KAPITEL 18
Leighton
W
undersamerweise gibt es
einen Parkplatz in der ersten Reihe, direkt neben dem Eingang zum Kinderkrankenhaus. Ich bin dankbar dafür, denn ich habe einen Haufen Sachen hochzutragen.
Ich fahre in die Parklücke, steige aus dem Wagen und gehe zum Kofferraum, den ich mit einem Druck auf den Schlüssel öffne. Drinnen befinden sich zahlreiche Tüten von meinem Besuch im Einkaufszentrum.
Es ist wunderbar, meinen Wagen hier in Las Vegas zu haben. August hat mich vor ein paar Tagen damit überrascht. Er hat einen Arbeitskollegen bei Jameson, der einige Tage freihatte, und er hat ihn bezahlt, damit er nach Denver fliegt und meinen Wagen abholt, damit ich meinen Mietwagen zurückgeben kann. Er tat dies, indem er heimlich den Schlüssel aus meiner Handtasche nahm und mich dann anderthalb Tage später mit meinem Wagen überraschte, der in der Einfahrt geparkt war.
Ich komme nicht ganz dahinter, ob es sich dabei
lediglich um eine überaus nette und großzügige Geste unter Freunden handelt oder es vielleicht ein Hinweis darauf ist, dass er meinen permanenten Umzug hierher erwartet. Vielleicht belohnt er mich auch für den fantastischen Sex, den wir hatten – die männliche Version von roten Rosen, außer dass es sich um meinen alten Honda handelt. Wie dem auch sei, es war gut, den Mietwagen abzugeben und auf diese Weise etwas Geld zu sparen.
Ich durchwühle die Päckchen und Tüten und stelle eine davon zur Seite, in der sich meine persönlichen Sachen befinden. Als ich heute einkaufen war, habe ich etwas sehr Ungewöhnliches getan und bin an mein Erspartes gegangen, um mir etwas Hübsches zuzulegen.
Oder vielmehr, etwas Hübsches für August.
Ich öffne die Tüte ein wenig, um einen Blick auf die sexy roten Dessous zu werfen, die ich in einem ziemlich teuren Geschäft erworben habe. Noch niemals zuvor habe ich so viel Geld für etwas so Kleines ausgegeben. Ich muss zwar zugeben, dass mir weicher Spitzenstoff auf der Haut gefällt, doch bislang habe ich meine Kleidung ausschließlich in Billigläden gekauft, weil ich mir nichts Teureres leisten konnte. Früher habe ich Unterwäsche nur zu meinem eigenen Vergnügen gekauft und ohne die Absicht, dass mich irgendjemand anderes außer mir darin sehen wird.
Doch mit dem Inhalt dieser Tüte war das nicht der Fall. Ich habe ihn in der vollen Absicht gekauft, dass
August ihn sehen wird. Und ihn hoffentlich auch verrückt machen wird. Meiner Meinung nach war es das Geld wert.
Während der vergangenen Woche haben August und ich eine Routine miteinander gefunden. Es ist uns gelungen, das Wicked Horse mit einer Ausnahme jeden Tag zu besuchen. Zwei dieser Abende waren, als mein Vater bei Sam im Krankenhaus war. An beiden verbrachten wir zahlreiche dekadente Stunden im Club und probierten die verschiedenen Zimmer aus. Bei zwei anderen Gelegenheiten fuhren wir tagsüber hin, als mein Vater bei Sam war und sowohl August und ich die Nachtschichten im Krankenhaus übernahmen und nur während des Tages Zeit hatten. Wir nutzten diese kurzen Gelegenheiten, wenn mein Vater bei Sam im Krankenhaus war, um uns am Nachmittag kurz in den Club zurückzuziehen, der zu dieser Tageszeit beinahe ausgestorben war und eine vollkommen andere Atmosphäre bot. Einmal waren wir im Silo. Drinnen befand sich vielleicht eine Handvoll Gäste, von der der Großteil an der Bar saß und an Getränken nippte. Wir gingen in einen der verglasten Räume und ließen die Vorhänge offen, damit die Leute uns zusehen konnten. Mit diesen wenigen Menschen fühlte ich mich viel intensiver beobachtet als an Abenden, an denen der Club vollgepackt war, weil wir die einzige Unterhaltung boten, die es wert war, dass man ihr zusieht.
Mir steigt die Hitze den Nacken hinauf, als ich an
eine der Sexmaschinen denke, auf die August mich gesetzt hat. Er ließ mich einfach darauf Platz nehmen, als würde ich auf einem Motorrad sitzen, nur dass sich zwischen meinen Beinen eine Öffnung mit einem riesigen elektrisch betriebenen Dildo darunter befand. August positionierte mich darauf, stellte eine mittlere Geschwindigkeit ein und sah dabei zu, wie er seine Arbeit in mir tat. Es war so verdammt sexy, dass er nichts weiter tat, als sich auf einen Stuhl in der Ecke des Raumes zu setzen und mich zu beobachten, wie ich von einem Dildo gefickt werde, während die anderen Leute im Club mir dabei zusahen. Ich denke, ich werde langsam selbstbewusster, denn ich wurde nicht einmal rot, als ich meinen Orgasmus herausschrie, während ich für alle zur Schau gestellt wurde.
Blinzelnd schiebe ich diese Gedanken beiseite und betrachte die Tüten in meinem Kofferraum. Ich habe ein schlechtes Gewissen, denn jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um darüber nachzudenken.
Stattdessen sollte ich an die Tatsache denken, dass heute Sams zehnter Geburtstag ist. Wir waren uns zwar ziemlich sicher, dass wir seinen Geburtstag im Krankenhaus feiern würden, hatten aber keine Ahnung, wie gut es ihm gesundheitlich gehen würde, was wiederum einen Einfluss darauf hätte, welche Art von Feier wir ihm bieten könnten. Aber mit jedem Tag, der vergeht, geht es auch Sam immer besser. Er hat bislang weder Infektionen noch Rückschläge erlitten. Jeden Tag
kommt er ein wenig mehr zu Kräften.
Das bedeutet, ich werde vermutlich einen kleinen Jungen sehen, der vor Aufregung kaum still sitzen kann. Zu sagen, er möchte entlassen werden, ist eine Untertreibung und ich hoffe, dass es schon bald soweit sein wird. Ich befürchte, je länger er dort ist, desto mehr wird sich seine Stimmung umkehren und er wird in eine Depression abrutschen.
Ich nehme die Tüten, in dem sich seine Geschenke und die Dekoration befinden. August bringt den Kuchen, den er speziell von einem Bäcker hat anfertigen lassen, der ihm empfohlen wurde. Mein Vater hat mich ebenfalls gebeten, einige Dinge für Sam zu besorgen, da das Einkaufen nicht zu seinen Stärken zählt. Er befindet sich im Krankenzimmer, wo er Sam Gesellschaft leistet, damit August und ich unsere Geburtstagsbesorgungen machen können.
Mit beiden Armen voll gelingt es mir, die Klappe des Kofferraums zu schließen und den Wagen zu verriegeln. Ich gehe über den Parkplatz und betrete den Patienteneingang. Judy, die Rezeptionistin der Eingangshalle, winkt mir zu. »Hey Leighton.«
»Hey Judy«, rufe ich.
»Soll ich Ihnen jemanden schicken, der Ihnen mit all diesen Sachen zur Hand geht?«
Ich schüttele den Kopf. »Das schaffe ich schon. Sam hat heute Geburtstag.«
Judy lächelt fröhlich. »Ach, das ist ja wunderbar. Ich
werde ihm später gratulieren.«
Strahlend gehe ich zum Aufzug. So etwas passiert eben, wenn ein Kind einen Monat lang im Krankenhaus liegt. Die Eltern lernen die Leute kennen, die dort arbeiten. Mir ist aufgefallen, wenn es sich bei dem Patienten um ein Kind handelt, geben sich die meisten Menschen große Mühe, um es kennenzulernen. Ich habe den Überblick verloren, wie viele Leute ich getroffen habe, die nicht direkt in der Patientenversorgung arbeiten und sich trotzdem die Zeit genommen haben, sich Sam vorzustellen, nur weil sie wissen, dass er schon eine ganze Weile dort ist.
Vor Sams Zimmer angekommen stelle ich die Tüten im Türrahmen ab. Weil es ihm so gut geht, müssen wir keine Isolationskleidung mehr tragen.
Sofort fällt mir auf, dass Dr. Hunt, Onkologe und Leiter der Transplantationsabteilung, an seinem Bett steht. Mein Vater sitzt auf der anderen Seite auf einem Stuhl und alle lachen zusammen über etwas.
Dr. Hunt dreht sich um und lächelt mich strahlend an. »Ich bin vorbeigekommen, weil ich gehört habe, dass Sam heute Geburtstag hat.«
Mein Vater erhebt sich von seinem Platz und bietet mir den Stuhl an, doch ich lehne lächelnd ab.
»Es ist nett, dass Sie vorbeischauen«, sage ich zu dem Arzt.
Dr. Hunt blickt zwischen Sam und mir hin und her. »Ich habe sogar ein Geburtstagsgeschenk für dich.
«
»Sind es Legosteine?«, rät Sam ins Blaue hinein.
Lachend schüttelt Dr. Hunt den Kopf. »Nein, so einfach ist es nicht. Wie wäre es, wenn ich dir sage, dass ich dich in zwei Tagen entlassen werde?«
Sam kniet sich im Bett hin und stößt einen Kriegsschrei der Begeisterung aus. »Das ist super!«
»Zwei Tage?«, frage ich, um ganz sicher zu sein.
Dr. Hunt nickt. »Seine Blutwerte werden jeden Tag besser. Davon ausgehend, dass es während der nächsten zwei Tage so weitergeht, wird es sicher sein, ihn nach Hause zu schicken.«
»Dann also am Sonntag?«, fragt Sam. Er dreht sich um und schaut mich aufgeregt an. »Das bedeutet, ich könnte rechtzeitig zu Hause sein, um mit Dad und Opa in Dads Männerhöhle Football zu gucken.«
Ich lache. Keine Ahnung, warum es ihm so wichtig ist, wo er sonntags doch im Krankenhaus Football schaut. Aber ich denke, er stellt sich vor, dass es eine große Sache ist, sich zu Hause mit den Männern in der Männerhöhle zu entspannen, während sie dabei Football schauen.
In diesem Moment betritt August mit dem Kuchen in den Händen das Zimmer. »Hat hier irgendjemand Football gesagt?«
Immer noch auf Knien hüpft Sam im Bett auf und ab. »Dad … Dr. Hunt hat gesagt, ich darf in zwei Tagen nach Hause, und ich habe gesagt, dass wir dort zusammen Football schauen können.
«
August streckt mir den Kuchen entgegen, ich nehme ihn und stelle ihn auf den breiten Nachttisch. Nachdem er mir anerkennend zugelächelt und mich rasch von oben bis unten angesehen hat, was mir die Röte ins Gesicht steigen lässt, geht er eilig zu Sam und nimmt ihn fest in den Arm. »Das ist ja fantastisch, Kumpel. Aber dieses Geschenk wird ganz sicher nicht gegen meins bestehen können.«
Die Aussicht darauf, dass August Sam etwas gekauft hat, das die Aufregung darüber in den Schatten stellt, schon bald nach Hause zu dürfen, ist zu viel für ihn. Er fängt wieder an zu hüpfen. »Was ist es? Was ist es?«
August lächelt seinen Sohn listig an, bevor er sich umdreht und in Richtung Tür brüllt: »Du kannst jetzt reinkommen, Darius.«
Zu meiner Überraschung betritt ein riesiger Mann das Zimmer. Er ist so breit, dass es beinahe den Anschein hat, als würden seine Schultern nicht durch den Türrahmen passen. Er grinst Sam an und sagt mit tiefer, rumpelnder Stimme: »Wie geht’s, kleiner Mann?«
Ich habe keine Ahnung, wer dieser Kerl ist, Sam aber scheinbar schon, denn seine Augen werden rund und treten so weit aus seinem Kopf heraus, dass ich Angst habe, er könnte einen Schlaganfall erleiden. Schließlich findet er seine Stimme wieder und kreischt: »Ach du Scheiße, das ist Darius Fables!«
Verwirrt blicke ich zu August, meinem Vater und Dr. Hunt, die alle der Situation angemessen beeindruckt
scheinen. Weil es niemanden zu interessieren scheint, dass Sam soeben ein Kraftwort benutzt hat, beschließe ich, nichts zu sagen.
Ich habe keinen Schimmer, wer Darius Fables ist, aber angesichts seiner Größe und der Tatsache, dass Sam weiß, um wen es sich handelt, zusammen mit der anderen Tatsache, dass er soeben Scheiße gesagt und niemand ihn dafür zurechtgewiesen hat, gehe ich davon aus, dass er ein Profifootballer von Sams Lieblingsmannschaft ist.
August muss aufgefallen sein, dass ich nichts verstehe, deshalb nimmt er sich einen Moment, um mich vorzustellen. »Leighton … das ist Darius Fables. Er ist der Center der Broncos und Sams Lieblingsspieler.«
Darius streckt mir eine fleischige Pranke entgegen, die meine Hand vollkommen umschließt, und gibt mir einen warmen Händedruck. »Schön, Sie kennenzulernen.«
Er lässt mich los, geht zu Sams Bett und zieht dabei ein Trikot aus der Tasche, die er mit sich trägt. Ich trete zurück, um den beiden Platz zu machen, und frage mich, wie August das nun wieder geschafft hat. Ich meine … wie um alles in der Welt ist es ihm gelungen, einen Footballspieler mitten in der Saison davon zu überzeugen, ein Kind im Krankenhaus zu besuchen? Ich rücke näher an ihn heran und murmele: »Du hast ja einige Spitzen-Beziehungen.«
Lachend schüttelt er den Kopf. »Ich nicht, Declan
aber schon. Er hat das hier in die Wege geleitet. Hat Darius sein Flugzeug geschickt, der nur deswegen gekommen ist und sofort wieder nach Denver zurückfliegen muss.«
Ich lasse den Kopf zu ihm herumfahren und kneife die Augen zusammen. Sofort habe ich den Verdacht, dass es etwas mit dem schlechten Gewissen zu tun hat, das August meinetwegen hat. Ich frage mich ebenfalls, ob das hier Declans Art ist, mir für einen wunderbaren Abend zu danken.
August scheint die Fragen in meinem Kopf sehen zu können, denn er schüttelt den Kopf, beugt sich zu mir und murmelt: »Declan ist bloß ein netter Kerl. Er hat es angeboten und ich habe angenommen. Er hat es ganz allein nur wegen Sam getan. Mit uns hat es nichts zu tun.«
Ich betrachte die Freude auf Sams Gesicht. Ich hätte ihm niemals ein so wundervolles Geschenk machen können. Ich bin fast schon etwas eifersüchtig, wie es die Verbindung zwischen August und Sam festigen wird. Aber letzten Endes bin ich einfach nur unendlich dankbar, dass August diese Art von Verbindungen hat, um unserem Sohn eine Erfahrung zu bieten, die er niemals vergessen wird.
»Also, hier findet ja ganz offensichtlich schon eine Party statt«, verkünde ich und fange an, die Tüten nach den Papiertellern mit Star-Wars-Aufdruck und anderen Utensilien zu durchwühlen, die ich gekauft habe. »
Vergessen wir die Dekoration einfach. Kommen wir gleich zum Teil mit dem Kuchen.«
Und so feiern wir Sams zehnten Geburtstag in seinem Krankenzimmer. Dr. Hunt bleibt, um ein Stück Kuchen zu essen, Darius Fables hilft Sam dabei, den Rest seiner Geschenke zu öffnen, und ich freue mich darüber, dass mein Kind gesund und stark wird und einen wunderbaren Tag hat.
Wir lachen unheimlich viel. Wir verteilen Kuchenstücke an die Krankenschwestern. Darius Fables ist überaus großzügig mit seiner Zeit und verbringt eine Stunde damit, sich mit Sam über Football zu unterhalten.
Aber irgendwann neigt es sich dem Ende entgegen. Dr. Hunt muss gehen, weil er noch viele andere Patienten hat, die seine Aufmerksamkeit benötigen. Darius lehnt Augusts Angebot ab, ihn zum Flughafen zu fahren, und besteht darauf, dass er hierbleibt und die Zeit mit Sam verbringt. Dann verabschiedet Darius sich und verspricht Sam, er dürfe nächstes Jahr, wenn er wieder gesund ist, zu einem Spiel der Broncos kommen. Auch als Darius schon lange gegangen ist, glänzen Sams Augen noch immer.
Beim Aufräumen tritt August an mich heran und fragt: »Ist mit deinem Vater alles in Ordnung?«
Ich schaue über die Schulter und sehe, dass er und Sam die Köpfe zusammengesteckt haben und sich die Bücher ansehen, die ich für ihn gekauft habe. Auf den ersten Blick scheint alles okay zu sein, aber dann fällt mir
auf … Dad war ungewöhnlich still und zurückgezogen, als wir gefeiert haben. Ich habe dem aber keine große Bedeutung zugemessen, weil es mir zu viel Spaß gemacht hat, Sams Freude zu genießen.
Doch ja … irgendetwas stimmt nicht.
Ich brauche August nicht einmal zu antworten, denn es scheint, als würde er meine plötzliche Sorge bemerken. Er dreht sich zu meinem Vater um und sagt: »Hey Mike … wie wäre es, wenn wir beide rausgehen und irgendwo ein Bier trinken?«
Mein Vater blickt auf, sichtlich überrascht von dem Angebot. Es ist sehr untypisch für August, der mit meinem Vater nie wirklich warm geworden ist, und dieses Gefühl beruht auf Gegenseitigkeit. Dass August das tut … ich möchte ihn dafür so fest umarmen, dass meine Arme von dem bloßen Wunsch anfangen zu schmerzen. Er ist meinem Vater nichts schuldig, aber ich kenne die Wahrheit, warum er versucht, sich ihm anzunähern.
Er tut es für Sam und er tut es für mich. Er mag meinen Vater vielleicht nicht übermäßig gern, aber er weiß, dass wir ihn lieben.