Raven Roxx
–
Monster?!
»Diggah, ich sag dir, du bist einfach ’ne Nutte, nein, eine dumme Nutte. Nutten verkaufen sich für Geld, aber du verkaufst dich unter Wert!«, redete Chris, ein kleiner schlaksiger Mann, auf seinen breiteren Sitznachbar ein, der in aller Ruhe einen tiefen Schluck von seinem Bier nahm. »Ich sags dir Pedro, wenn ich deine Kräfte hätte …«
»Dann hätten deine Eltern dich gefressen«, beendete der andere den Satz. »Und hör mit diesem Möchtegern-Mexikanerscheiß auf, Pole.« Mit diesen Worten verabschiedete er sich und verließ die heruntergekommene Hafenkneipe.
Die Welt war im Arsch. Jahrhundertelang haben die Menschen Mutter Natur vergewaltigt und gedacht, dass sie schweigen würde, wie es Opfer immer taten. Aber die alte Lady wollte Vergeltung. Sie rächte sich an der Menschheit. Und zwar dort, wo es richtig weh tat: an der Evolution. Es ging langsam vonstatten. Zunächst veränderten sich die Tiere. Mehr Krallen, mehr Zähne und dickere Panzer. Die Tiere entwickelten sich zu prähistorischen Monstern, doch hatte Mutter Natur nicht mit der verdammten Anpassungsfähigkeit der Menschen gerechnet, als die Evolution überschlug. Heute waren mehr als die Hälfte der Humanoiden mutiert.
Jackson war selbst so ein Mutant, auch wenn er äußerlich menschlich wirkte. Er war schneller und stärker, konnte bei Nacht sehen und über Kilometer hinweg riechen, wenn ein Fisch sein Geschäft erledigte. Angeblich hat sich seine Mutter besoffen von einem Kerl mit wölfischer Mutation besamen lassen. Das hatte man ihm jedenfalls damals erzählt. Sein gemütliches Bett bei seinen menschlichen Verwandten hatte er schon früh sattgehabt, als seine ›Geschwister‹ dachten, ihn wie einen Hund behandeln zu müssen. Na ja, in Wirklichkeit war er von seiner Tante rausgeworfen worden, weil er seinem Cousin im Streit ein Ohr abgebissen hatte, aber das Ergebnis blieb dasselbe. Adoptiert worden war er von Big Mama – einer alten, übergewichtigen Puffmutter, die ihren Amüsierbetrieb am Hafen hatte. Zuerst war er eine Putzhilfe und später der Mann fürs Grobe, wenn sich die Freier nicht benahmen. Big Mama verdankte er auch seine ersten Erfahrungen mit Frauen, als er sein erstes Mal mit ihrer leiblichen Tochter, Nina, haben durfte. Eine gelenkige Katzendame, die ihm Sachen zeigte, die man nur von japanischen Internetseiten her kannte. Bezahlen musste er damals trotzdem.
»Hey, Süßer. Haben dich schonmal acht Arme gleichzeitig befriedigt?«, rief eine Frau mit schuppigen Hautstellen und Tentakeln, die vor einem geschlossenen Laden für Werkzeuge stand.
„Nee, danke. Ich meld mich, wenn ich Bock auf Sushi hab“, antwortete Jackson und wimmelte die Oktopoden-Prostituierte ab. Nach einigen Blöcken stieg Jackson eine Treppe zu einer belebten U-Bahn-Station hinunter. Menschen und Mutanten drängten sich in die überfüllten Züge, und von allen Seiten waren rassistische Beleidigungen zuhören.
»Meinetwegen können wir diese ganzen missgestalteten Fickfehler in ein Lager stecken und ausräuchern.« Jackson ging an den beiden Kerlen vorbei, ohne sie zu beachten, jedoch erkannte er – im Gegensatz zu den gesprächigen Rassisten – das Chamäleon-Mädchen, das beinahe unsichtbar hinter die beiden trat und sie kurz bevor der Zug einfuhr, auf die Schienen stieß. Mit einem lauten Schmatzen rollte der Zug über die Körper der beiden hilflosen Männer, woraufhin ein Schwall von Blut und Knochensplittern auf die in der näheren Umgebung stehenden Zivilisten spritzte. Einige schrien laut auf, doch die meisten traten einfach von der Blutlache zurück und kümmerten sich nicht weiter.
Gewalt war an der Tagesordnung, und so störte sich kaum einer mehr daran, wenn hier mal ein Mensch oder dort ein Mutant zu Tode kam.
Jackson drückte sich durch die Menschenmasse und bemerkte das kleine Mädel nicht, das plötzlich vor ihm auftauchte und ihm den Weg versperrte. Er wollte an ihr vorbeigehen, doch das kleine Mädchen fuhr ihn plötzlich an und kratzte ihn dabei mit ihrem Fingernagel an der Wange. Bevor Jackson etwas sagen konnte, war es verschwunden. Jackson ging über den Bahnsteig in einen abgeriegelten Bereich, der ihn in einen kleinen Flur führte. Am Ende angelangt, ging er durch eine massive Tür und fand sich in einem kleinen Raum wieder. Darin war eine schwarze Metallkiste mit einem Schlitz in der Mitte. Rechts und links im Raum waren weitere Türen.
»Spaß oder Arbeit?«, fragte eine verzerrte Stimme aus der Kiste. Jackson antwortete mit ›Arbeit‹ und mit einem elektrischen Summen öffnete sich die linke Tür. In der Umkleide, die Jackson nun betrat, befanden sich noch drei weitere Mutanten. Ein Echsenmensch mit grünen Schuppen stemmte gerade in einer Ecke Gewichte und schnalzte mit seiner Schlangenzunge, als er Jackson erblickte.
»Straßenköter! Hast ja doch Eier.« Vince, der Veranstalter stand im Türrahmen, als hätte er nur darauf gewartet, dass Jackson kam. »Fünf Riesen heute, wenn du drei Minuten durchhältst. Na? Interesse?« Vince wusste, dass Jackson auf fast jeden Deal eingehen würde. Er brauchte das Geld, um endlich aus dieser Stadt verschwinden zu können.
»Fünfzehn, und ich schlachte deinen Kontrahenten ab.« Jackson baute sich in voller Größe vor Vince auf.
Der schmierige Zuhälter überlegte kurz. Anscheinend hatte sein bestes Pferd im Stall bald genügend Geld beisammen. Grinsend schlug er ein und ließ Jackson für die Vorbereitung alleine.
Nachdem Jackson sich bis auf die Jeans ausgezogen hatte, wartete er vor der großen Metalltür, hinter der bereits laute Metal-Musik lief.
»Ladies, Gentlemen und sonstige Abscheulichkeiten! Ich heiße Sie heute Abend herzlich willkommen im Fleischerhaus«, kündigte der Ansager den Abend an, und die Menge grölte aus vollen Kehlen. »Unser erster Herausforderer des Abends: der Sunnyboy, durch dessen bloße Erscheinung der Muschisaft herunterläuft. Bad-Dog-Jack!«
Mit einem lauten Knarzen öffnete sich die Tür und Jackson betrat die Arena. Von der Tür bis zum kuppelförmigen Käfig verlief ein freier Gang, der rechts und links durch hohe Zäune abgesichert war. Die Zuschauer, allesamt in hautengen BDSM-Latexanzügen, rüttelten am Gitter des Zauns und schrien wie tollwütige Schimpansen, während Jackson gemächlich durch den Gang schritt.
»Hey, Bad-Dog! Wenn du überlebst, gehört das alles dir!«, rief eine Frau und öffnete dabei das Oberteil ihres Latexanzugs. Sechs pralle Brüste drückten sich gegen den Gitterzaun, und Jackson erkannte bereits an den Flecken, dass die Frau eine Kuhmutation im Blut hatte.
»Haltet euch zurück, ihr notgeilen Brutmaschinen!«, schrie der Ansager, als er sah, wie die ersten Zuschauer versuchten, über den Zaun zu klettern.
Jackson betrat die Kuppel, und hinter ihm schloss sich die Tür.
»Im ersten Kampf tritt Bad-Dog-Jack gegen einen Serbian Carnivore an!«
Die Menge schrie und pfiff noch lauter und brachte durch das Stampfen den Boden der Kuppel zum Beben.
Angespannt starrte Jackson auf die gegenüberliegende Tür, die sich nun öffnete, und noch bevor er seinen Gegner sah, drang ein knurrender Tierlaut aus der Dunkelheit, der für allgemeine Ohrenschmerzen sorgte. Mit stampfenden Schritten erschien ein monströser Bär im Türrahmen. Sein Körper war riesig, und seine Schultern waren mit dicken Platten gepanzert. Die Klauen waren dick und scharf und sorgten bereits beim Gehen für Kratzer im Boden. Der Kopf des Monsters war länglich geformt, beinahe wie der eines Wolfs, und zwei Reihen scharfer Zähne blitzten in seinem Maul.
Der Ansager trat zurück in seine gesicherte Kammer am Rand des Rings, als der Bär die Arena betrat und Jackson anfunkelte.
»Ach, Fuck! Na gut, Yogibär, lass uns tanzen!« Jackson ballte die Fäuste, und die beiden Kontrahenten umkreisten sich unter dem Gitter der Kuppel.
»
Let’s get ready to rumble!«
, kopierte der Ansager den berühmten Spruch und ließ mehrmals eine Glocke ertönen. Beim Klang des Gebimmels brüllte der Bär auf. Er war lange darauf getrimmt worden, bei diesem Geräusch Schmerzen zu erwarten. Meister Petz baute sich zu seiner vollen Größe von mehr als zwei Metern auf und ging auf Jackson los. Dieser spannte seine Muskeln an und drückte das Tier von sich weg – gegen das Gitter. Natürlich, er war kein ganzer Wolf, aber ein schwacher Mensch war er auch nicht. Er bedachte den Bären mit einigen festen Faustschlägen, doch dieser schien davon gänzlich unbeeindruckt. In einem Moment der Unachtsamkeit holte der Bär mit der Pranke aus und beförderte Jackson in hohem Bogen von sich weg. Mit seinen mächtigen Krallen verpasste er Jackson drei tiefe Risse in die Brust, die unvorstellbare Schmerzwellen durch seinen Körper jagten. Gerade als der Bär erneut zum Angriff ansetzen wollte, raffte sich Jackson auf und traf den massiven Kopf der Kreatur, kurz bevor diese ihre Zähne in ihn schlagen konnte.
Jackson nutzte diesen Moment, sprang dem pelzigen Vieh auf den Kopf und stemmte unter Aufbietung all seiner Kraft dessen Ober- und Unterkiefer auseinander. Mit einem Knacken brach der Kiefer des Viehs am Gelenk entzwei, und der Bär sackte leblos auf dem Boden der Arena zusammen.
Weit über der Arena, in einer Loge, beobachteten Vince und sein Geschäftspartner ›Der Graf‹ das Spektakel.
»Du hast mir versprochen, dass er stirbt! Ich will den toten Körper dieses Wolfsmenschen haben!« Der Graf packte Vince am Kragen und drückte ihn gegen die Wand. Sie schienen die bezahlten Frauen in ihren engen Latexanzügen, die sich gegenseitig streichelten, nicht zu beachten.
»Keine Sorge, Boss. Ich hab dir Jacksons Tod versprochen, und den kriegst du auch«, stotterte Vince und drückte einen Knopf auf einer Fernbedienung.
Der Ansager wollte gerade seine Schutzkabine verlassen, um den Sieger zu küren, als sich plötzlich die Tür, durch die die Kreatur gekommen war, erneut öffnete. Verwirrt schauten nicht nur Jackson und der Ansager auf die Doppeltür, sondern auch die anderen Zuschauer.
Als die beiden Flügel weit offenstanden, herrschte eine angespannte Stille in der Arena.
»Hör zu. Die Regeln sind klar. Ein Kampf und dann krieg ich meine Kohle und kann gehen«, drohte Jackson dem Ansager, der zwischen ihm und der Tür hin und her schaute.
»Hallo? Zentrale, was ist los?«, wollte der Moderator wissen, aber sein Funkgerät blieb ihm die Antwort schuldig.
Ein markerschütterndes Jaulen drang aus dem Raum hinter der Tür, und bevor es jemand richtig registrierte, stürmten breitgebaute Hyänenlöwen, schnell und muskulös, mit messerscharfen Krallen und dem für Hyänen typischen Fell den Gang entlang.
Jackson fluchte, als er gerade noch so der ersten ausweichen konnte. Der Sprecher hingegen hatte weniger Glück und wurde noch im Sprung von zwei der Kreaturen entzweigerissen. Jackson schaffte es, die Biester durch gezielte Schläge und Tritte auf Abstand zu halten. Während des Kampfes bemerkte er nicht, dass der kleine Schnitt in seiner Wange immer mehr pulsierte.
Einen Hyänenlöwen fing er im Sprung und brach ihm das Genick, bevor ein weiterer auf seinen Rücken sprang und ihn zu Boden warf. Jackson drehte sich unter dem Vieh um, und schaffte es gerade noch, das Maul mit seinem Arm abzufangen. Die scharfen Zähne bohrten sich in sein Fleisch und ließen Jackson sein eigenes Blut, gemischt mit dem Speichel der Kreatur, ins Gesicht regnen.
Ein Teil von Jackson hatte bereits aufgegeben. Dieser Drecksack Vince hatte ihn verarscht und ans Messer geliefert – und nun würde er hier sterben. Aber da war noch dieser andere Teil in ihm. Einer, dem er nicht sonderlich oft folgte, und dessen Rufe nun immer lauter wurden.
Jackson spürte das Adrenalin in sich aufwallen, und im nächsten Moment sah er rot. Wild brüllend stemmte er sich auf und warf dabei die übrigen drei Hyänen-Kreaturen von sich, die sich gerade sein Fleisch einverleiben wollten. Sein Körper hatte sich binnen Sekunden verändert: Sein Oberkörper war plötzlich von Pelz überzogen, und seine Zähne waren spitzen Fangzähnen gewichen.
Ohne mit der Wimper zu zucken, packte Jackson sich die erste Kreatur und zerriss diese sprichwörtlich in der Luft. Blut und Gedärme klatschten auf den Arenaboden und verbreiteten einen metallischen Geruch. Es schien, als wägten die beiden übriggebliebenen Kreaturen ihre Chancen ab, doch Jackson zerfetzte eine nach der anderen mit seiner Klaue, ehe auch nur eine der beiden reagieren konnte.
Die Menge tobte, schrie und war im Fluchtmodus, als Jackson gegen die Kuppel sprang und versuchte, sie aufzubrechen.
»Hey! Hier lang!«, hörte er eine sanfte Stimme in seinem Kopf. Hinter der Tür zu den Kreaturen sah Jackson ein Mädchen. Es war die Kleine vom Bahnsteig. Sie winkte ihm zu, und Jackson stürmte in die Dunkelheit.
Er rannte dem Mädchen hinterher, das ihn durch den Untergrund führte. Er hatte keine Probleme damit, im Dunkeln zu sehen, war jedoch überrascht, dass sie sich so zielsicher durch die engen Gänge bewegte.
»Vorsicht, gleich wird es hell!«, rief sie über ihre Schulter nach hinten, und bevor Jackson seine Augen bedecken konnte, öffnete sich eine Wand vor ihm und er wurde geblendet. Blindlings stolperte er in das Licht hinein.
»Hey, hey, hey, mein Freund. Immer langsam mit den jungen Pferden. Nur nicht so wild.“ Die Männerstamme hatte etwas Beruhigendes, und zwei Hände packten Jackson an den Schultern und hielten ihn auf. Nach mehrmaligem Blinzeln gewöhnten sich seine Augen an die Helligkeit, und er blickte in das Gesicht eines alten Schwarzen mit einer Cyberprothese an der Stelle, wo sein rechtes Auge sein sollte.
»Willkommen, Freund«, sagte der Alte und klopfte Jackson auf die Schulter. Erst jetzt merkte er, dass er sich zurückverwandelt hatte, und spürte kalten Stahl auf seiner Haut.
Der Alte trug Cyberprothesen an der gesamten rechten Körperhälfte, bewegte sich aber vollkommen natürlich. »Ich hätte da ein paar Fragen …« Jackson war verwirrt und wütend. Was waren das für Leute, und warum war er dem Mädchen gefolgt? Was war mit ihm passiert?
»Wir haben deine wölfischen Gene aktiviert. Sorry für die evolutionäre Entjungferung ohne Kerzenschein, aber wir brauchen den alten Silbernacken.« Der breitschultrige Echsenmensch aus der Umkleide kam aus dem Schatten.
Nun sah Jackson ihn zum ersten Mal richtig. Narben zeichneten seinen Körper, und dicke Muskeln spannten sich an seinen Armen und der Brust.
»Silbernacken?«, fragte Jackson überfordert.
»Dein Vater. Komm her, ich erkläre dir alles.« Der alte bot Jackson einen Sessel an und setzte sich ihm gegenüber.
Der Echsenmensch lehnte derweil an einem Stehtisch und beobachtete ihn.
»Du bekommst die Kurzfassung, wenn das für dich okay ist.«
Jackson nickte und lehnte sich angespannt zurück. »Dein biologischer Vater war ein Wolfsmensch, der unter dem Namen
Silbernacken
bekannt war. Er war so was wie ein Rudelalpha. Wir selbst gehören der Organisation
Howling Commando
an.«
Bei der Erwähnung des Namens klingelte etwas bei Jackson und er lehnte sich vor. Jeder kannte diesen Verbund: Mutanten, die sich zusammengetan haben, um gegen die höhere Gesellschaftsschicht vorzugehen. Radikale Terroristen, die ohne Skrupel Gebäude der oberen Bezirke sprengten. Ihnen war es egal, ob Mann oder Frau, Kind oder Greis. Hauptsache es waren Menschen, die sie töteten.
»Ich sehe dir an, du kennst uns. Lass mich bitte erklären, was unsere eigentliche Intention ist. Wir sind keine Terroristen im herkömmlichen Sinne. Es stimmt zwar, dass wir gegen die Oberschicht vorgehen, aber vertrau mir, wenn ich dir sage, dass sie es verdient haben.«
Mit eine Satz sprang Jackson auf. Er packte den Schwarzen am Kragen und stieß ihn gegen die Wand.
»Bullshit! Ihr habt mich in ein Monster verwandelt! Und weshalb? Wegen dem Kerl, der meine Mutter damals gefickt hat? Braucht ihr etwa einen Schoßhund oder so ’n Scheiß?« Jackson sah, wie der Echsenmensch bereits auf dem Weg zu ihm war, doch das war ihm egal. Knurrend schaute er in die Augen des Alten, der seinem Blick ruhig standhielt.
»Für heute Abend haben wir eine Rettungsmission geplant. Komm mit und erlebe die Wahrheit. Schau dir selbst an, was die Menschen von uns halten. Wenn du dann noch immer sagst, dass du kein Interesse hast, verabreiche ich dir ein Serum, das den Wolf in dir wieder unterdrückt. Größtenteils jedenfalls.«
Jackson schnaubte unwillig, doch er ließ den Alten schließlich los. Er willigte ein und wurde in einen Nebenraum geführt, der durch die vielen digitalen Hologramme und Monitore wie die Brücke eines Raumschiffes aussah.
»Slith, du bist dran«, forderte der Alte mit einer saloppen Handbewegung in Richtung des Echsenmenschen, der ihnen gefolgt war.
Außer Jackson, dem Alten und dem Echsenmenschen Slith befanden sich im Raum noch das Mädchen, das eine leichte Schlangenmutation hatte, sowie eine Frau und ein Mann etwa in Jacksons Alter, die beide wohl ebenfalls Wölfe waren.
Das Mädchen, Sina, war wegen ihrer Mutation von ihrer Familie ausgesetzt und vom Alten aufgezogen worden. Die Wölfe Tristan und Tabea waren Geschwister, und arbeiteten wohl schon länger für den schwarzen Mann, wie Slith ihm erklärte.
»Okay, Ladies. Volle Aufmerksamkeit. Ihr wisst ja, wer auf dem Spiel steht!«
Jackson sah sich unwissend in der Runde um. Er kam sich blöd vor, denn er war vermutlich der Einzige, der nicht wusste, um was es hier überhaupt ging.
»Nyphe, eine Freundin von uns, wurde gefangen genommen und zum Grafen gebracht«, erklärte das Mädchen und mit einem Mal sank die allgemeine Stimmung. »Der Graf ist übrigens ein Mensch, der sich einen Spaß daraus macht, Mutanten zu töten. Er hat auch deinen Tod befohlen«, erläuterte der Alte, und plötzlich verstand Jackson. Darum die Hyänenlöwen. Weil er wie sein Erzeuger sein könnte?
»Wir wissen, dass der Graf Nyphe in seiner Gewalt hat, doch es ist Eile geboten. Ich würde sagen, wir sparen uns die ganze Planerei und stürmen das Haus einfach.«
Slith schlug auf den Kartentisch und stieß dabei ein wütendes Zischen aus. Die anderen überlegten nicht lange und stimmten zu.
»Auch ich werde heute mit euch kommen.«.
Alle starrten den Alten an. »Nyphe ist eine von uns. Ich würde für jeden von euch dasselbe tun, genauso wie es jeder von euch für mich tun würde.«
Jackson sah, dass jeder einzelne mindestens einen Einwand hatte, doch keiner sagte etwas.
»Ich kenne keinen von euch, doch wenn es stimmt und dieser Graf mich töten wollte, habe ich ebenfalls einen Grund, ihn aufzusuchen.« Jacksons Stimme verwandelte sich beim Reden in ein Knurren.
Alle Versammelten nickten zustimmend und verließen geschlossen die unterirdische Basis.
Jackson trug noch immer nur seine dreckige Jeans, doch das störte ihn nicht. Tristan hatte auch nicht mehr an, und Tabea zusätzlich einen Sport-BH. Sina war in ein elegantes Rüschenkleid gehüllt, und Slith war angezogen, als würde er gleich zum Sport gehen – mit Trainingshose und Tanktop. Der Alte, der sich als Doktor Mambul vorstellte, trug einen eleganten Dreiteiler mit tief ins Gesicht gezogenem Hut.
Durch die Kanalisation gelangte die Truppe in den oberen Bereich, wo die wohlhabenden Menschen fernab von Verbrechen und Gewalt lebten.
»Aus ihren Elfenbeintürmen schauen sie verachtend auf die Sterblichen herab«, flüsterte der Doktor, als er die hohen Bauten sah.
»Dort ist das Anwesen des Grafen«, erklärte Slith und zeigte auf ein Herrenhaus aus weißem Marmor, das beleuchtet hoch über der Stadt thronte, als würde es darüber wachen. Um den Zaun des Anwesens, sowie vor jeder Tür standen bewaffnete Wachleute, die jeden Millimeter observierten.
»Hat jemand eine Idee?«, fragte der Doktor und sah, wie Jackson mit den Zwillingen die Umgebung absuchte.
»Wie fit seid ihr so?«, wollte Jacksons scherzhaft wissen und zeigte auf das Gebäude neben dem Anwesen, die beide im Dunkeln lagen. Lautlos und ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, gelangte die Gruppe auf das Dach des Nachbargebäudes, von wo aus es nur wenige Meter zum Anwesen des geheimnisvollen Grafen waren.
»Alle bereit?« Tristan blickte fragend in die Runde.
Slith hatte Sina auf dem Rücken und Doktor Mambul richtete seine Cyberprothesen aus. Das Howling Commando nahm Anlauf und sprang über die Straße auf das Anwesen des Grafen zu.
Jackson und Tristan waren die ersten und brachen durch seitliche Fenster in das Gebäude. »Los, auf zum großen Saal, da brennt Licht!«, rief Tristan und spurtete bereits los, bevor alle gelandet waren.
Die Gruppe hetzte durch die Flure, und nachdem sie den Anbau hinter sich und eine große Halle erreicht hatten, standen ihnen ein Dutzend bewaffneter Wachleute mit gezogenen Schusswaffen gegenüber.
»Ich rechts und du links?« Tristan nickte Jackson auffordernd zu.
»Jungs! Keine Zeit für ’nen Schwanzvergleich!«, rief Tabea und sprang zwischen den beiden Wolfmännern hindurch über das Geländer. Die Wolfsfrau verwandelte sich noch im Sprung und riss dem ersten Wachmann beim Landen den Brustkorb auf. Zwei der Wachleute wollten gerade das Feuer eröffnen, als eine massive Standuhr, die Slith geworfen hatte, sie traf und dabei lautstark sämtliche ihrer Knochen brachen.
Auch Tristan und Jackson verwandelten sich in ihre Wolfsgestalt – Letzterer hatte ein paar Anlaufschwierigkeiten – und beide sprangen vom Geländer geradewegs nach unten auf die Männer.
Tristan schaffte eine Punktlandung und stieß den Kerl zu Boden, wobei er seine Krallen tief in das Fleisch des Wachmannes bohrte. Mit einer flüssigen Bewegung sprang er auf den nächsten Wachmann zu und verbiss sich in dessen Hals.
Jackson landete lautlos hinter einem weiteren Wachmann und fuhr mit seinen Krallen über den Rücken des Mannes, den er längs aufschnitt.
Ninas Beine verschmolzen zu einem Schlangenkörper, mit dem sie sich um einen Wachmann wickelte und so fest zudrückte, dass sein Skelett an mehreren Stellen barst.
Der Doktor krempelte seinen rechten Ärmel hoch, und seine Cyberprothese am Arm schaltete sich zu einem Gewehr um, mit dem er die übrigen Wachleute niederstreckte, während er gemächlich die Treppe hinabschritt.
Als sich die Gruppe vor der großen Doppeltür versammelt hatte, trat Slith vor und drückte die Tür aus den Angeln. Die Flügel landeten im dahinterliegenden Raum. Jetzt fanden sie sich in einem langen Esszimmer wieder.
Wie es aussah, hatte sich an der großen Tischplatte die Crème de la Crème der Reichen versammelt, die nun panisch aufsprangen. Der Graf selbst, ein Mann mit glatten schwarzen Haaren und Schnauzer, stand wie Jesus beim letzten Abendmahl mittig zwischen den Leuten am Tisch. Vor ihm eine große Kuppel über einem Teller.
»Doktor Mambul? Hätten Sie sich doch angekündigt, mein alter Freund, dann hätten wir für sie und ihre Freunde extra gedeckt.«
Das Howling Commando schaute den Doktor verwirrt an.
»Er hat recht. Ich kenne ihn bereits länger«, rechtfertigte sich der Doktor vor seinen Leuten. »Vor vielen Jahren, bevor ich zum Doktor und er zum Grafen wurde, haben ich und Richard zusammen die Mutationen studiert. Unser Ziel war es, die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz wissenschaftlich zu belegen. Leider merkte ich damals zu spät, welche kranken Ideen in diesem Kopf wirklich entstanden sind.« Das menschliche Auge des Doktors funkelte den Grafen hasserfüllt an. »Während ich ernsthaft daran interessiert war, herauszufinden, was diese Mutationen bedeuten und wie sie zu erklären sind, hat Richard …«, der Doktor hielt kurz inne.
»Habe ich mich darauf konzentriert, wie diese Missbildungen den Menschen helfen können«, beendete der Graf den Satz für den Doktor. »Wisst ihr, der Mensch braucht Fleisch. Er ist seit Anbeginn der Zeit ein Karnivore, und diese vegetarische Esskultur oder chemische Beimischungen sind wider die Natur«, setzte der Graf an, und Jackson bemerkte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten.
»Mir gefällt die Richtung nicht, die dieses Gespräch einschlägt«, setzte Slith an, der bemerkte, wie sich Doktor Mambul in sich zurückzog.
»Ihr Monster seid nichts anderes als das Vieh für uns Menschen. Ihr seid Tiere, und diese werden nun mal geschlachtet!“ Die Miene des Grafen verfinsterte sich.
»Und ich war sein erstes Testobjekt«, gestand der Doktor und man hörte den Hass in seiner Stimme. »Meine Mutation kam verspätet. Es stellte sich heraus, dass ich krokodilähnliche Gene besitze, ähnlich wie du, Slith. Mein Arm und mein Bein mutierten in die animalische Gestalt. Zuerst benahm sich Richard ganz normal, bis ich eines Abends im Labor schrecklich müde wurde und auf einer Metallliege wieder zu mir gekommen war. Nackt hat er mich dort festgeschnallt und Rezepte für Marinaden vor sich hingemurmelt. Ich bettelte darum, er solle mich doch gehen lassen, aber er setzte gnadenlos die Säge an und amputierte mir bei vollem Bewusstsein meinen rechten Arm und das Bein. Als ich schwach und unter Schmerzen in einer Gasse aufgewacht bin, sah ich, dass Richard mir die von ihm gestohlenen Körperteile durch Cyberprothesen ersetzt hatte.« Ein Knurren drang aus der Kehle des Doktors und dem Howling Commando wich die Farbe aus den Gesichtern.
»Alfred, habe ich dir jemals gesagt, dass du wie Hühnchen geschmeckt hast?«, setzte der Graf nach. Plötzlich brüllte Slith auf und wollte auf den Grafen zuspringen.
Der Graf betätigte einen versteckten Knopf an seinem Stuhl und schoss einen Elektroschock aus dem Boden, der den Echsenmenschen im Sprung aufhielt und zu Fall brachte.
»Nyphe …?«, kam es von Sina. Sie wirkte abwesend und verarbeitete das soeben Gehörte.
»Wisst ihr, Monster, im damaligen menschlichen Zeitalter, als es Piraten und Seefahrer gab, herrschte der Mythos von Meerjungfrauen. Nun gleichen die heutigen Meervölker diesen Kreaturen bis aufs Haar. Feinkostspezialisten hatten jedoch damals schon das Problem: halb Mensch, halb Fisch. Welchen Wein serviert man dazu? Zu Menschen passt ein Rotwein, während man zu Fisch eher Weißwein serviert.«
Mit weit aufgerissenen Augen starrte die Gruppe auf den Grafen. Die Anspannung war zum Greifen.
»Darf ich meinen Gästen vielleicht einen Rosé anbieten?«, fragte der Graf mit einem schmierigen Grinsen auf dem Gesicht und hob die Kuppel auf dem Tisch an.
Sina schrie schrill auf und drückte sich an Tabea, die wie die anderen mit aller Kraft versuchte, ihren Kotzreiz zu unterdrücken.
Auf dem Tisch lag ein Mädchen im Teenageralter, die anstelle von Beinen eine Fischflosse aufwies. Ihre Haut war knusprig braun gebraten und die Arme wie bei einem Rollbraten am Körper festgebunden. Um das Bild abzurunden, steckte ihr ein Apfel im weit aufgerissenen Mund.
»Monster!«, schrie Slith, der sich langsam wieder aufgerappelt hatte, während der Graf laut lachte. Der setzte sich wieder auf seinen Stuhl, wobei er zwei weitere Knöpfe betätigte.
Bevor das Howling Commando zum Angriff ansetzen konnte, fuhr eine dicke Glasscheibe aus dem Boden und trennte den Bereich des Esstischs vom Rest des Raumes ab. Mit Krallen und Faustschlägen versuchte die Gruppe, das Glas zu brechen, während sie dabei zusehen mussten, wie der Graf sein Messer wetzte und das erste Stück aus Nyphes Oberarm schnitt und es sich auf den Teller legte.
Plötzlich öffneten sich versteckte Türen in den Wänden auf der Seite wo sich das Howling Commando befand, und ein mehrstimmiges Brüllen flutete den Raum. »Sammeln!«, schrie Doktor Mumbal, und die Gruppe ordnete sich Rücken an Rücken stehend in der Mitte des Raums.
Blitzschnell brachen aus den versteckten Türen Kreaturen, die aussahen wie wolfsgroße Warane mit Stacheln auf ihren Panzern, und stürmten auf die Gruppe zu.
Doktor Mumbal lud das Gewehr in seinem Arm nach und feuerte gezielt auf die Viecher. Durch sein mechanisches Auge, das mit dem Arm verbunden war, traf jeder Schuss ins Schwarze, und so brachte er die ersten Riesenwarane zu Fall.
Sina fing eine springende Kreatur in der Luft mit ihrem Schwanz ab und warf sie zu Slith, der den Waran mit bloßen Händen entzwei riss.
Die drei Wölfe stürmten gemeinsam auf die Kreaturen zu und griffen sie mit ihren Klauen und Zähnen an. Eines der Biester hatte sich in Tristans Bein verbissen und riss den Wolf auf die Knie.
Jackson sprang über das Ungeheuer und rammte seine Klauen in eine weiche Stelle im Nacken, wodurch er den Kopf vom Körper trennte. Zwei Riesenwarane feuerten ihre Stacheln wie Geschosse auf den Doktor und Sina ab, doch Slith trat vor die beiden und fing die Stacheln mit seinem Rücken ab. Während das Howling Commando sich mit der Übermacht der Riesenwarane herumschlug, saß der Graf mit seinen Gästen hinter der schallgeschützten Scheibe und genoss sein Mahl bei kulinarischen Gesprächen darüber, wie wohl die anderen Mutanten schmecken würden.
»Wir sind zu wenige! Das schaffen wir nicht!«, rief Mumbal, der nun ebenfalls in den Nahkampf übergegangen ist.
»Ich hab einen Plan«, schrie Jackson, bevor er durch die eingetretene Tür verschwand.
»Schade, von Bad-Dog hätte ich mir mehr Courage erwartet«, kommentierte der Graf die Aufführung und erntete hochnäsiges Gelächter von seinen Gästen.
Jackson hatte inzwischen im Foyer ein Telefon gefunden, mit dem er seinen Plan in die Tat umsetzen wollte.
Minuten später kehrte Jackson zum Commando zurück. Er sah, wie ein Riesenwaran auf Sina zusprang, rannte an dem Mädchen vorbei und rutschte auf den Knien unter die Kreatur, wobei er ihren weichen Bauch mit seinen Krallen aufschlitzte.
Als der Graf sah, wie sein letzter Waran den Tod fand, blickte er ungläubig auf das erschöpfte Howling Commando, das sich vor der Glasscheibe aufgebaut hat.
»Toll, ihr habt überlebt«, drang seine Stimme aus Lautsprechern. »Trotzdem seid ihr umsonst gekommen. Die Nixe schmeckt köstlich, und wir sind hier in Sicherheit. Alfred, sieh es ein, ihr seid einfach zu schwach und zu wenige, um gegen mich anzukommen.«
Mumbal wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, doch Jackson brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. Der von oben bis unten blutverschmierte Wolfsmensch trat vor, während er sich in seine menschliche Gestalt zurückverwandelte. Er stand nun genau vor der dicken Glasscheibe und schaute dem Grafen direkt in die Augen. »Wir sind nicht schwach, wir sind das Howling Commando. Und wir sind nicht wenige. Unser Name ist Legion, denn wir sind viele!«, brüllte er den letzten Satz, und wie auf sein Kommando splitterten die Fenster hinter den Menschen, und Mutanten stürmten den abgesicherten Bereich.
Vorneweg sprang ein Kerl mit dem Oberkörper eines Gorillas. Jackson lächelte, als er seinen alten Barkollegen erkannte, der gerade den Stuhl des Grafen aus dem Boden riss und aus dem Fenster beförderte. Dadurch wurden sämtliche Kabel durchtrennt, und die Glasscheibe senkte sich. Knurrend und fauchend kesselten die Mutanten die wohlhabenden Kannibalen ein, bis sich ein Kreis um den Grafen und seine Gäste gebildet hatte.
Echsenmenschen, Meervölker, Wölfe und selbst einige Oktopoden und Kuh-Prostituierte waren versammelt.
»Was habt ihr Monster vor? Verschwindet auf der Stelle von hier!«, rief der Graf ängstlich, wobei er sich in alle Richtungen drehte.
Doktor Richard Mumbal trat aus dem Kreis hervor und blieb vor seinem alten Freund stehen, dem nun der kalte Angstschweiß auf der Stirn stand. »Auge um Auge …«, knurrte der Doktor und mit einem Mal verwandelte sich sein Schädel in den eines Krokodils. Er schnappte zu und schloss seinen massiven Kiefer um den Kopf des Grafen, den er mit einem einzigen Bissen vom Rest des Körpers trennte. Schreie waren das Letzte, was von den Gästen zu hören war, bevor die Mutanten losstürmten und die Menschen mit ihren Zähnen und Klauen zerfleischten.