Die Woche über sitzen wir nach der Schicht in unseren Kinderzimmern oder Lehrlingswohnheimen. Am Wochenende zieht es uns in Scharen hinaus. Dorfbums. Für Mädels gilt: Mit zwee Mark hin, mit fünf zurück. An der Theke heißt es, sich entscheiden: gelb, weiß oder grün. Weinbrand, Klarer, Pfeffi. Bier ist nur zum Runterspülen, Wein zu teuer und etwas für den Blauen Salon. Dort, in einem kleinen Raum der Wohngebietsgaststätte Olympia, trifft sich neuerdings die technische Intelligenz der Stadt – eine andere gibt es hier nicht –, um Jazz zu hören und über Kunst zu diskutieren. Wir aber stehen in Klitten oder Lohsa an der Theke und diskutieren, wer die nächste Lage holt.

SchudiLuke off, Trommeln raus, Discjockey, New Order und der ganze Quatsch. Und dann eins zwei tipp, rumzappeln und los. Halb elf oder so ging der letzte Zug. Da war man eh hackedicht. Bei den Discos gab es viel Klopperei immer, wegen der Mädels und so was. Und ooch in den Zügen. Also meist nicht lebensgefährlich, aber es war schon besser, wenn man inner Truppe war und nich alleene da rumsaß. Wie das früher schon war, Barackenlager, Zwischenbelegung. Da wurde ja immer drüber geredet. Meine Mutter hat erzählt, für so’n junges, anständiges Mädel, am Sonnabend auf’n Saal zu gehen … Völlig tabu, absolut No-Go! Sodom und Gomorrha. Druckbetankung, ist ja klar. Nach dem anstrengenden Job am Wochenende endlich die Sau rauslassen. Spätestens um neun, halb zehne gingen die ersten Prügeleien los. Wegen irgendwelcher Weiber oder irgendwas, oder aber wegen garnüscht. Und dann sowohl im Saal als auch davor: Messer raus!

HausiEs gab ständig Prügeleien. Wir hatten das Revier Lohsa, Weißkollm. Da war klar: Du kommst hin, und es gibt Stress. Nich nur wir gegen die Dörfer, ooch die Hoyerswerdschen unter’nander. Wir waren die Truppe WK zwei. Dann gab’s die Rocker-Truppe ausm WK sieben. Wenn die abends ooch dorte offschlugen, hattest’de vier Gegner: WK sieben, dann die aus Uhyst, Weißkollm und die Lohseraner. Da flogen Stühle, richtig dolle. Allerdings – wenn’de gelegen hast, war gut. Die ham nich nachgetreten.

RöhliEs gab ja so Gangs. Zum Beispiel die Bande von Hamme, das waren ältere, mit Vollbart und so motorradmäßig. Dann gab’s’ne Grenze zwischen Altstadt und Neustadt. Und Wuroba war der Anführer von der Altstadt-Bande. Der war ja’n Kopf kleener als die meisten Typen. Man hat gemunkelt, der hat’ne Boxausbildung. Wenn der wütend war, hat der rotgesehen. Da is der die Leute angesprungen, mit den Beinen um die Hüfte, damit er auf der gleichen Höhe war. Und dann mit einer unglaublichen Geschwindigkeit immer droff, bis der Typ unten war.

HausiDie Elsterbande, die ham sich ständig geprügelt. Ich musste keene Angst haben, einer von denen hat bei uns im Eingang gewohnt. Aber die Eltern vom Andy hatten’s echt schwer mit ihrem Sohn. Der kam einen Tag nach Hause, das ganze Gesicht blutig. »Nüscht passiert, ich hab’n Ast dagegengekriegt.« Dann schwoll seine Nase immer mehr an. Da sind’se doch zum Arzt, und der hat gesagt »Schwein gehabt«. Weil, da war’ne Bleikugel drinne. Das waren verrückte Typen! Aber die waren eene Generation vor uns. Wo ich dann in dem Alter war, saßen die alle schon im Knast.

GabiDisco Kastanienhof – Kasten. Wo Rust immer die Leute angeschnorrt hast: »Haste mal ’ne Mark?« Und zum Schluss stand er da wie Graf Koks: »Ich hab hier Sekt.« Da war er gerade mal draußen ausm Knast, aber er kam bald wieder rein. Das war’n Typ!

Die wahren Helden unserer Stadt sind nicht die, deren lächerlich ernste Gesichter uns von der »Straße der Besten« entgegenstarren. Klar ist, dass man dort auf keinen Fall landen sollte. Wer wirklich zur Legende wird, bestimmt auch in den Achtzigern noch das Erbe der Vorväter aus 1000-Mann-Lager und Zwischenbelegung. Die Reviere sind aufgeteilt. Jeder weiß, wo er hingehört: welche Schule, Parzelle, Früh- oder Spätschicht, welche Gang oder Bande, WK drei oder acht, die Polen im Polonia und die Algerier in der Kühnichter Heide. Lohsa oder Weißkollm, Kosmos oder Kasten … Gefährlich ist nur, wenn man nirgendwo dazugehört.

DavidWir waren kleine Jungs, neunzehn Jahre – wir wollten nach der Arbeit auch ein bisschen mitmachen. In einige Gaststätten konnten wir rein. Aber es gab auch welche, in die wir nicht konnten, zum Beispiel das Jugendklubhaus. Die Jungs dort haben gesungen: »Es ist zu dunkel hier«. So laut, dass wir rausmussten, weil, wir hatten Angst. Die waren viel zu viele. In die Altstadt sind wir auch nicht so gern gegangen. Weil, das war ein bisschen weit von der Polizei. Da mussten wir mit vier oder sechs Leuten gehen, dann wurden wir nicht angegriffen. Wenn man in einer Gaststätte war und man wollte zur Toilette, konnte man nicht alleine gehen. Da drin passiert was. Müssen wir zu zweit oder dritt gehen. Das war unser tägliches Brot. Natürlich, wir waren jung. Wir waren nicht heilig. Wir haben auch manchmal ein paar Glas Bier getrunken, und dann gab es Provokation auch von unserer Seite. Ich kann nicht sagen, nur die Deutschen haben uns provoziert, das wäre nicht richtig. Aber die deutsche Seite hat nicht zugelassen, dass wir auch mittanzen oder mitmachen.