MichaWir haben mit Jugendkonzerten angefangen. Alle angesagten Bands waren da. Dann ist das Chaos ausgebrochen. Alle wollten dorthin.

PfeffiVor den zehnten Weltfestspielen gab es so’ne große Kampagne: Überall sollen Jugendklubs entstehen, dass die Jugend vonner Straße weg is.

Wie ein Menetekel des Fortschritts erhebt sich seit ein paar Jahren da, wo wir als Kinder Karussell fuhren, ein riesiger Betonblock aus der Sandwüste des Stadtzentrums. Der Rummel baut jetzt ein paar hundert Meter weiter seine Buden auf – Brache haben wir hier immer noch genug. Und wir haben nun immerhin schon das Bühnenhaus unseres künftigen Kulturpalastes. Das haben wir dem Alten zu verdanken. So – oder auch einfach GD – nennen hier alle Generaldirektor Richter, den Chef von Pumpe. In einem seiner Handstreiche, die bis heute als Legenden erzählt werden, hat er die in Berlin überlistet. In einen Parteibeschluss auf höchster Ebene schummelte er den Satz, dass in Hoyerswerda ein Kulturhaus zu bauen sei. Wohl wissend, dass keene Sau sich so genau durchliest, wofür am Ende alle das rote Parteibuch in die Höhe halten. Nun musste das Haus also tatsächlich gebaut werden, freute man sich bei uns. Doch weiter wehte der Sand über die Fläche, denn guter Baustahl landet nicht bei uns in der Provinz, und jeder Quadratzentimeter Beton fließt hier in Platten für mehr WKs.

Später wird erzählt, der Alte habe bei einem Saufgelage eine Gruppe frustrierter Betonbauer getroffen. Eigentlich sollten sie Kühltürme für ein Kraftwerk errichten, bekamen aber keine Baufreigabe. Kurzerhand wurden Stahl, Beton und Arbeiter in unsere klaffende Baugrube umgeleitet. Die Bauakademie protestierte: Ein Haus der Kunst kann nicht in Gleitbau wie ein schnöder Kraftwerksturm hochgezogen werden! Da kannten sie die Hoyerswerdschen nicht. Das Bühnenhaus wurde errichtet, und unser Kulturhaus wird im Herzen ein Kraftwerker sein. Wenn es denn eines Tages gebaut wird.

Unsere Eltern warten nun seit zwanzig Jahren darauf. Genau so lange wie wir auf der Welt sind.

Inzwischen, schreibt die Zeitung, gibt es hier zehntausend Jugendliche – ein Siebtel der Einwohnerschaft. Den Betonblock im Stadtzentrum, der dort sieben lange Jahre den Stürmen trotzen wird, nehmen wir kaum noch wahr. Wir können nicht warten, bis er sich in ein Kulturhaus verwandeln wird. Wir müssen das nehmen, was eigentlich nur als Provisorium und für die ersten Erbauer gebaut worden war: die Kultur- und Sporthalle Alfred Scholz, die alle nur Scholz-Halle nennen. Ein grauer, schmuckloser Kasten am Rand der Altstadt.

Direkt daneben stehen noch die letzten Baracken des 1000-Mann-Lagers. Die wilden Erbauer und Glücksritter hatten es nicht weit gehabt, um sich am Wochenende zu amüsieren. Dann flogen hier die Stühle. Ein bisschen weht der Geist der Erbauer noch durch den hohen Raum mit dem Charme einer Turnhalle. Wenn am Wochenende Jugendtanz ist, muss Haustechniker Nabrotzki hinterher immer noch Stühle leimen. Er gehörte zu jener Handvoll Wismut-Kumpel aus dem Erzgebirge, die man in den ersten Jahren der neuen Stadt hierherbeordert hatte. Denn wo sie herkamen, gab es, woran es der zusammengewürfelten Truppe Zugezogener mit frisch erworbenem Maschinisten-Zeugnis mangelte: Bergmannskultur. Dort, wo die Männer seit Jahrhunderten in den Schacht einfuhren, grüßten die Menschen sich mit »Glück auf« und verbanden damit den ehrlichen Wunsch, dass die Hinabgefahrenen heil wieder auftauchen würden.

Bei uns aber war man nicht Bergmann in dritter Generation. Man fuhr nicht mit dem Aufzug unter Tage, sondern mit dem Mannschaftswagen in den Tagebau oder mit dem Schichtbus nach Pumpe. Dennoch sollten wir eine Bergmannsstadt sein, und »Glück auf« unser Gruß. Daran sollten Nabrotzki und seine Kollegen von der Wismut mitwirken.

Aber statt im Kulturpalast prunkvolle Bergmannsparaden auszustatten, kämpft er nun seit Jahrzehnten allabendlich in der Scholz-Halle um den Erhalt von Ordnung Sicherheit Disziplin. Wir kämpfen auf der Gegenseite.

PfeffiIch war im Jugendclub inner Scholz-Halle. Dort sind ja wirklich Stars aufgetreten. Renft, Manfred Krug, Nina Hagen. Mit der ham wir mal zusammengesessen, was getrunken, die hat Autogramme gegeben. Dann waren die Autogrammkarten alle, und es kam eener und wollte noch eene haben. Da hat die die weiße Decke vom Tisch genommen und groß mit dem Filzstift ihr Autogramm draufgeschrieben. »Da haste, kannste mitnehmen!« Stories hab ich dort erlebt!

MichaIch hatte erst in der Bibliothek in Pumpe gearbeitet, aber dann kam ich in die Scholz-Halle und sollte dort Jugendveranstaltungen organisieren. Wir konnten bei Konzerten sechshundert Leute auf Stühlen reinnehmen, da war vorne noch’n bisschen Platz. Die es gar nicht auf den Stühlen gehalten hat, konnten vorgehen. Da haben wir den Vorschlag gemacht, die Bestuhlung rauszunehmen. Mit dem Argument: »Wir lesen immer in der ›Melodie & Rhythmus‹, dass in Ungarn bei Konzerten die Leute sogar auf den Treppen stehen. Das ist doch auch’n sozialistisches Land, wieso dürfen wir das nicht?« Nein, wir durften nicht die Stühle rausnehmen, das ist immer an Sicherheitsbedenken gescheitert. Aber es hat eben alles, was Rang und Namen hatte, in der Scholz-Halle gespielt. Geld war immer da, das war nicht das Problem. War auch erfolgreich. Nicht unbedingt beliebt bei den Mitarbeitern. Nach den ersten Konzerten hat mir Gerhard Nabrotzki etwas auf den Schreibtisch gestellt: Rauchen war ja verboten – er hatte im Saal einen Karton voll Kippen eingesammelt.

RöhliDie Scholz-Halle hat interessante Sachen gemacht, vor allem die Filmreihen. Für mich war das immer furchtbar aufregend. Dass die »King Kong« ranorganisiert haben! Den alten aus den Dreißigerjahren. Und dann fühlten wir uns so rebellisch – dass wir’n berühmten Westfilm gucken! Ooch, wenn keener zugeben wollte, dass er zum Schluss viehisch gelangweilt war. Und inner Scholz-Halle, da kam halt viel von diesen West-Klassikern. Das war’n Vorhang, hinter den man sonst nich gucken konnte.

MichaDamals konnte man Archivfilme einfach so bestellen. Die kamen in einer Holzkiste vom Bahnhof, Originalrollen! »Sieben Samurai« und so was, das kriegte man alles. Und dann Gerhard Nabrotzki, mit dem berühmten Projektor TK 35 … Also, es war viel Enthusiasmus da.

PfeffiIch bin dann zum Studium gegangen, und die im Jugendklub ham nur noch gesoffen. Ich meene, man kann sich ooch dem Alkohol ergeben und trotzdem was machen! Aber die Kreativität war weg, und da ist der Klub irgendwann eingegangen. Ähnlich isses mit dem »Krabat-Klub« gewesen. Die hatten sich ooch um die Weltfestspielzeit gegründet. Das war in den Siebzigern der führende Klub, da waren alle wichtigen Leute von der Jugend drin, Gundi und einfach alle. So Ende der Siebziger ham die das dann aber ooch schleifen lassen, sich in ihren Keller zurückgezogen, keene großen Sachen mehr gemacht. Wir waren alle unzufrieden, es fehlte was richtig Kreatives.