12. Kapitel
Hamburg, Montag, 25. Januar 1897
Während Georg gestern schon im Zug zurück nach Hamburg gesessen hatte, war sein jüngerer Bruder über die Calais-Route in Richtung Kamerun aufgebrochen. Georg hatte während der Fahrt genügend Zeit, in Ruhe über alles nachzudenken. Therese hatte ihn beeindruckt, wie entschlossen sie im Kaffeehaus durchgegriffen hatte. Er konnte verstehen, weshalb Robert und zuvor auch Karl sich in sie verliebt hatten. Und wenn er ehrlich war, hatte auch er selbst eine Weile für sie geschwärmt. Doch das hatte er weder ihr noch sonst jemandem jemals anvertraut. Genau genommen, hatte er es sich nicht einmal selbst so richtig eingestehen wollen.
Doch das gehörte ohnehin der Vergangenheit an. Inzwischen hatte er das Gefühl, endlich in seinem eigenen Leben angekommen zu sein, und als er gestern in die Villa heimgekehrt und von Vera begrüßt worden war, hatte er gespürt, dass er genau das und nichts anderes für sich wollte. Dafür, dass er eigentlich nie etwas anderes als der Hamburger Kaufmann mit harmonischer Familie hatte sein wollen, hatte es eine ganze Weile gedauert, sich wirklich bewusst zu machen, dass er alles besaß, was er sich immer gewünscht hatte.
Nun war er wieder im Kontor und hatte soeben nach Peter Friedrichs schicken lassen, wobei er gar nicht davon ausging, dass sich während seiner kurzen Abwesenheit im Kontor irgendetwas Besonderes ereignet hatte.
»Herein!«, rief Georg, als es nun klopfte und Peter Friedrichs eintrat.
Georg deutete auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch. »Guten Morgen, Herr Friedrichs. Bitte.«
»Guten Morgen, Herr Hansen.« Friedrichs nahm auf dem ihm angebotenen Stuhl Platz.
»Ich hoffe, es geht Ihnen gut? War etwas während meiner Abwesenheit?«
»Ja, allerdings.« Friedrichs verzog das Gesicht, worauf Georg sich aufrecht hinsetzte. Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet.
»Ach ja? Was ist geschehen?«
»Hans Petersen. Er war hier und wollte Sie sprechen. Fräulein Schreiber sagte ihm, dass Sie nicht hier, sondern geschäftlich ein paar Tage unterwegs seien. Darauf forderte er Fräulein Schreiber auf, ihm das Büro Ihrer Nichte aufzuschließen, da er seine Frau während ihrer Abwesenheit hier im Kontor zu vertreten gedachte.«
»Bitte was?« Georg konnte kaum glauben, was er da hörte.
»Und? Sie hat ihm doch wohl nicht aufgeschlossen?« Er sah zur Tür. Fräulein Schreiber hatte wie stets am Montagmorgen die Besorgungen für das Kontor zu erledigen, sodass er sie heute noch gar nicht gesehen hatte.
Friedrichs schüttelte den Kopf. »Nein, sie hat mich gerufen, und ich habe Herrn Petersen hinausgeworfen.«
Georg atmete erleichtert aus. Genau diese pragmatische Art mochte er so sehr an Friedrichs, der für ihn ein Abbild des klassischen Hanseaten war. Ein bisschen rau in seiner Art, wortkarg, aber dafür verlässlich und zum Handeln bereit.
»Gut gemacht«, lobte Georg.
»Na ja.« Friedrichs wiegte den Kopf. »Er hat mir dann noch gesagt, dass ich entlassen bin. Immerhin würden ihm die Anteile am Kontor gehören, nicht seiner Frau.«
»Das hätte er gern. Doch wir werden es nicht so weit kommen lassen«, empörte sich Georg.
»Dachte ich mir. Deshalb bin ich auch heute ganz normal zur Arbeit gekommen.« Er zuckte die Schultern. »Hätte ja auch sein können, dass er das Recht hat, mich rauszuwerfen. Aber ich wollte es dann doch von Ihnen hören.«
»Natürlich sind Sie hier weiter in Anstellung, Herr Friedrichs. Sie haben sich genau richtig verhalten und hätten ihm meinetwegen auch gern noch einen Tritt in sein Hinterteil verpassen können.«
Friedrichs grinste schief. »Den Gedanken hatte ich auch, hab’s dann aber doch lieber gelassen.«
Georg überlegte fieberhaft, was zu tun sei. Als Erstes würde er Dr. Kramer anrufen müssen. »Sie haben absolut korrekt gehandelt, Herr Friedrichs. Das ist jetzt nur noch eine Sache für die Anwälte. Ich kümmere mich sofort darum.«
Friedrichs stand auf. »Gut, Herr Hansen, dann gehe ich nun wieder an die Arbeit.« Er ging zur Tür, drehte sich dort aber noch einmal um. »Und wenn Sie doch möchten, dass ich Petersen einen Tritt verpasse, brauchen Sie’s nur zu sagen. Das erledige ich gern.«
Georg schmunzelte. »Ich überlege es mir. Danke.«
Damit ging Friedrichs hinaus, hielt aber die Tür auf, weil im selben Moment Fräulein Schreiber das Büro betreten wollte.
»Guten Morgen«, begrüßte die Sekretärin, sichtlich nervös, sowohl Friedrichs als auch ihren Chef. Dann trat sie eilig an Georgs Schreibtisch.
»Sie haben also schon davon erfahren, was vorgestern hier los war?«
»Guten Morgen, Fräulein Schreiber. Ja, Herr Friedrichs hat mir alles erzählt. Sie beide haben sich vollkommen richtig verhalten.«
»Ich war so erschrocken, wissen Sie? Ich wusste gar nicht, was ich tun sollte.«
»Wie gesagt, Sie haben alles richtig gemacht. Hans ist längst nicht der Geschäftsmann, der sein Onkel ist, und wir werden dem jungen Mann wohl ein paar Manieren beibringen müssen.« Georg kam ein Gedanke. »Fräulein Schreiber, fertigen Sie doch bitte ein Schreiben an die Firma Petersen aus, zu Händen Herrn Wilhelm Petersen, in dem wir die Zusammenarbeit mit ihnen mit sofortiger Wirkung aufkündigen. Und wenn ich unterschrieben habe, lassen Sie das Schreiben sogleich per Boten an Wilhelm Petersen zustellen. Wollen wir doch mal sehen, wie weit Wilhelm über das Verhalten seines Neffen Bescheid weiß.«
»Jawohl, Herr Hansen. Sofort.« Sie schien noch kurz zu überlegen, dann machte sie kehrt und verließ ebenso eilig, wie sie hereingekommen war, Georgs Büro.
Er würde den Brief sorgfältig lesen müssen. So aufgeregt, wie Fräulein Schreiber schien, würden sich bestimmt einige Fehler darin finden.
Es dauerte nicht lange, bis seine Sekretärin mit einer Unterschriftenmappe zurückkam. Georg nahm das Schreiben heraus und las es sorgfältig, konnte jedoch nicht einen einzigen Fehler darin entdecken. Also unterzeichnete er und wies die Sekretärin an, dafür zu sorgen, dass der Bote sich beeilte. Dann nahm er sich die Tageszeitung, um die neuesten Nachrichten zu lesen. Die Korrespondenz, die sich auf seinem Schreibtisch stapelte, würde er später durchsehen. Trotz der Aufregung, die ihn gleich heute Morgen hier empfangen hatte, war er nicht bereit, seinen gewohnten Tagesablauf umzustellen. Ganz im Gegenteil: Hans Petersen würde nur eine minimale Aufmerksamkeit erfahren. Denn mehr hatte er keinesfalls verdient.
Es war kurz vor Mittag, als das Telefon klingelte und Georg die Lagerliste, die er soeben prüfte, sinken ließ.
»Ja?«
»Herr Wilhelm Petersen ist am Apparat und wünscht Sie zu sprechen, Herr Hansen. Darf ich durchstellen?«
»Bitte, Fräulein Schreiber, tun Sie das.« Ein Lächeln spielte um Georgs Lippen.
»Hansen?«, meldete er sich, als er das Klicken in der Leitung hörte.
»Georg, hier ist Wilhelm Petersen. Was fällt dir ein, mir dieses Schreiben zu schicken?«
Georg sah Wilhelm geradezu vor sich, wie der alte Herr rot anlief.
»Wie bitte? Nun, das liegt doch wohl auf der Hand nach all dem, was Hans sich erlaubt hat.«
»Das ist Monate her, und trotzdem haben wir immer noch gut zusammengearbeitet. Luise hatte auch nicht das geringste Problem damit, Privates und Geschäftliches zu trennen. Ganz im Gegenteil: Sie und ich haben uns trotzdem weiterhin gut verstanden. Deshalb begreife ich nicht, was dieses Schreiben von dir jetzt soll!«
»Nun, wie du wohl wissen dürftest, ist Luise nicht hier.«
»Ich habe davon gehört, ja. Doch was hat das mit unserer Geschäftsverbindung zu tun? Wenn jemand damit ein Problem gehabt haben könnte, dann doch wohl Luise. Wieso du dich jedoch so verhältst, ist mir ein absolutes Rätsel.«
Es war also so, wie Georg bereits vermutet hatte. Wilhelm hatte nicht die geringste Ahnung, was sein Neffe und Alleinerbe sich da gerade leistete. »Dann weißt du es etwa gar nicht?«
»Was weiß ich nicht?«
»Na, dass Hans am letzten Sonnabend hier vorstellig wurde und sich anmaßte, Luises Kontoranteile, die bekanntlich auf seinen Namen laufen, in Anspruch zu nehmen.«
»Wie bitte?«
»Du hast richtig gehört, Wilhelm. Hans will in der Geschäftsführung Luises Platz einnehmen, weil er meint, das Recht dazu zu haben. Dieser kleine Nichtsnutz hat gewartet, bis Luise weg war, weil er wohl zu viel Angst vor ihr hatte, und veranstaltet hier nun ein solches Theater.«
»Das wusste ich nicht, Georg.« Wilhelms Stimme tönte längst nicht mehr so selbstbewusst wie zu Beginn des Telefonats.
»Nun, ich hingegen musste annehmen, dass du eingeweiht bist. Schließlich arbeiten du und Hans ja Hand in Hand.«
Wilhelm Petersen blieb eine Antwort auf diese Bemerkung schuldig.
»Wilhelm, bist du noch dran?«
»Ja, ich bin hier.« Es klang fahrig. »Ich möchte mich im Namen der Familie Petersen bei dir entschuldigen, Georg. Ich regle das.«
»Gut, tu das. Und nichts für ungut, Wilhelm. Wenn du nichts davon wusstest, kannst du das Kündigungsschreiben natürlich zerreißen.«
»Ja, danke. Ich … ich muss jetzt Schluss machen. Auf Wiederhören, Georg.«
»Auf Wiederhören, Wilhelm.« Georg legte mit einem breiten Grinsen auf. Er würde jetzt nicht gern in der Haut von Hans Petersen stecken.
Georg ließ sich von Fräulein Schreiber lediglich etwas zu essen holen und blieb über Mittag im Kontor, um dem Arbeitsberg, der sich vor ihm auftürmte, Herr zu werden. Es war dann gegen fünfzehn Uhr, als es klopfte und Fräulein Schreiber erneut eintrat.
»Herr Hansen? Herr Hans Petersen wünscht Sie zu sprechen. Soll ich ihn abweisen?«
»Nein, Fräulein Schreiber. Er soll ruhig hereinkommen.«
»Sehr wohl.« Der Sekretärin stand die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben. Sie machte kehrt, ließ die Tür aber einen Spalt geöffnet und trat schließlich zusammen mit Hans wieder ein. »Herr Petersen für Sie«, kündigte sie nochmals an und schloss dann, nachdem Hans eingetreten war, die Tür.
»Guten Tag, Georg.«
»Guten Tag, Hans.« Georg hatte sich von seinem Schreibtischstuhl erhoben. Normalerweise hätte er Hans den Platz in der Sitzecke angeboten. Doch unter den gegebenen Umständen fand er, dass Hans auf den nicht so bequemen Besucherstühlen vor dem Schreibtisch genau richtig platziert war. Sie reichten sich die Hände, und Georg deutete auf einen der Besucherstühle.
»Bitte, setz dich doch.«
»Danke.« Hans nahm Platz.
»Also, was kann ich für dich tun?«
»Mein Onkel schickt mich«, kündigte Hans widerwillig an.
»Das kann ich mir vorstellen«, gab Georg süffisant zurück.
»Ich möchte mich für mein Verhalten entschuldigen.«
»Aha. Und was sollte das bitte schön?«
Hans suchte nach Worten. »Ich weiß ja, dass es eine dumme Idee war. Doch ich bin verzweifelt, Georg.«
Mit einem solchen Ausbruch hatte Georg nicht gerechnet. »Und weil du verzweifelt bist, tauchst du hier auf und stellst unverschämte Forderungen und drohst auch noch meinem Personal?«
»Ich hatte getrunken und wusste nicht, was ich rede. Mein Rechtsanwalt hat mich darauf gebracht.«
»Dein Rechtsanwalt, soso. Und hat er auch die möglichen Folgen eines solchen Handelns bedacht?«
»Vermutlich nicht«, gab Hans kleinlaut zu.
»Nein, vermutlich nicht«, bekräftigte Georg und beugte sich dann vor. »Sag mal, Hans, bist du von allen guten Geistern verlassen? Was ist nur in dich gefahren? Wir haben uns bisher immer noch um ein gutes Auskommen mit dir bemüht. Aber du kannst dir doch vorstellen, wie das hier endet, wenn du dir solchen Unsinn einfallen lässt.«
»Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll«, sagte Hans. »Ich will mein Leben zurück und dachte, wenn ich auf meinen Anwalt höre und Druck mache …«
»Dann was? Dass Luise aus Kamerun heimkehrt und dich in ihre Arme schließt? Im Ernst, Hans. Wenn Luise von diesem Vorfall hier erfahren sollte, dann ist das Donnerwetter, das du dir von Wilhelm anhören musstest, ein zartes Streicheln dagegen.«
Hans blickte Georg an. Ihm standen Tränen in den Augen. »Ich weiß einfach nicht mehr weiter, Georg. Mein ganzes Leben ist dahin. Viktoria ist tot, und Luise hat sich von mir abgewandt. Ich will einfach nur mein Leben zurück.« In seiner Stimme lag etwas Flehendes.
»Viktorias sinnloser Tod ist tragisch«, begann Georg. Hans tat ihm aufrichtig leid, wie er so dasaß, in sich zusammengesunken und offenbar vollkommen am Ende. »Niemand konnte etwas dafür.«
Hans sah auf. »Ich wollte anfangs glauben, dass Luise nicht genug auf sie achtgegeben hätte. Doch ich weiß, dass das nicht stimmt. Sie konnte nichts dafür, da bin ich sicher.«
»Es war ein einziger Tumult«, erinnerte sich Georg an die schlimmen Szenen vor der Kirche. »Luise wurde ebenso zu Boden getrampelt wie viele andere von uns. Sie hat massive Verletzungen erlitten und einen Monat lang im Krankenhaus gelegen.«
»Und ist dann direkt nach Kamerun gefahren?«
»Ganz genau.« Georg erinnerte sich an die Worte des Rechtsanwalts. Er wollte auf keinen Fall leichtfertig mit den Informationen gegenüber Hans umgehen, schließlich hatte dieser ein Interesse daran, Georg auszuhorchen, auch wenn er gerade einen jämmerlichen Eindruck machte. Doch Georg wollte nicht riskieren, womöglich getäuscht zu werden.
»Es gibt dort einiges hinsichtlich der Plantage zu klären, und Luise hätte ohnehin in Kürze dorthin reisen müssen. So hatte sie nun wohl das Gefühl, dass der richtige Zeitpunkt für den Aufbruch gekommen war.«
»Oh«, machte Hans, offenbar überrascht über das, was Georg ihm soeben berichtet hatte. »Ich dachte, sie wäre gefahren, um aus Hamburg zu fliehen.«
»Du kennst doch Luise«, erwiderte Georg. »Sie ist sich in jeder Lebenslage ihrer Verantwortung stets vollkommen bewusst.«
Hans schien kurz zu überlegen. »Wie kann ich sie zurückgewinnen, Georg?«
»Bestimmt nicht, indem du dem Kontor drohst«, gab dieser grimmig zurück.
»Ich sagte doch schon, dass das ein Fehler war und es mir leidtut. Es soll nicht wieder vorkommen.«
Georg sah Hans forschend an. War die Aufregung womöglich gar nicht nötig gewesen und Hans würde einfach klein beigeben? Noch konnte er es nicht recht glauben. Ganz abgesehen davon, war es ohnehin zu spät. Robert war bereits auf dem Weg nach Kamerun, um Luise nach Hamburg heimzuholen. Und die Scheidung musste ja auch vonstatten gehen. Selbst wenn Hans sich also friedlich verhielt, war ihr persönliches Erscheinen vor Gericht unabdingbar.
»Wenn du’s sagst«, entgegnete Georg nur.
»Was kann ich tun, um sie wieder für mich zu gewinnen?«, wiederholte Hans eindringlich seine Frage.
Georg schüttelte den Kopf. »Gar nichts, Hans. Ich kenne meine Nichte, und du solltest deine Frau auch kennen. Du wirst Luise nicht umstimmen können, nicht nach dem, was du dir geleistet hast.«
»Wie wir beide wissen, hast du damals das Gleiche getan, und dir wurde verziehen.«
Georg versuchte sich den Stich, den ihm diese Bemerkung versetzte, nicht anmerken zu lassen. »Ja, das stimmt«, sagte er nur. »Doch ob die Menschen einem verzeihen oder nicht, liegt an ihnen selbst. Mir wollte man verzeihen, Hans. Aber ich denke nicht, dass Luise dir verzeihen will.«
»Aber sie muss. Sie ist schließlich meine Frau.«
»Und wenn du solche Reden ihr gegenüber schwingst, musst du dich nicht wundern, wenn du dafür eine schallende Ohrfeige erhältst.«
Wieder brach Hans förmlich in sich zusammen. »Ich weiß. Ich weiß ja, dass es so ist. Aber was soll ich denn bloß tun?«
»Mit den Folgen deines Handelns leben«, antwortete Georg. »Zwar kann ich nicht für Luise sprechen, doch ich glaube wirklich nicht, dass es für sie ein Zurück gibt.«
»Aber es hatte keinerlei Bedeutung. Ida ist … nun ja, sie hat es darauf angelegt.«
»Es gibt diese Sorte Frauen, ja. Die Kunst besteht darin, nicht auf sie hereinzufallen.«
»Ich würde diesen Fehler nie wieder begehen«, versicherte Hans. »Und mit Ida läuft nichts mehr. Ich habe ihr gesagt, dass ich sie nicht wiedersehen will.«
»Nun ja, wenn man den Gerüchten in Hamburg Glauben schenkt, ist diese Botschaft bei Fräulein Kleinschmidt aber nicht angekommen.«
»Was meinst du?«
»Soweit ich gehört habe, verbreitet sie überall, dass sie die nächste Frau Petersen wird, sobald du geschieden bist.«
»Unsinn!«, entfuhr es Hans. »Ich habe gewiss nicht vor, Ida zu heiraten.«
Georg zuckte die Schultern. »Das sagst du. Aber sie scheint es zu glauben. Wenn du also meinen Rat hören willst, kläre diese Angelegenheit.«
»Und du denkst, dass Luise dann zu mir zurückkommt?«
»Nein«, erwiderte Georg entschieden. »Das denke ich nicht.«
»Aber was soll ich denn sonst noch tun? Ich kann es nicht ungeschehen machen.«
»Und deshalb war auch vorhin mein Rat an dich, dass du versuchen musst, damit zu leben.« Georg spürte, dass sich das Gespräch im Kreis drehte. »Verhalte dich wie ein Ehrenmann, lass die Kontoranteile den Verträgen gemäß auf Robert zurückübertragen, und dann erscheine vor Gericht, sobald der Termin stattfindet, und willige in die Scheidung ein. Du wirst nicht ändern können, dass all das geschieht. Es ist nur die Frage, ob du dich danach noch im Spiegel anschauen magst oder nicht.«
Hans sah Georg einen Moment lang aus wässrigen Augen an, dann veränderte sich seine Miene. »In dieser Sache ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wenn ihr Hansens Krieg haben wollt, könnt ihr ihn bekommen«, stieß er wütend hervor.
»Du scheinst nichts begriffen zu haben.«
»Du!« Hans sprang auf und warf dabei seinen Stuhl um, während er mit dem Zeigefinger auf Georg deutete. »Du bist derjenige, der nichts begreift. Ihr Hansens habt Feinde, mächtige Feinde. Und wenn ich schon alles verloren habe, dann kann ich das, was ich noch besitze, gleich auch noch hinterherwerfen. Denn noch laufen die Anteile auf meinen Namen.«
»Was willst du damit sagen?« Georg war ebenfalls aufgestanden und funkelte Hans wütend an.
»Mein Rechtsanwalt hat mich darauf aufmerksam gemacht. Es gibt ein Schlupfloch in dem feinen Vertrag, den ihr mir damals untergeschoben habt.«
»Wir haben dir gar nichts untergeschoben. Und ich weiß außerdem nicht, worauf du hinauswillst.«
»Ich werde nicht allein untergehen, Georg, das verspreche ich dir.«
Ohne ein weiteres Wort stürmte er zur Tür hinaus und schlug diese laut krachend ins Schloss. Nur einen Wimpernschlag später eilte Fräulein Schreiber herein.
»Alles in Ordnung, Herr Hansen?«
»Ja, alles in Ordnung«, bestätigte Georg geistesabwesend. Die Art, wie Hans soeben reagiert hatte, beunruhigte ihn. Dieser Kerl hatte irgendetwas in der Hand, doch Georg konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was das sein könnte.
»Verbinden Sie mich mit Dr. Kramer, Fräulein Schreiber. Es eilt.«
»Ja, Herr Hansen.«
Georg ging um den Schreibtisch herum und hob den Stuhl auf. Das Telefon klingelte, und Fräulein Schreiber meldete, dass Rechtsanwalt Kramer jetzt in der Leitung sei.
»Herr Dr. Kramer, ja, Georg Hansen hier. Ich hatte eben ein Gespräch, das mich beunruhigt hat.« Er erzählte dem Anwalt, was sich soeben in seinem Büro zugetragen hatte.
»Ein Schlupfloch«, wiederholte der Rechtsanwalt nachdenklich. »Was genau hat er Ihnen in Bezug auf die Anteile gesagt? Ich meine den Wortlaut?«
»Er sagte, dass die Anteile ja bis zur Scheidung auf jeden Fall ihm gehörten und dass wir Hansens mächtige Feinde hätten …« Georg glaubte, dass sein Herz einen Moment lang aussetzte, denn nun, da er es ausgesprochen hatte, ahnte er, worauf Hans hinausgewollt hatte.
»Verdammt!«, sagte nun Dr. Kramer. »Er will die Geschäftsanteile an Ihre Konkurrenz verkaufen.«
Genau dieser Gedanke war Georg auch soeben gekommen.
»Was können wir dagegen tun?« Georgs Stimme klang rau. Er wusste, an wen Hans sich wegen eines möglichen Verkaufs wenden könnte, schließlich hatte er den Kleinkrieg, den die Familie seinerzeit gegen Elisabeth und Richard geführt hatte, hautnah mitbekommen.
»Ich muss noch mal die Unterlagen sichten«, erklärte Dr. Kramer. »Ich melde mich später wieder, Herr Hansen.«
Georg verabschiedete sich nicht mehr, sondern hängte einfach ein. Ihm war ganz schlecht bei dem Gedanken, dass Elisabeth und Richard am Ende doch noch bekommen könnten, was sie wollten.