XV
Ich stehe mitten auf der Straße und schaue dem in der Sonne glänzenden SUV hinterher.
»Evie, was ist los?«, höre ich auf einmal Blairs Stimme neben mir.
Ertappt fahre ich zusammen und wische mir mit einem verschämten Lachen eine einzelne Träne aus dem Gesicht. »Ach ... es ist nichts.«
In den vergangenen Tagen hat Blair immer wieder meine Nähe gesucht. Gar nicht so leicht, vor allem, da Demon und ich quasi jede freie Minute aufeinanderhocken. Die einzigen Möglichkeiten, die sich ihr bieten, sind die Zeiträume, in denen Adler die Schatten zu sich holt, um künftige Aufträge zu besprechen, oder wenn Demon eben einen Job erledigt.
»Du brauchst keine Angst um Demon zu haben, weißt du? Eher im Gegenteil. Du solltest dich um diejenigen sorgen, die ihr in die Quere kommen.«
»Ich weiß.« Ich schenke Blair ein unverbindliches Lächeln und setze mich in Bewegung, um von ihr wegzukommen. Zur Zeit habe ich echt keinen Nerv auf Smalltalk.
»Was ist es dann?«
Verdammt, sie sitzt mir im Nacken. »Ich bin nur ein bisschen übermüdet. Das ist alles«, erkläre ich, ohne mich zu ihr umzudrehen.
»Bleib stehen.« Das war ein Befehl und keine Bitte. Blairs Hand legt sich auf meine Schulter und ich erstarre abrupt zu Eis. Wir befinden uns direkt im Eingang. Zwischen Tür und Angel, sozusagen.
Sie umrundet mich mit langsamen Schritten und stellt sich schließlich mit verschränkten Armen vor mich.
Im Vergleich zu mir hat Blair sich regelrecht herausgeputzt. Sie trägt hautenge Jeans und ein rückenfreies Top aus irgendeinem feinen Stoff. Ich, dagegen, bin in oversized Jogging Pants von Demon geschlüpft, die sogar mir fast über den Arsch rutschen wollen und in einen gemütlichen Hoodie. Blair hat sich die schwarzen Haare zu einem strengen Pferdeschwanz zurückgebunden, während ich mein ungekämmtes Haar zu einem zerzausten Knoten zusammengebastelt habe.
»Demon will nicht, dass wir uns näher kennenlernen«, stellt Blair nüchtern fest. »Und deswegen versuchst du mir krampfhaft aus dem Weg zu gehen. Das akzeptiere ich aber nicht. Weißt du auch warum?«
Erschöpft fahre ich mir mit der Hand durchs Gesicht. »Blair, bei aller Liebe, ich bin echt im Arsch.«
»Weil sie dir nicht vorschreiben kann, wen du magst und wen nicht.«
»Kann sie auch nicht.« Ich versuche, mich an Blair vorbeizudrängen, doch sie lässt mich nicht.
»Aber sie tut es.«
Gereizt funkele ich sie an. »Blair, bitte.«
Endlich schaffe ich es an ihr vorbei und steuere mit schnellen Schritten die Staff Only- Tür an, die mich zu Demons Bude führt.
»Du brauchst eine Freundin, weißt du?«, ruft sie mir hinterher. »Damit meine ich nicht Demon, sondern eine Freundin-Freundin, mit der du über unsere kleine Gangsterfamilie lästern kannst. Und über deine Kriegerprinzessin, sofern du dich traust.« Sie seufzt frustriert. »Ich brauche eine Freundin. Weil ich das Gefühl habe, ich werde noch bekloppt, wenn ich mich nur noch über Waffen, Drogen oder Tee- und Kuchensorten unterhalten muss.«
Irritiert bleibe ich vor einem der Tresen stehen und schaue stirnrunzelnd zu Blair, die mich sofort einholt und sich an einem der Hocker abstützt. »Tee- und Kuchensorten?«, hake ich vorsichtshalber noch einmal nach, falls ich sie missverstanden habe.
»Ich sehe, mit Chase lässt sie dich auch nicht reden.«
Ich kichere und schüttle gleichzeitig den Kopf. »Nein, ehrlich gesagt, haben wir uns heute Nacht das erste Mal richtig unterhalten.«
»Lässt Demon dich überhaupt mit irgendwem sprechen?«
»Natürlich! Mit ... äh ... Snyper.«
»Ja. Weil er in der Woche so viele Worte in den Mund nimmt wie ich in der Minute. Und weil sie sich bei ihm sicher ist, dass er nicht auf dich steht.«
Ich blinzle verblüfft. »Okayyy.«
»Na ja. Chase hat einmal die Dummheit begangen, in Demons Nähe zu sagen, dass du ja eine ganz Süße bist. Und seitdem fehlt nur eine falsche Bewegung von ihm und Demon rammt ihm ihr Messer in den Hals.«
Erneut lache ich. »Ach, Quatsch. Demon ist zwar eifersüchtig, aber ich bezweifle, dass sie derart überreagiert.«
»Er hat schon einmal eine ihrer Freundinnen gevögelt. Ich schätze, er würde es wieder tun. Und das vermutet Demon wohl auch. Bei dem Mädchen war es ihr damals egal, aber Chase hat eben ein Talent dafür, mit seinem Schwanz zu denken und deswegen hat Demon den Verdacht, dass er es bei dir ebenfalls versuchen wird.«
»Ähm. Ja. Danke für die Info, Blair.« Genau wie Demon es immer tut, stecke ich jetzt die Hände in die Hosentaschen und erhoffe mir, dass Blair dieses nonverbale Zeichen versteht und mich endlich in Ruhe lässt.
»Muss Demon sich Sorgen machen, Evie? Chase ist nicht gerade der Computernerd, den man von der Bettkante stoßen würde, richtig? Zumal er viel mehr nach Surferboy aussieht.«
»Was? Nein! Gott, irgendwie seid ihr doch alle ein bisschen abgedreht.« Kopfschüttelnd wende ich mich von ihr ab, aber Blair hält mich auf, indem sie meinen Unterarm umfasst.
»Tut mir leid, Evie. Wie gesagt, ich werde noch bekloppt hier.«
Mit einem tiefen Seufzen bleibe ich stehen und fixiere ihren Blick. »Mir tut es auch leid, Blair. Dass Demon dir keine Chance gibt, meine ich. Aber es fühlt sich nicht richtig an, wenn ich ...«
»Warum hast du eben geweint?«
Wieder zucke ich ertappt zusammen. »Wie gesagt, ich bin übermüdet und ...«
»Na und? Du wirst trotzdem einen Grund dazu haben.«
Ich seufze. »Es ist nur ... wie du weißt, zieht der Adlertrupp gerade los, um ... meinem Ex einen Denkzettel zu verpassen, und ... wie es aussieht, auch meinem Vater.«
»Ja, okay. Vaughn hat es wirklich so lange vor sich hergeschoben, bis er keinen Ausweg mehr gesehen hat, Evie. Er würde dir das nicht antun, wenn er es nicht als notwendig betrachten würde.«
»Das will ich damit auch nicht sagen. Ich kann mir vorstellen, dass dein Mann seine Gründe hat. Aber es geht nun einmal um meinen Vater.«
»Ja, das verstehe ich. Mein Vater hat auch viele Entscheidungen getroffen, die ich nicht gutheißen kann. Wir bemühen uns beide, das aus der Welt zu schaffen, aber unser Verhältnis ist angespannt. Die beste Bezeichnung für unsere Situation wäre, dass wir nicht miteinander und auch nicht ohne einander können. Und außerdem tun sich Vaughn und er noch immer schwer, einen Draht zueinander zu finden. Ich habe mir das alles ein bisschen einfacher vorgestellt. Und Demons Verachtung mir gegenüber ist ebenfalls keine Hilfe. Vaughn würde es niemals zugeben, doch dass Demon sich langsam aber sicher von ihm abwendet, tut ihm weh. Sie ist wie eine kleine Schwester für ihn und er hat geschworen, sie zu beschützen.«
»Das tut mir leid, Blair. Du willst also über mich an Demon herankommen?«
Sie blinzelt verblüfft. So, wie es aussieht, hat sie nicht damit gerechnet, dass ich das Offensichtliche ohne zu zögern ausspreche. »Ähm. Ja, schon. Aber ich glaube, du siehst das ein bisschen zu schwarzweiß.«
»Dann kläre mich doch auf.« Wieder schenke ich ihr mein unverbindliches Lächeln. »Das ist nämlich der eigentliche Grund, weshalb ich dich – entschuldige bitte meine Wortwahl – mit Vorsicht genieße. Du suchst genauso wenig eine Freundin wie ich. In der Tiefe unserer Herzen sind wir Einzelgängerinnen. Wir kommen beide gut allein zurecht. Das heißt, natürlich brauchst du Vaughn an deiner Seite und ich brauche Demon. Aber das reicht uns vollkommen. Wir mögen keinen Kaffeeklatsch und wir haben es auch nicht nötig, über unsere besseren Hälften zu lästern. Du willst dich lediglich mit Demon gut stellen. Deinem Mann zuliebe.«
»Touché«, sagt sie und lacht.
»Ich kann dich verstehen, Blair. An deiner Stelle würde ich mich auch an jeden Strohhalm klammern, um Demon entgegenzukommen. Aber ich denke ganz ehrlich, dass sie viel zu verbohrt ist, um auf meine Beschwichtigungsversuche einzugehen. Im Gegenteil. Ich glaube sogar, dass sie sich in die Ecke gedrängt fühlen könnte, wenn ich es versuche. Und wir wissen beide, wie Demon auf so etwas reagiert.«
»Ja. Ich glaube, du hast recht. Aus der Perspektive habe ich es noch gar nicht betrachtet. Danke.«
Irritiert lache ich auf. »Wofür denn?«
»Für deine aufrichtigen Worte. Ehrlich gesagt traut sich kaum wer, so mit mir zu reden. Und du warst übrigens die Letzte, von der ich es erwartet habe.«
»Tja.« Ich zucke mit den Schultern. »Ich werde oft unterschätzt.«
»Na ja. In Demons Gegenwart machst du eher einen unterwürfigen Eindruck.«
»Kann schon sein. Wir sind schließlich immer noch dabei, uns aneinander zu gewöhnen, und Demon ist ... ich glaube, sie muss das Gefühl vermittelt bekommen, alles unter Kontrolle zu haben. Also auch mich.«
Wieder lacht Blair. »Und das bei Demon. Obwohl sie selbst so schwer zu kontrollieren ist.«
Erneut zucke ich mit den Schultern. »Ich möchte nicht sagen, dass sie mir misstraut, aber ... ich weiß nicht, vielleicht sind es Verlustängste, die sie antreiben oder so.«
»Ja. Sie wird Angst haben, dass du noch immer nicht erkannt hast, wer sie wirklich ist, wozu sie fähig ist und dass du damit eines Tages nicht mehr zurechtkommst. Vaughn denkt ähnlich. Und er hat ja einen ziemlich ausgeprägten Drang, alles zu kontrollieren. Dementsprechend passt es ihm nicht, dass Demon ihm ... entgleitet.«
»Ja, so ungefähr hat Chase es mir auch schon weitergetragen. Dein Mann erhofft sich, dass ich Demon ... in den Griff bekomme.«
»Na ja. Erhoffen wäre die falsche Bezeichnung. Vaughn hat es natürlich am liebsten, wenn er alle Fäden in der Hand behält. Aber so ist es ihm noch immer lieber, als die Entscheidung treffen zu müssen, Demon wieder einweisen zu lassen, weil sie eine Gefahr für sich und ihre Mitmenschen darstellt.«
»Du meinst, für dich.« Ich schmunzle sie ironisch an.
Sie rollt mit den Augen. »Er vergisst immer wieder, dass ich mich im Notfall sehr gut selbst verteidigen kann. Auch gegen Demon. Vorausgesetzt, sie kämpft fair.«
Ich schnalze mit der Zunge und wiege meinen Kopf hin und her. »Also, ganz ehrlich: Ich fürchte, das ist nicht ihr Stil.«
»Ja. Mich nervt es einfach nur. Vaughn will mich schlicht in Sicherheit wissen. Er stellt sich vor, dass uns bald das große Familienglück mit mindestens zwanzig Kindern heimsucht. Ich habe mich aber schon vor Jahren gegen das Kinderkriegen entschieden, indem ich mich sterilisieren lassen habe. Nicht, weil ich keine Kinder mag, sondern weil ich keine Kinder in diese Welt setzen will. Nicht so.«
Ich nicke. »Genauso sehe ich es auch.«
Sie strahlt mich an. »Sieh an, unsere erste Gemeinsamkeit.«
Ich verdrehe die Augen, muss dann aber auch lachen. »Und er sieht sich dazu beauftragt, die Welt ein wenig zu verbessern, damit du doch einwilligst?«
»Japp. Er hat da irgendwelche konservativen Vorstellungen, von wegen Familie vereinen, den Fortgang der Gene sichern und so weiter. Aber dass wir vielleicht als Erstes unsere Haupteinnahmequellen aufgeben müssten, daran denkt er nicht.«
Wieder lache ich. »Ja. Als Drogenbaron und Waffenhändlerin seid ihr ganz große Vorbilder für jedes Kind. Stimmt schon.«
»Und das ist es nämlich. Wir handeln mit Drogen und Waffen, um Bestand in dieser Welt zu haben. Wenn wir es nicht täten, würden das andere übernehmen. Wir gehören zu den wenigen Kartellen, die ihre Angestellten gut behandeln, gut bezahlen und versuchen, mit unserem Wohlstand und Einfluss die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Klar. Doppelmoralisch hoch zehn, aber wir haben lediglich die Geschäfte unserer Väter übernommen.«
»Ich verstehe, was du sagen willst. Wenn es für euch eine Möglichkeit gäbe, den Einfluss zu wahren, den ihr habt und das Gute zu bewahren, das ihr bewirkt, würdet ihr das mit den Drogen und Waffen nicht mehr machen und ihr würdet keine Menschen mehr bedrohen und umbringen. Aber es gibt keine andere Möglichkeit. Nicht in dieser Welt. Richtig?«
»Richtig.«
»Man müsste die Menschen zur Vernunft bringen. Kann man aber nicht. Es wird immer jemanden geben, der über Leichen geht, um seine Ziele zu erreichen. Das ist wie bei meinem Ex. Ich wünsche mir einfach, dass es eine Möglichkeit gibt, ihn zur Vernunft zu bringen, ohne dass man ihn gleich umbringen muss. Einen Weg, der die Welt besser macht, ohne ein Leben beenden zu müssen. Das Erschreckende ist, dass ich genau weiß, dass selbst mein Vater keine Sekunde zögern würde, mich aus dem Weg zu räumen, um seine Ziele zu erreichen. Aber deswegen muss ich es ihm ja nicht gleichtun.«
»Süß, dein Gerechtigkeitssinn, Darling.«
Ich erstarre. Das ist Barrys Stimme. Direkt hinter mir.
Blair und ich haben beide der Eingangstür zum El Paso den Rücken zugekehrt.
Das war unser erster Fehler.
Die Tür, die noch immer weit offensteht, sodass jeder, der es für notwendig hält, einfach hineinspazieren kann.
Das war unser zweiter Fehler. Wir haben die Tür nicht verschlossen.
Tagsüber gibt es hier keine Security. Tagsüber gibt es hier keine Angestellten.
Nur die Familie.
Und diejenigen, die uns vor dem, was nun kommen mag, beschützen könnten, sind nicht da, weil sie losgezogen sind, um demjenigen einen Denkzettel zu verpassen, der jetzt mit einer Truppe von sechs stiernackigen Typen im Club steht.
Fast synchron wirbeln Blair und ich herum und starren den überheblich grinsenden Barry an, der mit vor der Brust verschränkten Armen breitbeinig im Club steht, als würde ihm der Laden gehören. Er trägt einen schneeweißen Zweiteiler mit schwarzem Hemd und weißer Krawatte. Sein Haar hat er zurückgegelt und ich wette, er stellt sich vor, dass genau so jemand aussehen muss, der eine Multimillionen Dollar-schwere Waffenhändlerin und Kartellführerin von ihrem Thron stößt, um diesen selbst zu besteigen.
»Wer ist dieser Clown?«, murmelt Blair in meine Richtung.
»Mein Ex«, brumme ich zurück.
»Shit.«
»Japp.«
»Du hast nicht zufällig ein Handy in der Tasche?«
»Nein. Du offenbar auch nicht.«
»Liegt oben.«
»Ja, genau, Darling. Überraschung! Damit hast du nicht gerechnet, dass der große Vaughn Adler einen bestechlichen Angestellten hat, richtig? Einer von denjenigen, denen alles zu Ohren kommt und die so gerne oben mitspielen würden, aber mit einem mickrigen Barkeeper-Gehalt abgespeist werden.«
Seine wässrigblauen Augen schweifen hinüber zu Blair: »Das ist nämlich euer Fehler, Liebes. Ihr denkt, eure Angestellten schenken euch ihre Loyalität, ohne dass man erst darum bitten muss, weil ihr hinter den Kokainplantagen und den Bergen an Geld trotz allem noch gute Menschen seid. Tja. Stimmt aber nicht. Euer treuergebener Barkeeper war ab einem bestimmten Betrag genauso käuflich wie jedes normale Arschloch in diesem Rattennest. Der eine ist es früher, der andere später.«
»Raul«, stellt Blair mit monotoner Stimme fest.
»Richtig!«, jubelt Barry und klatscht anerkennend in die Hände.
Die Situation ist so grotesk, dass ich dem Drang echt widerstehen muss, mir verschämt an die Stirn zu fassen und mich bei Blair für Barrys peinliches Verhalten zu entschuldigen.
Allerdings bin ich davon überzeugt, dass wir die absolute Arschkarte gezogen haben und deshalb greife ich jetzt nach Blairs Hand und ziehe sie zu mir, während Barry einmal mit den Fingern schnippt und mit dem Daumen zur Eingangstür zeigt. »Verriegeln.«
Mit einem leisen Grunzen löst sich einer der Schlägertypen aus seiner Erstarrung und tut wie ihm geheißen.
»Sooo. Ich sehe, du hurst dich einmal quer durch das RA-Kartell, Darling? Die große Blonde ist nicht mehr angesagt? Na ja, wenn ich die Möglichkeit bekäme, mir mit Vaughn Adler die Frau zu teilen, würde ich auch nicht nein sagen.«
»Halt die Klappe, Barry«, spucke ich ihm entgegen.
Fuchsig verzieht er die Augen zu Schlitzen, macht drei schnelle Schritte auf mich zu und streckt den Zeigefinger in meine Richtung, sodass er mir fast damit ins Auge sticht.
»Dafür  ... für diese Respektlosigkeit gibt es eine extra Bestrafung, Darling . Wir sind noch immer verlobt. Erst heute Morgen habe ich mir den Segen deines Vaters eingeholt, dich an den Haaren nach Hause zu schleifen und dich so lange und konsequent für deine Taten zu bestrafen, bis du wieder zu Verstand gekommen bist.«
Seine Worte treffen mich härter als sie sollten. Und zwar, weil sie mir auf bitterste Weise bestätigen, was Adler und auch Demon versucht haben, mir beizubringen: Ich bin meinem Vater egal. Ihm geht es nur um Prestige und Macht.
Erbittert schürze ich die Lippen und schlage Barrys Hand weg. »Nur über meine Leiche.«
»Das kannst du haben, Darling.« Er schlägt zurück. Und zwar so hart, dass mein Kopf zur Seite schleudert und ich beinahe von den Füßen fliege. Er tut es nicht zum ersten Mal und erneut muss ich feststellen, dass dieser drahtige Mann, der nicht einmal die 1 Meter 80 schafft, unglaublich viel Kraft besitzt.
Aber vielleicht ist es auch schlicht seine Bosheit und Arroganz, die ihm die Kraft geben, eine Frau wie mich fast von den Füßen zu schlagen.
»Du dreckiger ...«
Nochmal trifft mich etwas hart im Gesicht. Diesmal war es seine Faust und ich stolpere mehrere Schritte rückwärts, während ich mir die Hände vor den Mund halte, weil mir schon jetzt das Blut schwallartig aus der Nase läuft und auf den Betonboden tropft.
»Na, wie gefällt dir das, Darling?«, höre ich Barrys gackernde Stimme.
»Das wirst du bereuen, Barry«, knurre ich und wische mir mit dem Handrücken über den Mund, während ich mit gesenktem Kopf zu ihm aufsehe.
»Tse! Ich glaube nicht.« Barry hat die Faust bereits zum nächsten Schlag erhoben und macht einen weiteren Schritt auf mich zu, als Blair ihn auf einmal mit einem spitzen Kampfschrei von der Seite anfällt und ihm ihrerseits die Faust ins Gesicht prügelt.
Augenblicklich kommt Bewegung in Barrys Schlägertrupp: Die Männer holen zu Barry auf und pflücken die wild um sich schlagende und tretende Blair von ihm herunter, als wäre sie leicht wie eine Feder, die nicht wie ein wildgewordener Berserker um sich drescht.
»Nein!«, schreit sie und beißt einem von ihnen in die Hand, »fasst mich nicht an!«
»Blair!« Von links kommt ein weiterer Schläger auf mich zu und versucht mich zu greifen, doch ich entwische ihm und eile stattdessen zu Blair.
Natürlich ist es zwecklos: Zwei Frauen, von denen nur eine gelernt hat, sich körperlich zu verteidigen, gegen sechs Schläger, von denen jeder einzelne Blairs und mein Gewicht zusammengezählt auf die Waage bringt und zu mindestens neunzig Prozent aus Muskelmasse besteht, die er auch einzusetzen weiß. Na ja und Barry würde zwar in einem fairen Zweikampf nicht gegen Blair bestehen, aber mich kann er ohne Probleme in Schach halten.
»Lasst sie los, ihr verfickten Arschlöcher!« Ich schaffe es bis zu einem der Schläger, die sie mehr schlecht als recht beim Wickel kriegen, und springe ihn von hinten an, die Arme um dessen Hals geschlungen, in dem Versuch ihn zu würgen, damit er von Blair ablässt und sie sich um den zweiten Typen kümmern kann, der sie zu packen bekommen hat.
Doch stattdessen werde ich von zwei starken Händen an den Flanken gepackt und von dem Mann heruntergezogen, der mich ohnehin fast abschütteln konnte, ohne Blair loszulassen.
»Ihr verdammten Wichser!«
Eine dritte Hand packt mich an der Kehle und drückt mir die Luft ab. Es dauert nur wenige Sekunden, da überfällt mich die Panik, weil meiner Lunge die Sauerstoffzufuhr fehlt, und meine abwehrenden Schläge werden unkontrolliert, sodass ich ohne Probleme einige Meter zurückgeschleift werde.
»Nein! Evie, du musst dich wehren! Beiß ihm in die Finger!« Inzwischen ist ein Dritter bei Blair dazugekommen und verpasst ihr einen Fausthieb gegen die Schläfe, der sie zwar nicht außer Gefecht setzt, aber aus dem Konzept zu bringen scheint, sodass sie für zwei Sekunden aufhört sich zu wehren. Zwei Sekunden, in denen der dritte Stiernacken ihr ein Tuch auf Mund und Nase presst.
Entgeistert reißt Blair die Augen auf und gibt einige empörte Laute von sich, doch es dauert nur einen Atemzug, dann fällt sie schlaff in sich zusammen und einer der Schläger wirft sie sich wie einen nassen Sack über die Schulter.
Er verschwindet mit ihr hinter der Staff Only -Tür, die zu den Quartieren der Schatten führt – aber eben auch zum Kühlraum.
»Nein! Wo bringt ihr sie hin?«, keuche ich, während jemand mir von hinten die Hände mit Kabelbinder zusammenschnürt.
Barry tritt vor mich, wackelt mit den Augenbrauen und reibt sich die Stelle am Kinn, die Blair offenbar getroffen hat. »Die kleine Wildkatze darf sich erst einmal ein bisschen abkühlen ...« Er grinst. »Aber du, Darling, du bekommst jetzt deinen ersten Denkzettel von mir.« Er macht einen Schritt auf mich zu. »Erkennst du das?« Er hält mir einen schwarzen Messerknauf vor die Nase und lässt die Klinge hervorspringen, sodass ich angespannt zurückzucke.
»Das ... das gehört Demon!«
Ein grauenvoller Film spielt sich vor meinem geistigen Auge ab, wie der schwarze SUV von einem Truck angefahren wird und sich mehrmals überschlägt; woraufhin Barry lachend aus dem Truck steigt, sich zu Demon hinunterbeugt, die aus dem Wagen geschleudert wurde, und ihr dieses Messer aus den leblosen Händen reißt.
»Was, zur Hölle, hast du ...«
»Keine Sorge, Darling. Deine kleine Kampflesbe sitzt wohlbehalten in ihrem Flieger nach Austin und denkt sich nichts Böses. Es dürfte keine ganze Stunde mehr dauern, dann erreicht das fehlgeleitete Todesschwadron Governor’s Mansion, nur um festzustellen, dass die gesamte Familie Stowe inklusive ihrer Angestellten ausgeflogen ist. Spätestens da sollte ihnen klarwerden, dass etwas nicht stimmt.«
Das Messer nähert sich unaufhaltsam meinem Gesicht und ich versuche, immer weiter zurückzuweichen, doch der Schläger in meinem Rücken verhindert, dass ich mich bewege, und mein Hinterkopf drückt sich fest in seinen Brustkorb.
Und dann berührt die Klinge meine rechte Wange kurz unterhalb meines Auges.
»Nein. Dieses Messer hat deine liebe Demon im Gehirn unseres Informanten hinterlassen. Das war wohl als Botschaft an seine Leute, aber auch an mich und deinen Vater gemeint, dass wir uns nicht mit dem RA-Kartell anlegen sollen. Tut mir leid, Darling. Da ist mir leider der Kragen geplatzt.«
Ein eiskalter Schauer jagt meinen Rücken hinunter. »Du und Vater ... ihr seid am Menschenhandel beteiligt?!«
Die Klinge drückt sich fester in mein Fleisch und hinterlässt ein scharfes Brennen, während Barry das Messer mit einem genüsslichen Brummen meine Wange hinuntergleiten lässt. Bis zu meinem Kinn.
»Das wird dir noch leidtun«, zische ich.
Genau dieses Brummen hat er immer von sich gegeben, wenn er in mich eingedrungen ist ... und als das warme Blut aus der Wunde quillt und über meine Wange rinnt, wird mir schlagartig klar, dass Barry gerade die heftigste Erektion seines Lebens hat, weil er langsam und genüsslich mein Gesicht entstellen darf.
Mir wird übel und ich schlucke hart. »Warum tust du mir das an, Barry?«, hauche ich. »Sei doch froh, dass du mich los bist.«
»Ach, Darling. Dafür gibt es viele Gründe. Zum einen tue ich das, weil du mein Eigentum bist. Und das bist du so lange, bis jemand einen vernünftigen Preis für dich zahlt. Und zum anderen tue ich es, weil es mir gefällt, kleinen Lesben Benehmen beizubringen.« Er setzt die Klinge erneut unterhalb meines Auges an, diesmal etwas näher an meiner Nase und zieht sie bis zu meiner Oberlippe.
Noch mehr warmes Blut läuft über mein Gesicht und ich zische leise. Dabei starre ich ihm unverwandt in die Augen. »Ich hasse dich, Barry.«
»Hmm. Allein der Gedanke, dass deine kleine Kampflesbe ab sofort an mich erinnert wird, sobald sie deine narbige Visage sieht, ist absolut köstlich. Allerdings ...« Er hält inne, das blutige Messer erhoben und zieht eine nachdenkliche Miene. »Allerdings weiß ich gar nicht so genau, ob ich überhaupt zulassen werde, dass ihr euch jemals wiederseht. Ich bin mir nicht so sicher, ob ich dich schlicht wegsperren oder doch an den höchstbietenden Perversen verschachern soll.«
Es ist grotesk, aber aus irgendeinem Grund spüre ich die Schnitte kaum. Sie brennen, ja, doch es ist, als würde mein Schmerzzentrum dieses Brennen gar nicht richtig verarbeiten. Nein. Das, was mich beherrscht, ist meine unbändige Wut, die sich mit jedem Schlag meines Herzens mehr entfacht. Mein Herz klopft so laut, dass es beinahe Barrys Worte übertönt und mit jedem Pochen scheint es mir zuzuschreien, dass ich Barry umbringen muss. Ja. Pure Mordlust kocht in meinen Adern, die immer schwieriger zu bändigen ist.
Es ist gar nicht der Wunsch, der mich beherrscht, dass Demon mich hier rechtzeitig findet und Barry fertigmacht, sondern ich selbst will ihm einfach nur noch das Messer entreißen und es ihm in den Schädel rammen.
»Egal, wofür du dich entscheidest, Barry. Ich werde dich töten.« Ich schenke ihm ein breites Lächeln und bin mir dessen bewusst, dass meine Zähne schon allein wegen meines Nasenblutens, das noch immer nicht ganz versiegt ist, blutverschmiert sind. »Vielleicht nicht heute. Vielleicht nicht morgen. Aber du wirst büßen. Dafür sorge ich.«
»Ach ja?« Er lacht gehässig. »Ich frage mich, wie du das anstellen willst.« Er zieht die Klinge ein drittes Mal über meine Wange und kommt mir so nah, dass ich seinen Gin-geschwängerten Atem riechen kann. »Und was, wenn du den heutigen Tag nicht überleben wirst?«