Pumpe, so haben wir schon in der Schule gelernt, ist der größte Kohle verarbeitende Industriekomplex der Welt. In den Achtzigern zieht die Stadt nach. Hier wird Kultur produziert, überall, Tag und Nacht. Ständig gründen sich neue Klubs. Feuerstein Bernd wird Stadtrat für Kultur. Im Kreiskabinett für Kulturarbeit sitzt Pfeffi und dirigiert, ganz offiziell als Verantwortlicher für Jugendklubarbeit, eine wachsende Szene. Keine Idee ist zu abstrus, um einen Klub daraus zu machen. Im Indianistik-Klub trifft man sich, um Ledertrachten zu nähen, und übt Bogenschießen im Gelände hinterm WK IX. Der Utopia-Klub fachsimpelt über die Zukunft im All – als würde das Warten auf unser Stadtzentrum nicht reichen.
PfeffiEs gab ’ne Menge Klubs, die auf’s Stadtgebiet verteilt waren. Aber was immer schwierig war in der Neustadt: Wo nun eigene Räume herkriegen? Es sind ja nur Wohnbauten da gewesen und Zweckbauten wie Kaufhallen, Schulen und so, da waren für Klubs keene Räume da. Deshalb haben wir immer gefordert, dass Jugendklubs gebaut werden. Das is dann erst seit 84 passiert. Laden, das war der erste Klub, den’se neu gebaut haben.
UweDurch die Feuersteine und FMP war ja ein hohes Grundniveau in der Stadt. Ich weeß noch, beim Gerhard-Schöne-Konzert hat der Plötze mich mal nich reingelassen, weil’s wirklich überübervoll war. Da hab ich gesagt: »So, jetzt werde ich selber’n Klub gründen, fertig.« Und habe später mit Hugo den Laden quasi gegründet.
Der Laden ist unser neuer Klub, ein Würfel aus Betonfertigteilen in exakt demselben Grundriss wie alle anderen Klub-Typenbauten, die in allen Städten aus dem Boden schießen. Offiziell ist er ein Jugendklub der FDJ. Wir nennen ihn Laden nach der gleichnamigen Trilogie von Erwin Strittmatter, dem Schriftsteller aus der Nachbarstadt. Deren Held Esau Matt ist Bäcker in einem kleinen Lausitzer Dorf, und Poet – fernab der Welt der Kunst und Literatur. Alle Figuren sprechen so wie die Leute auf den Dörfern ringsum, und ein bisschen wie wir. Die zerlesenen Exemplare der Trilogie stehen in allen Bücherregalen unserer Stadt. Unser Klub wird auch noch Laden heißen, als er später den Namen »Konrad Wolf« offiziell verliehen bekommt. Wir finden, der Regisseur von »Mama, ich lebe« und »Solo Sunny« passt gut zu Esau Matt, und beide zu uns.
SchudiAnfangs haben wir das äußerst argwöhnisch beäugt, das Ding. Platte, alles neubaumäßig, keen bisschen muchtig und oll wie’s FMP. Aber wir sind dann sehr schnell praktisch umgezogen, und FMP hat nicht mehr lange existiert.
YvonneDie Freundeskreise haben sich ja überschnitten, FMP und King-Haus, Arbeitskreis für Umwelt und Frieden … Der Laden hat dann das King-Haus abgelöst. War ja auch logisch, wenn du interessiert warst – es sind am Ende alle dort gelandet.
RottlDa bauen die im WK fünf E so’n Ding, wo ich als Blueser mir die Nase breit gedrückt hab am Fenster. Da waren Jazz-Konzerte mit dem Kropinski, Baby Sommer und Conny Bauer. Das kannte ich ja alles ni. Und ich dachte: Was is’n das für’n Unsinn? Was is’n das für komische Musik? Also man war ni kunstinteressiert, man war neugierig. Da gehste halt hin. Wenn ich die Oogen zumache, sehe ich, wie ich Basketball gespielt hab in der Turnhalle nebenan und abends nach’m Training über’n Schulhof in’ Laden. Da gab’s was zu trinken, und irgendjemand war immer da. Schulhof, Laden, Bums.
ClaudiaDas hat mir vom ersten Tag an so gut gefallen, dass ich gleich mitgemacht habe. Am Anfang war ich oft beim Abwasch in der Küche, da ist man für nichts anderes rangekommen. Aber ich fand das nicht schlimm. Ich hab ganz viele Leute kennengelernt. Natürlich hatte ich mich auch sofort verknallt, in Pö. Also ich hab mich dort sofort wohl gefühlt. Zuhause. Vielleicht habe ich etwas, das mir in meiner Familie gefehlt hat, dort gekriegt. Herzenswärme. Und es war immer was los. Das Langweiligste war noch der Sonntag, da war Café und Kinderprogramm. Dienstag Filmclub, Donnerstag Jazzclub. Seit ich dort war, hatte ich vieles im Kopf, nur nich Schule. Das stand sogar mal bei mir im Zeugnis, dass das kein guter Einfluss ist. Bei mir hat der Laden auch bewirkt, die DDR – so, wie sie war – in Frage zu stellen.
YvonneDu bist nicht nur zu Dingen gegangen, die du schon kennst. Da war alles, Querbeet … Wir ham ’ne ziemlich breite Kulturausbildung gehabt.
Irgendwann hängt vor dem Laden ein großes Transparent: »Avantgarde & Experiment«. Drinnen gibt es Aktionskunst, Performances, Pantomime und Puppentheater. »Jazzbühne«, »Jazz-Abend«, »Jazz-Nacht«, »Jazz-Session«, »Jazz-Rock«, »Jazz-Weekend«, »Jazz-Café«, »Jazz nach 8 …« Wir sehen Experimentalfilme und Animationsfilme, Dokumentarfilme, Stummfilme und Archivfilme. Miklós Jancsó, Krzysztof Zanussi, Ingmar Bergmann, Luis Buñuel, Frank Beyer, Peter Schamoni, Rainer Simon, Eldar Rjasanow, Margarethe von Trotta, Gleb Panfilow, Roland Gräf, Akira Kurosawa, Ettore Scola, Konrad Wolf … Dienstagabends, wenn wir nach dem Filmclub heimwärts radeln, ist die Stadt menschenleer. Komplett leer. Aus den Fenstern erschallt die »Dallas«-Fanfare. Hoyerswerdallas. Jetzt müssen wir uns entscheiden, ob wir uns in unsere Kinderzimmer setzen und weiter Tarkowski in unseren Köpfen bewegen oder uns zur Familie vor den Fernseher begeben und J.R. Ewing das Feld überlassen.
UweMan hat es nichmal bewusst gemacht, dass man gesagt hätte: »Wir bilden jetzt hier eine Plattform, wo Leute über den Zustand der DDR reden.« Nee, das war einfach automatisch. Indem man eben Schriftsteller eingeladen hat oder die Filmemacher … Roland Gräf, Heiner Carow, Kohlhaase – die waren alle da. Einfach tolle Gespräche. Oder diese Gundi-Veranstaltung, die wir eingeführt haben: »Café D«. Da musste man ooch wieder anmarschieren: Warum wir das »Café Deutschland« nennen. »Nee, Café Donnerstag is das.« Klar haben wir’s absichtlich gemacht, aber ich bin da naiv durchgegangen. Ohne bewusst zu provozieren – das hat sich einfach alles so ergeben. In der Auswahl der Filme, der Künstler, die aufgetreten sind … Wo man dann im Nachhinein sagt: Klar, das sind Plattformen gewesen, die ihren Beitrag geleistet haben, um diese Wende herbeizuführen. Von da aus sind die Leute mutig gewesen, von da aus sind selbständig denkende Köpfe gekommen – die kamen ja nicht aus der Teenie-Disco vom Ossi.