»Auf die Knie!«
»Hat dich Kanaka geschickt?«
»Auf die Knie, sage ich.«
Er zieht ihm mit dem Griff der Pistole, die er ihm sofort vorgehalten hat, als Skyros die Wohnungstür öffnete, eins über. Der Typ hat überhaupt keinen Verdacht geschöpft. Er hat wohl gedacht, Sparak möchte ihm eine Nachricht seines neuen Arbeitgebers überbringen. Von dem Hieb überrumpelt, fällt er auf die Knie und hält sich mit beiden Händen den Kopf. Ihm bleibt vor Schmerz die Luft weg, Blut rinnt über seinen Schädel.
»Was willst du?«, fragt er, darauf bedacht, mit dem Angreifer ein Gespräch aufzubauen und ihn so zu beruhigen.
»Nichts. Nichts, was du mir geben kannst. Ich bin nur gekommen, um zu nehmen.«
»Du bringst mich um, oder? Etwa weil du Pamuk und Cuprack rächen willst, die du nicht mal gekannt hast?«
»Nein«, gibt Sparak zurück, entsichert seine Waffe und richtet sie auf Skyros. »Es ist Zeit zu bezahlen, Skyros. Für Athen und meine Jugend, für all die, die du verpfiffen hast.«
Offenbar überrascht von Sparaks Worten, hebt Skyros den Kopf.
»Hat Barsok dir das erzählt? Er benutzt dich bloß, merkst du das nicht? Das spielt ihm in die Karten, wenn du mich ausschaltest …«
Sparak lässt sich Zeit, bevor er mit dumpfer, langsamer Stimme sagt:
»Erinnerst du dich noch an Herakles Mourikos? Oder an Georgios Perifomi? An Artemis Partouros? Erinnerst du dich an Yannis Eufrenio? An Maria Agopoulos?« Und er zählt seine ganzen damaligen Freunde auf. Seine Freunde, die er nie mehr wiedergesehen hat. Mit jedem Namen wächst sein Zorn. Seine Hand ist entschlossen, er atmet ruhig. Es ist, als würde er noch einmal sämtliche Anklagepunkte durchgehen, bevor er kaltblütig und souverän das Urteil vollstreckt. Skyros spürt, dass er nicht herumzueiern braucht. Er sieht Sparak schließlich mit verändertem Gesichtsausdruck in die Augen, entschieden, nicht um Gnade zu flehen, nicht zu versuchen, einen Kompromiss auszuhandeln, sondern Sparak frontal mit der Wirklichkeit zu konfrontieren.
»Willst du die Wahrheit hören, Sparak?«, legt er los. »Nein. Ich kann mich nicht erinnern. An die Menschen, deren Namen du aufsagst. Ich habe sie alle vergessen. Es waren schlicht zu viele. Ich habe eine solche Menge von Leuten hochgehen lassen, dass sie irgendwann nur noch Namen auf irgendwelchen Listen waren. Ich habe deswegen keine schlaflosen Nächte gehabt. Sie haben mich nicht im Traum verfolgt. Verstehst du, Sparak? Jetzt bist du wahrscheinlich enttäuscht. Hast du dir vorgestellt, dass mich ein schlechtes Gewissen plagt? Keine Spur. Du dagegen … Du wirst abdrücken … Und dann? Das kann ich dir flüstern. Dann machst du nachts kein Auge mehr zu. Und warum? Weil du die Welt auslöschst, von der wir beide ein Teil sind, indem du mich erschießt. Es gibt nicht mehr viele von uns, Sparak. Griechenland, wem sagt das heutzutage noch irgendwas? Wenn du mich abknallst, ist es wieder einer weniger, der weiß, dass dieses Land je existiert hat. Und irgendwann bist du ganz allein mit deinen Erinnerungen und fragst dich, wie es weitergehen soll … Du wirst dir unzählige Fragen stellen, die dich nachts um den Schlaf bringen und dir tagsüber keine Ruhe lassen, Fragen, auf die ich vielleicht eine Antwort habe, weil auch ich diese Geschichte miterlebt habe, ob es dir nun passt oder nicht. Wir haben nicht auf derselben Seite gestanden, aber ich habe Antworten auf alles, was dir auf der Seele brennt, also überleg dir gut, was du dir selbst antust, Sparak, du solltest vielleicht …«
Ein Schuss kracht, Skyros’ Rede bleibt unvollendet, sein Schädel zerschellt in Sekundenbruchteilen.
Er hat getötet.
Er wundert sich über die Stille im Raum. Er ist ganz entspannt. Er betrachtet die Leiche zu seinen Füßen. Dieser Fall hat ihn zum Mörder gemacht … An dem Tag, an dem er Pamuk tot in der Steppe liegen gesehen hat, hatte er geglaubt, dass er ausziehen würde, um die Wahrheit herauszufinden, doch er hat sich getäuscht: Er ist auf dem langen Weg zum Verbrecher geworden. Er hat Blut mit Blut vergolten. Er hat die Welt nicht verbessert. Er hat getan, was andere auch tun: Er hat getötet. Und er ist überrascht, dass seine Hände nicht zittern, sein Gehirn nicht von tausend Gedanken und Gefühlen heimgesucht wird, er kühlen und klaren Kopf bewahrt. Die Sache tut ihm nicht leid. Er schaut den Toten an, der in der schicken Wohnung am Boden liegt. Diesen plumpen Körper, der nun erkaltet, der für immer schweigen, kein Verlangen mehr wecken und niemandem mehr Angst einflößen wird, und er denkt, dass alles auf diesen Punkt hinausgelaufen ist. Das blutige Ende hat sich angekündigt, seit der G.O. der Zentrale ihn mit Salia zusammengebracht hat. In einer Anwandlung von Tollkühnheit schießt er erneut. Auf dass das Blut fließt, wie es immer geflossen ist, im Gemetzel oder zum Opfer. Das Blut in Skyros’ Adern kommt von weit her, wie sein eigenes, und verbindet sie mit einem Land, das es nicht mehr gibt. Er drückt wieder ab. Zum dritten Mal. Als wollte er das Leben herausfordern, das sich einen Scherz mit ihm erlaubt hat, wie um sich zu versichern, dass er keine Angst mehr hat, nicht mehr hofft, sich vor irgendetwas schützen zu können, weil er sich längst beschmutzt hat. Er drückt ab, um das Schicksal zu beleidigen, das Salia geschunden und ihn verspottet hat, als es ihm weismachte, dass zwischen ihnen etwas im Entstehen war, und dann alles zerstörte. Er drückt ab, um zu zeigen, dass er sich bis zu seinem letzten Atemzug an Griechenland erinnern und nichts vergeben wird, dass er die Gewalt im Grunde liebt, weil sie das Einzige ist, was von dem jungen Mann, der auf den Straßen von Athen zerbrochen ist, noch übrig ist. Er drückt ab, um zu zeigen, dass er bis zu seinem Tod Grieche bleiben wird.