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Kapitel 3

Tod durch Mülltornado

Währenddessen, in der weit, weit entfernten Galaxie 43 b, näherte sich die Große Dreckschleuder immer mehr dem schrecklichen Mülltornado. Gigantische Kräfte zerrten an dem kleinen Raumschiff und schüttelten es, während die Besatzung in seinem Innern verzweifelt versuchte, das Unglück abzuwenden.

»Es nützt nichts!«, rief Lexie und zog mit aller Kraft an der Überschallbremse. »Wir prallen gleich gegen …«

 

KABAMM!

 

Die Große Dreckschleuder stieß gegen ein riesiges gelbes Gummistück. Es war die hintere Stoßstange eines Mega-Nova-Frachters. Besser gesagt, es war einmal die hintere Stoßstange gewesen, bevor der Frachter das Teil verloren hatte. Jetzt war es nur noch ein riesiges Stück Gummi.

 

BOOIIINGGG!

 

Die Große Dreckschleuder prallte wie eine superbeschleunigte Flipperkugel von dem riesigen Gummistück ab, sauste an dem grässlichen Mülltornado vorbei und trieb weit abseits des schrecklichen Wirbels durchs tintenschwarze All.

Die Besatzungsmitglieder konnten ihr Glück kaum fassen. Es war still auf der Brücke, als alle begriffen, dass sie noch lebten.

»Puh!«, sagte Lexie und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Eine herrliche Ruhe erfüllte sie, jene tiefe Erleichterung, die man empfindet, wenn man dem sicher geglaubten Tod entronnen ist. Leider war dieses angenehme Gefühl nur von kurzer Dauer.

Ein abscheulicher Anblick

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»HE! LASS LOS!«

Gizmo hatte Krawall an der Kehle gepackt..

»Wir hätten sterben können! Und es war alles deine Schuld!«, rief Gizmo und schüttelte Krawall so heftig, dass ihm die Zähne klapperten.

 

»N-n-nein, w-w-war es n-n-nicht«, stotterte Krawall und gab Gizmo einen solchen Stoß, dass er auf den Sessel des Käpt’ns in der Mitte der Kommandobrücke fiel.

Glücklicherweise war der Sessel leer.

Unglücklicherweise war er schon seit Monaten leer, seit der frühere Käpt’n der Großen Dreckschleuder das Schiff verlassen hatte. Der allgegenwärtige Müllgestank war zu viel für ihn gewesen. Er hatte das große Kotzen gekriegt und sich fast zu Tode gereihert.

»Du hast meinem ZURÜCK-Befehl widersprochen!«, rief Gizmo.

»Du kannst keine Befehle geben! Du bist nicht der Käpt’n!« Krawall bot Gizmo die Stirn, was ihm allerdings nicht ganz leicht fiel, da er kleiner und ehrlich gesagt auch ein ganzes Stück dicker war als Gizmo (der zu den großen, dünnen und, äh, großkotzigen Typen gehörte, die auf einen herabsahen).

Die am Flugpult sitzende Lexie steckte sich die Finger in die Ohren und summte eine Melodie, um das Gezeter zu übertönen. Sie hatte dies alles schon zu oft gehört und genug davon.

»Da wir keinen Käpt’n haben und ich der Leitende Maschinenraumoffizier bin, führe ich das Kommando«, sagte Gizmo.

Krawall ballte die Fäuste und starrte zu Gizmo hoch. »Ha! Du bist nur ein Mechaniker!«

»Ach ja? Und du bist ein Müllmann!«

»Ich bin Erster Mülloffizier, herzlichen Dank!« Krawall packte Gizmo und zerrte ihn zu Boden.

 

KNALL, KLOPP, HAU, KNALL.

 

Eine höfliche Beschreibung würde lauten: Sie rangen um das Kommando übers Schiff. Aber eigentlich war es eine abscheuliche Szene. Zum einen wegen ihres Verhaltens und zum anderen weil überall Abfälle auf dem Boden lagen. Als sie miteinander rauften, klebten Pizzareste an ihren Uniformen, sie bekamen Bonbonpapier ins Haar, und Ketchup verschmierte ihre Gesichter.

Lexie schloss die Augen und summte lauter. Sie fragte sich, wie viel davon sie noch ertragen konnte.

»Ihr habt eine Weltraum-Mail!«

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Zum Glück wurden Krawall und Gizmo vom Computer unterbrochen.

»Ich störe nur ungern, während ihr so viel Spaß habt«, sagte er. »Zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsch! Ihr seid doch nicht alle gestorben!

 

 

Was für eine Überraschung! Ich bin sicher gewesen, dass euch der Mülltornado in Stücke reißen würde.

Jedenfalls, was den zweiten und wichtigeren Punkt betrifft: Ihr habt eine Weltraum-Mail!«

 

(Es erscheint unwahrscheinlich, nicht wahr, dass der Empfang einer Weltraum-Mail genügt, einen hemmungslosen, beinharten und vollkommen rücksichtslosen Ringkampf um Leben und Tod zu beenden, doch genau so war es.)

 

Die Besatzung der Großen Dreckschleuder empfing fast nie Weltraum-Mails. Sie hatte viele versendet. Das heißt, eigentlich nur eine, aber die viele Male.

 

(Wobei »viele Male« mehrmals am Tag bedeutet, über viele Wochen hinweg. Sie hatten für die Mail »automatisches Senden« eingestellt.)

 

Die betreffende Weltraum-Mail lautete:

Von: Raumschiff Große Dreckschleuder

An: Irgendjemand im ganzen bekannten Universum und jenseits davon

Betreff: Käpt’n gesucht

Wir sind auf einer fünf Jahre langen Müll-Mission in der Galaxie 43 b unterwegs und suchen einen neuen Käpt’n, der unsere aufgeweckte Gruppe durchs All führt.

Pflichten: Das Kommando übers Schiff führen

Bezahlung: Wahrscheinlich

Fähigkeiten: Keine erforderlich. Aber schlecht riechen können und kein allzu empfindlicher Magen wären hilfreich.

Bitte antworten Sie per Weltraum-Mail mit Angabe von:

Name:

Interplanetare Postadresse:

Lieblingspizza:

Aber tragischerweise – oder besser: beunruhigenderweise  – wussten alle im ganzen bekannten Universum, was es mit der Großen Dreckschleuder auf sich hatte. Und wie es in ihr roch.

Deshalb war nie auch nur eine einzige Antwort eingetroffen.

Bis jetzt.

Verwirrung auf der Kommandobrücke

Erstaunt drängten sich Gizmo, Krawall und Lexie vor dem Monitor.

Von: (leer)

An: Raumschiff Große Dreckschleuder

Betreff: Käpt’n gesucht

Nachricht:

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»Von wem ist die Weltraum-Mail?«, fragte Lexie.

»Das steht dort nicht geschrieben«, antwortete Gizmo.

»Äh, was steht dort geschrieben?«, fragte Krawall und blickte auf die seltsamen Zeichen.

»Computer, bitte übersetzen«, sagte Lexie.

Der Computer machte sich surrend an die Arbeit, und etwa eine Minute lang blinkten seine Lichter. Dann piepte er selbstgefällig. »Was für eine wunderschöne Herausforderung!«, sagte er. »Mir gefallen Rätsel. Ich habe alle Sprachen des bekannten Universums überprüft, und keine von ihnen passt. Woraus folgt: Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie die Nachricht lautet.«

»Eine tolle Hilfe bist du!«, sagte Krawall spöttisch. Sie alle sahen wieder auf den Monitor, als könnten sie die Nachricht verstehen, wenn sie nur lange und konzentriert genug darauf starrten.

Von wegen.

Schließlich meldete sich der Computer erneut. »Heute ist euer Glückstag!«, verkündete er. »Ihr habt eine zweite Weltraum-Mail!«

Eine zweite Nachricht landete im Posteingang:

Von: (wieder leer)

An: Raumschiff Große Dreckschleuder

Betreff: Käpt’n gesucht

Nachricht:

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»Moment mal«, sagte Krawall. »Das ist die gleiche Nachricht wie eben.«

Ein piepsendes Signal kündigte eine dritte Nachricht an.

 

Von: (ja, noch immer leer)

An: Raumschiff Große Dreckschleuder

Betreff: Käpt’n gesucht

Nachricht:

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»Die Nachrichten kommen von jemandem, der Käpt’n werden möchte!«, rief Lexie.

»Scheint sehr interessiert zu sein«, sagte Gizmo. »Vielleicht ein bisschen zu interessiert.«

»Was soll das heißen?«, fragte Lexie.

»Na ja, seien wir doch mal ehrlich. Wer sollte schon Käpt’n der Großen Dreckschleuder werden wollen?« Gizmo sah sich auf der schmutzigen Kommandobrücke um.

»Du zum Beispiel«, sagte Krawall.

Lexie kicherte.

»Du etwa nicht?«, erwiderte Gizmo.

»Ich will nur Käpt’n werden, damit du nicht Käpt’n wirst! Jedenfalls, ich meine, wir sollten uns den Absender der Nachrichten ansehen.«

»Ich meine, wir sollten ihn anheuern«, sagte Lexie. »Und zwar SOFORT! Bevor er es sich anders überlegt. Computer! Lokalisiere den Absender und hole ihn an Bord.«

»Im Ernst? Hältst du das für eine gute Idee?«, fragte der Computer. »Ihr wisst doch gar nichts über den Absender. Es besteht die große Gefahr, dass er:

  • a) ein hochgradig schädlicher Alien ist, der das gesamte Metall des Schiffes schmelzen lässt, oder
  • b) ein schrecklich giftiger Alien, der alle Besatzungsmitglieder an Bord vergiftet, oder
  • c) einer dieser wirklich aggressiven Aliens, die alle an Bord töten und das Schiff übernehmen wollen.«

»Äh … dann sollten wir ihn besser nicht an Bord holen«, sagte Gizmo.

»Damit du Käpt’n werden kannst, wie?«, spottete Krawall.

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»Ganz und gar nicht«, sagte Gizmo. »Ich denke nur ans Wohl des Schiffes und seiner Besatzung.«

»Ha!«, schnaubte Lexie.

»Aber ich möchte darauf hinweisen: Wenn ich der Käpt’n wäre, würde ich mich dagegen aussprechen, den Absender der Nachrichten an Bord zu holen.«

»Aber du kannst dich nicht ddagegen aussprechen, weil du nichht der Käpt’n bist«, schnauzte Lexie.

Es zeigt, wie sehr Lexie und Krawall einen Käpt’n wollten – einen anderen Käpt’n als Gizmo –,, als sie beide gleichzeitig riefen:

»Computer, hol den Absender hierher, sofort.«

 

»Seid ihr sicher?«, fragte der Computer.

»Nein«, sagte Gizmo.

»Ja!«, sagte Lexie mit fester Stimme, während Krawall versuchte, Gizmo den Mund zuzuhalten.

»Hundertpro sicher?«

»JA!«, heulten Lexie und Krawall.

»Mmmm«, brummte Gizmo wütend hinter Krawalls Hand.

»Okay, wollte nur jeden Zweifel ausschließen.«

Ein vertrautes jaulendes Geräusch erklang.

 

(Zumindest war es für die Besatzung der Großen Dreckschleuder vertraut. Für euch sicher nicht, denn wahrscheinlich habt ihr noch nie gesehen, wie jemand über Zillionen von Lichtjahren hinweg an Bord eines Raumschiffs gebeamt wird. Ihr führt ein sehr langweiliges Leben auf der Erde, nicht wahr?)

 

Die Luft über dem Sessel des Käpt’ns flirrte und etwas erschien. Als das jaulende Geräusch noch schriller wurde, wie bei einem Zahnarztbohrer, zeigten sich erste Umrisse. Plötzlich hörte das Jaulen auf, und etwas – eine Gestalt – fiel auf den Boden der Kommandobrücke.

 

RUMS!

 

»Autsch!«, sagte die Gestalt.

»Ups, leicht daneben«, sagte der Computer.

Man muss ihm zugutehalten, dass er seit Monaten niemanden mehr gebeamt hatte, und es kann recht schwer sein, jemanden über Zillionen Lichtjahre zu transportieren und ihn haargenau in einem Sessel landen zu lassen.

Jedenfalls, die Besatzung beobachtete die Gestalt interessiert. Sie lag benommen auf dem Boden, stöhnte und versuchte nicht, auf die Beine zu kommen. Besonders vielversprechend war das kaum.

»Die Person ist nicht sehr groß.«

»Ist das Haar oder eine Art Helm?«

»Welche Art von Wesen hat solches Haar?«

»Und seht euch die komische Farbe der Augen an.«

»Und Flecken, überall im Gesicht.«

»Und was ist das für eine Uniform?«

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Ich weiß, man könnte die Besatzung für schrecklich unhöflich halten. Aber sie stammt vom Planeten Zeryx Minor und hat nie zuvor einen Jungen von der Erde gesehen, ganz zu schweigen einen mit rotem Haar, grünen Augen, Sommersprossen und in Schuluniform.