14
Cal
E s regnete nie in Las Vegas.
Okay, es gab den einen oder anderen Tag, an dem es regnete.
Aber jetzt braute sich etwas zusammen. Ich fühlte es.
Heute Morgen wanderte Nebel über das Land, als würde er Unheil verkünden. Jepp, ich war kein abergläubischer Sack, nur seit ich diese ruhige Nummer mit Scarlett abgezogen hatte, war irgendwie alles anders.
Ich weigerte mich vehement, darüber nachzudenken, dass wir miteinander geschlafen hatten.
Ich fickte.
Ich fickte hart.
Aber ich machte keine Liebe.
Nun, seit heute wohl doch. Scarlett war die Ausnahme.
Um die Wahrheit zu sagen, hatte ich es sogar genossen. Wie ich sie von den Haarspitzen bis zu den Zehen spüren konnte, wie sie sich um mich zusammenzog, das war viel intensiver und heftiger, als würde ich sie einfach nur bumsen. Scarlett war so anders, sie löste in mir Gefühle aus, die mich verrückt machten.
Seufzend ließ ich meinen Blick über den Horizont wandern, beobachtete Regentropfen, die stetig auf die Frontscheibe des Wagens knallten. Ich war auf dem Weg in den Club, wollte meine anstehenden Arbeiten bis zum Nachmittag erledigen, damit ich diese verdammt scharfe Anwältin heute Abend zum Japaner ausführen und anschließend beschissenes Sushi von ihrem nackten Körper essen konnte.
»Der Regen ist ungewöhnlich«, sagte Bo und lenkte den Range Rover über die nasse Fahrbahn.
»Du weißt doch«, versuchte ich es salopp, »manche Dinge passieren unvorhergesehen.«
»Wohl wahr«, erwiderte er wortkarg.
»Alles okay?«
»Alles bestens.«
»Du klingst nicht so«, stellte ich fest und schaute auf mein Handy. Das Display war schwarz, obwohl ich Scarlett heute schon zwei Nachrichten geschickt hatte.
»Weiber!«, brummte Bo leise.
Verwirrt suchte ich seinen Blick im Rückspiegel. Ich wusste nicht mal, dass Bo eine Frau datete. »Wenn du reden willst, sag es!«
»Wirst du weich?«, fragte er jetzt, taxierte mich durch den Rückspiegel und grinste von einem Ohr zum anderen.
»Lutsch dir deinen Schwanz!«, schnauzte ich ihn in altgewohnter Manier an. »Kümmere dich um deine eigene Scheiße!«
»Würde ich ja gern.«
»Aber?«
»Sie lässt mich nicht.«
»Haben wir jetzt doch ’nen Girlstalk?« Ich schüttelte lachend den Kopf. »Dann fahr bitte rechts ran und lass uns im nächsten Drugstore Beautymasken und Nagellack kaufen, Prinzessin Bonifazius, die Erste.«
»Du bist so ein Wichser! Habe ich dich so verarscht, als du besessen von Scarlett warst?«
»Bin.«
»Bin?«
»Besessen bin.« Ich blickte wieder auf mein Handy. Nach wie vor nichts. »Und das ist der feine Unterschied. Ich bin dein Chef. Wenn mir nicht gefällt, was du tust, bringe ich dich halt um.«
»Normalerweise entlässt man jemanden.«
»Ach!« Ich winkte gespielt lässig ab. »Ich mag die kurzen und direkten Dienstwege lieber.«
Bo lachte laut auf und ich grinste ebenso. Wenigstens lenkte mich sein Scheiß von meinem Scheiß ab.
»Melina wollte heute einen Termin.«
»Und du hast ihn ihr gegeben«, stellte ich nüchtern fest.
»Sie will doch nur aus dem Vertrag, Boss.«
»Du weißt, dass ich sie nicht rauslassen kann.«
»Nein, weiß ich nicht.«
Was war nur mit Bo los? Wieso war ihm das so wichtig, dass er immer wieder davon anfing?
»Und ich will es auch nicht wissen.« Er schnaufte, scheinbar hatte er meinen bösen Blick bemerkt. »Ich meine ja nur, dass du für sie vielleicht eine andere Position hast.«
»Fickst du sie?«, fragte ich ihn direkt. Er wusste, dass ich es nicht duldete, wenn meine Angestellten was miteinander hatten.
»Nein, Boss!«
Ich beäugte ihn skeptisch. »Sicher?«
»Absolut!«
»Wenn du mich verarschst, werde ich dich nicht erschießen.«
»Nein?« Bo setzte den Blinker, um in die Tiefgarage des Clubs zu fahren. »Damit habe ich fest gerechnet.«
»Ich werde dich foltern. Streckbank, Eiswasser und so. Schön langsam. Ich werde dir die Zunge herausschneiden und deinen Schwanz zwischen zwei Steinen zerquetschen.«
Bo schluckte, lächelte mich aber weiterhin an.
»Das wird wehtun!« Meine Stimme klang kalt, ich meinte es ernst. Es gab nicht viele Regeln in meinen Clubs, aber eine davon war, dass untereinander nicht gefickt wurde.
»Alles andere hätte mich auch sehr enttäuscht, Boss!« Bo nickte und ich tat es ihm gleich. Er wusste Bescheid. Er wusste, dass ich ihm nicht zu hundert Prozent glaubte, aber ihm gerade eine letzte Chance gab, die Sache, was auch immer da mit wem lief, zu beenden, bevor ich es tun würde.
Wieder sah ich auf mein Handy. Nichts!
Vielleicht sollte ich sie anrufen. Vielleicht war ihr etwas passiert?
»Bo, kannst du jemanden bei Scarlett in der Kanzlei vorbeischicken? Aber diskret!«
Er runzelte die Stirn, stellte aber keine Fragen.
»Ich will nur wissen, ob alles in Ordnung ist.«
Jetzt lachte er, während wir den Club betraten.
»Nicht, dass ich es infrage stelle, aber es hat dich erwischt, was?«
»Fick dich!«, schnauzte ich. »Und erledige deinen Job!«
»Aye, Boss!«, sagte er weiterhin lachend und verschwand in dem Raum, wo das Sicherheitssystem des Clubs untergebracht war. Ich trat an die Bar und besorgte mir einen Kaffee. Es spielte leise Musik, einige Tänzerinnen, die wir erst vor Kurzem eingestellt hatten, trugen Sportklamotten und übten ihre Choreografien an den Stangen. Es war in Stripclubs nicht so, dass es den ganzen Tag nach Alkohol, Geld und Sex stank. Ganz im Gegenteil. Tagsüber wirkte es hier fast seriös.
Na ja, fast.
»Hallo, Boss!«, riefen mir die Mädels zu und klimperten mit den unechten Wimpern. Geschminkt waren sie schon, wir würden in einer Stunde öffnen.
Ich nickte in ihre Richtung, sah den Barkeepern zu, die ihr Equipment für den Abend vorbereiteten, und wenig später zwei von Bos Jungs, die aus dem Club stürmten.
Wieder klickte ich auf mein Handy. Immer noch nichts. Verdammt!
Da gab ich mir heute Morgen solche Mühe und dann hielt sie es nicht für nötig, mir eine kurze Antwort zu schreiben? Genau das war der Grund, warum ich mich normalerweise von dieser Beziehungsscheiße fernhielt.
»Melina ist da«, sagte Bo plötzlich und griff sich eine Red-Bull-Dose aus dem Kühlschrank. Keine Sekunde später hörte ich ihre Stimme.
»Cal, ich muss mit dir sprechen!« Sie warf einen bedeutungsvollen Blick auf Bo. Lief da doch etwas?
»Was gibt’s?«, fragte ich, setzte mich auf einen der Barhocker und trank von meinem Kaffee.
»Können wir in dein Büro gehen?«
»Nein, können wir nicht!« Ich hatte keine Lust, mich jetzt zu bewegen. Außerdem wollte ich unbedingt mitbekommen, wenn die beiden Jungs zurückkamen.
»Dann eben hier.«
»Komm zum Punkt, Melina!«
»Ich kündige.«
»Du wiederholst dich«, murmelte ich gelangweilt und sah sie über den Rand der Tasse an. »Wie wäre es mal mit etwas anderem? Zum Beispiel: Danke, dass du mir einen gut bezahlten Job gibst, eine Krankenversicherung, ein Zuhause für mich und meinen Sohn«, zählte ich auf. Von allem anderen musste sie nichts wissen.
»Du bist so ein krankes Arschloch!«, erklärte sie und stemmte die Hände in die Hüften. »Und ein Bastard. Wieso kannst du mich nicht einfach gehen lassen?«
Ganz in Ruhe stellte ich die Tasse auf den Unterteller, beugte mich in ihre Richtung und schenkte ihr ein fieses Grinsen. Beinahe machte mir diese kranke Scheiße hier Spaß. Melina hielt meinem Blick stand, ihre Feuerpfeile abschießenden Augen bohrten sich in meine.
»Ich war bei einem Anwalt!«, erklärte sie voller Selbstbewusstsein.
»Genauer gesagt, war sie bei mir!«, donnerte es von der Tür aus, die jetzt eigentlich für alle anderen Menschen noch geschlossen sein sollte. »Wann wolltest du kleiner Lügner mir das sagen?«
Mein Blick huschte von Melina zu Scarlett und wieder zurück. Wie in Schockstarre gefroren mir die Eingeweide. Mein Herz setzte ein paar Schläge aus, bevor es zu rasen begann.
»Das ist nicht, wie du denkst!«
Scarlett warf einen Stapel Papiere vor mir auf den Tresen. Bo scheuchte die Tänzerinnen in die Garderobe und zog Melina schützend zur Seite.
Scarlett war wütend.
Sehr wütend!
Ich hatte sie schon sauer erlebt, aber so wütend noch nie.
»Oh doch, du Arschloch«, zischte sie und fegte meine Kaffeetasse vom Tresen, die polternd auf den Boden krachte. Der Inhalt spritzte umher. Es war ihr egal. »Du wusstest, wer Melina ist. Und du wusstest, wer ich bin.«
»Es ist nicht so, wie du denkst, Scarlett. Also doch, am Anfang schon, aber jetzt nicht mehr!«
»Wir haben uns nicht zufällig kennengelernt.« Sie stieß einen verächtlichen Laut aus. »Du hast das alles geplant! Du hast gewusst, dass Melina meine Halbschwester ist und mich sucht.«
»Du hast das gewusst?«, keifte jetzt Melina. Bo hielt sie fest, dass ihre Füße wie wild in der Luft herumzappelten.
»Okay«, begann ich, schluckte schwer und versuchte, die aufkeimende Panik zu unterdrücken. Jetzt kam also die komplette Wahrheit ans Licht und würde alles kaputtmachen. Scheiße! »Ich wusste, dass Melina dich sucht. Ich habe nicht umsonst ein Auge auf sie. Außerdem war ihr Detektiv nicht sonderlich diskret.«
»Du bist so ein Wichser!«, brüllte Scarlett. »Wie kann man so ein besessenes Arschloch sein?«
Ich sprach unbeirrt weiter. Jetzt oder nie! »Und ja, ich wollte wissen, mit wem oder was wir es zu tun haben.« Bo bedeutete seinen Männern, die oben an der Treppe standen, sich zu verpissen. Das war auch besser. Anderenfalls müsste ich sie alle töten. Der Ausdruck in Scarletts Augen veränderte sich. Zu Beginn loderte das Feuer, züngelnde Flammen, die knisterten und immer höher schlugen ... bis eine Welle der Enttäuschung über ihr hereinbrach. »Aber all das, was zwischen uns passierte, ist nicht deshalb passiert!« Rechtfertigungen, wieder etwas vollkommen Neues für mich. »Wieso weißt du überhaupt davon?«
»Spielt das eine Rolle?«, schrie sie, hob die Hand und schmierte mir eine. »Du bist so ein beschissener Mistkerl! Ich habe dir vertraut, Cal. Ich habe dir Dinge anvertraut. Ich dumme Kuh hielt das, was mit mir, mit uns passierte, für einen Zufall, für eine Chance, die ich nicht ignorieren darf. Und jetzt erfahre ich, dass meine Schwester für dein Scheißunternehmen arbeitet und sie es ist, die du nicht aus dem Vertrag lassen willst. Du wusstest das und hast es nicht für nötig gehalten, als ich dir heute Morgen alles erzählte, zu erwähnen – mit nur einem beschissenen Nebensatz –, dass wir von derselben Person reden?« Sie scheuerte mir noch eine und ich war zu perplex, um zu reagieren. Die Sekunden verstrichen, dann stand ich ruckartig auf, überragte sie trotz ihrer verdammt hohen Schuhe.
»Wie kann man so ein selbstsüchtiges, arrogantes Arschloch sein?«, schrie sie mir entgegen und zitterte. Ich wollte sie in den Arm nehmen, aber natürlich würde ich das nicht tun. Wieder hob sie ihre Hand, die Finger zu Fäusten geballt, doch diesmal fing ich sie an ihrem Handgelenk ab und hielt sie fest.
Wir sahen uns an, als wären wir Feinde.
»Scarlett«, begann ich erneut und versuchte, die Scarlett von heute Morgen, als wir diesen verdammten Blümchensex gehabt hatten, zu erreichen. »Bitte, lass uns zu Hause reden!«
»Einen Scheiß werden wir! Es gibt kein Zuhause!«, spie sie abfällig und entriss mir mit einem heftigen Ruck ihr Handgelenk. »Ich bin fertig mit dir, Cal Denton. Ich bin so was von fertig mit dir!« Bitterer Schmerz spiegelte sich in ihrem Gesicht wider. »Und du kümmerst dich allein um deinen Scheiß!«, zischte sie an ihre Schwester gewandt. Bo hielt Melina immer noch fest, obwohl sie nicht mehr strampelte wie eine Furie. »Sucht euch jemand anderen, den ihr verarschen und benutzen könnt. Wisst ihr was? Ihr alle hier«, sie deutete nun auf jeden Einzelnen von uns, »verdient einander!«
»Scarlett«, startete ich einen weiteren jämmerlichen Versuch, ihr irgendwie alles zu erklären.
Sie drehte sich ruckartig um, hob den Zeigefinger und sprach eine deutliche Warnung aus. »Halte dich von mir fern, solange ich noch in Vegas bin! Halte dich gottverdammt von mir fern, sonst verklage ich dich!« Dunkel kamen die Worte aus ihrem Mund, Tränen schossen ihr in die Augen, aber gerade als ich einen Schritt auf sie zutrat und Scarlett davon abhalten wollte, zu gehen, als ich sie wieder anbetteln wollte, wenn nötig sogar auf Knien, dass sie bei mir bleiben sollte, wich sie zurück.
»Fass mich nicht an!«
In ihrem Blick lag Abscheu, eine einzelne Träne fand den Weg aus ihrem Augenwinkel und rollte über ihre Wange. »Herzlichen Glückwunsch, Cal Denton! Du hast es geschafft, eine Anwältin so meisterhaft zu täuschen, dass sie dir deinen Scheiß geglaubt hat. Alles, wirklich alles. Sogar heute Morgen diese beschissene Lüge mit der Liebe. Ich habe es geglaubt!« Ihre Stimme klang spöttisch und sie warf die Hände gen Himmel, als könnte sie es selbst nicht fassen. »Aber ich wusste ja,«, fuhr sie mit bitterer Stimme fort, »dass man in Vegas nur spielt, nicht wahr?«
Mit diesen Worten, die Tonlage leer und traurig, drehte sie sich um und lief die Treppen, die sie vor nicht einmal fünf Minuten hinuntergekommen war, wieder nach oben.
Wie ein Idiot stand ich neben der Bar, meine Schuhe inmitten der Porzellanscherben. Nicht nur die Kaffeetasse war zerbrochen. Ich sah Scarlett hinterher und fühlte, wie sie mein Herz mitnahm.
Meine Seele.
Wenn sich so die Liebe anfühlte, dann wollte ich sterben.
Jetzt.
Wenn ich ohne die Frau, die ich liebte, sein musste, dann wollte ich lieber tot sein.
Ein Teil von mir war es bereits.