Später, als Brandsätze in die Wohnheime der Ausländer fliegen und eine Menge sich vor ihnen versammeln und dazu jubeln wird, später wird es heißen, die Gewalt sei aus dem Nichts und von außen gekommen. Das wissen wir nun wirklich besser.

HausiFaxenhaus hintenraus war die Krokuswiese, und een Nazi hatte da seinen Garten. Die ham sich da getroffen. Dort is der Maura als unser Kundschafter immer hin, der kannte die. Und wenn er mitgekriegt hat, das da irgendwas gegen das Faxenhaus losgeht, sollte der kommen und uns warnen. Dann ham wir unten alles verbarrikadiert und ham uns Säcke mit Pfefferpulver gemacht – die hätten wir runtergekippt ins Treppenhaus.

MauraIch war gern beim Werner im Garten. Da war richtig Fez, da ham ooch Bands gespielt. Ich hab die aber nich ausgekundschaftet. Das hätte ich mir nich erlauben können, da wär ich nich mehr heil zurückgekommen. Die hatten da ihren Truppenübungsplatz. Aber weil der Werner und seine Leute wussten, dass ich im Faxenhaus wohne, haben die gesagt: »Okay, lassen’wa die mal in Ruhe.« Zumindest am Anfang.

Es beginnt mit Hakenkreuzen an der Fassade. Dann fliegen Ziegelsteine, von einem der zahlreichen Schutthaufen auf der Brache. Sämtliche Scheiben und die Fensterläden sind zerstört.

MauraWir mussten abends immer die Fensterläden zumachen und das Haus verrammeln, was das Lebensgefühl nich grade positiv beeinflusst. Manche haben richtig Kampfübungen gemacht. So Karate und mit Tschako, jeden Tag Kampfsport … Axel hatte Angst, alleene einkoofen zu gehen. Der wurde richtig neurotisch.

RottlNervend war das, die Fenster immer wieder neu zu verglasen. Dann sind sie am Vordereingang mit’ner Axt gekommen.

HausiWir haben uns bewaffnet. Ich hatte immer ’ne Schreckschusspistole in meiner Jeansjacke drin, in der Innentasche.

Der Kulturdezernent, früher befreundet mit Brigitte Reimann, erklärt in der Lokalpresse: »Hier ist ein Ghetto im Entstehen. Nur Außenseiter der Gesellschaft sind Angriffsziele und das muss verhindert werden.«

Wir sind jetzt Außenseiter. Bisher kannten wir diesen Begriff nur aus der Fernsehsendung »Außenseiter Spitzenreiter«, die putzigen Zuschauerfragen nachging. Einmal wurde dort die Frage »Wo gibt es die hübschesten Mädchen der DDR?« schlüssig beantwortet: »In Hoyerswerda.« Dies war die einzige Außenseiter-Diskussion gewesen, die unsere Stadt geführt hatte. Bis jetzt hatte hier jeder gemacht, was er wollte – solange er die Schichtarbeiter schlafen ließ, Hausordnung machte und pünktlich off Orbeet erschien. Zunehmend gilt das nicht mehr, und Gundi wird ein neues Hoywoy-Lied schreiben.

Man konnte hier Klaus oder Janek heißen / ​Das war egal / ​Warn alle nur Teig fürs Waffeleisen / ​Das war egal / ​Dick oder doof schnell oder arm / ​Das war egal / ​Hier war ja nur ne Maschinistenfarm / ​Das war egal hier in Hoywoy / ​Hier in Hoywoy / ​Hier in Hoywoy / ​War das egal

Die Wecker klingeln hier früh um vier / ​Alle zugleich / ​Am Zahltag gabs immer Radeberger Bier / ​Für alle gleich / ​Und schlief der Janek mit der Frau vom Klaus / ​Ach, alles gleich / ​Das fiel nicht weiter auf / ​Hier sehn ja alle aus wie Klaus / ​Alle gleich hier in Hoywoy / ​Hier in Hoywoy / ​Hier in Hoywoy / ​War alles gleich

Der Wecker klingelt nicht mehr für alle früh um vier. Wir sind nicht mehr gleich. Und nun wissen wir auch, wer das Problem ist: Es sind nicht die, die Steine schmeißen. Das Problem sind die Außenseiter. Es gibt sie im Faxenhaus und im Laden. Sie wohnen in der Polenmauer. Und sie sitzen an der Bushaltestelle und vor den Kaufhallen.

MauraIch war Punk. Ich hatte in der Schule fast jeden Tag’n Eintrag, dauernd Tadel. Und den andern aus der Clique ging das genauso. Du warst das schwarze Schaf, für immer. Und als wir aus der Pubertät rauskamen, wussten wir wirklich nich, wo wir hinsollten.

An der Haltestelle gegenüber vom Knie, wo die Schichtbusse abgefahren sind – da haben wir uns immer getroffen. Zur Freude aller Arbeiter. Wenn die vonner Schicht kamen, saßen wir da.

Im Sommer war das ja alles gut und schön. Aber im Winter sind wir dann in Hauseingänge oder eben draußen – bei Wind und Wetter. Und keener wollte nach Hause.

Ich war bei den Heavy-Metal-Leuten dann. Die haben immer am Brunnen abgehangen, vorm »Kosmos«. Beim Rosengarten im WK sechs war die Depeche-Clique. Am Anfang waren wir spinnefeind. Also, geht gar nich! Aber wir ham ja selber heimlich Depeche Mode gehört. Und dann ham’wa uns angefreundet und zum Schluss vereint, da waren das bestimmt sechzig Leute in der Clique. Mit den Jugendklubs, Laden und so, konnten wir nix anfangen – und die wollten uns ooch nich. Es gab einfach keinen Platz für uns.

Gundi hatte, kurz bevor das Land implodierte, für die Berliner Band »Silly« einen Text über »die verlornen Kinder von Berlin« geschrieben.

Der Wohnblock liegt am Abend / ​Wie ein böses Tier / ​Der Sprechfunk ruft nach ihnen / ​Doch sie bleiben hier / ​Sie rücken aneinander / ​Auf der Spielplatzbank / ​Der Recorder macht für sie / ​die Dämmerung lang / ​Wo sie zu Hause sind / ​Wo sie zu Hause sind

Die verlorenen Kinder von Hoy können abends von ihrer Bank vorm »Kosmos« die Lichter aus dem Laden sehen und die Transparente davor. »Avantgarde & Experiment«.

UweWir waren wie auf’ner Insel im Laden. Dahin hat sich doch keener von denen verlaufen.

MauraNiemand von uns wäre auf die Idee gekommen, in’ Laden zu gehen, das war No-Go. Aber ich hatte Glück: Meine Schwester war im Laden. Und die hat gesehen, dass es immer mehr bergab geht mit mir. In meiner Clique war nur Saufen, Prügeln, Spaßhaben angesagt. Die hat mich dann am Schlafittchen gepackt und zum Laden geschleift, wirklich unter Zwang. Ich hab ja Maurer gelernt. Und die meente, da sind welche, die brauchen dringend ’n Maurer. Das waren die vom Faxenhaus – da bin ich dann bisschen später gleich eingezogen. Das war alles total neu für mich im Laden. Meine Kultur bestand bis dahin nur aus Disco und Rumtreiben. Im Laden hatte ich auf einmal irgendwie ’n Zuhause. Ich bin jedes Mal, wenn ich ins Betonwerk zur Nachtschicht musste, vorher da vorbeigegangen und hab noch’ne Cola getrunken. Da war immer jemand. Und dann war ich drin. Ohne das wär ich gnadenlos untergegangen. Da bin ich meiner Schwester heute noch dankbar für. Die andern aus meiner Clique sind später alle Nazis geworden. Und der kleene Alicke hat sich offgehängt.

Später wird man nicht mehr genau sagen können, ab wann sie zum Stadtbild gehörten: die Springerstiefel und Bomberjacken. Schleichend haben zwei Worte eine neue Bedeutung gewonnen: links und rechts. Bisher hatte das nur bezeichnet, welche Mietpartei auf der Etage mit Hausordnung dranne war. Jetzt haben sich die Begriffe aufgeladen. Bis man sich irgendwann für eine Seite entscheiden muss.

Vor allem muss man wissen, woran man sie auseinanderhalten kann – denn alle scheinen jetzt Springerstiefel zu tragen. Und wir werden vergessen, wann wir angefangen haben, auf die Schuhe statt in die Gesichter zu sehen. Die Farbe der Schnürsenkel ist jetzt das Einzige, was zählt.

UweDas war schon im Klubhaus in den Achtzigern so: Die rannten als Punk rum, und am nächsten Tag kamen’se als Skinhead. Hä? Wie wechseln denn die die Seiten? Das war schon komisch, diese Jugendkulturen. Bedrohlich wurde das erst später.

MauraDas ging ja nich von heute off morgen, das war so’n Schwelbrand. Wir ham alle gemerkt, irgendwas passiert hier. 88 fing das an mit dem Schnürsenkel-Wechseln. Dann kamen welche an mit Hakenkreuzbinde. »Hallo? Habt ihr’se noch alle?« Aber am Anfang waren wir noch zusammen in einer Clique. »Ich denke anders als du, aber wir können trotzdem Party machen.« Vielleicht wollt’ ich’s ooch nich wahrhaben.

Dann mit der Wende, das hat doch keener kapiert, was jetzt los is. Ab da war ich viel alleine unterwegs. Weil die andern dann eben die Haare abhatten und so. Wie der Silvio, der war Sänger in unserer Punkband. Total intelligentes Kerlchen – der wurde dann Nazi. Obwohl er das eigentlich gar nich war! Der hat einfach das Outfit genommen und es genossen, dass er mal wahrgenommen wird.

Das hat sich also gespalten in verschiedene Lager. Und im Endeffekt war die Farbe der Schnürsenkel ausschlaggebend. Bestimmte Stadtteile hätte ich zu der Zeit nich mehr betreten, mit meinen roten Schnürsenkeln. WK acht, WK neun und WK zwei. Wenn ich mal dahin musste, hab ich dauernd nur geguckt: Wer kommt da? Die wurden ja ooch immer mehr. Und da waren viele dabei, die ich nich mehr kannte. Da hatte ich schon Angst.

Mit einem meiner besten Freunde stand ich mir einmal gegenüber. Da hatte der weiße Schnürsenkel, und ich hatte rote. Aber der hätte mir nie off die Fresse gehauen. Verrückt? Wir sind uns dann einfach ausm Weg gegangen. Es ging eben nich mehr.

Als vereinzelt die ersten Hakenkreuze – mit schwarzer, nach unten verlaufender Farbe und dickem Pinsel hastig aufgetragen – an Häuserwänden und in Durchgängen auftauchten, waren die noch leere Flächen gewesen. Mit der D-Mark aber kommt quietschbunte Werbung und bepflastert die ganze Stadt. So fällt es anfangs kaum auf, dass sich immer mehr Hakenkreuze und SS-Runen dazwischenmischen. Vielleicht aber sehen es auch nur die, die Angst haben müssen.

DavidWir haben das 1989 schon gemerkt durch diese Demos. Dass unser Leben anders wird. Vorher haben sie sich nicht so getraut. Aber da explodierte das, und man hat laut gerufen: »Der Neger muss raus jetzt.« Nach der Arbeit mussten wir in unserem Wohnheim sein, nicht allein rausgehen. Auch im Betrieb hat man zu uns gesagt: »Es ist keine DDR mehr, du hast nichts mehr bei uns zu suchen.«

Im Mai 1990 war der erste Angriff. Jugendliche, auch von Leipzig, Berlin, Dresden und so weiter, haben vor unseren Wohnheimen gesungen: »Ausländer raus!« Die haben Steine geworfen, die haben unsere Fenster und alles kaputt gemacht. Davor gab es auch Angriffe, vereinzelte, auf der Straße – aber keine große Gruppe und nicht im Wohnheim.

Die Polizei ist gekommen und hat diese Jugendlichen rausgeschmissen. Aber die haben gesagt: »Wir kommen wieder.«

Im Frühjahr 1990 lernen wir ein neues Wort: Negerklatschen. Nahtlos scheint es sich im Vokabular der Stadt in die Reihe der Freizeitattraktionen einzufügen: Plattenhasche, Rummel, Bergmannstag.

Die Mosambikaner und Vietnamesen, die bislang im WK I gewohnt haben, ziehen um in die Polenmauer. Dort sind jetzt alle Ausländer versammelt – und werden im Rest der Stadt nahezu unsichtbar. Im Gegensatz zu den Bomberjacken, Springerstiefeln und kahlgeschorenen Köpfen.

Als sich im Herbst desselben Jahres das Land vereinigt und wir Ladanien gründen, haben die Skins Aktionen erstmals angekündigt: Nach dem Vertragsarbeiter-Wohnheim wollen sie sich als Nächstes das Faxenhaus, den Laden und die Polenmauer vornehmen.

Den Mosambikanern drohen sie an, sie am Schichtbus abzufangen. Die Werksleitung stellt Fahrzeuge und gibt die Anweisung, die Zimmer im Wohnheim nicht zu verlassen. In der Nacht gehen dort ein paar Fenster zu Bruch. Fünfzehn Jugendliche werden zugeführt, wie später in der Zeitung zu lesen ist.

Alles, was wir dabei empfinden, ist Erleichterung. Es waren nicht wir, in deren Fenster Steine flogen.

Ein paar Monate später, am Abend des Karfreitag 1991, platzt um Mitternacht eine Art fliegender Bote mit einer Nachricht in den Laden: Der Einstein ist besetzt! Der Betonwürfel – exakt gleicher Grundriss wie der Laden! – an der Grenze zwischen Alt- und Neustadt ist in der letzten Zeit zum Platz geworden für jene, die in den anderen Klubs keinen finden.

Man hatte dort begonnen, die Türen schon früh ab zehn für alle zu öffnen. Vorbei sind die Zeiten, da alle Jugendlichen tagsüber in der Schule oder off Orbeet waren – besonders Letzteres ist immer seltener der Fall. In den Einstein kommen nun auch die, die vorher am »Kosmos« rumlungerten. Aber die Stadt will den Klub nicht weiter betreiben. Ihm droht das gleiche Schicksal wie Pumpe und allen Betrieben: Es wird privatisiert!

Mehrere GT’s später setzt sich eine Abordnung gen Einstein in Bewegung. Davor stehen auf der nächtlich leeren Straße ein paar Jugendliche und rauchen. Lange Haare und Strickpullover sind ebenso zu sehen wie kurz gescheiteltes Haar und Bomberjacken. Die Tür ist bewacht.

Eine längere Diskussion setzt ein, ob man Gesandte des Ladens einlassen dürfe. Wir argumentieren, dass wir schließlich schon die eine oder andere Uni und das Faxenhaus besetzt hätten und wüssten, wie’s geht. Die Tür öffnet sich. Im Inneren haben sich Grüppchen mit Schlafsäcken auf dem Boden verteilt. Im Büro, das man Klubleiter Ecki abgenommen hat, residieren die Wortführer.

Einer von ihnen wird ein paar Tage später bereit sein, ein Gespräch mit uns aufzuzeichnen. Ein paar von uns haben begonnen, für eine neue Lokalzeitung zu arbeiten. Deren Gründer waren öfter im Laden aufgetaucht, man kennt sich. Aus dem Faxenhaus schleusen wir Umweltthemen ins Blatt, und als altgediente Ladanier bestücken wir die Kulturseite mit Rezensionen. Eine Zeitlang stehen wir jeden Freitagnachmittag an den Haltestellen der Schichtbusse und halten den müde heimkehrenden Pumpschen unser Blatt vor die Nasen: Nur eene Mark!

Den Besetzern leuchtet das öffentliche Interesse an ihrer Aktion ein. Ausgesucht höflich empfängt uns ihr Chef, den in der Stadt alle kennen, im Büro der Klubleitung:

Der smarte junge Mann im Poloshirt, mit den blank geputzten Schuhen und dem exakt gezogenen Scheitel, wirkt deplatziert zwischen den Postern von Bands, die auch im Laden auftreten könnten. Springerstiefel tragen nur seine Untergebenen, die den Raum draußen bewachen sollen. Er klagt, dass er seine Not mit ihnen habe: Die Disziplin! Seine Worte sind schneidend klar – offensichtlich ist er gut geschult.

Wenn man sie heute anhört, stehen sie in seltsamem Widerspruch zu der knarzenden, mehrfach beschrifteten alten Orwo-Kassette. Das Datum der letzten Aufnahme ist kaum noch zu entziffern: 1. April 1991.

TorstenIch meene, ich bin vierzehn Tage in Bonn gewesen, ich hab off der Hardthöhe im Verteidigungsministerium gewohnt. So richtig schön organisiert von CDU, CSU und so. Als Streiter in Hoyerswerda, das hieß Schulung für Kommunalpolitik. Und für mich war’s ganz logisch, als deutscher Nationalist die deutsche Einheit anzusteuern.

Aber jetzt wird mir von vielen vorgeworfen, von meinen linken Freunden hier im Einstein: Das haste nun von der deutschen Einheit!

Dass es uns in der Stadt als Gruppe überhaupt gibt – also massiv! –, ist erstmals publik geworden, als diese Klopperei an dem Negerhaus war, was dann so eskaliert is. Und es sind ooch Einzelpersonen von uns bisschen sehr negativ im Klubhaus offgefallen. Durch Dreschereien, aber weniger politisch motiviert als persönlich. Im Suff. Also, wir ham irgendwann Ärger gehabt inner Stadt. Und wir hatten eben keene Bleibe.

Ich war sogar bei der Stadtarchitektin und hab gefragt nach’m Haus für uns. Diesen FMP ham die uns damals angeboten, aber das hat sich dann zu ’ner Videothek entwickelt. Bringt eben Geld! Und irgendjemand von uns hat entdeckt: Ej, der Einstein is ja leer! Dann waren’wa so dreimal inner Woche hier. Na ja, so was spricht sich rum.

Die Linken – es is sowieso doof, die Linken und die Rechten zu sagen – also die andern ham sich ooch eingefunden. Und es harmoniert. Sicherlich, weil wir aus’ner Einheitsfront gegen den alten Staat gewachsen sind. Wir waren alle zusammen inner Schule. Ooch die Wohnghettos sind dieselben, man kennt sich vom Spielplatz. Man hat sich später gegenseitig die Transparente geschleppt zu den Demos. Wir haben neben’nander in Konzerten gesessen und zusammen zu irgendwelchen Sachen getanzt.

Ich wollte sogar mit dem Jan von den Linken ’n Independent-Laden offmachen, für beede Seiten. Weil uns das beeden Spaß macht und wir beede arbeitslos waren.

Man kennt sich so gut, dass man weeß: Wie weit kann ich dem gegenüber gehen? Um Spannungen zu vermeiden, ooch hier im Klub. Das Maximalste war mal’ne Ordnungsschelle. Das Ding, wie hier Linke und Rechte zusammen eenen Klub haben, sucht bundesweit seinesgleichen, das gibt’s einfach ni noch mal!

Ich bin eigentlich nich so’n Freund von Besetzungen. Aber wir ham’ne Unterschriftensammlung gemacht, es waren mehrere Beiträge inner Zeitung – das alles hat nich gefruchtet. Es gibt schon’n Pächter für den Einstein. Der hat sich schon’ne Billardplatte gekooft – die steht da hinten. Die Besetzung ist der letzte Ausweg. Die Idee is von den Linken aufgekommen, aber alle machen mit.

Von der Stadt wird es mit Ignoranz behandelt. Aber ich sage denen: Die sollen auf der Hut sein. Ich bin gegen Randale, weil es meiner Idee schadet. Wenn man vom Urbegriff Faschismus ausgeht, ausm Lateinischen: Ordnung. Die Ordnung an sich. Also, ich selbst würd’ sicher nich auf Bierbudenniveau absinken. Aber es gibt viele, die würden das – wenn sie sich jetzt off die Straße gesetzt fühlen. Und wenn’se in der Stadt dann n’neues Mosambikanerhaus bauen oder so – es wird was passieren.

In der Zeitung werden die Worte des Streiters in Hoyerswerda nicht erscheinen. Wenn die Lokalpresse zukünftig über Hakenkreuz-Schmierereien oder rechte Gewalt in der Stadt berichtet, wird wahlweise von jugendlichen Randalierern oder randalierenden Jugendlichen die Rede sein.

Die Besetzung zeitigt Erfolg: Der Pächter muss seine Billardplatte abtransportieren, die Klubleitung wird wieder eingesetzt und der Einstein bleibt. Aber es wird das letzte Mal gewesen sein, dass für einen Moment die gemeinsame Kindheit im Karree der Wäschestangen mehr zählte als die Farbe der Schnürsenkel.

Drei Wochen später soll die Punk-Band »Goldene Zitronen« im Jugendklubhaus spielen. Die Klubleitung im Einstein setzt für den Abend auch ein Konzert an. Sie hält es für angeraten, ihr Stammpublikum an diesem Abend zu beschäftigen.

Später wird erzählt, die Band hätte einen nichtsahnenden Hoyerswerdschen nach dem Klubhaus gefragt, und der hätte sie zum Einstein geschickt. Der Band-Bus hält vor dem Klub im WK II, und die »Zitronen« verkünden, dass sie heute hier spielen. »Wohl nich«, sollen die Einstein-Gäste gesagt haben. Bevor Steine auf den Bus fliegen, können sich die Musiker in das Fahrzeug flüchten.

Schon ist die Kunde zu den Linken am Klubhaus gedrungen, schon haben sie sich formiert und Richtung Einstein in Bewegung gesetzt. Die Rechten haben die Verfolgung des Busses aufgenommen. Am CENTRUM-Warenhaus trifft man aufeinander.

In der Zeitung wird später stehen, dort wären die Reifen des Band-Busses zerstochen worden und man hätte versucht, das Fahrzeug in Brand zu setzen. Vierzig Polizisten sei es gelungen, weitere Ausschreitungen zu verhindern.

Es kann jetzt jederzeit und überall passieren. Der Krieg hat, lange bevor man ihn offiziell registrieren wird, begonnen. Und er wird nicht von außen gekommen sein.

MauraIch hab mich schon oft gefragt, wie’s dazu kam. Diese Aggression und die rechte Tendenz, die gab’s schon vor der Wende. Aber das war ’ne ungerichtete Aggression. Das war nur Verzweiflung. Aber es is ni so eruptiert. Wir wollten immer dagegen sein. Aber wir wussten nich, wofür wir sein sollten. Und dann hat irgendwie das gefehlt, was uns vorher alle verbunden hatte: dieses gemeinschaftliche Dagegen-Sein. Gegen alles.