PfeffiIm FMP ging das mit Dada schon los. »Kunst ist Waffel«, das hatten wir mal als Transparent. Das Thema war schon länger in unsern Köpfen. Wir haben uns ja für Kunst interessiert, sind oft zu Ausstellungen gewesen in verschiedenen Städten. Dann hatten wir gelesen – es gab ja Bücher darüber –, was da 1916 passiert ist in Zürich. Ach, ist das großartig! Was die dort gemacht ham – so was machen’wa ooch in Hoyerswerda!
Anfang Februar 1986 hat unsere Stadt für ein paar Tage einen neuen Namen. Jemand hat auf dem Ortseingangsschild mit schwarzer Farbe und in leicht krakeliger Schrift – der man ansieht, dass es schnell gehen musste – eine Silbe hinzugefügt. Es verkündet nun:
HOYERSWERDADA.
Ehe es die Stadtoberen bemerken und entfernen lassen, vergeht Zeitchen – wie Strittmatter es genannt hätte. Er kannte unsere Gegend, in der eine Verzögerung immer schon eingebaut ist. Zeitchen gilt auch für Dada – die Ereignisse nehmen sehr langsam ihren Lauf.
Nachdem Pfeffi uns wochenlang erzählt hat, wie verschärft Dada ist, beginnen auch wir zu glauben, dass es genau hierher gehört. Genau genommen: Wohin denn sonst? Da waren also gewisse Herrschaften in Gehrock und mit Kneifer im Auge, im Charlestonkleid und mit Feder-Boa in ein »Cabaret Voltaire« gegangen, hatten Manifeste verfasst und Urlaute gebrüllt. In der Schule hatte man uns mit sozialistischem Realismus malträtiert, später hatten wir den Expressionismus entdeckt und waren, wann immer es ging, zu Kunstausstellungen gepilgert. Auf der Suche nach einem Bild der Realität, das anders war als das, was man uns vorsetzte. Aber es hatte nichts an der Realität geändert. Dass dies jemals passieren wird – so viel wissen wir inzwischen –, ist so unwahrscheinlich wie das Eintreffen von Baumaterial für unser Stadtzentrum. Nun schließen wir uns den Kollegen Dadaisten an, die verkündet hatten, »mit allen Mitteln der Satire, des Bluffs, der Ironie, am Ende aber auch mit Gewalt gegen diese Kultur vorzugehen«. Und hatte der Club Dada nicht nach eigener Aussage »Mitglieder in allen Teilen der Erde, in Honolulu so gut wie in New Orleans und Meseritz«? Nun also auch im WK V E.
Ein Flyer ruft auf zu »70 jahRE daDA, zur DADA Soiree (Einlass präcis 19.16 Uhr) mit Aktionen, DaDa-maniFEST, Szenischer Musik, Toncollagen, deutscher Filmavantgarde und SimultaNISTISCHEn GeDICHten, zu Material-Aktionen, Pantomime, Bemalungen u. Allerley Nonsens …«
Ein Transparent verkündet: »Dada kämpft auf Seiten des revolutionären Proletariats.« Aus den umliegenden WKs strömt es herbei. Von außen ist der Laden wie immer ein Jugendklub der FDJ, Platte an Platte. Innen begeben wir uns in eine schummrige Höhle mit Plüsch, mysteriösen Utensilien, archaischen Masken, grotesk verrenkten und einzelner Gliedmaßen beraubter, kahlköpfigen Schaufensterpuppen sowie furchteinflößenden Tierköpfen an den Wänden. Eine Leiter steht mitten im Raum, später wird einer sie erklimmen und von oben durch ein Megafon das dadaistische Manifest verkünden.
PfeffiDas ging das ganze Wochenende. Und am Sonntagvormittag eine Performance von Hans Scheuerecker aus Cottbus und zwei Saxofonisten. Die ham vorne ’ne weiße Leinwand aus Papier gespannt. Und dahinter stand ’ne Frau, die war mit weißer Farbe angemalt, die hat man nich gesehen. Dann fingen die Musiker an zu spielen, und Scheuerecker hat die weiße Leinwand mit schwarzer Farbe bemalt. Dann kam’n Arm durch, dann noch’n Arm und dann die Frau. Er hat angefangen, über sie drüberzumalen.
SchudiUnd dann der Diesner mit seinem Saxofon: immer schriller, immer lauter, immer höher, immer weiter. Die Tänzerin schälte sich raus, zum Schluss kippte Scheuerecker die Farbe drüber, und das war’s. Okay, das war dann der Skandal.
PfeffiDanach war erst mal nüscht, vier Wochen lang gar nüscht. Und plötzlich hatte Wespe gehört: In der SED-Kreisleitung braut sich was zusammen wegen dieser Dada-Veranstaltung. Dann war inner »Lausitzer Rundschau« so’ne Art Leserbrief: Ob denn in einem sozialistischen Jugendklub so was überhaupt sein darf. Wir ham nur gelacht. Aber da wurde schon gemunkelt, es is was im Gange. Irgendwann musste ich zu meinem Chef, Rat des Kreises, Abteilung Kultur. »Man hat beschlossen, dass du für diese Dada-Veranstaltung im Laden mit die Verantwortung getragen hast und dass das so nicht geht. Du sollst versetzt werden.«
So, da war ich’n halbes Jahr im HBE, zur Bewährung. Dann kriegte ich wieder die Einladung zum Chef, und da meente er: »Du musst künftig bei solchen Veranstaltungen ’ne Konzeption vorlegen, was kulturpolitisch damit gemeint ist.« Die verantwortlichen Genossen haben nämlich nich gewusst, was Dadaismus ist.
ClaudiaNiemand, der das gesehen hat, wäre auf die Idee gekommen, dass da so was hinterherkommt. Das war keene Geheimveranstaltung. Die Stasis waren vorher da. Die wussten, was da passieren soll. Die kamen ja jeden Monat. Aber man weeß ni, ob die das überhaupt begriffen haben. Die fanden das ja eigentlich nich schlecht, was bei uns geloofen ist – aber wahrscheinlich haben’se nur die Hälfte verstanden.
PfeffiAber wie ist die SED-Kreisleitung überhaupt darauf gekommen? Der Fügert vonner Zeitung hat dort Fotos gemacht. Irgendwann kamen Leute in die Redaktion und haben ihn aufgefordert, diese Fotos herauszugeben. Jemand hatte die gesehen und rumerzählt, dass im Laden pornografische Exzesse stattfinden. Fügert hat die Abzüge rausgegeben, weil die Leute wohl von der Stasi waren. Und das landete dann bei Werner Walde von der Bezirksleitung.
UweWir hatten uns das so zurechtgelegt: »Die Dadaisten haben gegen den Faschismus gekämpft, die waren gegen den Ersten Weltkrieg, das war’ne progressive Kunstrichtung.« Wir wären damit ooch durchgekommen, wenn nich diese blöden Fotos gewesen wären. Hugo war zu der Zeit der Chef vom Laden, der hat’n Parteiverfahren gekriegt. Mir konnten’se nüscht, ich war nur Mitarbeiter und nich in der Partei. Ich bin da völlig naiv durchgegangen. Aber klar: Es war subversiv!
Es war schon ein bewusstes Spiel mit dem Feuer. Dass man eben sagte, man rettet diese Kunstbewegung ins Heute rüber und nutzt es ooch als politischen Protest. Nur in diesem inneren Rahmen, ohne nach außen zu gehen. Aber dann wussten es doch wieder alle. Das hing mit den Künstlern zusammen, die kamen teilweise aus dieser Leipziger Künstlerszene. Das hatte dann so’ne Eigendynamik, weil alle dachten: Hoyerswerda is’n Ort, da kann man so was machen.
RöhliIch war damals bei der Armee und wurde ranzitiert und gefragt, wie ich mich bei Dada engagiert hab und was ich darüber weiß. Ob ich Leute nennen kann und so was. Da hab ich denen erklärt, dass das ’ne Kulturveranstaltung war. Und dass Dada fortschrittlich is. Wenn’de denen das als Kunst erklärt hast, ham die abgeschaltet bei der Armee, da ham die gesagt: »Das geht uns nüscht an.«