Kapitel 7

 

Als Leonard McCoy zum zweiten Mal erwachte, war er allein in einem kleinen, schlichten Zimmer mit metallgrauen Wänden und einer schattenumhüllten Decke. Das einzige Licht stammte vom matten Glühen des Wandmonitors, und er hörte nur ein leises Summen.

Zuerst gab er sich damit zufrieden, ruhig liegenzubleiben und die Gedanken treiben zu lassen. Vor dem inneren Auge sah er niedriges Gestrüpp und Mesquitsträucher. Er glaubte, von trockenem Wind aufgewirbelten Staub zu spüren, die Hitze einer grell strahlenden Sommersonne. Diese Überlegungen riefen Erinnerungen an den Sturz wach, und daraufhin wurde er sich wieder der aktuellen Umgebung bewusst. Seine derzeitige Situation kam einer Ironie des Schicksals gleich: Der Urlaub war ein Versuch gewesen, so weit wie möglich den Tag- und Nachtschichten im Krankenhaus zu entfliehen. Wenigstens brauchte er nicht zu arbeiten, aber McCoy zweifelte daran, dass ihm seine derzeitige Perspektive der medizinischen Routine besser gefiel.

Andererseits: Bestimmt entließ man ihn bald. Immerhin hatte er durch den Unfall nur eine geringfügige Kopfverletzung erlitten; der Rest des Körpers schien soweit in Ordnung zu sein. McCoy begann mit den Zehen und arbeitete sich langsam nach oben: Er spannte die Muskeln in Beinen, Armen und der Brust, ohne irgendwelche Schmerzen zu spüren. Keine gebrochenen Knochen; weder Sehnenzerrungen noch Hautabschürfungen. Die letzte Erkenntnis schuf Unbehagen in ihm. Beim Sturz über den Zaun mochte er keine Prellungen davongetragen haben, aber am Tag zuvor hatte sich der Wallach ganz plötzlich aufgebäumt und Leonard emporgeschleudert. Als er in den Sattel zurückfiel … Der Aufprall konnte für seinen Allerwertesten nicht ohne Folgen geblieben sein, doch als er die entsprechenden Stellen betastete, entdeckte er keine blauen Flecken. Verwundert konzentrierte er sich wieder auf das Krankenzimmer, was dazu führte, dass die Verwirrung zunahm. Er entsann sich daran, dass dieser Ort nicht wie ein gewöhnliches Hospital aussah. Niemand hatte ihm gesagt, wo er sich befand; sie stellten nur Fragen, boten ihm jedoch keine Antworten.

Sie. Die Ärztin. Dann eine Krankenschwester, die ihm das Sedativ verabreichte. Und ein Mann … Das Gedächtnis zeigte McCoy eine verschwommene Uniform, ein Gesicht ohne erkennbare Einzelheiten.

Wo bin ich?, dachte er und fühlte, wie Ärger in ihm zu brodeln begann.

Er richtete sich auf und beobachtete den Monitor. Form und Funktion waren ihm in grundlegenden Zügen vertraut, aber noch nie zuvor hatte er ein so modernes Modell gesehen. Zahlreiche Indikatoren bildeten eine sonderbare Konfiguration, und die Markierungen ergaben keinen Sinn. Hat man mich vielleicht nach Dallas gebracht? Der Wunsch, über seinen Aufenthaltsort Aufschluss zu gewinnen, wurde immer stärker.

McCoy schaltete die Lampe neben dem Bett ein, doch ihr Glanz lieferte ihm keine neuen Informationen. Das Zimmer war geradezu deprimierend funktionell und antiseptisch. Er schwang die Beine über den Rand der Liege, stand auf und wartete geduldig, bis die Welle aus Übelkeit und Schwindel verebbte. Dann trat er behutsam einen Schritt vor. Gleichgewichtssinn und Muskelreflexe sind unbeeinträchtigt, fuhr es ihm zufrieden durch den Sinn.

Kurz darauf merkte er, dass er ein schwarzes T-Shirt und eine blaue Hose trug. Kleidung – so hieß die nächste Priorität. Mit wachsender Zuversicht durchsuchte er den Raum, fand jedoch keine Spur von seinen persönlichen Sachen. Auf einem kleinen Regal am Bett lagen ein Paar Schuhe mit weichen Sohlen und ein zusammengefalteter Overall, der perfekt passte. McCoy ging zur Tür.

Er kam nicht weit. Nach fünf Schritten glitt das Schott beiseite, und die große, blonde Krankenschwester aus der Behandlungsstation kam herein. »Sie sind in der falschen Richtung unterwegs«, sagte sie mit freundlicher Strenge und deutete zur Hygienezelle. »Bestimmt wollten Sie dorthin.«

McCoy errötete. »Mein Ziel war der Korridor.«

»Es ist nicht nötig, dass Sie Ihr Zimmer verlassen. Drücken Sie einfach den Rufknopf unter dem Monitor – dann komme ich zu Ihnen.«

Die Frau führte McCoy zum Bett zurück und fuhr fort: »Ich bin Schwester Chapel und habe hier ständig zu tun – Sie können mich also jederzeit erreichen. Nun, Sie sind ein großer Junge, und daher ist es sicher nicht nötig, Sie zu Bett zu bringen«, fügte sie hinzu, obgleich sie den Patienten aufs Polster drückte und ihn zudeckte, »aber wenn Sie sonst etwas möchten … Zögern Sie nicht, darum zu bitten.« Plötzlich hielt sie eine kleine Kapsel in der Hand. »Es tut mir leid, dass Sie nicht richtig schlafen können. Dies hier sollte Ihnen helfen …«

»Ich will wach sein«, erwiderte McCoy misstrauisch. »Und ich will wissen, wo ich bin und seit wann ich hier behandelt werde. Die Ärztin meinte, ich sei einige Stunden lang bewusstlos gewesen – wie viele Stunden?«

»Sind Sie nachts um drei immer so energisch?«, fragte die Krankenschwester im Plauderton.

Trotz ihres Lächelns begriff McCoy, dass sie ihm auswich. Seine Verwirrung verwandelte sich in Sorge. »Bitte zeigen Sie mir mein Krankenblatt.«

Chapel überlegte kurz. »Sie haben ein zwölfstündiges Koma hinter sich, Dr. McCoy. Dr. Dyson legt Wert darauf, Stress von Ihnen fernzuhalten. Nun, als Mediziner wissen Sie sicher, wie wichtig es ist, auszuruhen und zu schlafen. Morgen früh bekommen Sie Gelegenheit, Ihr Krankenblatt mit dem zuständigen Arzt zu diskutieren und anschließend über geeignete Behandlungsmethoden zu entscheiden.« Die Schwester lächelte erneut und reichte ihm die Kapsel.

Sie spielte ihre Rolle sehr überzeugend, aber McCoy spürte, dass es tatsächlich nur eine Rolle war. Sie verheimlichte ihm etwas. »Auch auf die Gefahr hin, als schwierig und aufsässig zu gelten – ich möchte das Krankenblatt jetzt sehen.«

Die Maske freundlicher Zuvorkommenheit haftete an Chapels Zügen fest. »Ich bin nicht befugt, es Ihnen zu geben. Was hielten Sie davon, wenn eine Ihrer Krankenschwestern einem Patienten sein Krankenblatt vorlegt?«

McCoy lachte leise. »Sie haben gewonnen. Bitte sagen Sie mir, in welchem Krankenhaus ich bin. Dann verspreche ich Ihnen, brav zu sein.«

»Nun, Sie sind in einer Klinik namens Enterprise.« Chapel zögerte kaum merklich, bevor sie diese Antwort gab. Wenn es um Ablenkungsmanöver ging, war sie sehr geschickt, doch direkte Lügen fielen ihr weitaus schwerer.

Sie hatte fast die Tür erreicht, als erneut McCoys Stimme erklang. »Ich glaube Ihnen kein Wort, Schwester Chapel.« Er musterte ihr überraschtes Gesicht und entschloss sich zu einer Herausforderung. »Warum sagen Sie mir nicht die Wahrheit?«

Die Frau seufzte schwer und drückte eine Interkom-Taste. »Dr. Dyson zur Krankenstation.«

Sie verbrachten die Wartezeit in reserviertem Schweigen und blickten verlegen durchs Zimmer. Als die Ärztin hereinkam, wirkte Chapel sichtlich erleichtert. »Ihr Patient hat einige Fragen, die offenbar nicht bis morgen früh warten können.«

»Danke«, antwortete Dyson und gähnte. Einige Strähnen des langen braunen Haars ragten aus einem hastig gebundenen Knoten, und der blaue Pulli war zerknittert. Sie bot den typischen Anblick einer Ärztin, die mitten in der Nacht einen Kranken besuchen musste. »Sie können jetzt gehen. Keine Sorge: Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn ich Sie brauche.«

Als die Schwester das Zimmer verlassen hatte, konnte sich McCoy nicht länger beherrschen. »Was ist hier los? Ich weiß nicht, wo ich bin, und ich erhalte keine Antworten auf Fragen nach meinem Zustand.« Unter dem Zorn prickelte Furcht.

»Na schön, Sie sollen Antworten bekommen.« Dyson machte nicht den Fehler, in einem beruhigenden Tonfall zu sprechen. »Aber Sie müssen mir die Entscheidung überlassen, in welcher Reihenfolge ich sie Ihnen gebe.« Sie wartete, bis McCoy widerstrebend nickte.

»Durch den Sturz erlitten Sie eine lineare Fraktur in der okzipitalen Schädelregion. Die daraus resultierende Gehirnerschütterung führte zu einem zwölfstündigen Koma. Die bisherigen Beobachtungen lassen den Schluss zu, dass die organischen Schäden nicht sehr umfangreich sind.« Dyson bedachte den Mann mit einem missmutigen Blick. »Ihre Sprechfähigkeiten haben gewiss nicht gelitten. Trotzdem ist der Unfall nicht ohne Folgen geblieben.«

Sie legte eine kurze Pause ein und suchte nach den richtigen Worten: »Denken Sie genau nach. Woran erinnern Sie sich nach dem Sturz auf der Ranch?«

McCoy zog die Brauen zusammen. »Ich bin hier erwacht – wo auch immer ›hier‹ sein mag.« Unruhe entstand in ihm.

»Nun, seit Ihrem Urlaub sind mehr als zwölf Stunden vergangen. Der Sturz vom Pferd, an den Sie sich entsinnen, ist nicht der Grund für Ihren derzeitigen Zustand. Damals kam es nur zu einer geringfügigen Gehirnerschütterung und einer gequetschten Rippe, mehr nicht. Sie sind aus einem Koma erwacht, das Sie einem zweiten, später erfolgten Sturz verdanken. Sie haben alle Erinnerungen an die dazwischenliegende Zeit verloren.«

»Wie viel Zeit ist verstrichen? Wochen? Monate?« Er blickte zum Monitor hoch, mit dessen Anzeigen er nichts anfangen konnte. »Etwa Jahre?«, fragte er ungläubig.

»Ja, Jahre«, bestätigte Dyson. »Sie erkennen weder mich noch Christine Chapel, aber bestimmt schließen sich Ihre Gedächtnislücken wieder, wahrscheinlich schon sehr bald. So verwirrend jetzt auch alles für Sie sein mag – bitte denken Sie daran, dass Ihre Behandlung gerade begonnen hat.«

McCoy hörte schweigend zu und erkannte die Ausdrucksweise eines Arztes, der versuchte, seinen Patienten nicht zu alarmieren. »Vielleicht handelt es sich um eine irreversible Amnesie.«

»Diese Möglichkeit lässt sich nicht ausschließen«, räumte Dyson ein und seufzte. »Aber an Ihrer Stelle würde ich die Hoffnung nicht aufgeben. Dauerhafte Amnesie ist sehr selten. Bestimmt beginnen Sie bald damit, sich an dies und jenes zu erinnern, bis alle Reminiszenzen – oder der größte Teil davon – zurückkehren.«

»Eins steht fest: Ich hoffe, dass ich mich an Sie erinnere«, entgegnete McCoy in einem Anflug von Humor. »Sie sind mir gegenüber im Vorteil.« Allem Anschein nach wusste Dyson genau, welchen Tonfall sie benutzen musste, um sein Selbstmitleid schon im Keim zu ersticken. »Und jetzt … Wo bin ich? Und wie lange halte ich mich schon hier auf?«

»Ich glaube, für heute Nacht haben wir lange genug miteinander gesprochen.«

»Steht es so schlimm mit mir?«, fragte McCoy und wurde wieder ernst. »Schlimm genug, um mir die Informationen in kleinen Häppchen zu geben?«

»Sie leiden an einem Schock, und er ist größer, als Sie glauben. Wenn Sie jetzt …«

»Befürchten Sie etwa, ich könnte ausrasten, wenn Sie mir mehr verraten, Dr. Dyson? Himmel, ich habe die Behandlung mit den Samthandschuhen satt. Ob Schock oder nicht: Hier ist bald der Teufel los, wenn ich keine Antworten bekomme.«

»Verdammt!«, entfuhr es der Doktorin. »Der Patient namens McCoy ist noch schlimmer als der Arzt.« Sie schätzte die Entschlossenheit in seiner Stimme ein. »Na schön«, gab sie nach. »Also alles auf einmal: Sie sind hier an Bord der U.S.S. Enterprise, eines Föderationsschiffes, dessen Mission darin besteht, die Grenzen des bekannten Weltraums zu erforschen. Der uniformierte Mann, den Sie nach Ihrem ersten Erwachen gesehen haben, ist James Kirk, Captain dieses Schiffes.«

»Was?«, stieß McCoy hervor. Es klang nicht nur ungläubig, sondern auch verblüfft. »Ich bin Arzt und keine sternensüchtige Raumratte.«

»Sie sind nicht nur Arzt, sondern leiten die Krankenstation der Enterprise.«

McCoy schnaubte. »Dann braucht die Föderation offenbar dringend medizinisches Personal. Verflucht, mit solchen Dingen kenne ich mich überhaupt nicht aus. Ich bin nie jenseits des Mondes gewesen, und Sie behaupten …« Er holte tief Luft und blinzelte verwirrt. »Um einen solchen Rang zu erreichen, wären … Jahre nötig. Und Sie haben eben von Jahren gesprochen.« Er erbleichte. »Wie viele?«

Diesmal wich Dyson der Antwort nicht aus. »Seit Ihrem Urlaub auf der Ranch sind fünfundzwanzig Jahre vergangen.«

»Herr im Himmel«, hauchte McCoy. »Das macht mich zu einem alten Mann. Ein halbes Leben – und mir fehlt jede Erinnerung daran.« Er sank aufs Bett zurück. »Wie habe ich das Vierteljahrhundert verbracht?«

»Ich kann Ihnen keine Einzelheiten nennen«, sagte Dyson. »Aber Captain Kirk kennt Sie gut und ist bestimmt in der Lage, Ihnen Auskunft zu …« Das Heulen der Alarmsirenen unterbrach sie, und eine Prioritätsnachricht aktivierte das Interkom.

»Alarmstufe Rot«, ertönte es. »Alarmstufe Ruf. Gefechtsstationen besetzen.«

»Nicht schon wieder«, stöhnte Dyson.

»›Schon wieder‹?«, wiederholte McCoy. »Zum Teufel auch, was geht hier vor?« Seine Worte galten dem Rücken der Ärztin – sie hatte bereits die Tür erreicht.

»Tut mir leid, ich muss jetzt gehen!«, rief sie ihm über die Schulter hinweg zu. »Wir werden angegriffen. Bleiben Sie hier.«

»Und wo ist hier?« Doch Dyson lief bereits durch den Korridor, und hinter ihr schloss sich das Schott. Die Sirenen heulten weiterhin, und das Licht trübte sich. Jenseits der Wände hörte McCoy eilige Schritte und gedämpfte Stimmen. »Ein Angriff! Ich muss verrückt gewesen sein, mich Starfleet anzuschließen.«

Einige Sekunden später wurde es dunkel, und Leonard wartete vergeblich darauf, dass die Lampe wieder zu glühen begann. »Ich quittiere den Dienst«, brummte er in der Finsternis und ertastete sich einen Weg zur Tür.