Kapitel 29

Gerechter Lohn

Schultheiß Hans Heßler verbeugte sich tief vor seinem Bischof.

»Kommt näher, treuer Freund. Ich stehe in Eurer Schuld.«

»Es war nichts, das man erwähnen müsste, Exzellenz.« Hans Heßler drehte verlegen sein Samtbarett mit der langen Feder in den Händen.

»Ihr habt mir das Leben gerettet«, widersprach der Bischof. »Wollt Ihr behaupten, das sei keine große Tat?«

Hans Heßler schüttelte den Kopf. »Es war mir nicht vergönnt, Euch mit Erfolg zu warnen, und ich war auch nicht zur Stelle, als die Mörder ihr schmutziges Werk auszuführen suchten. Dankt unserem Henker und seinem Weib und diesem bemerkenswerten Schmiedeburschen Jos und Eurer Magd Sara.«

»Das werde ich«, versprach der Bischof. »Es tut mir leid, dass ich Euren Worten keinen Glauben schenkte. Ich war blind in meiner Freundschaft.« Er seufzte. »Nun kann ich nicht mehr anders, ich muss es glauben: Nicht nur der Domherr von Grumbach, von dem ich schon lange weiß, dass er nach Höherem strebt, auch mein Kanzler und Freund Friedrich Schultheiß wollte mich meinen Mördern ausliefern. Nun sitzt er unter meinem Archiv im Kerker.« Der Bischof deutete auf den Fußboden. Er schien den Verrat noch immer nicht fassen zu können. Für einige Augenblicke schwieg er.

Hans Heßler rührte sich nicht. Er wagte nicht, sich unaufgefordert zu entfernen.

»Mögt Ihr Bier?«, fragte der Bischof plötzlich und sah ihn an.

»Was? Verzeiht, Exzellenz, wie meint Ihr das?«

»Trinkt Ihr gerne Bier?«

»Ja! – Äh, ich meine, natürlich geht mir nichts über unseren fränkischen Wein, aber ich habe gelegentlich – wenn ich auf Reisen war, versteht sich – ein Bier getrunken, und es hat mir nicht schlecht geschmeckt, wenn Ihr die Offenheit erlaubt.«

Der Bischof lächelte amüsiert. »Gelegentlich und nur auf Reisen? Aber natürlich! Hier in Würzburg gibt es ja kein Bier.«

»Richtig, Eure Exzellenz«, beeilte sich der Schultheiß ihm zuzustimmen.

»Und genau das werde ich jetzt ändern.«

»Bitte?«, fragte der Schultheiß verwirrt.

»Oh, ich stimme Euch zu, dass nichts über unseren fränkischen Wein geht, aber ein wenig Bier, das kann nicht schaden. Und nun habe ich auch den gefunden, dem die einzige Braukonzession gebührt. Euch, mein verehrter Hans Heßler!«

»Bitte?«, sagte dieser noch einmal und blinzelte.

»Ihr habt Euch nicht verhört. Ich verleihe Euch das Recht, in Würzburg Bier zu brauen – wenn auch in Maßen, mein Verehrter. Wir wollen doch nicht schon wieder einen Aufstand der Häcker provozieren, nicht wahr?«

Als Hans Heßler begriff, dass der Bischof nicht mit ihm scherzte, sank er auf die Knie und küsste den Ring, den er ihm darbot.

»Euer treuster Diener, Exzellenz, bis in den Tod. Ich danke Euch.«

Ein Bediensteter des Bischofs führte Jos und Sara in ein spartanisch eingerichtetes Besucherzimmer. Sara setzte sich auf die Bank und strich sich mit ehrfürchtigem Gesichtsausdruck über ihren Rock. So feine Kleider hatte sie noch nie getragen, und nun schien es gar, dass sie das seidenweiche Hemd und das bestickte Kleid aus weichem Tuch behalten durfte. Es lag eng am Oberkörper an, hatte weit gebauschte Ärmel, die an den Handgelenken in einem engen Band endeten, und fiel unterhalb des Busens in weiten Falten herab. Es war in kräftigem Blau gefärbt und an den Säumen mit Blütenranken aus rotem Garn bestickt. Auch ein passendes Umschlagtuch hatte eine Magd ihr gegeben und eine Haube aus Seidentuch mit einem silbernen Netz.

Auch Jos war ungewöhnlich prächtig anzusehen. Er trug nicht wie üblich sein grobes Hemd mit dem braunen Kittel, der ihm bis zum Knie reichte, und die Beinlinge, die stets herunterrutschten, wenn er sie nicht an die Bruech nestelte. Jos sah heute wie ein wohlhabender Bürger aus – mit einem Seidenhemd, einem weiten Wams, das in unzählige Falten fiel und ihm kaum die Oberschenkel bedeckte, und engen Beinlingen, die sich wie eine zweite Haut über seine Beine spannten. Er sah gut aus! Sara betrachtete ihn mit Wohlgefallen.

Jos wand sich verlegen unter ihrem Blick. »Es ist ein seltsames Gefühl«, sagte er und strich sich über die Oberschenkel. »Ich fühle mich so – nackt.«

Sara lächelte. »Manche reichen Bürger und Junker tragen die Wämser und Röcke noch viel kürzer.«

»Ja, nur die Geistlichkeit bedeckt noch ihre Beine – und ich habe auch schon Stiftsherren in diesen bunten, kurzen Röcken gesehen!«

Die Tür öffnete sich, und der Diener, der ihnen die prächtigen Kleider gebracht hatte, trat ein. Er verbeugte sich höflich.

»Seine Exzellenz, Bischof Gottfried Schenk von Limpurg, ist nun bereit, euch zu empfangen. Wenn ihr mir bitte folgen wollt.«

Hastig stülpte sich Jos die federgeschmückte Kappe auf das wie immer zerzauste Haar. Die neue Kopfbedeckung war wie ein hoher Hut ohne Krempe und Jos fand sie ziemlich unpraktisch. Was sollte er damit anfangen, außer vielleicht vor Sara wie ein Pfau auf- und abzustolzieren?, dachte er, als er dem Diener über den Hof folgte. Gemeinsam stiegen sie die ausladende Freitreppe empor, über die die Vertreter der Stände bis in die Geschlechterstube hinaufreiten konnten. Jos’ Knöchel schmerzte noch und drohte bei jedem Schritt wegzuknicken.

Der Diener wandte sich nach rechts und durchquerte zwei prächtig eingerichtete Wohnräume. Jos begriff, dass er sie in die privaten Gemächer des Bischofs führte. Neugierig sah er sich um. Die Stuben waren alle mit Öfen versehen, die wohlige Wärme verbreiteten. Es gab nicht viele Möbel, doch die, die er sah, waren aus kostbarem Holz, verziert mit Schnitzereien oder feinen schmiedeeisernen Verkleidungen.

Der Bischof saß in einem bequem gepolsterten Sessel, der offensichtlich seine liebste Sitzgelegenheit war. Zumindest schloss Jos das aus der Tatsache, dass es das einzige Möbelstück war, dessen Stoffkanten vom häufigen Gebrauch verschlissen wirkten. Der Bischof lächelte und streckte die Hand mit dem Ring aus. Jos verbeugte sich, kniete dann nieder und küsste den Ring. Sara folgte seinem Beispiel. Dann zogen sich die beiden bis fast zur Tür zurück, die der Diener hinter ihnen geschlossen hatte. Sie verschränkten die Hände und wagten nicht, den Bischof anzusehen. Jos betrachtete nur die Schuhe des Fürsten, die mit ihren Spitzen alles andere als bequem aussahen.

»Nicht so schüchtern, meine Lieben. Tretet näher und setzt euch.« Der Bischof deutete auf eine Bank mit bestickten Kissen. Vorsichtig ließen sich Sara und Jos auf der Kante nieder.

»Und, gefallen euch eure neuen Gewänder? Ihr dürft sie natürlich behalten.«

»Danke, Exzellenz«, hauchte Sara und lächelte.

»Sie sind sehr schön«, ergänzte Jos. Dass sie sowohl für ihn als auch für Sara genauso unpraktisch waren, sagte er lieber nicht.

»Ich stehe in eurer Schuld«, sagte der Bischof. »Eurer Aufmerksamkeit ist es zu verdanken, dass ich heute noch am Leben bin. Dafür danke ich euch von Herzen.«

»Nicht der Rede wert«, murmelte Jos.

»Doch, es ist der Rede wert!«, widersprach Bischof Gottfried. »Leider waren die Bischöfe zu vielen Zeiten in ihrer Stadt Würzburg nicht wohlgelitten – ja, nicht selten trachteten ihnen ihre Bürger und Ritter und selbst ihre Kirchenmänner nach dem Leben! Da ist es umso bemerkenswerter, dass ein einfacher Schmiedegeselle sein Leben aufs Spiel setzt, um seinen Fürst und Bischof zu retten!«

»Danke, Exzellenz, doch ich bin nur Lehrjunge, kein Geselle. Ich habe bei Meister Buchner erst vor einigen Monaten mit meiner Lehre als Hufschmied begonnen.«

»Und, wie gefällt dir die Arbeit?«

Jos strahlte. Er sprudelte hervor, was er schon alles Erstaunliches erfahren und gelernt hatte. Der Bischof hörte mit interessierter Miene zu.

»Du scheinst ein geschickter Bursche zu sein. Ich denke, es wird nicht mehr lange dauern, bis dein Meister dich zum Gesellen macht!«

Der Bischof wandte sich an Sara. »Und du? Ich habe gehört, du arbeitest hier auf der Burg in der Küche? Gefällt es dir hier? Möchtest du bleiben?«

»Oh ja«, antwortete Sara eifrig. »Am liebsten würde ich mit Bruder Kilian zusammenarbeiten. Er ist ein Zauberer in der Küche! – Wenn ich diese Bitte äußern darf.«

»Aber ja«, sagte der Bischof und nickte. »Ich werde es dem Küchenmeister sagen. Nennt mir Eure Wünsche. Wenn ich kann, werde ich sie erfüllen! – Also, Jos, was ist dein Wunsch?«

Jos legte die Stirn in Falten. »Ich möchte, dass Würzburg mir eine neue Heimat wird und dass ich schnell Geselle und ein Bürger der Stadt werden kann. Ich möchte ein guter Schmied sein, mein Geld selbst verdienen und eine Familie ernähren können.«

»Und du Sara, was ist dein größter Wunsch, außer Küchengeheimnisse von Bruder Kilian zu erlernen?«

Sara schlug die Augen nieder. »Ich möchte Jos heiraten und bei ihm bleiben. – Am liebsten sofort!«

Jos gab einen erstickten Laut von sich.

Der Bischof hob die Brauen. »Nun Jos, möchtest du das nicht?«

»Doch, natürlich, Eure Exzellenz, aber es geht nicht, solange ich als Lehrbub nichts verdiene.«

Der Bischof nickte. »Ja, das sehe ich auch so. Ich denke, ein paar Monate muss sich Sara noch gedulden. Wenn du dich anstrengst, kann dich dein Meister jedoch noch vor dem Sommer zum Gesellen machen. – Ich werde jemanden schicken, der mit ihm spricht. Und das Geld für das Bürgerrecht bekommst du aus meiner Schatulle.«

»Danke, Exzellenz.«

Er sah Sara an. »Und du brauchst dann gewiss eine Aussteuer, nicht wahr? Ich werde mich mit meinem Kastellan besprechen. Sicher kann er mir sagen, was so ein junges Paar alles braucht.«

Sara wurde feuerrot und versank in einen tiefen Knicks. »Ihr seid zu gütig, Exzellenz. Ihr macht uns zu den glücklichsten Bürgern in Eurem Land.«

Sie wandte sich um und strahlte Jos an, der nach ihrer Hand griff.

Der Bischof lächelte wehmütig. »Das ist schön, mein Kind. Wenn es nur bei allen meinen Leuten so einfach wäre und ihre Wünsche und Forderungen an mich so bescheiden wären wie die euren.«

Als Jos und Sara sich verabschiedet und das Gemach des Bischofs verlassen hatten, saß Gottfried von Limpurg noch lange in seinem Lieblingssessel und sah aus dem schmalen Fenster zu seiner Stadt hinunter, die von hier aus so ruhig und friedlich aussah – und so wunderschön mit ihren vielen aufragenden Kirchtürmen.

Andere an eurer Stelle hätten einen Haufen Gold, ein Gut oder eine Leibrente verlangt, dachte er. Hätte er ihnen mehr geben sollen, als sie wollten? Nein, vermutlich war es besser, sie in ihrem gewohnten Leben zu belassen. Dies war Gottes Plan. Er hatte jeden Menschen an seinen Platz gestellt, und es tat selten gut, wenn man in die allerhöchste Ordnung eingriff.

»Dein Knöchel wird dich nicht mehr lange plagen. Versuche, ihn die nächsten Tage nicht zu sehr zu belasten.« Rebecca wickelte den Verband wieder fest um das Gelenk und erhob sich dann. »Und die Hand sieht auch schon recht gut aus.«

»Ich danke dir für alles«, sagte Jos leise.

Sie wich seinem Blick aus und führte ihn zur Tür. Gemeinsam traten sie in den dunklen Garten.

»Wart ihr auch beim Bischof geladen?«

Rebecca nickte. »Ja, er ist ein feiner Mann. Er hat den Vater, Simon und mich zu sich gebeten und uns Geschenke gemacht.«

Jos lächelte. »Wir haben nun Kleider, mit denen wir uns als reiche Bürger verkleiden können. Ob wir sie jemals tragen werden?«

»Vielleicht auf eurer Hochzeit«, murmelte Rebecca.

Jos nickte. »Ja, wir werden im Sommer heiraten. Der Bischof hat Sara eine Aussteuer versprochen und mir genug Geld für das Bürgerrecht und für die Hochzeit gegeben. Im Sommer will mich der Meister zum Gesellen machen.«

»Wie schön für euch.« Rebeccas Stimme klang gepresst. »Es ist gut und richtig«, fügte sie rasch hinzu. »Und ich wünsche euch alles Glück dieser Welt. Ihr gehört zusammen – und dennoch werde ich dich immer lieben und für dich da sein, bis in den Tod«, flüsterte sie. Sie zog ihn an sich und küsste seine Lippen.

Jos umarmte sie und erwiderte den Kuss. »Bis in den Tod«, murmelte er, als sie Luft holen mussten, dann küsste er sie noch einmal, zärtlich und voller Hingabe. Viel zu lange standen sie aneinandergepresst vor dem Haus des Henkers und konnten nicht voneinander lassen. Sie spürten nur den Körper des anderen und das Glück, das so nah am Schmerz lag. Auch den Mann, der im nächtlichen Garten stand und sie beobachtete, bemerkten sie nicht.

Endlich lösten sie sich voneinander. Es gab nichts, was sie noch hätten sagen können, daher trennten sie sich stumm, um jeder in seine eigene Welt zurückzukehren.

Rebecca umklammerte den Türgriff und starrte noch immer auf den Ausgang der Gasse, in der Jos schon lange verschwunden war. Da löste sich die Gestalt aus den Schatten des Gartens und trat auf sie zu. Der Henker blieb vor seiner Frau stehen.

»Oh! Hast du mich erschreckt! Ich wusste gar nicht, dass du auch hier draußen –. Ich meine, bist du schon lange im Garten?«, stieß sie atemlos hervor und sah mit ängstlichem Blick zu ihm auf.

Der Henker schüttelte den Kopf. »Ich bin gerade erst gekommen«, sagte er und lächelte wehmütig. »Wollen wir hineingehen?«

Er hob die Hand und strich ihr zärtlich über die Wange. Einen Moment verharrten seine Finger auf den Lippen, die eben noch einen anderen Mann geküsst hatten. Dann legte er ihr den Arm um die Schulter.

»Komm mit mir, mein liebes Weib, wir wollen die Kinder nicht länger mit dem Essen warten lassen.«

Als sie zu ihm aufsah, wurde ihr klar, dass er sie mit Jos gesehen hatte. Schmerz lag in seinem Blick, doch kein Zorn. In diesem Augenblick wusste Rebecca, dass sie ihn lieben würde. Irgendwann, auf andere Weise, doch sie würden eine gute Ehe führen. Sie griff nach seiner Hand und legte sie an ihre Wange.

»Ja, mein lieber Mann, lass uns nach Hause gehen.«