VIII
»Du hältst mich echt für megagestört, oder?«
»Ja, doch.«
»Entschuldige.« Verschämt presse ich die Lippen aufeinander. »In meinem Kopf klangen die Aussagen nicht so behämmert.«
Ihre Finger gleiten über meine Schläfe, meine Wange hinunter. »Ich mag es, wenn du deine Gedanken mit mir teilst.« Sie lächelt.
In diesem Moment ist ein lautes Krachen, wie von einer Explosion, über uns zu hören, welches das gesamte Gebäude zum Erbeben bringt.
Erschrocken fahre ich zusammen und klammere mich sogleich wie automatisiert an Demons Schultern fest, die spontan etwas näher an mich herangerückt ist, wie um mich vor möglichen Gefahren, wahrscheinlich in Form von herunterfallenden Betonbrocken und Stahlträgern, zu beschützen.
Mit gerunzelter Stirn schaut sie die Treppe hinauf, als würde sie erwarten, dass gleich jemand die Stufen hinuntergeeilt kommt, um ihr zu erklären, was passiert ist. »Wir müssen hier weg. Jetzt.«
»Was ... Warum?«
»Bist du blöd? Ich weiß nicht, was die Jungs da oben veranstaltet haben, aber das hört sich nicht gut an. Spontan würde ich sagen, dass sie bloß Colemans Büro ausgeräuchert haben, allerdings will ich kein Risiko eingehen. Wenn sie eine tragende Wand zerstört haben oder zumindest mehr als gut ist, könnte es sein, dass ein Teil des Gebäudes über uns zusammenstürzt.«
Sie packt meinen Unterarm und zieht mich zum Treppenabsatz.
Ich lasse mich jedoch nur ein paar Schritte ziehen und dann stemme ich die Fersen in den Boden. »Warte! Was ist mit deinen Leuten ...?« Und den Zivilisten, den Unschuldigen ... den Kollateralgeschädigten!
Sie wirbelt zu mir herum und funkelt mich an. »Um die mache ich mir die wenigsten Sorgen. Los jetzt! Weißt du eigentlich, wie viele Stufen wir hinuntermüssen, bis wir in Sicherheit sind? Beweg dich!«
Ich spiele mit dem Gedanken, Demon darauf hinzuweisen, dass ich natürlich keine Ahnung habe, in welchem Stockwerk wir uns befinden, da sie mich einfach irgendwo aus dem Fahrstuhl geholt hat. Allerdings setzt sie sich jetzt anhand eines kräftigen Rucks bei mir durch und ich muss bei dem Tempo, das sie einschlägt, echt aufpassen, dass ich weder auf meinen hohen Absätzen zu straucheln beginne noch dass ich allgemein das Gleichgewicht verliere und die Stufen vor mir hinuntersegle.
Mit jedem weiteren Atemzug kommt Demons Nachricht schließlich in meinem Kopf an, sodass sich die Informationen auch verarbeiten lassen: »Meinst du echt, das Gebäude ist einsturzgefährdet?«, keuche ich, als wir bereits mehrere Stockwerke hinter uns gelassen haben und ich schon zum dritten Mal schmerzhaft umgeknickt bin.
Das Herz schlägt mir bis zum Hals und ich kann nicht ganz herausfinden, ob es an dem Treppensprint liegt oder weil ich tatsächlich Angst davor habe, dass wir jeden Moment unter Bauschutt begraben werden könnten.
»Weiß ich nicht. Eigentlich sind die modernen Wolkenkratzer so konstruiert, dass sie sogar standhalten, wenn ein Flugzeug in sie hineindonnert. Nur sind viele Bauherren dafür bekannt, zu den billigsten Mitteln zu greifen und an Material und Sicherheitsvorkehrungen zu sparen, um sich einen Großteil der finanzierten Gelder in die eigene Tasche zu stecken.«
Beim Sprechen hat Demon ihr Tempo verlangsamt und ist nun vollkommen stehengeblieben. Sie wirkt nicht ansatzweise außer Atem, während mir der Schweiß den Rücken hinunterrinnt. Der dicke Stoff und enge Schnitt meines Kostüms tragen auch nicht gerade zu meiner Beweglichkeit bei.
Mit einem strengen Stirnrunzeln zeigt Demon auf meine Highheels. »Zieh die aus. Die Dinger halten uns nur auf und außerdem brichst du dir noch die Haxen, wenn es so weitergeht. Ich glaube nicht, dass wir weit kommen, wenn ich dich stützen muss.«
Eine Welle des Widerwillens trifft mich bei dem Gedanken, in Strümpfen laufen zu müssen. Austin ist keine sehr saubere Stadt und ich sehe mich schon, wie ich in die eine oder andere benutzte Heroinspritze trete, wenn wir gleich durch irgendwelche Hinterhöfe rennen müssen, um dem in sich zusammenkrachenden Gebäude davonzukommen.
»Was ist? Hängst du etwa an den hässlichen Pumps?«
Ich schüttle den Kopf und widerstehe dem neunmalklugen Drang, sie darüber aufzuklären, dass es sich hierbei nicht um Pumps handelt, sondern um Peeptoes. Doch wenn ich eines nicht möchte, dann dass Demon wieder anfängt, mich als Püppchen zu bezeichnen und mich mit meinen Freundinnen über einen Kamm zu scheren.
Von daher befolge ich nach einem kurzen Zögern ihren Befehl und werfe die Schuhe in die nächste Ecke – damit sich nicht irgendwer ihretwegen langlegt, falls wir nicht die Einzigen sind, die dem Ausgang über diesen Treppenweg zusteuern.
Demon hat sich schon wieder den Stufen unter uns zugewandt, als ich mich kurzerhand dazu entscheide, auch meine Clutch, in der sich nichts Wertvolles befindet, und meine Jacke bei den Schuhen zu lassen.
»Was? Ist da nicht dein Handy drin?«, höre ich Demons verblüffte Stimme. Offenbar hat sie gemerkt, dass ich nicht sofort gefolgt bin.
»Nein, das habe ich zu Hause gelassen.« Mich ruft eh niemand an. Barry meldet sich nur alle paar Tage und auf das Geschnatter in den Silicon Hills -Gören Gruppenchats brauche ich entweder gar nicht zu reagieren oder erst Stunden später. Und wenn jemand aus meiner Familie mich zu erreichen versucht, meldet er sich ohnehin zuerst bei Barry, der dann vorrangig Auskunft erteilt. Der Mann kümmert sich eben um alles.
Demon schenkt mir einen skeptischen Blick, sagt aber nichts und setzt sich in Bewegung. Schlagartig werde ich mir unserer gegenwärtigen Situation wieder bewusst und ich eile hinter ihr her.
Auf meinen Nylonstrümpfen läuft es sich auch nicht besonders sicher und vielmehr gleite ich die Stufen hinunter und um die Ecken der Treppenabsätze, aber wir kommen dennoch um einiges schneller voran als vorher.
Keine Ahnung, wie lange wir brauchen, bis wir endlich in einer abgeschiedenen Nische der Eingangshalle landen. Aber als wir über die hochwertigen Marmorplatten durch die offenbar evakuierte Halle hasten, bin ich schweißnass, mein Atem geht nur noch stoßweise und mein Herz wummert in meinen Ohren.
Ich will geradewegs auf den Haupteingang zusteuern, doch Demon bleibt ruckartig stehen und packt meinen Unterarm, als ich es gerade noch schaffe, ihr auszuweichen und an ihr vorbeirausche.
»Ich muss einen der Seitenausgänge nehmen«, behauptet sie hastig, lässt mich einfach stehen und schlägt ohne ein weiteres Wort denselben Weg ein, den wir hergekommen sind.
Im selben Moment erklärt sich weshalb: Die flackernden Lichter der Einsatzfahrzeuge dringen durch die Glasfassade des Eingangsbereichs. Wäre Demon in voller Montur, inklusive ihrer Waffen durch den Haupteingang spaziert, hätte sie nicht nur sämtliche Blicke auf sich gezogen, sie wäre sofort verhaftet und als Terroristin angeklagt worden.
Wenn es stimmt, was sie erzählt hat, würde es sich für die Regierung als ein gefundenes Fressen darstellen und als erstbeste Gelegenheit, Adler die Daumenschrauben anzulegen, wie Demon es so schön formuliert hat. Er würde seine Cousine, die zu allem Überfluss eine seiner engsten Vertrauten und Mitarbeiter ist, bestimmt nicht im Knast verrotten lassen.
»Und tschüss! Hab mich auch gefreut, dich wiederzusehen«, murmle ich und schürze die Lippen. Ich schaue ihr nach, bis sie um eine Ecke verschwindet und wende mich wieder dem Haupteingang zu. »Wäre nett gewesen, wenn du eine winzige Erklärung dagelassen hättest, ob ich irgendwo auf dich warten oder ein Taxi rufen soll ... Nein, ich gehe da jetzt raus und ...« Die Glastüren schwingen vor mir auf und der Geräuschpegel von hunderten von aufgescheuchten und verängstigten Menschen schlägt mir entgegen. Das flackernde Licht der Einsatzfahrzeuge vermischt sich mit Blitzlichtgewitter.
Ein Ersthelfer springt auf mich zu, legt mir eine Decke um die Schultern und versucht mich nach rechts zu einer Sammelstelle für die Neuankömmlinge unter den Betroffenen zu dirigieren.
Ich schüttle ihn ab. »Nein, ich bin nicht verletzt.«
»Miss, Sie sehen ziemlich mitgenommen aus und sie haben einen Teil Ihrer Kleidung verloren«, redet der junge Mann mit beruhigender Stimme auf mich ein, als wäre ich nicht ganz richtig im Kopf.
Das mag ja eventuell sogar den Tatsachen entsprechen, aber ich bin sicherlich nicht aus dem Grund so mitgenommen , der ihm gerade vorschwebt. Vielmehr, weil mich die sportliche Betätigung erschöpft hat und vor allem, da ich unverhofft Demon Adler begegnet bin, die mir Dinge offenbart hat, die ich nicht hören wollte, und dann genauso unverhofft wieder verschwunden ist.
Spricht nicht für mich, dass die unschuldigen Opfer gar nicht mehr meine Gedanken beherrschen.
Ein Polizist, dem offenbar aufgefallen ist, dass ich mich gesträubt habe, gesellt sich zu uns.
»Ich befand mich gerade im Treppenhaus, als ich die Explosion vernommen habe«, berichte ich und schaue nacheinander dem Sanitäter und dann dem Polizisten fest in die Augen, wie um ihnen zu beweisen, dass ich noch alle beisammen habe und auch nicht unter Schock stehe. »Meine hochhackigen Schuhe und alles weitere, was mich behindert hat, habe ich ausgezogen und einfach dort gelassen, damit ich die Stufen schneller hinunterkomme.«
»Ach, okay.« Der Sanitäter lässt mich los und der Polizist nickt anerkennend.
»Also geht es Ihnen wirklich gut?«
»Ja.« Fröstelnd schaue ich an dem Wolkenkratzer hinauf. Aus den Fenstern der obersten Etage steigt schwarzer Rauch und ich glaube, einige Flammen zu sehen. »Gibt es viele Tote und Verletzte?«, frage ich leise.
Ein furchtbar schlechtes Gewissen überkommt mich. Es fühlt sich an, als sei ich Mitschuld an dem Ganzen. Und im Prinzip stimmt das ja auch.
»Wir können es nicht genau sagen, aber wie es aussieht, hat es nur die Chefetage getroffen. Die Terroristen haben beim Eindringen ein paar Warnschüsse abgegeben und das Personal dazu aufgefordert, die Büros zu verlassen. Der CEO wurde exekutiert und danach haben die Terroristen sein Büro in die Luft gejagt, möglicherweise, um Spuren zu verwischen. Die meisten Betroffenen hier haben Schocks erlitten oder sich Verletzungen bei Stürzen zugezogen.«
»Hat es nur den CEO getroffen?«, vergewissere ich mich und klinge dummerweise ein bisschen zu hoffnungsvoll.
Prompt wird die Miene des Polizisten um einiges misstrauischer. »Das müssen wir noch herausfinden, Miss.« Er macht einen Schritt auf mich zu. »Was sagten Sie gleich, weshalb sie sich im Treppenhaus aufgehalten haben?«
»Den Grund hatte ich Ihnen gar nicht genannt«, versuche ich auszuweichen. »Ich ...« Zeit, das naive Gouverneurstöchterchen zu spielen. Ich hasse es. »Ich hatte einen Termin bei Mister Coleman, doch ich muss den verkehrten Fahrstuhlknopf gedrückt haben und bin auf der falschen Etage ausgestiegen. Ich war spät dran und entschied mich kurzerhand die Treppe zu nehmen, weil ich nicht auf den nächsten Fahrstuhl warten wollte.«
Wie erhofft zieht der Polizist ein Gesicht, das mit Sicherheit ›Mann, ist die dämlich! ‹ bedeuten soll und hat wohl größte Mühe, sich ein Augenrollen zu verkneifen. »In welcher Etage sind sie ausgestiegen, Miss?«
»Keine Ahnung.« Ich gebe mich nachdenklich, beiße mir auf die Unterlippe und drehe eine wirre Haarsträhne um meinen Zeigefinger. Bloß darf ich es mit der Dümmlichkeit nicht zu sehr übertreiben, denn sonst wird er merken, dass ich mein Verhalten absichtlich verändert habe.
Anhand seines Stirnrunzelns ist er noch immer skeptisch. »Sie sind also keine Angestellte von Mister Coleman?«
Ich schüttle den Kopf. »Wie gesagt, ich war hier wegen eines Vorstellungsgesprächs, das mein Verlobter mir besorgt hat.«
Seine Augenbrauen schnellen empor. »Und wer ist Ihr Verlobter, Miss?«
Na, endlich. Wenn ich ihm jetzt Barrys Namen nenne und zusätzlich erwähne, wer mein Dad ist, wird er postwendend meine Identität überprüfen und mich dann hoffentlich in Ruhe lassen. Obendrein wird er sich sogar noch wundern, dass ich mich derart kooperativ gezeigt habe und meine Aussage kein bisschen infrage stellen.
»Senator Bertram Ignatius Godfrey III. Und ich bin Evie Stowe«, sage ich in einem verdutzten Tonfall, als sei meine Identität die ganze Zeit klar gewesen.
Der Polizist runzelt die Stirn. »Die Tochter von Governor Stowe?«
Ich nicke. Mist, er wirkt nicht überzeugt.
»Können Sie sich ausweisen, Miss?«
Na toll, er ist einer von der Sorte ›Na, klar. Und ich bin President Reddington. Kleines, ich bin heute schon zwanzig Frauen begegnet, die behauptet haben, Sie zu sein.
»Nein, leider nicht. Aber Sie dürfen gerne meinen Fingerabdruck und meine Netzhaut scannen, um einen Abgleich mit ihren Daten zu machen.« Also, mehr Entgegenkommen geht wirklich nicht.
Der Polizist macht ein zufriedenes Gesicht und gibt an seine Zentrale durch, dass meine Aufnahmen der Bodycam analysiert werden dürfen.
Drei Minuten später hat der Polizist sich bei mir entschuldigt und beinahe fluchtartig nach neuen Opfern gesucht, denen er auf den Sack gehen kann.
Der Sanitäter hat sich bereits während meines Verhörs verdünnisiert, von daher nutze ich die Gelegenheit, da mich niemand zu beachten scheint, mir für die ersten Meter die Decke fest um die Schultern zu schlingen.
Möglichst unauffällig schlendere ich an einer kleinen Menschentraube vorbei, die sich um eine junge Frau schart, welche wohl gerade erfahren hat, dass der CEO getötet wurde und nun so laut Tränen vergießt, dass meine Ohren klingeln.
Rasch schlüpfe ich zwischen zwei Rettungswagen hindurch, die wohl als improvisierte Straßen- und Sichtsperre fungieren sollen. Ich lasse die Decke fallen und mische mich unter eine Handvoll stumpfsinniger Schaulustiger, die ihre Smartphones auf den qualmenden Wolkenkratzer richten und damit gar nicht bemerken, dass gerade die schuhlose Tochter von Governor Stowe aus der gesperrten Zone entwischt.
Erst als ich die ganze Szene etwa fünfzig Meter hinter mir gelassen habe, atme ich tief durch und entspanne mich etwas.
Nun sollte ich mich wohl langsam darum kümmern, von der Straße herunterzukommen, bevor tatsächlich jemand bemerkt, dass ich auf meinen Nylonstrümpfen laufe und obendrein etwas mitgenommen aussehe.
»Na, Engelchen! Wohin führt dich dein Walk of Shame? «
Perplex wirbele ich herum und entdecke Demon schräg hinter mir. Sie lehnt mit vor der Brust verschränkten Armen am Schaufenster eines Blumenladens. Offenbar bin ich einfach an ihr vorbeigerannt, so sehr darauf konzentriert, hocherhobenen Hauptes zu stolzieren, als sei meine Verkleidung absolut so gewollt.
»Walk of Shame?« Ein beschwingtes Lächeln huscht über mein Gesicht, bevor ich es aufhalten kann. Ich mache die fünf Schritte auf sie zu und stelle mich für die öffentliche Akzeptanz eigentlich ein bisschen zu dicht vor sie. »Würde es dir denn gefallen, wenn ich neben dir noch eine andere Affäre hätte, von der ich mich gerade davonstehle?«
Keine Ahnung, woher dieses Selbstbewusstsein plötzlich kommt. Ich schätze, die Rolle, in die ich notgedrungen geschlüpft bin (vielleicht habe ich mir vorgestellt, die Hauptrolle in einem Werbefilm für die Strapazierfähigkeit von Nylonstrümpfen zu spielen, aber nur vielleicht), beflügelt mich ein wenig und gaukelt mir vor, dass alles möglich ist, wenn man nur will.
Mit finsterer Neugierde neigt Demon den Kopf zur Seite. Sie trägt nach wie vor das beigefarbene Shirt und die Drillichhose, ihre Waffen hat sie allerdings abgelegt. »Eine Affäre? Das bin ich für dich?« Ihr Mundwinkel zuckt, aber es sieht nicht so aus, als würde sie sich ein Grinsen verkneifen. Viel eher ein Zähnefletschen. »Na ja. Immer noch besser als ein One-Night-Stand. Ich sollte mich glücklich schätzen.«
Ich stutze und falle sofort aus der Rolle. Unvermittelt bin ich wieder Evie Stowe, der siedend heiß einfällt, dass sie sich im Zentrum von Austin befindet, keine Schuhe trägt und vollkommen durchgeschwitzt ist.
Na ja. Und irgendwie kann ich sogar von mir behaupten, einen Anschlag überlebt zu haben. Nur, dass ich mich ungewollt auf der Seite der Terroristen befinde, weil mir eine von ihnen nicht mehr aus dem Kopf geht.
Ich nehme eine Armlänge Abstand zu Demon und schaue mich nervös um. »Was wärst du denn gerne für mich?«
»Dein Monster , vielleicht.« Sie klingt noch immer erzürnt und ich habe das Gefühl, dass sie mich gleich einfach stehenlässt, weil ich ... sie verletzt habe? Das kann doch eigentlich nicht sein.
Sie baut sich vor mir auf und jetzt, wo ich keine Schuhe trage, ist unser Größenunterschied doch etwas erwähnenswert. Nicht sehr, aber spontan würde ich schätzen, dass sie fast zwanzig Zentimeter größer ist als ich. Zumindest mit den Kampfstiefeln an ihren Füßen. Und ihre einschüchternde Körperhaltung verfehlt auf keinen Fall ihre Wirkung.
Mein Monster , das sich von mir in die Ecke gedrängt fühlt und deswegen die Muskeln spielen lässt.
Ich schaue ihr in die Augen und kann eine Handvoll destruktiver Gefühle in ihnen erkennen, die mich beinahe zurückweichen lassen, weil sie mich mit einer derart heftigen Intensität treffen: Feindseligkeit. Zorn. Argwohn. Frustration. Enttäuschung.
Doch es sind nicht diese Gefühle, die Demon dazu gebracht haben, mir hier bei dem Blumenladen aufzulauern. Und diese Erkenntnis macht mir Mut.
»Okay, Monster «, beginne ich, »und wie wäre es, wenn ich dich als mein düsteres Geheimnis bezeichne? Ist das besser? Fühlst du dich damit wohler?«
Im Grunde habe ich erwartet, dass ihr Ärger verfliegt und dass sie vielleicht sogar ein Schmunzeln für mich übrighat, doch stattdessen neigt sie nur den Kopf bedrohlich zu mir hinunter. »Evie. Ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, dass ich die diabolische Schlange sein könnte, die dich verführt und dir damit den Weg in die Verdammnis ebnet?«
Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe, weiche ihrem Blick aber nicht aus.
Nichtsdestotrotz benötige ich zwei Atemzüge, um den Mut aufzubringen, ihr genau das zu sagen, was sie wahrscheinlich nicht hören will: »Ja. Von Anfang an.«
Vor lauter Überraschung verschwinden ihre Augenbrauen fast in ihrem Haaransatz. »Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Zumindest glaube ich nicht, dass wir von derselben Verdammnis sprechen.« Sie schiebt die Hände in ihre Gesäßtaschen und schaut sich prüfend um. »Du sprichst von einer gesellschaftlichen Ächtung. Ich spreche von etwas anderem.«
Gesellschaftliche Ächtung. Ihre Worte tun weh. »Vorhin habe ich dich darum gebeten, mir dabei zu helfen, mich aus diesem Leben zu befreien. Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt.«
»Und ich denke, du hast dir gar keine genauen Gedanken darüber gemacht, was es für dich bedeuten würde, wenn du dich auf jemanden wie mich einlässt, Evie.«
»Was? Seit drei Wochen kann ich an nichts anderes denken!«, halte ich ihr vor und vergesse dabei, dass wir uns auf einem recht belebten Gehweg befinden.
»Das glaube ich kaum«, antwortet sie mit einem leisen Zischen, packt wie gewohnt meinen Unterarm und zieht mich an die Straße, wo sie erwartungsvoll auf die Fahrbahn schaut. »Du machst dir Gedanken darum, dein Leben mit einer Frau zu verbringen. Mehr nicht«, setzt sie fort. »Aber du siehst den Rattenschwanz voller Konsequenzen nicht. Hast du dich schon damit beschäftigt, wo ich lebe, wie ich lebe und womit ich mein Geld verdiene? Hast du dir Gedanken darum gemacht, warum ich so bin, wie ich bin und was mich dazu getrieben hat? Hast du überhaupt schon in Erwägung gezogen, dass ich vielleicht nur eine Maske ...«
In diesem Moment hält ein schwarzer SUV direkt vor unserer Nase. Demon reißt die Fahrgasttür auf und drückt mich hinein. Für sich selbst wählt sie dagegen die Beifahrertür.
Toll. Und schon fühle ich mich wie ein nerviges Anhängsel.
Als ich den Fahrer als Narbengesicht Snyper identifiziere, murmle ich bloß ein leises Hallo und lasse den Blick auf meine im Schoß gefalteten Hände sinken.
»Nehmen wir sie mit?«, knurrt er mit seiner charakteristisch rauen Stimme, allerdings an Demon gewandt.
»Nein, wir bringen sie nach Hause.«