Es erging ihm jeden Morgen gleich: Beim Aufschlagen der Tageszeitung zitterten ihm die Hände. Und er spürte, wie sein Herz schneller schlug. Bebend blätterte er die Seiten durch. Scheinbar flüchtig, als ob er sich einen Überblick verschaffen wollte, in Wahrheit hochkonzentriert und auf jeden Artikel achtend. Dann erst beruhigte er sich. Und er begann erneut von vorne. Mit einer Tasse Kaffee und mit frisch ausgepresstem Orangensaft. So wie in all den vergangenen Jahren – bis zu jenem Tag, an dem er die Nachricht vom Leichenfund in einem Vinschgauer Bunker gelesen hatte. Seitdem war er nicht mehr derselbe. Obwohl er sich immer wieder klarmachte, dass ihm nichts passieren würde, weil es keine Spuren gab, die zu ihm führen könnten. Mehr noch: Die Polizei würde nach so vielen Jahren nicht einmal in der Lage sein, die Identität der Toten festzustellen. Sie hatte keine Ausweispapiere bei sich gehabt. Und er hatte dafür gesorgt, dass sie nicht vermisst wurde. Was in ihrem Fall nicht schwer war, denn Dobra stammte aus Zagreb und hatte in Südtirol nur als Saisonkraft gearbeitet. Ein Krankheitsfall in der Familie, weswegen sie ganz plötzlich zurück nach Kroatien musste … Als Erklärung reichte das völlig.

Und dennoch: Tag für Tag rechnete er damit, dass die Zeitung wieder über den Leichenfund und die Ermittlungen berichtete. Die Südtiroler Polizei war vielleicht nicht die Schnellste, aber sie arbeitete sorgfältig. Also war es nur eine Frage der Zeit, bis wieder was in der Zeitung stand. Schließlich gab es bei einem eingemauerten Leichnam keinen Zweifel, dass es sich um ein Verbrechen handelte. Und Verbrechen waren dazu da, aufgeklärt zu werden. Jedenfalls aus Sicht der

Er rührte im Kaffee und dachte nach. Auf einmal erinnerte er sich an Dobras Fußkettchen. Er hatte die Mauer schon fertig verputzt, erst da war ihm eingefallen, dass er ihr das Kettchen besser abgenommen hätte. Aber ein besonderes Risiko stellte es nicht dar. Er hatte ihr damals zwar das Geld für das Schmuckstück gegeben, aber gekauft hatte sie es selber. Er war dabei nicht in Erscheinung getreten. Ergo gab es ihn nicht. Und wen es nicht gab, der konnte auch nicht gefunden werden.

Er musste lachen. Er war der Mann im Hintergrund. Dort wollte er auch bleiben, dort war er sicher …