In der Bozner Quästur herrschte wieder mal dicke Luft. Vielleicht nicht überall, aber ganz sicher im ersten Stock der Staatspolizei, wo Sandrini sein Büro hatte. Dabei hätte der Commissario allen Grund, sich zu freuen. Denn der Mörder des Zuhälters aus dem Froschbrunnen war überführt. In zwei Stunden war eine Pressekonferenz angesetzt. Da könnte er stolz über den Fahndungserfolg berichten und die professionelle Arbeit seiner von ihm höchstpersönlich geleiteten Sonderkommission loben. Aber daraus würde nichts werden. Denn unglückseligerweise hatte der Täter beim Zugriff Widerstand geleistet und aus seiner Wohnung im dritten Stock auf die anrückenden Polizeibeamten geschossen. Dabei wurden zwei Kollegen verletzt, gottlob nicht lebensgefährlich. Das hätte natürlich nicht passieren dürfen – aber wer konnte schon ahnen, dass der Mann einfach drauflosballerte. Da half es nicht viel, dass ein Scharfschütze der Polizia di Stato den «Froschmörder» – wie er in der Presse bezeichnet wurde – in seinem Fenster erschossen hatte. Als er unten auf dem Asphalt aufschlug, war er schon tot. Eine Schießerei in Bozen, wenn auch in einem Randbezirk, musste grundsätzlich und mit allen Mitteln vermieden werden; das war ein ungeschriebenes Gesetz. Weder durfte das Sicherheitsgefühl der Bürger beeinträchtigt werden, noch war so etwas gut für den Fremdenverkehr. Man würde ihm in der Pressekonferenz also die Hölle heiß machen. Auch seine Vorgesetzten hatten ihn schon zum

Mariella stellte ihm eine Tasse mit Beruhigungstee auf den Tisch. Das war lieb von ihr. Nur glaubte er nicht, dass dieses Heißgetränk in der jetzigen Situation helfen würde. Auf einem Zettel notierte er sich Stichwörter für die bevorstehende Pressekonferenz. Er wollte für alle Fragen gewappnet sein. War nur zu hoffen, dass die Reporter beim Thema blieben. Schließlich war bekannt, dass parallel Ermittlungen gegen einen Drogenring im Stadtviertel Don Bosco liefen. Aber da könnte er sich mit der bewährten Floskel aus der Affäre ziehen, dass sie Fortschritte machten, aber aus ermittlungstechnischen Gründen zum aktuellen Zeitpunkt keine Informationen herausgeben dürften. Etwaige Nachfragen würde er mit vieldeutigem Lächeln souverän an sich abperlen lassen.

Was könnte noch passieren? Was lag sonst in der Luft? Sandrini blickte an die Decke, als erhoffte er sich von dort eine Eingebung. Natürlich, ein Thema gab es noch, das von einem vorlauten Reporter angesprochen werden könnte: der Leichenfund im Vinschgau. Viel mehr als das, was in der offiziellen Presseverlautbarung stand, dürfte nicht bekannt sein. Normalerweise würden sich die Pressefuzzis wie ausgehungerte Aasgeier auf diesen Fall stürzen. Dass sie bis jetzt Ruhe

Blieb also als Wunsch der Zwiespalt, dass er aus der Nummer mit dem erschossenen «Froschmörder» möglichst schnell und unbeschadet herauskommen, gleichzeitig aber nicht so bald nach der Mumie gefragt werden wollte. Mumie? Gott sei Dank wusste niemand von diesem Status der Verstorbenen, denn seitdem man den Ötzi gefunden hatte, sorgte in Bozen allein das Wort «Mumie» für maximale Aufregung. Von Mariella wusste Sandrini, dass Emilio weiterhin am Fall dran war. Er selbst hatte sogar ein Papier unterschrieben, das dem Privatdetektiv die Arbeit erleichtern sollte. Auf Drängen von Mariella. Der Not geschuldet, in der er sich gerade befand. Noch einmal würde er das nicht machen. Hoffentlich ging Emilio diskret vor. Und hoffentlich machte er Fortschritte … Am besten so, überlegte Sandrini, dass er ihm den Täter zum rechten Zeitpunkt auf einem silbernen Tablett servieren konnte – punktgenau zu einer dann erneut anstehenden Pressekonferenz. Aber das war Zukunftsmusik. Jetzt musste er erst mal den heutigen Tag überstehen. Er trank Mariellas Beruhigungstee. Weil er der Wirkung misstraute, schüttete er ein Fläschchen Fernet-Branca in die Tasse …