Zu der Zeit, als wir noch unsere Puppenwagen keuchend über die Schlammpisten zwischen den Häusern stemmen, liegt darin meist auch eine Negerpuppe. Jedes Mädchen bei uns hat eine. Die Puppen heißen Petra, Ines oder Katrin.

Zu Weihnachten stricken unsere Mütter für alle Puppen winzige Jacken, Hosen oder Mützen. Petra wird genauso bestrickt wie Heidi, die Babypuppe.

Wir kennen ansonsten nur ein Kind, dessen Hautfarbe dunkler ist als unsere: Sally. Bummi fährt in unserer Kinderzeitschrift mit dem Schiff nach Afrika, um sie zu besuchen. Schokoladenbraun soll Sally sein und – so glaubt Bummi – inmitten von Palmen in einer Hütte wohnen, »deren Dach aussah wie ein spitzer Hut«.

Wie Bummi aber feststellen muss, wohnt Sally in einem Hochhaus – genau wie er und auch wir. Ihre Kleider sind wie unsere, und in Afrika sieht es aus wie in WK VIII. Nur mehr Sterne am Himmel soll es dort geben – und Bummi vermutet, sie wären aus unserem Land dorthin gewandert. Was sicher stimmt. Immerhin wohnt auch Petra im Hochhaus und ist vom Kopf bis zum Plastefuß in Silastikwolle gehüllt. Sie ist schokoladenbraun, aber unzweifelhaft eene von uns.

Später, in der Schule, tauchen an der Wandzeitung Bilder von dunkelhäutigen Kindern auf. Diese sehen ganz anders aus als die fröhliche Sally. Sie haben keine flatternden roten Kleidchen an und wohnen nicht in schmucken neuen Hochhäusern. In Afrika, so erfahren wir, ist Krieg. Die Kinder haben Hunger. Wir sollen ihnen helfen, und das Wort dafür heißt So-li-da-ri-tät.

Einmal sind wir angehalten, zwanzig Pfennige vom Taschengeld zu spenden. Das ist so viel wie zwei Lollis, ein halber Rurki oder zwei Waffeln mit klebrigem Schaum in der Mitte. Aber die Waffeln gibt es so gut wie nie zu kaufen, und die Kinder auf den grobkörnigen Zeitungsbildern tun uns leid. Jeder legt eine schwere, goldfarbene Zwanzig-Pfennig-Münze in Frau Kraatz’ bunte Blechdose.

Zur Belohnung für das vorbildliche solidarische Verhalten bekommt jedes Kind am nächsten Tag zwei Tafeln Schokolade – im Wert von dreißig Zwanzigern! Auch Frau Kraatz kann uns nicht erklären, warum man den Kindern in Afrika nicht einfach das viele Geld für die Schokolade statt unserer Goldmünzen gegeben hat. Das mit der Solidarität scheint kompliziert zu sein.

Später sollen wir Kindern in Vietnam helfen. Dafür sammeln wir Flaschen und Altpapier. Der besten Sammlergruppe ist das Treffen mit einer Vietnamesin in Aussicht gestellt.

Von den Bildern an der Wandzeitung wissen wir, dass Vietnamesen Stoffanzüge mit weiten Hosen und ausgestellten Ärmeln, kreisrunde Hüte auf dem Kopf und auf der Schulter einen Balken mit je einem Wasserbehälter links und rechts tragen. Wir wissen auch, dass es in Pumpe Vietnamesen gibt und dass sie im WK I wohnen. Aber in Hoy haben wir noch niemanden mit rundem Hut und Wassertragegestell gesichtet. Das würde sich jetzt ändern:

Unser Trick besteht darin, dass wir in der Bibliothek nach ausrangierten Büchern fragen. Dann der Versuchung widerstehen, einen der schweren Bände mit Bildern von fernen Ländern heimlich mit nach Hause zu nehmen – denn gerade die bringen auf der Waage der Altstoff-Sammelstelle das Meiste ein. Triumphaler Sieg.

Doch zum Treffen mit der echten Vietnamesin soll es niemals kommen, da wir im Unterricht geschwatzt haben. Ordnung Sicherheit Disziplin gehen vor! Brigade B wird kurzerhand zum Wettbewerbssieger erklärt und darf die Vietnamesin treffen. Wir vergießen bittere Tränen.

Viele Jahre später werden wir die Vietnamesen von Hoy kennenlernen. Aber es wird nichts Wertvolles mehr sein.

ClaudiaDie hießen im Volksmund Fidschis, und man hatte sich mit denen arrangiert. Man ist da hingegangen und hat sich Jeans nähen lassen. Man kannte immer jemanden, der jemanden kannte und der das organisiert hat. Die haben Maß genommen, das war ein ehrliches Geschäft, und gut is.