20 Beleidigungen

Auf der gesamten Fahrt herrscht Schweigen. Sparak lässt sich von nichts ablenken, als sie den Checkpoint Harmony erreichen. Er beachtet weder die protzigen Avenuen noch die beeindruckenden Gebäude aus Glas. Salia spricht mit den Leuten, die ihre Papiere verlangen, wissen wollen, ob sie einen Termin haben, sie anweisen, sich hier- oder dorthin zu setzen, sie auffordern, kurz zu warten oder nach oben zu gehen. Er hört und sieht sie nicht. Seine geballte Wut wächst. Er schreitet mit gesenktem Kopf durch die große Eingangshalle, um seine Gedanken nicht zu zerstreuen. Auch als Kanaka ihnen die Tür zu seinem Büro öffnet und dabei ein Gesicht macht, das ihnen zu verstehen gibt, dass sie ihn gerade stören, nimmt er davon keine Notiz. Nichts und niemand kann ihn aufhalten. Er sagt kein Wort, als Salia sich bei Kanaka lang und breit dafür bedankt, dass er sie erneut empfängt, und ihm anschließend erklärt, man sei nun wieder da, weil eine junge Frau ermordet wurde, die gleichfalls aufgeschlitzt worden sei, er sagt nichts, als Salia Kanaka fragt, ob er die junge Frau, Ira Cuprack, gekannt habe, und Kanaka verneint, er sagt die ganze Zeit nichts, in der sie höfliche Floskeln austauschen und Kanaka ihnen Lügen auftischt, denn er ist dabei, Schwung zu holen. Und dann stellt er plötzlich eine Frage, die den Raum wie eine Klinge zerschneidet.

 

»Haben Sie sie oft gevögelt?«

Kanaka ist völlig überrumpelt. Sparak, in Fahrt gekommen, fährt fort:

»Ziemlich peinlich, ich weiß. Aber ich muss Ihnen diese Frage stellen.«

»Sie blasen sich hier ganz schön auf …«, murmelt Kanaka, dem angesichts von so viel Frechheit der Atem stockt.

»Die Leiche der jungen Frau ist untersucht worden«, unterbricht ihn Zem. »Man hat Spuren von Sperma gefunden, und dieses Sperma stammt von Ihnen, Herr Kanaka. Ich frage Sie daher noch einmal, weil ich das Gefühl habe, dass Sie bisher nicht recht bei der Sache waren: Sind Sie sich wirklich sicher, dass Sie diese Person nicht gekannt haben?«

»Sie platzen hier rein … und stellen mir solche Fragen …«, zischt er leise.

»Herr Kanaka, vielleicht können Sie einfach antworten?«

»Nein«, verkündet er entschieden. »Ich werde nicht antworten. Was glauben Sie denn? Dass ich die Frau ausgeweidet habe? Das trauen Sie mir zu? Wirklich?«

»Es gibt viele Arten, einen Menschen zu töten. Wenn man viel Geld hat, braucht man sich dabei gar nicht die Hände schmutzig zu machen.«

»Sie wagen es, mich zu beschuldigen?«

Salia schreitet ein, um den Wortwechsel ein bisschen zu moderieren.

»Herr Kanaka, bisher sind Sie die einzige Verbindung zwischen den beiden Opfern.«

»Weil Sie diese Verbindung konstruiert haben!«, wettert er plötzlich heftig, ein Indiz dafür, dass er die Beherrschung verliert. »Ich habe Ihnen neulich gesagt, dass ich den Mann, der ermordet wurde, nicht gekannt habe. Es gibt keine Verbindung zu mir! Und das Einzige, was die zwei Opfer verbindet, ist, dass sie beide aufgeschlitzt wurden. So sieht’s nämlich aus. Ich verstehe nicht, wie sie mit mir in Verbindung stehen sollen.«

»Beim letzten Mal haben Sie uns erzählt, dass Sie Malek Pamuk nicht gekannt haben, aber wir wissen, dass Sie Streit mit ihm hatten. Heute erzählen Sie uns, dass Sie Ira Cuprack nicht gekannt haben, obwohl Spuren Ihres Spermas an ihr gefunden wurden. Also entschuldigen Sie, Herr Kanaka, wenn Ihnen die Frage missfällt, aber was für ein Spiel treiben Sie hier eigentlich mit uns?«

Sparaks Stimme klingt fest, unversöhnlich.

»Die Frau … Ich weiß es nicht … Das muss wohl beim LOve Day gewesen sein …«

Irgendetwas an dieser Aussage stimmt nicht, Zem spürt es. Er gibt dem Schreibtisch mit dem Knie einen kräftigen Stoß. Kanaka schreckt auf und starrt Sparak dann an, als hätte der eine Waffe gezückt.

»Das fällt Ihnen als einzige Antwort ein?«, fragt Sparak schroff, in dem Gespräch nun endgültig das Kommando übernehmend. »Dass die Frau möglicherweise eine von denen war, mit denen Sie am LOve Day Geschlechtsverkehr hatten, dass Sie sonst nichts von ihr wissen? Können Sie uns dann noch sagen, wo dieser Geschlechtsverkehr stattgefunden hat? Damit wir nach Zeugen suchen können, die Ihre Aussage bestätigen. Jetzt hören Sie mir mal zu, Herr Kanaka. Wir haben hier zwei Tote. Beide sind aufgeschlitzt worden. Die Spur führt zu Ihnen, ob Ihnen das in Ihrer kleinen Welt passt oder nicht, ob Sie sich aufregen oder nicht. Wir tappen im Dunkeln. Komplett. Sie sind als Vorsitzender des Gesundheitsausschusses für die Genehmigung von Implantaten zuständig, aber Sie verschaukeln uns total: Sie beantworten meine Frage nicht, Sie beantworten keinerlei Fragen. Die junge Frau! … Wer war sie? Woher haben Sie sie gekannt? Seit wann war Sie Ihre Geliebte oder Hure? Sie sehen, ich habe noch weitere Fragen! Jede Menge Fragen! Darf ich fortfahren? Hat sie Sie erpresst, mit dem Ziel, ein Implantat bewilligt zu bekommen? Ist Ihnen die Sache lästig geworden, weil Sie als Kandidat für einen Posten im Kommissionsdirektorium mitten im Wahlkampf stecken? Wo sind Ihre Antworten, Herr Kanaka?«

Sparak hat sich so weit nach vorne gebeugt, dass er Kanaka fast berühren kann. Er hat seiner Wut freien Lauf gelassen und nicht darauf geachtet, dass Tonfall und Handbewegungen immer aggressiver geworden sind. Kanaka stiert ihn zornig an, und es scheint, als wäre Sparaks Furor auf ihn übergesprungen.

»Jetzt reicht’s! Raus aus meinem Büro! Ich werde auf keine ihrer verdammten Fragen antworten. Was denken Sie eigentlich? Dass Sie aus eigenem Antrieb hier sind? Reden Sie sich das etwa ein? Dass Sie ein tüchtiger Polizist sind, der einfach seiner Intuition folgt? Wenn Sie jetzt da sitzen, dann nur, weil jemand will, dass Sie da sitzen. Kapieren Sie das, oder ist das zu hoch für Sie? Man hat dafür gesorgt, dass Sie hier auftauchen. Sie sind ein Nichts. Oder vielleicht ein guter Hund. Der brav an der Leine geht. Wer hat Sie aufgefordert, bei mir aufzukreuzen und mir all diese Sachen an den Kopf zu werfen? Haben Sie sich darüber mal Gedanken gemacht? Nein. Natürlich nicht. Sie glauben, Sie tun bloß Ihre Arbeit. Soll ich Ihnen sagen, warum ich Ihnen nicht antworte? Weil ich in Wahrheit gar nicht mit Ihnen rede, auch wenn es vielleicht so scheint. Weil in Wahrheit gar nicht Sie die Fragen stellen, sondern Leute, die im Hintergrund agieren, ohne dass Sie es merken. Im Übrigen stellen diese Leute überhaupt keine Fragen. Sie rücken mit ihren Figuren Zug um Zug vor. Sonst nichts. Sie, mein Guter, sind da, damit sich herumspricht, dass Ermittlungen im Gange sind, die Polizei eine Fährte verfolgt und ich mit den beiden Morden irgendwie zu tun haben könnte, auch wenn es dafür nicht den geringsten Beweis gibt, auch wenn niemand Zeit hat, diese Dinge zu überprüfen, Hauptsache, das Gerücht hält sich bis zu den Wahlen und verbreitet sich bis dahin noch weiter. Also hauen Sie ab! Und richten Sie den Leuten aus, die Sie heute Abend dazu beglückwünschen werden, dass Sie hier waren und mich vernommen haben: Ich habe ein zuverlässiges Gedächtnis, und sie werden dafür bezahlen, wenn die Zeit reif ist!«