5 Gazynskis Verrat

Am Anfang hatte er noch gehofft, bald nach Griechenland zurückzukehren. Er war sich darüber im Klaren, dass er in den ersten zwei Jahren keinen Anspruch auf Urlaub hatte, aber er zerbrach sich deswegen nicht den Kopf. Als er den Vertrag unterschrieben hatte, hatte er das akzeptiert, er konnte warten. Er streifte mit großen Augen durch die Straßen von Magnapolis. Alles war neu und überwältigend. Er ging an der Saule und im Parc des Cèdres spazieren. Bei allem Pomp war die Stadt ruhig. Kaum zu glauben. Athen war schon lange völlig verwahrlost gewesen, hässlich und arm. In Magnapolis machte er zum ersten Mal die Erfahrung, dass eine Metropole nicht zwangsläufig kaputt und versifft sein musste. Dass man auch ohne die Torturen von Wasser- und Stromausfällen leben konnte. Ein Bummel durch die prunkvollen Avenuen stellte einen geradezu unwirklichen Moment der Entspanntheit dar.

 

Erst wurde er zur Polizeiwache in Grandelune beordert, am Fuße des Mount Liberty. Dann hatte der Dienst für innere Sicherheit einen Personalengpass und stellte ihn ein. Es war die Zeit des beginnenden großen Konkurrenzkampfs mit dem MolochFirst-Konsortium, es galt, Spione zu entlarven. GoldTex wurde von seinem Rivalen unterwandert. Ein Konzern wollte den anderen aufkaufen. Höher, schneller, weiter. Den Konkurrenten ausschalten. Mit seinen Kollegen hörte er die Reden von CEO El Fatong, der die Vorzüge von GoldTex anpries. Er war bei dem berühmten Vortrag dabei, in dem El Fatong den Slogan »Überall zu Hause!« ausgab, mit dem eine beispiellose Periode der Fusionen und Übernahmen eingeläutet wurde. Man setzte alles daran, MolochFirst zu zerschlagen. Er bemühte sich, den allgemeinen Eifer zu teilen, immerhin bot GoldTex als Gegenleistung für seinen Einsatz, seine Zeit und Effizienz den Komfort der Zone 2.

 

Und dann kam der 18. Mai, an dem die Firma Gazynski bekanntgab, dass sie von MolochFirst übernommen wird. Die Verantwortlichen von GoldTex waren sprachlos, sie hatten es nicht vorausgeahnt. Man war vom alten Verbündeten verraten worden. Griechenland geriet in die Mühlen des Wettstreits. Das Ganze war eine gehörige politische Niederlage und der Anfang eines unerbittlichen Kampfes zwischen den zwei mächtigen Gruppen. Von nun an herrschte eine totale Konfrontation. Wachse und kaufe, lautete die Devise, sonst wächst und kauft der andere. Der Verlust Griechenlands wurde als Indiz für die Überheblichkeit von GoldTex gewertet, wo man die Gefahr null gewittert hatte. Das Unternehmen entsandte Truppen, um eine Demütigung zu vermeiden. Der Peloponnes hatte einen etwas anderen rechtlichen Status als der Rest des Landes. GoldTex behauptete, Gazynski besitze keinen Titel, der die Firma als Eigentümer der Halbinsel ausweist, was ihre Rückübertragung an MolochFirst unmöglich mache. Es folgte eine lange Auseinandersetzung. Angriffe wurden gestartet und abgewehrt, Stellungen eingenommen und verloren. In den Anwaltskanzleien stritt man um Gesetze und Dekrete. Nach monatelangem Konflikt zog sich MolochFirst unter der Bedingung, dass der Peloponnes zur unbesiedelten Zone erklärt wird, schließlich aus Nafplio, der letzten noch bewohnten Stadt, zurück. MolochFirst wollte auf der anderen Seite des Isthmus von Korinth keine Städte sehen, die dem Feind gehörten. GoldTex feierte das als Sieg, der von dem gewaltigen Debakel ablenkte, das der Verrat durch das Subunternehmen darstellte, und es gab große Straßenfeste, mit denen die Wiederaufnahme von Nafplio in den Schoß von GoldTex begangen wurde.

 

Dieser Moment änderte alles für ihn. Damit war es aus und vorbei. Die Hoffnung auf eine Heimkehr dahin. Er konnte nicht mehr nach Athen zurück. GoldTex hatte einen Exilanten aus ihm gemacht, MolochFirst einen Staatenlosen. Sein Land würde ihm für immer verschlossen bleiben. Das Abkommen von Argos besiegelte das Schicksal des Peloponnes. Zur gleichen Zeit beschloss GoldTex, die Halbinsel zu einem Endlager für Müll umzufunktionieren. Innerhalb von zwei Jahren war keine menschliche Niederlassung mehr vorhanden. Zwischen Kalamata und Nafplio pendelten ununterbrochen Lastwagen hin und her, die Tag und Nacht den Unrat der Welt in tiefe Schächte kippten.

 

Er war fortan nur noch ein Schatten seiner selbst, gleichgültig gegenüber allem schlurfte er umher, ohne Leidenschaft, ohne Zukunft. Der ruhige Überfluss der Zone 2 umgab ihn, aber er nahm keinen Anteil. Irgendetwas fehlte ihm. Er empfand keinen Hass und verspürte nicht den Wunsch umzuziehen oder den Job zu wechseln. Er war wie betäubt. Und vielleicht wollte GoldTex im Grunde genau das: die vollkommene Auflösung des Individuums im gemeinsamen Projekt. Nur noch Körper, die ihrer Arbeit nachgehen.