Alle hatten wir davon geträumt, eines Tages wegzugehen. Als wir klein waren, musste man dafür nur den Freizeitkomplex aufsuchen. Dort gab es eine echte Lok und ein Flugzeug der Marke MIG, das die NVA ausgemustert hatte. Es reichte, sie zu erklimmen. Dann hob man ab. Mit dem Flugzeug nach Afrika. Mit der Lok nach Berlin.

Danach war man die Stufen wieder hinuntergeklettert und nach Hause gegangen. Man würde in der Stadt bleiben und eines Tages seine Kinder ins Cockpit der MIG heben.

In den Neunzigern aber beginnt, womit keiner gerechnet und was sich – wie sich jetzt herausstellt – auch keiner wirklich gewünscht hatte: Die Kinder verlassen Hoy.

UweDas war ein Riesen-Abmarsch. Alle waren weg und lebten sonst wo.

MauraIch war ja off Tippelei und kam drei Jahre später zurück. Aber ich wollte ganz schnell wieder weg. Ich hab mich so unwohl gefühlt. Wenn’de durch die Welt rumgetingelt bist, kommst nach Hause und alles kommt wieder hoch. Und deine Leute, die sind alle weg.

YvonneNach der Wende gab’s halt die Hoffnung auf’n neues Zeitalter, und davon ist nicht viel geblieben. Jeder muss jetzt sehen, was er macht aus dieser neuen Zeit. Und ich wollte die Welt kennenlernen, sofort. Früher wäre ich nie weggegangen!

RottlFlucht. Unterwegs-Sein. Rucksack. Zwischendurch bin ich noch kurz richtig durchgedreht. Und dann in den Hunsrück gekommen. Super. Ruhig. Keene Faschos.

ClaudiaIch hab dann in Berlin meine Wohnung gekriegt. Yvonne kam, Astrude und Suse. Dann kam Schudi bald, und es verpappte sich alles nach Berlin.

SchudiDie abgefahrenste Sache, die man sich als Plattenkind aus Hoyerswerda vorstellen konnte, in diesem Prenzlauer Berg … Ich weeß noch, die ersten Ausflüge nach Berlin: Kein Scheiß, da hab ich mich gefürchtet. In der Nacht diese komischen Hinterhöfe, alle Haustüren offen. Dunkle Hausflure, gähnende Kellerlöcher, diese Souterrain-Treppen runter … Ja, und dann bin ich nach Berlin gezogen.

GabiMan hatte nicht das Gefühl, dass man in Hoyerswerda eine Zukunft hat. Die Mobile Jugendarbeit ist nach zwei Jahren zu Ende gewesen, und ich war wieder arbeitslos. Zottel hatte verschiedene Jobs und ABMs, aber nichts mit Aussicht auf: Da kann man länger bleiben. Und dann sind wir nach Berlin bei der ersten Gelegenheit.

Ich habe sofort eine Umschulung angefangen. Das war zu dem Zeitpunkt in Hoyerswerda nicht vorstellbar, weil es einfach die entsprechenden Bildungseinrichtungen gar nicht gab. Nee, das Thema war dann durch.

UweZweitausend Leute pro Jahr, die gegangen sind. Und immer wieder: Jetzt ist der weg und die weg … Vorher sind die Leute zwar zum Studium gegangen, aber die sind zurückgekommen.

Durch diesen gesellschaftlichen Umbruch, durch das Wegbrechen von Jobs in Größenordnungen, Schwarze Pumpe und so was alles – was hätten die denn hier noch machen sollen?

RöhliKlar hätte ich auch die Chance gehabt wegzugehen. Das war auf alle Fälle ’ne politische Entscheidung, dass ich geblieben bin. Ich hatte so ein Gefühl wie im Krieg. Wenn der Feind von allen Seiten kommt, und irgendwann sitzt du auf der letzten verbliebenen Insel: Berlin. Da hab ich gedacht, du kannst das Land nich offgeben.