihr auf. »Rette mich. Befreie mich aus diesem Leben. Ich will das alles so nicht mehr. Durch dich ist mir erst bewusst geworden, was ich haben könnte , wenn ich mich nur traue. Bitte.«
Eine Sekunde starrt sie mich wie vom Donner gerührt an. Und dann, im nächsten Moment, beugt sie sich vor und presst ihre Lippen gegen meinen Mund. »Du bist so bescheuert.«
»Wer ist denn hier bescheuert?«, frage ich sie, während ich ihren Atem noch immer an meinen Lippen spüre. »Ich hasse deine neue Frisur.«
»Nun, damit musst du jetzt leben. Die langen Zotteln sind mir nur noch auf den Sack gegangen. Ich habe schon, bevor wir uns kennengelernt haben, mit dem Gedanken gespielt, sie endlich loszuwerden.«
»Du hättest ja wenigstens fragen können«, maule ich.
Demon lacht leise. »Wenn ich gewusst hätte, dass du so an den Dingern hängst, hätte ich sie für dich aufbewahrt.«
Ich ziehe eine angewiderte Grimasse. »Nein, danke. Dann trauere ich lieber um sie und schließe jedes Mal die Augen, wenn du in meiner Nähe bist und rede mir ein, dass du deine Haare nie abgeschnitten hast.«
»Findest du es so schlimm mit der neuen Frisur?«, fragt sie und klingt dabei wirklich betroffen und auch verunsichert.
»Nein.« Endlich zaubert sich ein Grinsen auf mein Gesicht. »Du siehst toll aus. Ich habe lediglich eine persönliche Bindung zu deinen Dreadlocks aufgebaut. Aber das kannst du nicht verstehen, weil wir dich von unseren Zwiegesprächen ausgeschlossen haben.«
Demon runzelt die Stirn und mustert argwöhnisch meine Augenpartie. »Und du bist dir sicher, dass dir nicht irgendwer etwas ins Essen gemischt hat?«