16
Cal
» B ring mir noch eine Flasche!«, wies ich Bo lallend an.
»Wie wäre es mit bitte?«, fragte er sarkastisch, ging aber zur Bar im Wohnzimmer und kam mit einer vollen Flasche Macallan zurück.
»Ich bezahle dich für den Scheiß, also fick dich!« Ich lag mit Sonnenbrille auf dem Sofa in meiner Suite. Scarlett war weg, und das brachte mich um.
Nein, eigentlich brachte mich meine gottverdammte eigene Dummheit um. Warum hatte ich dämlicher Wichser ihr nicht einfach die Scheißwahrheit erzählt? Und wieso war ich Feigling ihr nicht hinterhergerannt, als sie aus dem Club gestürmt ist?
Ich hätte es ihr erklären sollen. Alles! Und Melina ebenfalls. Warum sollte mein Leben den Bach runtergehen wegen dieses Versprechens, das ich einst ihrer Mutter gegeben hatte? Melina hatte geschworen, mit der Messerklinge am Hals, dass sie sich das alles selbst zusammengereimt hatte. Im Grunde war es mir egal, denn es änderte nichts an der Tatsache, dass Scarlett jetzt dachte, ich hätte sie in allem belogen, was ich je zu ihr gesagt hatte. Scarlett war weg. Und Melina ebenfalls. Ich hatte sie aus dem Club geworfen und ihr gesagt, dass ich sie gottverdammt nie wiedersehen wollte. Versprechen hin oder her. Bo hatte mich daran erinnert, aber er wusste doch letztlich genauso wenig wie Melina. Sie alle hatten keine Ahnung!
Ich nahm einen Schluck aus der neu geöffneten Flasche Whiskey. Wenn ich betrunken und verkatert genug war, würde es mir vielleicht so schlecht gehen, dass der Schmerz und die Erinnerung an Scarlett irgendwann aufhörten. Sie war ja nicht nur körperlich weg, sondern aus meinem Leben verschwunden. Ich war so ein Idiot. Sie hatte mir damit gedroht, sollte ich sie noch einmal belügen, wäre sie weg. Und ich hatte sie belogen. Deshalb war sie weg. Wegen mir! Es war ganz allein meine Schuld. Noch nie hatte eine Frau mit mir Schluss gemacht. Na gut, ich hatte bisher auch noch nie in Erwägung gezogen, ernsthaft mit jemanden zusammen zu sein.
Fuck! Ich wollte sie.
Mehr als je zuvor.
Melina hatte ich seit einer Woche nicht mehr gesehen. Scarlett war seit fünf Tagen fort. Ihr Chef Mr. Simon hatte skeptisch reagiert, als ich ihn nach ihr fragte. Natürlich! Er und die anderen in der Kanzlei gingen davon aus, dass wir ein frischverliebtes Paar waren. Scheiße!
Zumindest konnte ich in Erfahrung bringen, dass Scarlett wiederkommen würde, weil sie lediglich ein paar Tage Urlaub genommen hatte. Ich musste mich wirklich zusammenreißen, Mr. Simon nicht direkt meine Knarre an den Kopf zu halten. Aber ich nahm mich zusammen, schließlich konnte ich ihr nicht auch noch die Karriere versauen.
Ich zündete mir eine Zigarette an, obwohl das Rauchen in den Räumen und eigentlich im kompletten Gebäude verboten war. Aber hey, das hier war mein verficktes Hotel! Ich machte die Regeln, also konnten mich alle, einschließlich Bo, der mir Blicke zuwarf, als würde er mich gern kastrieren, am Arsch lecken.
»Wie lange willst du das eigentlich noch durchziehen?«
»Was meinst du?«, fragte ich gelangweilt und trank einen Schluck.
»Im Selbstmitleid und Alkohol zu ersaufen.«
»Das geht dich einen Scheiß an, Bonifazius!« Ich lachte leise. Ich wusste, dass er es hasste, wenn ich ihn so nannte. Vielleicht sollte ich ihn entlassen, er nervte mich gewaltig.
»Das, was du mit Melina gemacht hast, war nicht fair!«
»Abgesehen davon, dass dich auch das einen Scheiß angeht, war das doch genau das, was sie wollte.« Ich zuckte die Schultern. »Sie wollte aus dem Vertrag raus.«
»Du hast sie aus ihrer Wohnung geworfen.«
»Was?«, fragte ich unschuldig. »Die Wohnung und die Nanny gehören zum Vertrag. Außerdem hat sie dafür gesorgt, dass mich Scarlett verlassen hat. Auge um Auge und so.«
»Das hat sie doch nicht mit Absicht getan.«
»Wer bist du, ihr Daddy?«
»Sie und ihr Sohn wohnen jetzt bei mir, weil sie keine Bleibe hatten.«
Was? Okay, das wusste ich nicht, aber ich war die letzten Tage auch nicht sonderlich aufmerksam gewesen.
»Interessiert mich nicht.« Hätte Melina die Füße stillgehalten, wäre Scarlett noch hier, vermutlich gerade unter mir. Andererseits hätte ich Scarlett ohne Melina niemals getroffen.
»Fuck, Cal!«, rief Bo, stellte sich direkt vor die Couch und schaute auf mich herab. Wow! »Du hast eine Frau und ihren Sohn auf die Straße gesetzt, weil du wütend warst. Ich meine ... geht’s noch?«
»Melina hat mir alles genommen, was mir wichtig war.« Ich überlegte, aufzustehen, um mit Bo wenigstens auf Augenhöhe zu sein, aber letztlich war auch das egal. Sollte er auf mich herabblicken.
»Kannst du Melina nicht mal anhören, warum sie das getan hat?«
»Nope!«, murmelte ich und ließ das P in Nope so richtig ploppen. »Ist. Mir. Egal.«
»Du bist echt ein Wichser.«
»Nicht mehr als du. Und jetzt solltest du aufpassen, dass ich dich nicht auch noch entlasse und dich aus deiner Wohnung schmeiße.«
Er hatte es gar nicht gehört. Bos Zeigefinger steckte in seinem Ohr, er lauschte. Scheinbar hatten seine Jungs irgendetwas auszutauschen.
»Sie ist da«, brummte er.
»Wer?« Ruckartig setzte ich mich gerade hin, zog mir die Sonnenbrille von der Nase und blinzelte ins viel zu grelle Sonnenlicht. »Scarlett?«
»Melina«, sagte er und beobachtete ganz genau meine Reaktion.
Gelangweilt lehnte ich mich zurück. »Dann sorge dafür, dass sie meinen Besitz verlässt, sonst werde ich sie wohl erschießen müssen.«
»Du hörst dir jetzt an, was sie zu sagen hat!«
Hatte Bo mir gerade gedroht? Ich suchte meine Waffe. Sie musste unter meinem Jackett sein, das keine Ahnung wie viele Tage hier schon lag. Wo war dieses verdammte Schießeisen, wenn man es brauchte? »Vielleicht muss ich dich auch erschießen.«
»Probiere es nicht mal!«, sagte er, kreuzte die Arme vor der Brust und warf einen Blick zur Tür. »Komm rein, Melina. Er ist zu betrunken, um dich umzubringen.«
»Vielleicht werde ich aber ihn töten!«, zwitscherte sie fröhlich, ging zu Bo, gab ihm einen Kuss auf die Wange und sagte: »Danke.«
Da lief doch was!
»Gern«, erklärte er und lächelte. Wow! Dieser muskelbepackte Mann schaffte es sogar, dass ich weich wurde. Mühsam hielt ich mich davon ab, ironisch zu applaudieren und ihm den Rat zu geben, lieber die Finger von den Frauen zu lassen. Auch wenn Melina nicht länger meine Angestellte war und die beiden letztlich tun konnten, was sie wollten, würde er sich die Finger verbrennen, davon war ich überzeugt.
»Hau ab, Melina! Ich will nicht hören, was du mir zu sagen hast«, schnauzte ich sie an und hoffte wirklich, dass sie so schlau war und sich verpissen würde.
»Das ist echt doof, denn ich werde es dir sagen, ob du willst oder nicht.«
»Vielleicht ist der alte Mann dort oben«, ich deutete Richtung Himmel, »gnädig und lässt mich vorher sterben.«
»Vielleicht bring ich dich aber auch eigenhändig um.«
»Hau ab!«, donnerte ich und warf die Flasche mit dem Whiskey durch den Raum. »Du bist schuld, dass Scarlett weg ist, also hau einfach ab, bevor ich dich töte!«
»Du bringst mich nicht um.«
»Würde ich aber gern«, flüsterte ich und fuhr mir mit beiden Händen über das Gesicht.
»Du hast viel zu viel Schiss, das Scarlett dich noch mehr hasst, weil du ihrer Schwester was getan hast.«
»Woher habt ihr beide eigentlich diesen Mut? Ich sollte euch als eine Art Mahnmal aufhängen lassen.«
»Hör ihr zu, Cal!«, sagte Bo eindringlich und ich knurrte müde irgendeinen Fluch. Ich wollte sie nicht anhören, ich wollte meine beschissene Ruhe, vielleicht sogar sterben. Wie viel Macallan ich wohl trinken musste, bis ich hinüber war? Oder Tabletten? Tabletten halfen doch gegen Schmerzen, also musste ich einfach ein paar Ibuprofen schlucken und alles war gut, oder?
Nein, natürlich nicht. Ich war verzweifelt, ich sehnte mich nach Erlösung, und irgendwie war der Tod am naheliegendsten. Aber ich würde mich nicht umbringen, nur weil eine Frau meinte, sie könnte mit mir Schluss machen. Pah!
»Denkt ihr, ich sollte Scarlett anrufen und ihr sagen, dass ich ihr Schlussmachen nicht akzeptiere und ich stattdessen mit ihr Schluss mache?«
»Was?«, fragten beide gleichzeitig. »Halluziniert er?«, fügte Melina hinzu, doch Bo schüttelte den Kopf. »Er ist nur einfach sternhagelvoll, die kleine Dramaqueen.«
Mit einem heftigen Ruck hob ich meine Hand und feuerte das Glas mit dem teuren Whiskey quer über den Tisch.
»Was wird das jetzt?«, fragte Bo gelangweilt. »Feng-Shui für liebeskranke Idioten?«
»Leck mich!«, sagte ich und suchte nach der Flasche, bis mir einfiel, dass ich sie vorhin gegen die Wand geknallt hatte. Ach, Scheiße! »Du hast fünf Minuten«, lallte ich an Melina gewandt und fügte theatralisch hinzu: »Sprich oder stirb!«
»Vorab möchte ich mich entschuldigen, Cal«, erklärte Melina nun und ich schnaubte verächtlich.
Langsam lehnte ich mich zurück. »Sagst du das jetzt, weil du deinen beschissenen Job wiederhaben willst?«
Sie lachte glockenhell und dieser fröhliche, unbekümmerte Klang erinnerte mich an Scarlett. Mein Herz zog sich zusammen. Wie sollte ich das nur überstehen?
»Auf keinen Fall.« Sie setzte sich neben mich. Bo blieb in ihrer Nähe, als würde ich ihr etwas tun.
»Ich meine es ehrlich, Cal, es tut mir leid. Es stand mir nicht zu, Scarlett von meinen Vermutungen zu erzählen. Dass ich so ins Schwarze getroffen habe, konnte ich natürlich nicht ahnen. Wieso wolltest du eigentlich nicht, dass ich sie finde?«
»Ich hatte nichts dagegen, dass du sie findest. Aber ich habe was dagegen, wenn ihr Aufmerksamkeit erregt.«
»Und wieso?«
»Nimm das einfach mal so hin!«
Bo nickte. »Ausnahmsweise muss ich ihm recht geben.«
»Du bist auf seiner Seite?«, fragte Melina überrascht. »Das ist nicht dein Ernst!«
»In diesem Fall, glaube mir, ist es besser.«
Sie starrte erst Bo an, dann mich. »Gut, ich belasse es momentan dabei, aber ich will das wissen. Ich werde keine Ruhe geben, bis ich ...«
»Ein anderes Mal, Melina!«, erklärte ich müde und fuhr mir mit beiden Händen über das Gesicht. »Bist du dann fertig?«
»Nein!« Sie setzte sich aufrecht hin und strahlte plötzlich. Ihre weißen Zähne blitzten mir nur so entgegen. Ihr Lächeln war beinahe ansteckend. Beinahe!
»Ich weiß, wie du Scarlett zurückbekommen kannst.«