Das Orchideenwunder von Garzweiler

Mitten in Bern besiedeln Orchideen Flachdächer. Dies ist kein Einzelfall. Auf dem begrünten Dach des Kantonspitals St. Gallen sind die Orchideen kaum zu zählen. Über den Tansfer, den Erhalt und die Vermehrung unterrichtet eine im Netz verfügbare Studie.

Aber man braucht nicht in die Schweiz zu reisen, um Sekundärstandorte für Orchideen zu finden. Auch in Deutschland haben Orchideen eine neue Heimat gefunden.

Sie finden diese in Steinbrüchen, Parks, Grünanlagen, Gärten, auf Industriebrachen, Deponien, Halden, Bahngeländen und Friedhöfen. Zehn Seiten haben Bernd Magenburg und Götz Heinrich Loos in dem Buch „Die Orchideen Nordrhein-Westfalens“ den Sekundärstand­orten gewidmet. Die Autoren beenden das Kapitel mit einem Verweis auf die Rekultivierungsflächen des Rheinischen Braunkohlenreviers.

Der Braunkohlentagebau ist zu einem Symbol der Naturzerstörung geworden, aber nur wenige wissen, dass mit der Rekultivierung eine neue Naturlandschaft entstanden ist. Sie ist zuweilen noch schöner als die alte. Dazu beigetragen haben die Rekultivierungsplanung und die Forschungsstelle Rekultivierung des RWE.

Für die forstwirtschaftliche Rekultivierung wird ein anderes Bodensubtrat als für die landwirtschaftlichen Hochertragsflächen verwendet. Es ist ein Gemisch aus mindestens 25 Prozent Löss oder Lösslehm mit 75 Prozent Kies und Sand. Die Fachleute nennen es Forstkies. Dadurch soll ein naturnaher Wald mit Nutz-, Schutz- sowie Erholungsfunktion wiederhergestellt werden.

Das ist mit der Rekultivierung der Königshovener Höhe gelungen. Das frei zugängliche Gebiet in der Nähe von Grevenbroich zählt zu den TOP 10-Ausflugszielen der Region. Es ist schon von RWE an den Landwirt zurückgegeben worden. Die Höhenlagen werden unter anderem für den Kräuteranbau genutzt. Die wieder aufgeforsteten Lagen sind von Wanderwegen durchzogen. Spaziergänger mit Hunden, Wanderer sowie Radler trifft man hier. An Wochenenden ist dieses Naherholungsgebiet wie das nahe Elsbachtal, in dem auch Orchideen blühen, stark besucht. Die Königshovener Höhe und die Königshovener Mulde sind nicht nur ein Vogel-, sondern auch ein Orchideenparadies.

Der Pförtner zu diesem Paradies ist Hans-Josef Bolzek, der Kreisbeauftragte des AHO-NRW für den Rhein-Kreis-Neuss. Sie finden ihn auf der AHO-NRW-Homepage unter „Ansprechpartner“.

Er zeigt mir am sonnigen Morgen des 14. Juni 2021, wo einige seiner Pfleglinge stehen. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Mir ist es ein Rätsel, wie die Orchideen auf die Höhe gekommen sind. Bolzek kennt diese Frage von den Vorträgen, die er hält.

In dem aufgetragenen Forstkies waren die winzigen Samen nicht, die er mir in einem Glasröhrchen zeigt.

Der Wind hat sie transportiert, aus der nicht allzu fernen Eifel auf die mageren Flächen geweht. Sie sind der ideale Boden für wärmeliebende Orchideen. 20 Arten gibt es hier. Von ihnen sind neun gefährdet oder stark gefährdet.

Die Orchideen haben auch unter dem Klimawandel, den trockenen Frühjahren und Sommern gelitten. Aber die Natur hat auf diesen Flächen ihre Selbstheilungskraft gezeigt. Einige Orchideen sind nach Jahren plötzlich wieder erschienen. Neu hinzu gekommen ist die Bocksriemenzunge. Sie war in der Region bislang nicht vertreten. Andere Arten wie die Bienenragwurz haben sich sehr verbreitet. Einen vollständigen Überblick finden Sie auf Seite 69 des Buches „Die Orchideen Nordrhein-Westfalens“. Einige sind so zahlreich vertreten, dass Neufunde von dem AHO-Regionalkreis nicht mehr kartiert werden.

Auch die Forschungsstelle des RWE setzt sich für eine nachhaltige Sicherung der Orchideenbestände ein, weist aber darauf hin, dass ein effektiver Schutz auch von einer entsprechenden Pflege abhängig sei. Da die Fläche jedoch nicht mehr in der Obhut des RWE ist, regt sie an, die ökologisch hochwertige Fläche behördlich unter Schutz zu stellen. Dafür hätten sich auch die Grünen schon einmal stark gemacht, erinnert sich Bolzek. Er hofft, dass sich mit dem Landwirt Absprachen zum Erhalt dieses Biotops treffen lassen. Ohne Auslichten der sich immer mehr ausbreitenden Lupinen und Gehölze wie Sanddorne würde auch dieses Biotop in einigen Jahren erlöschen.