XII
»Demon?«
Noch vollkommen schlaftrunken öffne ich die Schlafzimmertür und sehe sie vollständig angekleidet auf der Armlehne der Couch sitzen.
Sie sieht mich an, als habe sie nur darauf gewartet, dass ich aufwache und merke, dass sie nicht mehr neben mir im Bett liegt.
Wie immer trifft mich ihr Anblick wie ein Schlag und mein Herz spielt ein wenig verrückt. Ich glaube, so fühlt es sich an, wenn man verliebt ist. Und ich hoffe, dass Demon dasselbe empfindet, wenn sie mich ansieht. Gesagt hat sie mir noch nichts dergleichen.
Nur daran, wie sie sich mir gegenüber verhält, wie sie mich mustert, wie sie mich anlächelt, wie sie mit mir spricht, wie sie mich berührt ... nur daran erkenne ich, dass sie mich gern hat. Mehr als gern, glaube ich.
»Hey, Engel«, begrüßt sie mich mit einem gequälten Feixen. Sie hat ihre Finger so fest in das weiche Leder gekrallt, dass ihre Knöchel weiß hervortreten.
Ich mache einen zögerlichen Schritt auf sie zu. Mein verwirrter Blick huscht zu dem kleinen Fenster hinter der Couch. Es ist noch immer stockdunkel draußen.
Irgendetwas stimmt nicht mit Demon.
»Was ist hier los?«, frage ich alarmiert und trete an sie heran.
Schweißperlen stehen auf ihrer Stirn. Sie schaut zu mir hinauf und schürzt die Lippen, sagt aber nichts. Stattdessen fährt sie sich hektisch mit den Händen über die Unterarme – und das sagt mehr aus als tausend Worte.
»Das sind die Nadelstiche auf deiner Haut, oder? Wie lange ist das schon so?«
»Seit ein paar Tagen«, gibt sie zwischen zusammengepressten Zähnen zurück.
Ihr Blick wirkt rastlos und es ist, als könnte ich die Monster in ihrem Kopf erkennen, die versuchen, sich daraus hervorzukämpfen, um die Person, die sie auserkoren haben, in Stücke zu reißen.
Behutsam lege ich eine Hand an ihre Wange und augenblicklich schmiegt sie ihren Kopf dagegen, als würde sie meine Berührung mehr als alles andere brauchen.
Sie ist ein Fan von Zuneigung, hat sie einmal gesagt. Und ich glaube, in diesem Moment ist sie es mehr denn je.
»Warum hast du mir nichts gesagt?«
Ich will sie fragen, ob ich es bin, die ihre Monster sich ausgesucht haben, aber ein weiterer Blick in ihre Augen verrät mir, dass es nicht so ist. Ihre dunkelbraunen Iriden glänzen vor lauter Zuneigung zu mir
und in diesem Moment weiß ich einfach, dass sie und ihre Monster mir kein Leid zufügen wollen.
»Ich wollte dir keine Angst machen. Du musst dich doch erst einmal an mich gewöhnen«, nuschelt sie auf meinen Mund, als ich mich zu ihr hinunterbeuge, um sie zu küssen.
Wie recht sie damit hat. Vor allen Dingen muss ich mich an den Gedanken gewöhnen, dass meine Freundin eine Serienmörderin ist. Eine Psychopathin vielleicht sogar.
»Ich vermute, das beruht noch immer auf Gegenseitigkeit, oder?«, frage ich leise. »Du musst dich an mich gewöhnen. Daran, dass du nun schon seit Wochen deinen Schrank
mit mir teilst. Daran, dass du mit mir über alles reden kannst. Daran, dass du eine Person um dich herum hast, die bereit ist, dich so zu ... lieben, wie du bist, oder?«
Sie fährt unter meinen letzten Worten zusammen. »Zu früh, Evie. Wie oft muss ich dir das noch sagen?« Sie funkelt mich zwar an, doch ich kann genau erkennen, dass ihr Mundwinkel einmalig gezuckt hat.
Grinsend richte ich mich auf. »Ich habe gesagt, dass ich bereit bin,
dich zu lieben. Damit solltest du dich zufriedengeben. Für sämtliche Liebesgeständnisse, die ich dir unterbreite, während du mich zum Höhepunkt treibst, plädiere ich auf Unzurechnungsfähigkeit. Außerdem scheint es dir zu gefallen, so oft wie du es tust.«
Sie erwidert mein Grinsen. Allerdings wirkt es nach wie vor angespannt. »Ich mag es, wie du stöhnst. Und ich mag es, dass du nach all den Wochen immer noch so schüchtern im Bett bist.«
Sofort erröte ich. »Na ja. Du bist ein gefährliches Monster, oder nicht?«
»Du hast also Angst, dass ich die Kontrolle verliere und dich anfalle, während du es mir besorgst?«
»Ein bisschen, ja.«
Sie kommt auf die Füße und streicht mir eine wildgewordene Haarsträhne hinters Ohr. »Ich habe versprochen, dich vor mir zu beschützen. Weißt du noch?«
»Ja, das weiß ich. Aber wie du gerade gesagt hast: Ich muss mich erst einmal an dich gewöhnen. Dazu gehört, dass ich herausfinden möchte, wie du tickst.« Ich schlucke schwer, weil ich Demon jetzt um etwas bitten werde, das sie mit Sicherheit nicht gutheißen wird. Ich selbst bin von dieser Schnapsidee nicht besonders begeistert, aber ich habe bereits vor einiger Zeit für mich entschieden, dass es sein muss, weil ich Demons ... Denkweise verstehen möchte. Und außerdem will ich ihr beweisen, dass ich es zwar nicht richtig finde, was sie tut, aber ... dass es möglicherweise sogar notwendig ist.
»Nimm mich mit, Demon. Ich muss dabei sein.«
»Was?
«
»Ich kann nicht hier hocken bleiben und auf dich warten. Ich will dich begleiten. Wohin auch immer es geht. Ich möchte bei dir sein.«
Sie starrt mich aus großen Augen an. »Du weißt nicht, was du da verlangst. Glaubst du etwa, du kannst mich aufhalten?«
Hastig schüttle ich den Kopf. »Nein. Ich ... Du möchtest doch, dass ich dich verstehe, oder? Dass ich dich so nehme, wie du bist. Und dass ich dir vertraue, dass ... ich mich bei dir sicher fühlen kann und nicht ... das Bedürfnis habe, mit einer Waffe unter dem Kopfkissen zu schlafen.«
Sie scheint einen Moment über meine Worte nachzudenken und dann nickt sie zögerlich. »Ja, das möchte ich.«
»Von daher darfst du mir diesen Wunsch nicht abschlagen, Demon. Ich brauche ... Transparenz, wenn du es so willst.«
Nervös fährt sie sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe, während ihr Zeigefinger nun schon seit einer Weile die Haarsträhne, die Demon ursprünglich hinter mein Ohr geschoben hat, umwickelt. »Und was ist, wenn es dich derart ... erschüttert, dass du ... mich nicht mehr in deiner Nähe erträgst?«
Sofort stoße ich ein humorloses Lachen aus. »Ich war schon einmal dabei, als du jemanden umgebracht hast, Demon. Und kurz darauf habe ich mich von dir küssen lassen.«
Absurderweise lächelt Demon, als sie sich daran zu erinnern scheint. »Oh, ja. Es fühlt sich an, als sei es ein paar Ewigkeiten her.«
»Ist es auch«, hauche ich und fahre ihr übers Haar, das sie sich zu einem kleinen Stummel von Pferdeschwanz zurückgebunden hat. Ich spüre, wie meine Wangen erröten. »Erwähnte ich schon einmal, wie süß ich es von dir finde, dass du dein Haar meinetwegen wieder wachsen lässt?«
»Ja, andauernd«, brummt sie, lässt meine Haarsträhne endlich los, aber nur, um die Stelle an meiner Wange zu streicheln, die sich besonders heiß anfühlt. »Und ich werde nicht müde zu betonen, dass ich es nur mache, damit du mich auch leiden kannst. Wenn es nach mir ginge, wären sie so kurz wie Snypers.«
»Du lügst«, entgegne ich. »Und außerdem weißt du genau, dass ich dich mit jeder Frisur leiden könnte.«
Sie schüttelt den Kopf, ihre Augen glitzern allerdings wie das Sonnenlicht auf einer bewegten Wasseroberfläche. »Da bin ich mir nicht so sicher. Und deswegen gehe ich das Risiko gar nicht erst ein.«
Ich lasse meine Hand über ihre Sweatjacke gleiten, bis ich ihren Hosenbund erreiche. Sie trägt eine enge Hüftjeans und deshalb bin mir sicher, dass ihr Springmesser wohl dieses Mal in ihren Stiefeletten steckt. »Nimmst du mich jetzt mit?«
»Ich weiß nicht, Evie. Es ist vielleicht zu früh.«
Ich seufze. »Wenn du nicht willst, dass ich dabei zusehe, ist es okay. Ich möchte nur ... für dich da sein. Davor und danach.«
»Das kannst du auch, indem du hierbleibst.« Sie lässt ihre Hände in den Taschen der Sweatjacke verschwinden. Ein Zeichen dafür, dass sie sich emotional vor mir zurückzieht.
Für einen Moment heftet sie ihre Aufmerksamkeit auf das Parkett zu unseren Füßen, aber dann sieht sie wieder auf. »Ich befürchte wirklich, dass du es nicht ertragen kannst. Und das könnte ich wiederum nicht ertragen.«
»Nein. Solange du es nicht total zelebrierst und dich hysterisch lachend im Blut deines Opfers wälzt, ist es für mich hoffentlich nicht so schwer, damit fertigzuwerden.«
Sie sieht mich an. Einen Atemzug lang. Zwei. Drei. »Ich weiß nicht, Evie.«
Entnervt rolle ich mit den Augen und raufe mir zeitgleich die Haare. »Demon. Worüber reden wir hier eigentlich? Darüber, dass du Menschen umbringst, damit ... du bei Verstand bleibst, ja? Ist das nicht schon schlimm genug? Und trotzdem habe ich uns
nicht eine einzige Sekunde infrage gestellt. Weil ... ich mit dir zusammen sein will.«
Wieder starrt sie mich mit großen Augen an. »Okay«, wispert sie schließlich. »Aber du bleibst bei Chase. Du weichst nicht eine Sekunde von seiner Seite.«
»Chase? Er kommt mit?«
Demon stößt ein geringschätziges Schnauben aus. »Ja. Chase oder Noyce. Je nachdem. Meistens Chase, damit er sich in die Überwachungskameras hacken kann. Eine Sicherheitsvorkehrung von Adler. Falls es dir nicht aufgefallen ist: Ich stehe immer
unter seiner Beobachtung.« Mit diesen Worten packt sie mich an den Schultern, dreht mich um hundertachtzig Grad und schiebt mich Richtung Schlafzimmer.
»Ähm.« Wieder erhitzen meine Wangen, bei dem Gedanken, dass Demon und ich womöglich niemals unter uns
sind. »Ich hatte da so ein Gefühl, aber ich habe mir erhofft
, dass ich es mir einbilde. Oder, dass deine Leute bloß neugierig sind.« Wir erreichen den schmalen, zweitürigen Kleiderschrank, den Demon und ich irgendwie schaffen uns zu teilen.
»Neugierig?« Demon gibt ein ironisches Lachen von sich. »Das sind sie. Sie bekommen ja auch ständig kleine Pornoeinlagen von uns geliefert.«
»Oh Gott. Ich habe es befürchtet.« Ich klatsche die Hände vors Gesicht und verharre stocksteif vor den geöffneten Schranktüren. »Wie komme ich darauf, dass deine Bude nicht
kameraüberwacht ist? Vom Regen in die Traufe, ja.«
»Nur, dass ich nicht dein verfickter Ex-Verlobter bin und dich gut behandle, oder?« Demon steht direkt hinter mir, streicht mein Haar zur Seite und küsst meinen Nacken. Es fühlt sich so gut an, dass ich leicht erschauere und sich die kleinen Härchen auf meinen Unterarmen aufstellen.
»Du bist so viel mehr für mich«, murmle ich und drehe mein Gesicht in ihre Richtung.
Sie umfasst mein Kinn und haucht mir einen Kuss auf den Mund. »Was genau du damit meinst, wirst du hoffentlich erzählen, wenn wir wieder da sind. Aber jetzt ziehst du dich bitte an.«
»Ist gut.« Mein Augenmerk gleitet zu ihrer Stirn, die zwar nicht mehr mit Schweißperlen übersät ist, aber ich kann mir vorstellen, welche Kraft es Demon kostet, ruhig zu bleiben. Zumindest denke ich, dass ich es mir vorstellen kann. In sie hineinversetzen kann ich mich wohl eher weniger. Ich frage mich, ob es irgendwann der Fall sein wird.
»Geteiltes Leid ist halbes Leid, Demon«, schneide ich noch einmal das Thema von eben an, während ich mich bücke und eine schwarze Wollstrumpfhose aus den Tiefen des Schranks fische. Zwar ist es nicht gerade kalt in New Juarez, aber mitten in der Nacht fröstele ich hin und wieder. Erst recht, wenn ich nur eine Handvoll Stunden Schlaf hatte und die allgemeine Gesamtsituation ziemlich ... gruselig ist. »Wir sind beide die Laborratten hier. Allein das unterscheidet dich schon von Barry.«
Mit einem Mal verärgert es mich, dass Demon so extrem die Freiheit beschnitten wird: Oberflächlich betrachtet kann sie sich frei bewegen und ihre eigenen Entscheidungen treffen, doch wenn man genau hinsieht, ist sie eine Gefangene. Und ich mit ihr.
»Es ist besser so, Evie.« Ironischerweise wirft sie mich aus heiterem Himmel mit meinem BH ab, der irgendwo neben dem Bett gelegen haben muss und übrigens zielsicher meinen Hintern trifft.
Demon war maßgeblich an meiner neuen Ausstattung beteiligt und hat sich stark dafür eingesetzt, dass sie keine Spitzenunterwäsche mehr zu Gesicht bekommt. Von daher besitze ich nur noch Unterwäsche, die größtenteils mit knallbunten Bildern verziert ist und nicht sehr aufreizend wirkt.
Unglaublich, aber wahr, ich bin zu meinem Kleidungsstil zu Collegezeiten zurückgekehrt: Shorts, Schnürstiefel, schlichte Tops und Holzfällerhemden, die ich mir von Demon ausleihe.
Ich glaube Demon mag es, wenn ich ihre Sachen trage. Kann ich mir aber auch einbilden. Eigentlich ist es albern und das Risiko, dass wir ungewollt peinlichen Partnerlook tragen, ist ziemlich hoch.
Wie zur Bestätigung trifft mich Demons Hemd, das sie gestern getragen hat, am Kopf.
»Hey! Wenn du deinen Unmut an mir auslassen willst, dann mach das bitte auf eine andere Weise!«, schimpfe ich und ziehe mir den weichen Stofffetzen vom Kopf. »Außerdem ist das dein Hemd.« Ich drücke meine Nase hinein, um Demons unvergleichlichen Blütenduft einzuatmen.
Sie lacht. »Ach ja? Das hat dich doch sonst nicht aufgehalten.«
Ich entledige mich meines Pyjamas und stehe nun vollkommen nackt da. Gerade versuche ich, die Erkenntnis zu verdrängen, dass mich womöglich irgendwer durch irgendeine Webcam beobachtet, als ich leise Schritte hinter mir höre und Demon von hinten meine Brüste umfasst.
Zärtlich zwickt sie mein Ohrläppchen. »Ich habe nicht überhört, was du gesagt hast. Ich soll meinen Unmut also auf andere Weise an dir auslassen?« Sie kneift mir in die Nippel und ich stoße ein überraschtes Keuchen aus.
Im nächsten Moment wirbelt Demon mich zu sich herum, legt eine Hand an meine Kehle und küsst mich besitzergreifend.
»Hast du nicht gehört? Hier sind Kameras. Und das Erste, was du machst, ist dich nackt vor ihnen zu präsentieren?«, murrt sie eine kleine Ewigkeit später auf meinen Mund.
»Wie soll ich mich denn sonst umziehen?«
Demon lässt ihre Kiefermuskeln zucken. »Sie sind auch dafür da, um dich vor mir beschützen. Das weißt du, oder? Vaughn hat Kameras nachrüsten lassen, als du hier eingezogen bist.«
Ich zucke mit den Schultern. »Und das macht Sinn? Insofern du mir tatsächlich etwas antust, kommt doch ohnehin jede Hilfe zu spät, oder? Ich bezweifle, dass uns wirklich vierundzwanzig Stunden am Tag jemand beobachtet.«
Demon mustert eingehend meine Gesichtszüge. »Schlaues Mädchen«, sagt sie schließlich. »Und außerdem kenne ich jeden toten Winkel. So pervers wie Barry ist Vaughn nämlich nicht. Im Bad haben wir durchaus ein wenig Privatsphäre.«
»Ein wenig oder komplett?«
»Ein wenig.«
»Super. Also auf dem Klo.«
»Richtig.«
Ich schnaube und schüttle den Kopf. »Das klingt mir etwas zu sehr nach gewollt und nicht gekonnt.«
»Nein. Es ist nur eine stumme Drohung an mich, dass ich keinen Mist bauen soll. Du solltest wissen, dass Vaughn um jeden Preis vermeiden möchte, dass dir etwas zustößt; besser gesagt, dass ich dir etwas Schlimmes antue. Nicht, weil du die Tochter des Gouverneurs bist, sondern weil er dich jetzt als Familienmitglied ansieht. Und die Familie wird um jeden Preis beschützt. Koste es, was es wolle.«
»Okay. Das ... überfordert mich jetzt irgendwie.« Wie zur Bestätigung werden meine Wangen kochend heiß.
Demon schnaubt erheitert. »Keine Sorge. Früher oder später wird er die zusätzlichen Kameras wieder entfernen lassen. Vielleicht sogar alle.«
»Und was muss passieren, damit er alle Kameras entfernen lässt?« Ich löse mich von ihr, bücke mich und ziehe eines der Staufächer unter dem Bett auf, um mir einen Slip herauszunehmen.
»Er muss sich sicher sein, dass du auf mich aufpasst und mich im Griff hast.«