II

Meiner Ueberzeugung nach hat die römische Curie den Krieg zwischen Frankreich und Deutschland ebenso wie die meisten Politiker seit 1866 als wahrscheinlich betrachtet, als ebenso wahrscheinlich auch, daß Preußen unterliegen würde. Den Krieg vorausgesetzt, mußte der damalige Papst darauf rechnen, daß der Sieg Frankreichs über das evangelische Preußen die Möglichkeit bieten werde, den Vorstoß, den er selbst mit dem Concil und der Unfehlbarkeit gegen die katholische Welt und gegen nervenschwache Katholiken gemacht hatte, zu weiteren Consequenzen zu treiben. Wie das kaiserliche Frankreich und besonders die Kaiserin Eugenie damals zu dem Papste standen, ließ sich ohne zu gewagte Berechnung annehmen, daß Frankreich, wenn seine Heere siegreich in Berlin ständen, bei dem Friedensschlusse die Interessen der katholischen Kirche in Preußen nicht unberücksichtigt lassen würde, wie der Kaiser von Rußland Friedensschlüsse zu benutzen pflegte, um sich seiner Glaubensgenossen im Oriente anzunehmen. Es würden sich die gesta Dei per Francos vielleicht um einige neue Fortschritte der päpstlichen Macht bereichert haben, und die Entscheidung der confessionellen Kämpfe, welche nach der Meinung katholischer Schriftsteller (Donoso Cortes de Valdegamas) schließlich »auf dem Sande der Mark Brandenburg« auszufechten sind, würde durch eine übermächtige Stellung Frankreichs in Deutschland nach verschiedenen Richtungen hin gefördert worden sein. Die Parteinahme der Kaiserin Eugenie für die kriegerische Richtung der französischen Politik wird schwerlich ohne Zusammenhang mit der Hingebung Ihrer Majestät für die katholische Kirche und den Papst gewesen sein; und wenn die französische Politik und die persönlichen Beziehungen Louis Napoleons zur italienischen[404] Bewegung es unmöglich machten, daß Kaiser und Kaiserin dem Papste in Italien in befriedigender Weise gefällig waren, so würde die Kaiserin ihre Ergebenheit für den Papst im Falle des Sieges in Deutschland bethätigt und auf diesem Gebiete eine allerdings unzulängliche fiche de consolation für die Schäden gewährt haben, welche der päpstliche Stuhl in Italien unter und durch Napoleons Mitwirkung erlitten hatte.

Wenn nach dem Frankfurter Frieden eine katholisirende Partei, sei es royalistischer, sei es republikanischer Form, in Frankreich am Ruder geblieben wäre, so würde es schwerlich gelungen sein, die Erneuerung des Krieges so lange, wie geschehen, hinauszuschieben. Es war alsdann zu befürchten, daß die beiden von uns bekämpften Nachbarmächte, Oesterreich und Frankreich, auf dem Boden der gemeinsamen Katholicität sich einander nähern und uns entgegentreten würden, und die Thatsache, daß es in Deutschland so wenig wie in Italien an Elementen fehlte, deren confessionelles Gefühl stärker war als das nationale, hätte zur Verstärkung und Ermuthigung einer solchen katholischen Allianz gedient. Ob wir derselben gegenüber Bundesgenossen finden würden, ließ sich nicht sicher voraussehen; jedenfalls hätte es in der Willkür Rußlands gestanden, die österreichisch-französische Freundschaft durch seinen Zutritt zu einer übermächtigen Coalition auszubilden, wie im siebenjährigen Kriege, oder uns doch unter dem diplomatischen Drucke dieser Möglichkeit in Abhängigkeit zu erhalten.

Mit der Herstellung einer katholisirenden Monarchie in Frankreich wäre die Versuchung, gemeinschaftlich mit Oesterreich Revanche zu nehmen, erheblich näher getreten. Ich hielt es deshalb für dem Interesse Deutschlands und des Friedens widersprechend, die Restauration des Königthums in Frankreich zu fördern, und gerieth in Gegnerschaft zu den Vertretern derselben. Dieser Gegensatz spitzte sich persönlich zu gegenüber dem damaligen französischen Botschafter Gontaut-Biron und unsrem damaligen Botschafter in Paris, Grafen Harry Arnim. Der Erstere war im Sinne der Partei thätig, der er von Natur angehörte, der legitimistisch-katholischen; der Letztere aber speculirte auf die legitimistischen Sympathien des Kaisers, um meine Politik zu discreditiren und mein Nachfolger zu werden. Gontaut, ein geschickter und liebenswürdiger Diplomat aus alter Familie, fand bei der Kaiserin Augusta Anknüpfungspunkte einerseits in deren Vorliebe für katholische Elemente in und neben dem Centrum, mit denen die Regierung im Kampfe stand, andrerseits in seiner Eigenschaft als Franzose, die[405] in den Jugenderinnerungen der Kaiserin seit der Zeit ohne Eisenbahnen an deutschen Höfen fast in gleichem Maße wie die Eigenschaft des Engländers zur Empfehlung diente. Ihre Majestät hatte französisch sprechende Diener, ihr französischer Vorleser Gérard1 fand Eingang in die Kaiserliche Familie und Correspondenz. Alles Ausländische mit Ausnahme des Russischen hatte für die Kaiserin dieselbe Anziehungskraft wie für so viele deutschen Kleinstädter. Bei den alten langsamen Verkehrsmitteln war früher an den deutschen Höfen ein Ausländer, besonders ein Engländer oder Franzose fast immer ein interessanter Besuch, nach dessen Stellung in der Heimath nicht ängstlich gefragt wurde; um ihn hoffähig zu machen, genügte es, daß er »weit her« und eben kein Landsmann war.

Auf demselben Boden erwuchs in ausschließlich evangelischen Kreisen das Interesse, welches die fremdartige Erscheinung eines Katholiken und, am Hofe, eines Würdenträgers der katholischen Kirche, damals einflößte. Es war zur Zeit Friedrich Wilhelms III. eine interessante Unterbrechung der Einförmigkeit, wenn Jemand katholisch war. Ein katholischer Mitschüler wurde ohne jedes confessionelle Uebelwollen mit einer Art von Verwunderung wie eine exotische Erscheinung und nicht ohne Befriedigung darüber betrachtet, daß ihm von der Bartholomäusnacht, von Scheiterhaufen und dem dreißigjährigen Kriege nichts anzumerken war. Im Hause des Professors von Savigny, dessen Frau katholisch war, wurde den Kindern, wenn sie 14 Jahre alt waren, die Wahl der Confession freigestellt; dieselben folgten der evangelischen Confession des Vaters mit Ausnahme meines Altersgenossen, des nachmaligen Bundestagsgesandten und Mitbegründers des Centrums. In der Zeit, als wir beide Primaner oder Studenten waren, sprach er ohne polemische Färbung über die Motive der getroffenen Wahl und führte dabei die imponirende Würde des katholischen Gottesdienstes, dann aber auch den Grund an, katholisch sei doch im Ganzen vornehmer, »protestantisch ist ja jeder dumme Junge«.

Diese Verhältnisse und Stimmungen haben sich geändert in dem halben Jahrhundert, in welchem die politische und wirthschaftliche Entwicklung alle Varietäten der Bevölkerung nicht blos Europas mit einan der in nähere Berührung gebracht hat. Heut zu Tage[406] kann man durch die Kundgebung, katholisch zu sein, in keinem Berliner Kreise mehr Aufsehen erregen oder auch nur einen Eindruck machen. Nur die Kaiserin Augusta ist von ihren Jugendeindrücken nicht frei geworden. Ein katholischer Geistlicher erschien ihr vornehmer als ein evangelischer von gleichem Range und von gleicher Bedeutung. Die Aufgabe, einen Franzosen oder Engländer zu gewinnen, hatte für sie mehr Anziehung als dieselbe einem Landsmanne gegenüber, und der Beifall der Katholiken wirkte befriedigender als der der Glaubensgenossen. Gontaut-Biron, dazu aus vornehmer Familie, hatte keine Schwierigkeit, sich in den Hofkreisen eine Stellung zu schaffen, deren Verbindung auf mehr als einem Wege an die Person des Kaisers heranreichten.

Daß die Kaiserin in der Person Gérards einen französischen geheimen Polizeiagenten zu ihrem Privatsekretär nahm, ist eine Abnormität, deren Möglichkeit ohne das Vertrauen, welches Gontaut durch seine Geschicklichkeit und durch die Mitwirkung eines Theils der katholischen Umgebung Ihrer Majestät genoß, nicht verständlich ist. Für die französische Politik und die Stellung des französischen Botschafters in Berlin war es natürlich ein erheblicher Vortheil, einen Mann wie Gérard in dem kaiserlichen Haushalte zu sehen. Derselbe war gewandt bis auf die Unfähigkeit, seine Eitelkeit im Aeußern zu unterdrücken. Er liebte es, als Muster der neuesten Pariser Mode zu erscheinen, in einer für Berlin auffälligen Uebertreibung, ein Mißgriff, durch welchen er sich indessen in dem Palais nicht schadete. Das Interesse für exotische und besonders Pariser Typen war mächtiger als der Sinn für einfachen Geschmack.

Gontaut's Thätigkeit im Dienste Frankreichs beschränkte sich nicht auf das Berliner Terrain. Er reiste 1875 nach Petersburg, um dort mit dem Fürsten Gortschakow den Theatercoup einzuleiten, welcher bei dem bevorstehenden Besuche des Kaisers Alexander in Berlin die Welt glauben machen sollte, daß er allein das wehrlose Frankreich vor einem deutschen Ueberfall bewahrt habe, indem er uns mit einem Quos ego in den Arm gegriffen und zu dem Zweck den Kaiser nach Berlin begleitet habe.

Von wem der Gedanke ausgegangen ist, weiß ich nicht; wenn von Gontaut, so wird er bei Gortschakow einen empfänglichen Boden gefunden haben bei dessen eitler Natur, seiner Eifersucht auf mich und dem Widerstande, den ich seinen präpotenten Ansprüchen zu leisten gehabt hatte. Ich hatte ihm in vertraulichem Gespräche sagen müssen: »Sie behandeln uns nicht wie eine befreundete Macht, sondern comme un domestique, qui ne monte[407] pas assez vite, quand on a sonné«. Gortschakow beutete es aus, daß er dem Gesandten Grafen Redern und den auf ihn folgenden Geschäftsträgern an Autorität überlegen war, und benutzte mit Vorliebe zu Verhandlungen den Weg der Mittheilung seinerseits an unsre Vertretung in Petersburg unter Vermeidung der Instruirung des russischen Botschafters in Berlin behufs Besprechung mit mir. Ich halte es für Verleumdung, was Russen mit gesagt haben, das Motiv dieses Verfahrens sei gewesen, daß in dem Etat des auswärtigen Ministers ein Pauschquantum für Telegramme ausgeworfen sei und Gortschakow deshalb seine Mittheilungen lieber auf deutsche Kosten durch unsern Geschäftsträger als auf russische besorgt habe. Ich suche, obschon er sicher geizig war, das Motiv auf politischem Gebiete. Gortschakow war ein geistreicher und glänzender Redner und liebte es, sich als solchen namentlich den fremden, in Petesburg beglaubigten Diplomaten gegenüber zu zeigen. Er sprach französisch und deutsch mit gleicher Beredsamkeit, und ich habe seinen dozirenden Vorträgen oft stundenlang gern zugehört als Gesandter und später als College. Mit Vorliebe hatte er als Zuhörer fremde Diplomaten und namentlich jüngere Geschäftsträger von Intelligenz, denen gegenüber die vornehme Stellung des auswärtigen Ministers, bei dem sie beglaubigt waren, dem oratorischen Eindruck zu Hülfe kam. Auf diesem Wege gingen mir die Gortschakow'schen Willensmeinungen in Formen zu, welche an das Roma locuta est erinnerten. Ich beschwerte mich in Privatbriefen bei ihm direct über diese Form des Geschäftsbetriebes und über die Tonart seiner Eröffnungen und bat ihn, in mir nicht mehr den diplomatischen Schüler zu sehen, der ich in Petersburg ihm gegenüber bereitwillig gewesen wäre, sondern jetzt mit der Thatsache zu rechnen, daß ich ein für die Politik meines Kaisers und eines großen Reiches verantwortlicher College sei.

Als 1876 während der Vacanz des Botschafterpostens ein Legationssecretär als Geschäftsträger fungirte, wurde Herr von Radowitz, damals Gesandter in Athen, en mission extra-ordinaire nach Petersburg geschickt, um die Geschäftsführung auch äußerlich auf den Fuß der Gleichheit zu bringen. Er hatte dadurch Gelegenheit, sich durch entschlossene Emanzipation von Gortschakows präpotenter Beeinflussung dessen Abneigung in einem so hohen Grade zuzuziehen, daß die Abneigung des russischen Cabinets gegen ihn ungeachtet seiner russischen Heirath vielleicht noch heut nicht erloschen ist.

Die Rolle des Friedensengels, sehr geeignet, Gortschakows[408] Selbstgefühl durch den ihm über alles theuern Eindruck in Paris zu befriedigen, war von Gontaut in Berlin vorbereitet worden; es läßt sich annehmen, daß seine Gespräche mit dem Grafen Moltke und mit Radowitz, welche später als Beweismittel für unsre kriegerischen Absichten angeführt wurden, von ihm mit Geschick herbeigeführt waren, um vor Europa das Bild eines von uns bedrohten, von Rußland beschützten Frankreich zur Anschauung zu bringen. In Berlin am 10. Mai 1875 angekommen, erließ Gortschakow unter dem Datum dieses Ortes ein zur Mittheilung bestimmtes telegraphisches Circular, welches mit den Worten anfing: Maintenant, also unter russischem Druck, la paix est assurée, als ob das vorher nicht der Fall gewesen wäre. Einer der dadurch avisirten außerdeutschen Monarchen hat mir gelegentlich den Text gezeigt.

Ich machte dem Fürsten Gortschakow lebhafte Vorwürfe und sagte, es sei kein freundschaftliches Verhalten, wenn man einem vertrauenden und nicht ahnenden Freunde plötzlich und hinterrücks auf die Schulter springe, um dort eine Circus-Vorstellung auf dessen Kosten in Scene zu setzen, und daß dergleichen Vorgänge zwischen uns leitenden Ministern den beiden Monarchien und Staaten zum Schaden gereichten. Wenn ihm daran liege, in Paris gerühmt zu werden, so brauchte er deshalb unsre russischen Beziehungen noch nicht zu verderben, ich sei gern bereit, ihm beizustehen und in Berlin Fünffrankenstücke schlagen zu lassen mit der Umschrift: Gortschakoff protège la France; wir könnten auch in der deutschen Botschaft ein Theater herstellen, wo er der französischen Gesellschaft mit derselben Umschrift als Schutzengel im weißen Kleide und mit Flügeln in bengalischem Feuer vorgeführt würde.

Er wurde unter meinen bitteren Invectiven ziemlich kleinlaut, bestritt die für mich beweiskräftig feststehenden Thatsachen und zeigte nicht die ihm sonst eigne Sicherheit und Beredsamkeit, woraus ich schließen durfte, daß er Zweifel hatte, ob sein kaiserlicher Herr sein Verhalten billigen werde. Der Beweis wurde vervollständigt, als ich mich bei dem Kaiser Alexander mit derselben Offenheit über Gortschakows unehrliches Verfahren beschwerte; der Kaiser gab den ganzen Thatbestand zu und beschränkte sich rauchend und lachend darauf, zu sagen, ich möge diese vanité sénile nicht zu ernsthaft nehmen. Die dadurch allerdings ausgesprochene Mißbilligung hat aber niemals einen hinreichend authentischen Ausdruck gefunden, um die Legende von unsrer Absicht, 1875 Frankreich zu überfallen, aus der Welt zu schaffen.[409]

Mir lag eine solche damals und später so fern, daß ich eher zurückgetreten sein würde, als zu einem vom Zaune zu brechenden Kriege die Hand zu bieten, welcher kein andres Motiv haben würde, als Frankreich nicht wieder zu Athem und zu Kräften kommen zu lassen. Ein solcher Krieg hätte meiner Ansicht nach nicht zu haltbaren Zuständen in Europa auf die Dauer geführt, wohl aber eine Uebereinstimmung von Rußland, Oesterreich und England in Mißtrauen und eventuell in activem Vorgehen einleiten können gegen das neue und noch nicht consolidirte Reich, welches damit die Wege betreten haben würde, auf welchen das erste und das zweite französische Kaiserreich in einer fortgesetzten Kriegs- und Prestige-Politik ihrem Untergange entgegengingen. Europa würde in unsrem Verfahren einen Mißbrauch der gewonnenen Stärke erblickt haben, und Jedermannes Hand, einschließlich der centrifugalen Kräfte im Reich selbst, würde dauernd gegen Deutschland erhoben oder am Degen gewesen sein. Gerade der friedliche Charakter der deutschen Politik nach den überraschenden Beweisen der militärischen Kraft der Nation hat wesentlich dazu beigetragen, die fremden Mächte und die inneren Gegner früher, als wir erwarteten, wenigstens bis zu einem tolerari posse mit der neudeutschen Kraftentwicklung zu versöhnen und das Reich zum Theil mit Wohlwollen, zum Theil als einstweilen annehmbaren Friedenswächter sich entwickeln und festigen zu sehen.

Es war für unsre Begriffe merkwürdig, daß der Kaiser von Rußland bei der Geringschätzung, mit welcher er sich über seinen leitenden Minister äußerte, ihm doch die ganze Maschine des Auswärtigen Amtes in der Hand ließ und ihm dadurch den Einfluß auf die Missionen gestattete, den er thatsächlich ausübte. Trotz der Klarheit, mit welcher der Kaiser die Abwege erkannte, welche einzuschlagen sein Minister sich durch persönliche Gründe verleiten ließ, unterwarf er die Concepte, welche ihm Gortschakow zu eigenhändigen Briefen an den Kaiser Wilhelm vorlegte, nicht der scharfen Sichtung, deren sie bedurft hätten, wenn der Eindruck verhütet werden sollte, daß die wohlwollende Gesinnung des Kaisers in der Hauptsache den anspruchsvollen und bedrohlichen Stimmungen Gortschakows Platz gemacht habe. Der Kaiser Alexander hatte eine elegante und deutliche feine Handschrift, und die Arbeit des Schreibens hatte nichts Unbequemes für ihn, aber wenn auch die in der Regel sehr langen und in die Details eingehenden Schreiben von Souverän zu Souverän ganz von der eignen Hand des Kaisers herrührten, so habe ich doch nach Stil und Inhalt in der[410] Regel auf die Unterlage eines von Gortschakow redigirten Concepts schließen zu können geglaubt; wie denn auch die eigenhändigen Antworten unsres Herrn von mir zu entwerfen waren. Auf diese Weise hatte die eigenhändige Correspondenz, in welcher beide Monarchen die wichtigsten politischen Fragen mit entscheidender Autorität behandelten, zwar nicht die constitutionelle Garantie einer ministeriellen Gegenzeichnung, aber doch das Correctiv ministerieller Mitwirkung, vorausgesetzt, daß sich der Allerhöchste Briefsteller genau an das Concept hielt. Darüber erhielt der Verfasser des letzteren allerdings keine Sicherheit, da die Reinschrift gar nicht oder doch nur versiegelt in seine Hände kam.

Wie weit verzweigt die Gontaut-Gortschakow'sche Intrigue gewesen war, ergibt folgendes Schreiben, das ich am 13. August 1875 aus Varzin an den Kaiser richtete:

 

»Ew. M. huldreiches Schreiben vom 8. d.M. aus Gastein habe ich mit ehrfurchtsvollem Danke erhalten und mich vor Allem gefreut, daß E.M. die Kur gut bekommen ist trotz allen schlechten Wetters in den Alpen. Den Brief der Königin Victoria beehre ich mich wieder beizufügen; es wäre sehr interessant gewesen, wenn J.M. Sich genauer über den Ursprung der damaligen Kriegsgerüchte ausgelassen hätte. Die Quellen müssen der hohen Frau doch für sehr sicher gegolten haben, sonst würde J.M. Sich nicht von Neuem darauf berufen und würde die englische Regierung auch nicht so gewichtige und für uns so unfreundliche Schritte daran geknüpft haben. Ich weiß nicht, ob E.M. es für thunlich halten, die Königin Victoria beim Worte zu nehmen, wenn J.M. versichert, es sei Ihr ›ein Leichtes, nachzuweisen, daß Ihre Befürchtungen nicht übertrieben waren‹. Es wäre sonst wohl von Wichtigkeit zu ermitteln, von welcher Seite her so ›kräftige Irrthümer‹ nach Windsor haben befördert werden können. Die Andeutung über Personen, welche als ›Vertreter‹ der Regierung E.M. gelten müssen, scheint auf den Grafen Münster zu zielen. Derselbe kann ja sehr wohl, gleich dem Grafen Moltke, akademisch von der Nützlichkeit eines rechtzeitigen Angriffs auf Frankreich gesprochen haben, obschon ich es nicht weiß und er niemals dazu beauftragt worden ist. Man kann ja sagen, daß es für den Frieden nicht förderlich ist, wenn Frankreich die Sicherheit hat, daß es unter keinen Umständen angegriffen wird, es möge thun, was es wolle. Ich würde noch heute, wie 1867 in der Luxemburger Frage, E.M. niemals zureden, einen Krieg um deswillen sofort zu führen, weil[411] wahrscheinlich ist, daß der Gegner ihn später besser gerüstet beginnen werde; man kann die Wege der göttlichen Vorsehung dazu niemals sicher genug im Voraus erkennen. Aber es ist auch nicht nützlich, dem Gegner die Sicherheit zu geben, daß man seinen Angriff jedenfalls abwarten werde. Deshalb würde ich Münster noch nicht tadeln, wenn er in solchem Sinne gelegentlich geredet hätte, und die englische Regierung hätte deshalb noch kein Recht gehabt, auf außeramtliche Reden eines Botschafters amtliche Schritte zu gründen und sans nous dire gare die andern Mächte zu einer Pression auf uns aufzufordern. Ein so ernstes und unfreundliches Verfahren läßt doch vermuthen, daß die Königin Victoria noch andre Gründe gehabt habe, an kriegerische Absichten zu glauben als gelegentliche Gesprächswendungen des Grafen Münster, an die ich nicht einmal glaube. Lord Russel hat versichert, daß er jederzeit seinen festen Glauben an unsre friedlichen Absichten berichtet habe. Dagegen haben alle Ultramontane und ihre Freunde uns heimlich und öffentlich in der Presse angeklagt, den Krieg in kurzer Frist zu wollen, und der französische Botschafter, der in diesen Kreisen lebt, hat die Lügen derselben als sichere Nachrichten nach Paris gegeben. Aber auch das würde im Grunde noch nicht hinreichen, der Königin Victoria die Zuversicht und das Vertrauen zu den von E.M. selbst dementirten Unwahrheiten zu geben, das Höchstdieselbe noch in dem Briefe vom 20. Juni ausspricht. Ich bin mit den Eigenthümlichkeiten der Königin zu wenig bekannt, um eine Meinung darüber zu haben, ob es möglich ist, daß die Wendung, es sei ›ein Leichtes nachzuweisen‹, etwa nur den Zweck haben könnte, eine Uebereilung, die einmal geschehen ist, zu maskiren, anstatt sie offen einzugestehen.

Verzeihen E.M., wenn das Interesse des ›Fachmannes‹ mich über diesen abgemachten Punkt nach dreimonatlicher Enthaltung hat weitläufig werden lassen«.[412]

 

Fußnoten

 

1 Derselbe, wahrscheinlich von Gontaut an Ihre Majestät empfohlen, unterhielt einen lebhaften Briefwechsel mit Gambetta, der nach des Letzteren Tode in die Hände von Madame Adam gerieth und als hauptsächliches Material für die Schrift La Société de Berlin gedient hat. Nach Paris zurückgekehrt, wurde Gérard eine Zeit lang Leiter der officiösen Presse, dann Legationssecretär in Madrid, Geschäftsträger in Rom und 1890 Gesandter in Montenegro.