Eddie ist wie auf Nadeln. David hat ihm um 14 Uhr eine Nachricht geschickt und ihm gesagt, er wisse jetzt mehr, wolle aber nichts per WhatsApp verraten. Ob er am Abend Zeit habe?
Er hat eigentlich keine Zeit, weil er immer am Donnerstagabend mit ein paar Kumpels in den Pub geht. Doch Eddie ist flexibel. Und vor allem merkt er, wenn etwas wichtig ist. Und so, wie David andeutet, ist es wichtig.
Also wartet er in seiner «offiziellen» Wohnung in der Breite auf ihn. Aber weil es am Donnerstag im Haargenau immer spät wird, hat er schon gegessen. Es ist fast halb neun, als David klingelt. Eddie geht hinaus ins Treppenhaus und sieht, wie der Herr Coiffeur mit großen Schritten zu ihm in den zweiten Stock heraufkommt. Als er in die Wohnung tritt, ist er außer Atem.
«Ist es so dringend?», frotzelt Eddie.
«Ja, ich muss aufs Klo ...»
«Erste Tür links. Und zieh die Schuhe aus. Hast du was gegessen?»
«Am Mittag eine Suppe. Seither nichts. Hast du was für mich?»
«Geh pinkeln. Ich mach dir ein Sandwich.»
Eddie ist noch am Brot-Schneiden, als David zu ihm in die Küche tritt. Er sieht, dass der andere es fast nicht mehr schafft, zu warten. «Leg los!»
«Weißt du, wer der Vater von Isabelle ist?»
«Isabelle? Wie kommst du jetzt auf sie?»
«Weil sie den photischen Niesreflex hat wie Frau Trist. Und sie hat grüne Augen, einen Haarwirbel und angewachsene Ohrläppchen. Es dauerte einfach eine Weile, bis ich das gemerkt habe ...»
«Isabelle?» Eddie kann es immer noch kaum glauben. Er hat aufgehört, das Sandwich zu machen. Zwar hat er die Tür des Kühlschranks geöffnet, aber er steht dort wie ein Ölgötze. Eingefroren.
«Komm, mach vorwärts, Eddie! Ich habe Hunger. Und ja, Isabelle! Pfarrer Eckert hat mir gesagt, ihr Vater sei 67 gewesen, als er sie gezeugt habe. Stimmt, oder?»
«Ja, soweit ich weiß. 67 oder 68. Irgend so was.»
«Dann rechne mal aus. Es passt! Er kann auch der Vater von Frau Trist, Frau Kost, Frau Herzog und Frau Träsch sein. Er ist jetzt 84 Jahre alt, plus ou moins. Das heißt, er hat vermutlich Jahrgang 1938 oder 39. Rechnen wir weiter: Dann war er, als ‹unsere vier Frauen› gezeugt wurden, zwischen 20 und 25 Jahre alt. Kommt hin, oder?!»
Eddie ist immer noch perplex. Aber er hat sich mittlerweile so weit im Griff, dass ihm auch wieder einfällt, was er aus dem Kühlschrank holen wollte. Zwei Scheiben Schinken, etwas Emmentaler und vor allem: zwei Bier. Rasch macht er das Sandwich fertig, reicht David ein Bier, und während der ganzen Zeit rattert es in seinem Kopf.
«Ich glaube, du spinnst, David. Das kann nicht sein. Ich meine: Deine Rechnung geht schon auf. Daran liegt es nicht. Aber es ergibt für mich keinen Sinn, dass Isabelle zu den anderen vier Frauen gehört.»
«Ich weiß, Eddie. Ich weiß. Es erscheint unglaublich. Aber wenn wir uns nur an die Fakten halten, nur an das, was wir wirklich wissen, ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen.»
«Das gebe ich zu.»
«Also: Weißt du oder weißt du nicht, wer Isabelles Vater ist?»
«Ich denke, ich weiß es. Ich kann es mir jedenfalls zusammenreimen.»
«Wie?»
«Weil ich der Pöstler bin. Weil ältere Damen und Herren bei ihren Briefen – und sie schreiben tatsächlich immer noch Briefe – ihren Absender hinten auf dem Couvert anzugeben pflegen. Manche haben sogar kleine Klebeadressen, andere einen Stempel, um nicht jedes Mal von Hand schreiben zu müssen, wo sie wohnen.»
«Und Isabelles Mutter hat in dem Fall regelmäßig Post von jemandem erhalten?»
«Ja.»
«Und weshalb ist dir das aufgefallen, Eddie?»
Er zögert. David hat eine manchmal sehr nervtötende Art, die richtigen Fragen zu stellen. Aber was soll’s, denkt sich Eddie. Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. «Hast du Isabelles Mutter je gesehen, David? Nein, hast du vermutlich nicht. Ist also eine rhetorische Frage. Aber ich kann dir sagen: Die hat so manchem Mann den Kopf verdreht ...»
«Also auch dir?»
«Kann sein.»
«Hattest du was mit ihr?»
«Eben nicht. Sie hat mich abgewimmelt. Und dann war sie plötzlich schwanger. Aber ich habe dir schon einmal gesagt, was der große Nachteil meines sonst sehr interessanten Berufs ist.»
«Was denn, kann mich nicht erinnern.»
«Dass ich bei all diesen Häusern und Wohnungen jeden Tag – außer Sonntag, haha! – immer zur gleichen Zeit vorbeischaue. Irgendwann am Morgen zwischen 8 und am Nachmittag spätestens um 14 Uhr. Also kriege ich nur einen ganz kleinen Teil des Tagesablaufs mit, einen winzigen Ausschnitt. Ich sehe vieles, aber vieles entzieht sich auch meiner Beobachtung.»
«Du wusstest also nicht, wer bei Isabelles Mutter zum Zug gekommen ist?»
«Nein. Aber der dicke Bauch war unverkennbar. Im Hochsommer brachte sie Isabelle zur Welt und sie blieb, wo sie war. Wechselte im Haus nur von der Ein-Zimmer- in eine Drei-Zimmer-Wohnung. Aber der Name am Briefkasten und an der Klingel blieb gleich.»
«Aber sie erhielt regelmäßig Post.»
«Ja, das fiel mir auf. Und weil ich, hmm, sagen wir mal Interesse hatte ...»
«Sagen wir mal: weil du ein bisschen eifersüchtig warst ...»
«Wenn du es so nennen willst! Wie auch immer: Ich achtete nun sehr genau darauf, wer ihr so treu schrieb.»
«Wer?»
«Ein gewisser Paul Müller aus Binningen.»