»Das war der Letzte«, gab Yehu Rami mit tiefer Stimme in seiner offiziellen Ansprache kund. Sein Gesicht war bleich. In Magnapolis war der »Wirbelsturm 28« losgebrochen. Ein unvorhergesehener Zyklon, der die Stadt mit unerhörter Wucht getroffen und binnen achtundzwanzig Minuten die Straßen verwüstet hatte. Ein wahres Gemetzel. Achtundzwanzig Minuten hatten genügt, um ganze Viertel zu überfluten. In der kurzen Zeit fiel so viel Regen wie normalerweise in zwei Jahren. Ein dichter Vorhang zog sich zu, der von reißenden Winden gepeitscht wurde. Später spülten Schlammlawinen weg, was bis dahin noch standgehalten hatte. »Das war der Letzte«, wurde zum Motto des Widerstands gegen eine wilde, unberechenbare Natur, die bei heiterem Himmel Chaos barg. Kurz bevor der Wind die Wände hatte wackeln lassen, war noch schönes Wetter gewesen. Kurz nach der Katastrophe erfreute man sich erneut milder Temperaturen, und es sangen die Vögel, die überlebt hatten. GoldTex machte sich ans Werk. Zum ersten Mal wurde der Ausnahmezustand verhängt und eine PhadaK, eine Phase der außergewöhnlichen Kraftanstrengung ausgerufen. Die BiFs erklärten sich dazu bereit, ohne die Miene zu verziehen. Es war unglaublich viel zu tun. Es galt zum einen, die Stadt wieder in Gang zu bringen, und zum anderen, die Kuppel zu errichten. Monatelang wurde wie verrückt gerackert. Die Arbeiten verschlangen Unsummen. Yehu Rami hatte es ja angekündigt: GoldTex würde keine Kosten und Mühen scheuen. Die Leute schwirrten herum, schwitzten und waren rund um die Uhr beschäftigt. Man schuftete Tag und Nacht. Die Arbeiten schritten zügig voran, doch große Taten zehren häufig ihren Schöpfer auf, und so starb Yehu Rami wenige Wochen vor Eröffnung der Kuppel. Zur selben Zeit wurde GoldTex vom Konkurrenzunternehmen MolochFirst des unlauteren Wettbewerbs bezichtigt. MolochFirst hatte ebenfalls mit dem Bau einer Klimakuppel begonnen, die Arbeiten verzögerten sich jedoch. Gerüchte kursierten, denen zufolge bei GoldTex unmenschliche Zustände geherrscht hatten. Es war von Sklaverei die Rede, die Baustellen seien regelrechte Friedhöfe gewesen. Nach dem Tod von Yehu Rami besprach das Management das weitere Vorgehen. Sollte man nun verkünden, der Architekt habe im Bemühen um die Sicherheit der BiFs Fehler begangen und zweifelhafte Anweisungen gegeben? Sollte man alles offenlegen? Die Ikone beschmutzen, um ein Problem aus der Welt zu schaffen? Man entschied sich für das Gegenteil. Die Freude gönnte man MolochFirst nicht. Yehu Rami wurde zum Helden erkoren. Am Tag der Einweihung der Kuppel entrollte man ein riesiges Banner mit seinem Konterfei, auf dem es unter dem Porträt schlicht hieß: Danke. Und was die Arbeitsbedingungen auf der Baustelle anging, wurden sämtliche Vorwürfe zurückgewiesen. Man erklärte der Öffentlichkeit, es handele sich hierbei um Destabilisierungsversuche der Konkurrenz. MolochFirst wolle den Ruf des Kontrahenten verunglimpfen und ihn schwächen. Alles wurde kategorisch abgestritten. Bei der Eröffnung setzte ein plötzlicher Platzregen ein. Das Konsortium hätte sich keine bessere Inszenierung ausdenken können. Die Hagelkörner krachten wütend auf die Kuppel. Die Menschen auf den Straßen, Terrassen, Avenuen und Balkonen schauten instinktiv ängstlich zum Himmel auf. Das Geprassel wurde immer heftiger. Die Spannung stieg. Dann, als die Leute sahen, dass die Kuppel hielt, stimmten sie lautes Hurrageschrei an. Man begegnete dem Grollen des Zyklons mit Freude auf den Straßen. Die Kuppel bot wirklich Schutz. Nur auf den Baustellen wurde das Trommeln des Regens ruhig und schweigend aufgenommen. Die Arbeiter sangen und tanzten nicht. Denn sie wussten, wie viele Kollegen für das große Ziel hatten sterben müssen. Sie wussten um die Einschüchterungen, die sie hatten ertragen müssen. Vor allem wussten sie, dass sie mit ihrem Blut und ihrem Schweiß ein Dach gebaut hatten, das für sie keinerlei Nutzen hatte, weil sie wieder in die Zone 3 zurückkehren würden, wo die Bauarbeiten noch nicht begonnen hatten. Sie waren ihr Leben lang ausgebeutet worden und wussten, dass die Arbeiten in Zone 3 ins Stocken geraten, die Sache nicht vorangehen würde und sie wohl nie den Kopf erfreut zum Himmel heben und zufrieden feststellen würden, dass sie von einem Unwetter nichts abbekamen. Ihnen wurde ein für alle Mal bewusst, dass ihr Tod nichts bedeutete, ihre Leistungen später nicht gewürdigt und nirgends erwähnt werden würden, und das schmerzte sie vielleicht am meisten. Man würde sie für immer vergessen, jede Erinnerung an sie war in den Fundamenten der Kuppel begraben, des monumentalen Denkmals zu Ehren von Yehu Rami. Und wie die Soldaten einer Armee, die für ihren eitlen Herrscher in den Tod geht, verfluchten sie heimlich den Zyklon, der zu schwach war, um ihr trauriges Schicksal zu rächen und die Reichen zu treffen.