Als er, nur wenige Häuserblocks von der Polizeiwache Pinto entfernt, den Fuß in die Tür des Restaurants Salamanca in der Rue des Petites-Pies setzt, geht der Alarm los. Ehe er sich versieht, baut sich der Türsteher dicht vor ihm auf und versperrt ihm den Weg.
»Mein Herr …«, sagt er in betont sachlichem Ton.
»Ja?«
»Ich fürchte, es gibt ein kleines Problem: Sie sind für Zone 2 nicht akkreditiert.«
Sparak seufzt, guckt sich den Kerl an, fragt sich, ob er ihm gleich mitteilen wird, dass er sich zum Teufel scheren soll, und bringt dann mit zusammengebissenen Zähnen hervor:
»Und doch sieht’s so aus, als wäre ich hier …«
Der andere wirkt überrascht. Er hatte wahrscheinlich angenommen, dass Sparak auf der Stelle kehrtmachen würde.
»Das geht jetzt aber nicht, Freundchen …«, antwortet er mit dem Lächeln eines Hünen, der fünfzig Kilo schwerer ist als sein Gegenüber.
»Nein. Was du hier veranstaltest, das geht nicht«, entgegnet Sparak, das Lächeln erwidernd.
Der Türsteher drückt ihm die flache Hand auf den Oberkörper und versucht so, ihn aus dem Lokal zu befördern. Mit einer unwirschen Bewegung schiebt Sparak seinen Arm weg. Als er ihn gerade am Kragen packen will, schaltet sich Salia ein:
»Sparak! Ganz ruhig!«
Sie drängt sich zwischen die zwei Männer und schwenkt ihren Dienstausweis.
»Alles in Ordnung. Er gehört zu mir … Zem? Wir setzen uns jetzt ruhig hin, essen schön brav und machen mal keinen Ärger. Okay? Klingt gut? Einfach entspannen. Ist doch bloß ein harmloses Mittagessen unter Kollegen, ja?«
Zem schaut sie an, als wüsste er gar nicht, wer sie überhaupt ist, es scheint ihm dann jedoch einzufallen, er hält kurz inne, lässt den Arm sinken, klopft dem Türsteher auf die Schulter und sagt:
»So darf man halt nicht mit mir reden.«
Bei Tisch schirmt das Halbdunkel des Restaurants sie von anderen Gästen ab, und die gedämpfte Atmosphäre beruhigt Sparak.
»Wir können uns eigentlich auch duzen, oder?«, schlägt sie vor, um die Stimmung aufzulockern.
Er nickt zustimmend. Sie betrachtet ihn einen Moment schweigend.
»Was?«, sagt er.
»Kannst du mir erzählen … wie es kommt, dass ein Typ wie du in Zone 3 gelandet ist?«
Zem wundert sich über die Frage.
»Denkst du nicht, dass ich einfach dort geboren bin?«
»Man sieht, dass du nicht von dort bist«, erklärt sie. »Deine Welt ist die Zone 2, du kannst sie bloß nicht ausstehen.«
Zem führt sein Glas zum Mund. Diese Frau ist eindeutig heller im Kopf als die Jungs, mit denen er es sonst zu tun hat.
»Eine lange Geschichte«, gibt er zurück.
Sie lächelt.
»Ich habe mir deine Akte angeschaut.«
Er blickt auf und wartet darauf, dass sie fortfährt.
»Warst du Grieche?«
Er bleibt stumm. Es scheint, als hätte sie etwas angesprochen, das zu einer fernen Realität gehört, und als versuchte er zu begreifen, durch welchen unglaublichen Zufall Salia mit dieser Wirklichkeit verbunden sein könnte.
»Kriege ich gar keine Antwort?«
Sie überlegt, ob ihre Frage fehl am Platz war, kann sich allerdings nicht vorstellen, inwiefern, daher sagt sie:
»Es muss heftig gewesen sein, nach allem, was man so hört.«
»Nach allem, was man so hört …«, wiederholt er.
»Aber du hast dich für die richtige Seite entschieden. Unter der rauen Schale ist ein schlauer Kern.«
Er lacht nicht über ihren Scherz. Seine Gesichtszüge verhärten sich.
»Hör auf.«
Er redet nicht weiter, aber das Ungesagte ist bedeutungsschwerer als alle Worte. Sie wird sauer, kapiert nicht recht.
»Was?«
Er schaut ihr tief in die Augen und sagt:
»Griechenland. Hör auf, davon zu reden. Du verstehst sowieso nichts.«
»Wieso verstehe ich sowieso nichts?«, entgegnet sie aufgebracht. »Glaubst du, ich weiß nicht, dass Griechenland pleitegegangen ist? Dass GoldTex sich angeboten hat, das Land aufzukaufen? Es war die erste Übernahme. Glaubst du, das ist zu kompliziert für mich? Die Proteste haben Monate angehalten, es ist zum Bürgerkrieg gekommen, bevor die Übernahme vollzogen war und GoldTex wieder Ruhe und Ordnung hergestellt hat.«
»Ruhe und Ordnung hergestellt?« Er hebt den Kopf, macht eine düstere Miene. Sie ist überrascht, wie viel Hass er plötzlich ausstrahlt, und korrigiert sich:
»Also, ich meine, dann war wieder Frieden … Und so gehört ihr heute zum Konsortium. Viele andere Länder sind eurem Beispiel gefolgt.«
Er starrt auf den Tisch und murmelt zwischen den Zähnen:
»Ach ja … Du weißt also Bescheid.«
»Das wundert dich anscheinend.«
»Sie haben keineswegs Ruhe und Ordnung wiederhergestellt, sondern das Land zertreten, weißt du das auch? So wie die Bullen mit ihren Stiefeln den am Boden liegenden Demonstranten ins Gesicht getreten haben, verstehst du? Ganz übel getreten. Die Leute haben geschrien und geheult, aber sie haben immer weitergetreten. Der Frieden ist nicht von allein wieder eingekehrt. Weißt du das auch? Dass GoldTex Sonderkommandos geschickt hat? Und der Aufstand monatelang gedauert hat? Weißt du, dass sie die griechische Jugend total verstümmelt haben, dass diese Jugend komplett entstellt ist? Du weißt es, weil du recherchiert hast, oder? Und wo wir schon dabei sind und gerade ein bisschen miteinander vertraut werden, wahrscheinlich weißt du auch, dass dein Ausbilder, Kommissar Dombro, sich auf den Straßen von Monastiraki, wo jede Menge Blut geflossen ist, seine Sporen verdient hat. Du siehst, ich habe mich ebenfalls informiert. Dombro hat die Lagerhäuser von Piräus gekannt. Er hat mitangesehen, wie junge Aktivistinnen nächtelang vergewaltigt worden sind. Vielleicht hat er ja auch mitgemischt. Weißt du das auch?«
Ja, möchte er hinzufügen, sie hat recht, er ist von dort, hat diese stürmische Zeit miterlebt und ist sich dabei ein bisschen selbst abhandengekommen, aber was er dort erlebt hat, davon wird sie nie die leiseste Vorstellung haben, er verbietet ihr sogar, vor ihm das Wort Griechenland in den Mund zu nehmen, weil sie keine Ahnung hat und nie eine Ahnung haben wird, wie es ist, wenn man einem Land die Kehle zuschnürt. All das möchte er sagen, doch just in dem Moment nähert sich der Kellner, der mit triumphierender Stimme vermeldet:
»Seezungenfilets an Algenjus mit Wildreis!«
Ein paar Minuten herrscht Stille. Sparak steckt die Nase in sein Essen. Verdutzt betrachtet er das winzige Häuflein Reis, das sich am Tellerrand verirrt hat, und denkt sich, wenn er hier draußen ist, gönnt er sich in irgendeiner Kaschemme in der Rue des Vieilles-Rives ein ordentliches Sandwich.
»Ist doch gar nicht so schlecht, oder?«
Es hat nicht sehr überzeugt geklungen, im Grunde wollte sie nur die Unterhaltung wieder in Gang bringen. Das Beste ist nun sicherlich, sich auf die Gemeinsamkeiten zwischen ihnen beiden zu besinnen und das Thema Griechenland beiseitezulassen.
»Na ja. Wie geht’s jetzt weiter mit unserem Fall?«
Er sieht sie erstaunt an. Mit einer gewissen Schalkhaftigkeit erkundigt sie sich:
»Was? Magst du es etwa nicht, wenn man deine Meinung hören will?«
»Wir haben uns geirrt«, antwortet er. »Die Sache hat offensichtlich nichts mit Eternytox-Imitaten und Hehlerei zu tun, die Frage lautet vielmehr: Wer hat davon gewusst, dass Pamuk echte Implantate hatte?«
Sie nickt.
»Genau. Vielleicht statten wir als Erstes der Implantationskommission einen Besuch ab. Damit sie uns sagt, wann er das Eternytox bekommen hat und warum. Das wird den Fall nicht lösen, aber dann wissen wir immerhin ein bisschen mehr darüber, wer unser Mann überhaupt war.«
»Okay«, erwidert Zem knurrend. Er schiebt demonstrativ seinen Teller zur Seite, schenkt Salia ein schelmisches Lächeln und schlägt vor:
»Na gut. Gehen wir essen?«