Phina schloss gerade die Vinothek ab, als eine sehr vertraute Gestalt über den Hof auf sie zukam. Wie sah denn Emilio aus? Sein Hemd war zerrissen und die Hose verdreckt. Sie eilte auf ihn zu und pflückte einige Blätter aus seinen zerzausten Haaren. Er erzählte was von einem Unfall, den er gerade gehabt habe. Warum er dabei lachte, konnte sie nicht verstehen. Dann zeigte er ihr wie eine Trophäe einen Totschläger. Jetzt kapierte sie gar nichts mehr. Außerdem sei er dehydriert, behauptete er. Er brauche dringend … ein Glas Wein.

Also öffnete sie wieder die Vinothek und goss ihm ein Glas Weißburgunder ein. Sich selber auch. Er lehnte an der Theke und schaute mit leicht irrem Blick ins Leere. Jetzt machte sie sich wirklich Sorgen. Doch waren diese unbegründet, wie sich nach einer kurzen Phase der Regeneration herausstellte. Emilio berichtete, was ihm gerade widerfahren war. Auch wenn die Geschichte ziemlich abenteuerlich klang, hatte sie keinen Grund, am Wahrheitsgehalt zu zweifeln. Emilio geriet immer wieder in die unglaublichsten, leider oft auch gefährlichsten Situationen. Daran gewöhnen konnte sie sich nicht. Er sollte sich wirklich einen anderen Beruf suchen. Phina war jedoch klar, dass dies ein frommer Wunsch bleiben würde.

Wenig später zog sie mit ihrem Traktor Emilios Landy aus dem Weinberg. Der Schaden hielt sich in Grenzen. Bei den Weinreben war er zu verschmerzen, denn auf einige mehr oder weniger kam es wirklich nicht an. Aber auch seinem Auto

Zurück auf der Straße stellten sie fest, dass der Landy doch ein ernstes Problem hatte: Alle vier Reifen waren platt. Die Nägel hatten ganze Arbeit geleistet. Emilio setzte sich entspannt auf die Kühlerhaube und rief einen Freund an, der alte Landrover sammelte. Der versprach, einen seiner Wagen aufzubocken und die Räder abzumontieren. Er würde später vorbeikommen und sie auf Emilios Landy montieren. Emilio beschrieb ihm, wo das Auto stand. Phina fragte sich, warum Emilio nicht einen Fahrzeugtausch vornahm – wäre ja einfacher. Aber das kam für ihn offensichtlich nicht in Frage. Lieber fuhr er mit einem Sprung in der Frontscheibe und ohne linken Außenspiegel. Seinem Landy hielt er die Treue.

Unwillkürlich fragte sich Phina, wie es Emilio sonst im Leben mit der Treue hielt. Bei seinen rahmengenähten Schuhen und dem antiken Gehstock stellte er seine Beständigkeit auch unter Beweis. Aber wie war das mit ihr? Wie sehr fühlte er sich ihr gegenüber zur Treue verpflichtet?

Natürlich dachte sie dabei an Tilda. Und daran, dass sie Emilio nicht ewig Zeit geben würde, sich zu entscheiden. Für Tilda – oder hoffentlich gegen sie. Aber eine Entscheidung würde er treffen müssen. Und danach die Konsequenzen tragen.

Emilio stieg zu ihr auf den Traktor. Grinsend zeigte er ihr

Phina ging durch den Kopf, dass es gerade wichtigere Fragen gab. Zum Beispiel müsste es Emilio doch interessieren, wer ihm heute nach dem Leben getrachtet hatte. Aber seltsamerweise schien ihn das nicht zu kümmern.

Oder wusste er es längst?