Demon
(do you believe in magic – ki:theory)
Ich frage mich, ob du mir zugehört hast. Ob du begriffen hast, wer ich bin und was ich bin. Was ich tue.
Ich bin ein Monster, Evie.
Hast du verstanden?
»Warte hier«, flüstere ich ihr ins Haar und rapple mich hoch.
»Wo willst du hin?« Ihre Stimme ist alarmiert und sie sieht mich aus großen grauen Augen an. Vielleicht sind sie auch grün. Scheiße, ihre verdammte Augenfarbe verändert sich minutiös wie ein beschissenes Chamäleon.
»Ich hole dir etwas zum Anziehen und dann verschwinden wir von hier.« Ohne, dass ich es aufhalten kann, gehe ich vor ihr in die Hocke und lasse meine Finger durch ihr seidiges, fast schwarzes Haar gleiten. »Angst, dass ich nicht zurückkomme?«
»Irgendwie schon.« Sie presst ihre Lippen zusammen. »Und wie willst du eigentlich an meine Sachen kommen?«
»Gar nicht. Du bekommst etwas von mir.« Lächelnd richte ich mich auf.
Eine undefinierbare Gefühlsregung huscht über ihre Miene und mir wird bewusst, dass ich sie zwar, schätze ich, besser kenne als ihre eigenen Eltern, weil ich von der ersten Minute an ihre Gesichtszüge studiert habe, aber ich kann sie noch immer nicht gut genug einschätzen, um wirklich genau zu wissen, was in ihr vorgeht. Das wird erst die Zeit mit sich bringen.
»Warte.« Sie umfasst mein Handgelenk und ich halte geduldig inne.
Ja, Engelchen. So viele Fragen, die du mir dringend stellen solltest. Stattdessen lässt du dich von mir ficken.
»Stimmt es?« Wieder presst sie ihre Lippen aufeinander und ich merke, wie sie sich wahre Mühe gibt, meinem Blick standzuhalten, es aber nicht schafft, da sie nervös wird.
»Stimmt was?«
Engelchen, du musst lernen, dich klar auszudrücken. Zu sagen, was du dir wünschst. Wie ich dich anfassen soll.
Frag mich, was ich mir von dir wünsche.
Ich werde dich mein Leben lang herausfordern und du musst lernen, mitzuhalten.
»Stimmt es, dass du ... Menschen umbringst, weil du nicht anders kannst?«
Seufzend bücke ich mich zu dem gelben Tüllungetüm und werfe ihr den weißen Slip zu. »Auf dem schmutzigen Teppich solltest du nicht länger als nötig nackt herumliegen, Evie.«
»Demon. Warum beantwortest du meine Frage nicht?«
»Weil es mir vielleicht nicht sehr leichtfällt, darüber zu sprechen?!« Obwohl ich mir erhofft habe, dass die Sache noch einmal zur Sprache kommt, damit ich mir sicher sein kann, dass Evie mir glaubt, es begreift und vor allem auch lernt mir zu vertrauen. Obwohl ich eine tickend Zeitbombe bin.
»Du hast von Monstern in deinem Kopf geredet. Meinst du damit, Stimmen, die dir das befehlen?«, hakt sie ungerührt nach, während sie endlich aufsteht, um sich ihr Höschen anzuziehen.
Dabei kann ich nicht anders, als ihren Körper zu mustern. Ich versuche, mir jede besondere Einzelheit einzuprägen, solange mir die Zeit dafür bleibt. Ein Muttermal neben ihrem Bauchnabel. Eines an ihrem äußeren Rippenbogen. So viele Narben, die ihr verfickter Verlobter ihr zugefügt hat.
»Sieh mich bitte nicht so an, Demon.«
Ah, darauf habe ich gewartet. Ich schaue auf in ihr Gesicht und grinse. »Warum nicht? Ich möchte doch wissen, womit ich es zu tun habe.«
Sie zieht einen Schmollmund und scheint zu überlegen, ob sie meine Aussage als Beleidigung auffassen soll. »Ich weiß, dass mein Körper ziemlich ... weich ist.« Und verschandelt. Aber sie will nicht darüber sprechen. Sie kann es nicht. Noch nicht.
Ich trete zu ihr und vergrabe meine Hand in ihrem dicken, welligen Haar. »Na und? Ich mag alles an dir.«
»Wie stellst du dir das vor? Ich passe doch niemals in deine Klamotten, Demon. Die werden mir viel zu eng sein. Und welche Schuhgröße hast du überhaupt?«
Mein Blick fällt auf ihre kleinen Füße. »Na ja. Dann musst du meine Schuhe eben mit Taschentüchern ausstopfen. Und außerdem bin ich davon überzeugt, dass du zumindest in meine Jogginghose passt.«
Ihre Augen blitzen auf und ich frage mich, ob sie schon wieder beleidigt ist. »Du nimmst mich nicht mit, oder?«, fragt sie stattdessen und meine Augenbrauen schießen überrascht empor.
Ich lasse nach, Engelchen. Ich hätte schwören können, dass ich deine Expressionen besser lesen kann.
Muss ich mir deswegen Sorgen machen?
Nicht deinetwegen. Aber vielleicht lenkst du mich ab. Vielleicht beanspruchst du zu viel meiner Aufmerksamkeit.
Vielleicht bin ich deinetwegen kein guter Schatten mehr. Vielleicht bin ich deinetwegen kein richtiges Monster mehr.
»Deshalb bin ich doch hier«, knurre ich.
»Bist du nicht. Ich glaube, wenn du da jetzt hinuntergehst, sehe ich dich nicht wieder.« Sie baut sich vor mir auf und macht eine auffordernde Kopfbewegung. »Entweder nimmst du mich mit auf dein Zimmer oder du sagst mir jetzt endlich die Wahrheit.«
»Wenn du das gelbe Ding wieder anziehst, sieht dich jeder der Hochzeitsgäste kilometerweit leuchten.«
»Wenn du wirklich geplant hättest, mich mitzunehmen, hättest du passende Kleidung für mich parat.«
Ich starre sie an. »Wo soll ich die denn hergezaubert haben?«
Sie zuckt mit den Achseln und verschränkt gleichzeitig die Arme vor der Brust. »Das ist gar nicht so schwer. Auf der Fahrt hierher seid ihr hundertprozentig an der einen oder anderen Tankstelle vorbeigekommen.«
»Wir sind geflogen.«
»Na gut. Trotzdem halte ich dich für einfallsreich genug, mir irgendwie passende Kleidung zu besorgen. Vorausgesetzt, du planst, mich mitzunehmen. Tust du aber nicht. Hast du nicht.«
Okay, Engelchen. Du bist misstrauisch. Das verstehe ich. Aber vielleicht ist es der falsche Zeitpunkt, alles um mich herum infrage zu stellen. Und vor allem mich.
»Evie. Ich bin wegen eines Auftrags hier.«
»Und?«
»Ich wusste nicht, dass Adler mir erlaubt, dich zu sehen.«
Sie beißt sich auf die Unterlippe und der Drang, sie zu küssen, ist auf einmal übergroß.
»Der hat dich ganz schön unter seiner Fuchtel, oder?«
»Ja. Muss er auch.« Da wären wir wieder bei dem Ursprungsthema angelangt.
Ihr Blick verankert sich in meinem und ich schätze, sie versucht, zu erkennen, ob ich wirklich das Monster bin, von dem ich ständig rede.
»Erzähle mir von deinen Monstern, Demon.«
Ich nehme etwas Abstand, betrachte meine Füße und verschränke nun selbst die Arme vor meiner Brust. Ich hole tief Luft. »Sie zwingen mich.«
»Es sind also Stimmen?«
»Auch.« Ich schaue auf und versuche Evie einfach anhand meines Blickes zu bitten, nicht so tief zu bohren. Noch nicht.
»Wie lange hast du das schon?«
Ich zucke mit den Schultern. »Es hat irgendwann angefangen, als ... vermutlich, als ich nicht mehr wusste, wohin ich mit meiner Wut soll.«
Sie erwidert meinen Blick noch immer und ich bin froh, dass sie standhält. Würde sie wegsehen, würde sie mir das Gefühl vermitteln, es nicht zu ertragen. »Und die ... Monster erteilen dir Befehle, oder ...?«
»Evie.« Ich stoße mich von dem Geländer ab, ohne sie aus den Augen zu lassen. »Es ist mir klar, dass du alles wissen willst und auch wissen musst , aber ...«
»Du brauchst all deine Kraft, um es mir zu erzählen, oder?«, murmelt sie leise.
Ich nicke. »Es ist nicht so, dass ich dir nicht vertrauen möchte, aber ich muss mich erst einmal an dich gewöhnen. Ich muss lernen , dir zu vertrauen. Verstehst du das?«
Wieder kaut sie auf ihrer Unterlippe herum. »Du wolltest mich töten, oder?«
»Gott, nein!« Erschrocken mache ich einen Schritt auf sie zu und strecke meinen Arm nach ihr aus, doch sie weicht vor mir zurück.
»Lüg mich nicht an, Demon.«
Ich halte inne und fahre mir mit der Hand, die ich eben nach Evie ausgestreckt habe, durchs Haar. Dabei löst sich die verdammte Haarklemme aus meinen Ponyfransen und ich überlege entnervt, sie einfach wegzuschnippen, aber dann stecke ich die dämlichen Fransen wieder zurück.
»Nein. Zuerst dachte ich, dass die Monster dein Blut sehen wollen, doch das ist es nicht. Sie wollen dich. Ich will dich.«
Sie seufzt leise, scheint die Haarklemme zu betrachten und dann entspannt sie sich merklich. »Ich kenne mich damit nicht aus, aber das hört sich für mich nach einer anständigen Psychose an. Bist du deswegen in Behandlung?«
»Ich war es. Ich wurde ruhiggestellt und weggesperrt. Das hat Vaughn wiederum nicht lange ausgehalten. Er konnte es wegen ... meiner Vergangenheit nicht über sich bringen, dass ich so den Rest meines Lebens verbringen soll.«
An ihrer überraschten Reaktion erkenne ich, dass es ihr jetzt richtig unter den Nägeln brennt, mich nach meiner Vergangenheit auszufragen. »Und mittlerweile nimmst du gar keine Medikamente mehr?«, ist aber das Einzige, weswegen sie nachhakt.
»Nein. Entweder ganz oder gar nicht. Entweder ich nehme gar nicht mehr am Leben teil oder ich bin ich.«
Wieder seufzt sie und ihre Augen bleiben erneut an der Haarklemme hängen. »Okay.«
»Okay?«
»Ich ... ich muss total bescheuert sein, aber ich glaube dir.« Sie macht einen Schritt auf mich zu und nimmt meine Hand in ihre. »Und ich vertraue dir, Demon.« Sie hebt ihre andere Hand und streicht mit den Fingerspitzen über meine zurückgesteckten Haare. »Versprich mir nur, dass du künftig aufrichtig mit mir bist. Und dass du mich beschützt. Auch vor dir selbst.«
Ein Lächeln erklimmt meine angespannten Gesichtsmuskeln. Ich lege meine Finger an ihre Wange und küsse sie behutsam. »Ich verspreche es. Aber ich werde dir auch beibringen, dich selbst zu beschützen, in Ordnung?«
Sie nickt und lächelt ebenfalls. »Nimmst du mich jetzt mit oder nicht?«
Das ist es. Du schenkst mir deine Seele. Und glaub mir, ich werde sie dir nicht mehr zurückgeben.
Du hast dich entschieden. Du kommst zu mir in die Dunkelheit.
Sie wird dich verändern. Ich werde dich verändern.
Vielleicht mache ich dich zu einem schlechten Menschen.
Vielleicht machst du meine Welt aber auch ein bisschen besser.