Sparak ist lieber im Auto sitzen geblieben. Er hatte gesagt, dass ihm das Ganze bloß auf die Nerven gehen würde und er gemütlich unten warten wird, er hat die Scheibe heruntergelassen und mit einem wohligen Seufzer in sein Hähnchensandwich mit Hummus gebissen.
Sie steht am Empfang des Implantationsdiensts vor einer alterslosen Angestellten, die behäbig ihren Dienst verrichtet, und wiederholt zum dritten Mal den Namen:
»Pamuk. P.A.M.U …«
Und zum dritten Mal erwidert die Frau mit dem fahlen Teint in schleppendem Tonfall:
»Hab ich nicht.«
»Hören Sie«, fährt Salia fort. »Ich habe hier den Bericht des Gerichtsmediziners, der mir bescheinigt, dass dem Mann ein Implantat eingesetzt wurde.«
Die Mitarbeiterin hebt wohlüberlegt, also übertrieben langsam den Blick, wahrscheinlich um Salias Gereiztheit, die sie aus der Stimme herausgehört hat, den Wind aus den Segeln zu nehmen, und antwortet:
»Und ich, Lieutenant, sage Ihnen, dass ich die offizielle Liste aller Bürger, die von der Implantationskommission ausgewählt worden sind, vor mir habe, und kein Pamuk dabei ist.«
»Wie kann das sein?«
Die Frau, die die ersten Falten bekommt und eine Spange im Haar trägt, eröffnet ihr gelassen, was sie bestimmt schon tausendmal erzählt hat:
»Nicht jeder kann ein Implantat erhalten. Das wird streng kontrolliert. Es gibt ein transparentes Verfahren, das gesetzlich festgelegt ist. Wir dokumentieren jeden Schritt. Die Kommission erhält aus dem Expertenkreis eine Liste von Vorschlägen. Nachdem sie sich zu einer geheimen Abstimmung zurückgezogen hat, teilt sie ihre Entscheidung dem Generalkommissariat mit, das wiederum seine Dienststellen benachrichtigt. Anschließend werden die Bewerber informiert. Sie werden registriert und müssen unterschreiben. Es ist ausgeschlossen, dass jemand, dessen Name nirgends auftaucht, ein Implantat bekommt … Also kann es sich nur um ein illegales Implantat handeln, allerdings liegt dieser Fall nicht in unserem Zuständigkeitsbereich.«
»Aber wenn ich Ihnen doch sage: Die Gerichtsmedizin bestätigt, dass das verwendete Material echt war.«
»Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll. Wenn Sie mögen, können Sie ein Informationsanfrageformular ausfüllen, und das Büro für Transparenz wird Ihnen Auskunft erteilen.«
Entnervt nimmt Salia die Kopie des Berichts, die sie auf den Tisch gelegt hat und auf die die Angestellte nicht einmal einen Blick geworfen hat, wieder an sich, seufzt und wendet sich ab.
»Nichts?«
»Nichts«, sagt sie zu Zem, der gerade sein Sandwich aufgegessen hat und ein zufriedenes Gesicht macht.
»Wie kann das denn sein?«
»Keine Ahnung.«
Auf dem Rückweg zur Polizeiwache Pinto überqueren sie wieder die Saule. Salia erörtert die Lage. Die Puzzleteile wollen nicht zusammenpassen. Ihre Ermittlungen sind von Beginn an im Sande verlaufen. Sie fragt sich, ob alles ihre Schuld ist und was der alte Dombro ihr raten würde. Ihr ist bewusst, dass bislang jeder neue Hinweis die Angelegenheit nur noch weiter verdunkelt hat, und das regt sie auf.
Als sie im fünften Stock der Polizeistation aus dem Fahrstuhl steigen, meldet ein Kollege Malberg, sie müsse unbedingt einen Typen von der Sicherheitskommission zurückrufen, das Ganze habe sich wichtig angehört, sämtliche Informationen würden bei ihr auf dem Schreibtisch liegen. Sie gibt Sparak einen Wink, ihr zu folgen, sie ist gespannt, und nachdem sie beide in ihrem Büro Platz genommen haben, greift sie zum Telefon.
Die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt sanft und freundlich. Der Anrufer stellt sich vor. Zacharias Solobek. Malberg verzieht beim Zuhören zunächst äußerst skeptisch das Gesicht, schaltet dann jedoch, als sie das Gefühl hat, dass der Mann bedeutende Dinge zu sagen hat, den Lautsprecher an.
»Es geht um die Ermittlungen im Todesfall Malek Pamuk. Die Datenbank hat eine Verbindung zwischen Ihren und unseren Daten hergestellt. Ich denke, das sollte Sie interessieren … Herr Pamuk hatte wegen einer Gesetzesverletzung eine Verwarnung erhalten. Normalerweise wäre das vielleicht nicht erwähnenswert, aber angesichts der Umstände stelle ich mir vor, dass Sie alle Fakten kennen wollen. Man weiß ja nie. Zumal die andere Person, die in die Sache verwickelt ist, wie soll ich sagen, die Chose zu einer etwas heiklen Angelegenheit macht …«
»Welche Person?«, erkundigt sich Salia, die mit einem Mal hellhörig geworden ist.
»Herr Kanaka, der gewählte Vorsitzende des Gesundheitsausschusses. Pamuk hat Herrn Kanaka bei einem Kongress vor zwei Monaten ziemlich heftig angepöbelt. Er hat für einen Eklat gesorgt. Der Fall wurde aufgenommen, aber strafrechtlich nicht verfolgt, Pamuk hat eine behördliche Anordnung bekommen, sich Herrn Kanaka nicht mehr zu nähern. Sie werden sehen: Steht alles in der Akte, die ich Ihnen weiterleite.«
»Sie wollen mir also erzählen, dass das Opfer eine Auseinandersetzung mit Herrn Kanaka hatte?«
»Ja. So ungefähr.«
»Weiß man denn, worum es bei dem Streit ging?«, mischt sich nun Sparak ein, der bislang stumm in einer Ecke ausgeharrt hat.
»Nein«, antwortet Solobek, der die Frage offensichtlich gehört hat. »Das ist in der Akte leider nicht vermerkt. Da müssen Sie wohl Herrn Kanaka selbst fragen …«
»Danke schön«, sagt Salia zum Schluss. »Das hilft uns sicher weiter.«
Als sie auflegt, leuchten ihre Augen.
Wenige Augenblicke später empfängt sie die versprochene Akte als Datei. Sie überfliegt sie schweigend und mit ernstem Gesicht auf dem Bildschirm, bemüht, den komplexen Sachverhalt zu erfassen.
»Nun?«, fragt Sparak, um ihr vielleicht eine kurze Zusammenfassung zu entlocken.
Er bemerkt ihren besorgten Gesichtsausdruck. Als wollte sie sich in diesem Augenblick am liebsten in Luft auflösen und die Suche im Morast anderen überlassen.
»Der Fall wird kompliziert«, sagt sie widerstrebend. Und wiederholt den Namen, der soeben in ihrer Akte aufgetaucht ist: Kanaka. Sie werden ihn aufsuchen und befragen müssen, das ist beiden klar. Unter Umständen ist er der Einzige, der weiß, wer dieser Pamuk war, warum er nicht auf der Liste des Implantationsdiensts steht und was ihn dazu veranlasst hat, eine Auseinandersetzung zu provozieren. Ihnen ist außerdem vollkommen bewusst, dass der Name ein Fluch ist. Kanaka bewegt sich in Sphären, die für sie zu hoch sind. Und in dieser Höhe werden Ermittlungen im Keim erstickt.