Kapitel 4
Ein Tanz in Ehren
N ach den öffentlichen Liebesschwüren, die ich fast völlig verpasst hatte, sollte nun der erste Tanz des Brautpaares stattfinden. Wie auch in Deutschland üblich, würde der Rest der Hochzeitsgesellschaft mit einfallen und ich sah skeptisch zu meinem stummen Begleiter. Würde er mich auffordern? Nicht, dass ich aufgefordert werden müsste, ich konnte den Spieß auch umdrehen, nur machte Islay eher den Eindruck, selbst das Heft in der Hand halten zu wollen. Eher der Jägertyp zu sein, und die reagierten allergisch auf selbstbewusste Frauen. Also wartete ich. Und wartete. Und würde nervös. „Wirst du mich noch zum Tanzen auffordern, Islay?“
Meine Frage überraschte ihn merklich, denn er starrte mich an. „Der Hochzeitstanz.“ Ich machte einen Wink in Richtung der Tanzfläche, die einen Kreis um den Tisch des Brautpaares zog, und sie vom Rest der Gesellschaft abtrennte. Er hatte mir freundlicherweise geholfen und den Bock fortgeräumt, während ich noch damit beschäftigt gewesen war, Aufträge zu canceln, die ich nie angenommen hatte. Deswegen standen wir, anstatt an unserem langweiligen Tisch zu sitzen, an dem zwar reger Verkehr herrschte, aber trotzdem Langeweile. „Ich möchte tanzen.“
Ian hinter mir lachte. Ich erkannte ihn sofort, schließlich kannte ich ihn schon eine Weile und seine Stimme – oder halt sein Lachen – war der seines Bruders sehr ähnlich. „Islay hat zwei linke Füße, a graidh, ihn wirst du nicht zu einem Tanz überreden.“ Seine Hand schlich sich in meinen Rücken und wanderte langsam herab – fast eine Liebkosung. Ich wich seiner Berührung aus, drehte mich um und bedachte ihn mit offensichtlicher Skepsis. „Zugegeben, mein Gälisch ist nonexistend , aber heißt agäth nicht so etwas wie Liebling?“
„Englisch ist so eine unzulängliche Sprache, dass die Bedeutung nicht ganz treffend ist.“ Er zwinkerte und zog mich an sich. „Aber du darfst es ruhig so verstehen.“
Er hielt mich wohl für dämlicher als ich war. „Ich verzichte.“
„Auch auf den Tanz? Du kannst langte warten, bis der da dich fragt.“ Er deutete knapp mit dem Daumen auf seinen Cousin. Dem Fingerzeig folgend, sah ich Islay an, der meinen Blick kurz hielt und dann wegsah. Also gut. Wenn ich tanzen wollte, war Ian wohl meine einzige Chance. Ich ergriff seine Hand, was blieb mir schon anderes übrig?
„Schön. Danke, Islay, für die Hilfe.“ Meine Höflichkeit war verschwendet, er wandte sich barsch ab und stapfte davon.
Ian grinste zufrieden. Sein Griff war fest und er ließ mich auch nicht wieder los, sondern drehte mich direkt auf der Tanzfläche – die sich rund um den Brauttisch erstreckte und ihn von den Gästetischen trennte. Seine Hand legte sich in meinen Rücken, der Daumen rieb unnötig oft über mein Schulterblatt. Zu intim, auch wenn wir uns gut kannten. Es war eine Nähe, die man von Bekannten nicht erwartete oder gar wünschte. „Ian, behalte deine Hände bei dir.“
Er lachte. „So prüde heute, Sina?“
„Nein. Nur bewusst, welchen Eindruck ich hinterlassen könnte.“ Schließlich war halb Schottland hier versammelt. Wenn ich je den Absprung schaffen und meine eigene Agentur eröffnen wollte, brauchte ich einen einwandfreien Ruf. Ich konnte mir nicht leisten, eine ganze Bevölkerungsgruppe gegen mich aufzubringen – Schotten waren in dem Punkt katholischer als der Papst. Ich wollte professionell wirken, man konnte ja nie wissen, welche Connections sich auf einer Hochzeit ergeben konnten und da wollte ich mich Mal dezent am Riemen reißen. „Welchen Eindruck möchtest du hinterlassen?“ Er kam näher und raunte es mir fast schon zu, so leise sprach er. „Und bei wem?“
„Niemand Besonderem.“ Was nicht stimmte. Aber die Sache war wohl aussichtslos, schließlich hatte Islay nicht ein Wort mehr mit mir gesprochen. Mal abgesehen davon, dass ich mir die Flirterei ohnehin verkneifen musste. Herrje, dieser Plan mit der Selbstständigkeit als Weddingplanerin war vielleicht doch eine Nummer zu groß für mich.
Wie auch immer, ein Techtelmechtel mit Ian kam einfach nicht infrage. Er war weder mein Typ, noch hatte ich Interesse an einem Intermezzo. Ich wollte – und das überraschte mich selbst – was Liny hatte. Liebe. Ein Gedanke, der mich die Augen verdrehen ließ. Klar wollte ich Liebe, wer nicht? Aber ich wollte, genau was Liny hatte – nur nicht mit einem Abklatsch ihres Gatten. Nein, die Idee war abstoßend, zumindest seit ich wusste, dass zwischen den beiden – Carolina und Lachlan und nicht Ian, natürlich – was lief. Außerdem war Ian niemand, mit dem man für die Zukunft planen konnte, sondern nur für ein Abenteuer, und das war wiederum nicht, was ich wollte. Ian war ein Hallodri, war heute mir dieser Frau liiert und morgen mit jener. Eine unter vielen zu sein war nicht mein Ding. Mal abgesehen davon, dass man für die Presse interessant wurde, wenn auch nur die Möglichkeit einer Verbindung – ganz gleich wie tief oder lang – im Raum stand und das brauchte ich nun wirklich nicht. Zumal ich mich nicht, wie Liny einst, halbnackt im meist verkauften Klatschblatt der Insel wiederfinden wollte. Also, besser einen Bogen um diesen Mann machen!
„Wozu dann die Mühe?“ Sein Atem am meiner Wange verursachte eine unangenehme Gänsehaut. Er war etwas zu aufdringlich, oder ich war empfindlich.
„Ian.“ Meine letzte Mahnung, wenn er nicht Abstand hielt, ließe ich ihn stehen.
„Du siehst hübsch aus.“
„Hm.“ Ich verdrehte die Augen, schließlich war er schon Mal einfallsreicher gewesen.
„Ich weiß, hübsch ist kein Kompliment.“
Jetzt wurde er frech.
„Aber ehrlich. Darauf legt ihr Deutschen doch wert.“
„Ian, lass es einfach.“ Die Musik verklang. Herrlich, einen zweiten Tanz wollte ich nicht mit ihm absolvieren, wenn er so vertraulich wurde. Zum Glück ließ er mich widerstandslos gehen und begleitete mich zurück zum Tisch, wo er mir beim Hinsetzen half und den Stuhl unter den Po schob. Schön, er war ein vollendeter Gentleman, wenn er wollte, und sicher war es für mich eher ungewöhnlich, dass man mir den Stuhl zurechtrückte, dennoch war es irgendwie fehl am Platz. Aufgesetzt. Übertrieben. Ich zog mir den Stuhl noch etwas näher ran, nicht weil es nötig war, sondern weil ich das Gefühl hatte, damit seine Geste zu negieren.
Er setzte sich neben mich, wo zuvor eine seiner Cousinen gesessen hatte und wandte sich mir zu. „Islay, wir sollten tauschen.“
Der Angesprochene richtete seine grünblauen Augen auf den Cousin, wobei seine rötlichen Brauen über seiner Nasenwurzel zusammenwanderten. „B` àill leibh?“
„Tauschen. Wir beide wissen doch, dass du Sina nicht das Wasser reichen kannst.“ Er klang versöhnlich, aber irgendwie war es genau das, was Widerstand in mir weckte. Er klang, als spräche er mit einem Kind, dem er eine Dummheit ausreden wollte. Irritiert sah ich rüber zu Islay, der seinen Cousin nicht aus den Augen ließ.
„B` àill leibh?“ Sein Gesicht rötete sich leicht und seine Stimme war deutlich tiefer geworden. Sie wechselten ein paar Worte auf Gälisch, dann legte sich Islays Blick auf mich. „Nay.“
„Komm schon“, wechselte Ian wieder ins Englische. „Mit meiner Partnerin wäre es unnötig heftig und du hast doch eh keine Chance.“
Islay blieb im Gälischen, also verstand ich nur die Hälfte des Gesprächs.
„Die Spiele, Junge, sind nichts für Burschen, die noch Grün hinter den Ohren sind. Bei gut hundert Teilnehmern kommst du nicht einmal unter die ersten fünfzig. Nie und nimmer, Islay. Komm schon. Ich habe Chancen zu gewinnen, gönn ihr die Ehre, Lady der Spiele zu sein.“
Islay starrte mich an. „Nay.“
„Was ist dein Problem?“ Ian lachte, schüttelte sich dabei. „Mit dir? Also bitte! Du hast keine Chance.“ Er sah sich um. „Er glaubt wirklich noch an Märchen, oder?“ Vic und Dru lachten mit und gaben giftige Worte von sich. „Lass die Witze, Islay, du solltest nicht einmal teilnehmen, das ist nichts für kleine Jungs.“
Islay war mittlerweile hochrot im Gesicht. „Tha mi còig bliadhna air fhichead a dh` aois.“
„Und immer noch kein Mann.“
Wenn Blicke töten könnten, Ian wäre wohl leblos zu Boden gesunken, so jedoch lachte er bloß höhnisch auf und lehnte sich zufrieden zurück.
„Mann, Islay, du wirst dich lächerlich machen.“
„Chan eil.“
„Was wollen wir wetten?“ Ian warf versichernde Blicke zu den anderen Männern, die in die Diskussion einfielen, natürlich auf Gälisch, sodass ich immer noch raten musste, was überhaupt vor sich ging. Ärgerlicherweise fiel mein Name und Islay musterte mich mürrisch.
„Alles oder nichts“, schlug Ian vor, wobei seine Augen über mich glitten. „Und freie Wahl.“ Er lehnte sich vor und griff nach meiner Hand. „Sina …“
„Tanzen.“ Islays Stuhl schabte über den Boden und seine Hand wedelte vor meinem Gesicht, bevor er meine Hand von Ian eroberte, der mich nicht freigeben wollte. „Meine Begleitung.“ Er zog mich hoch. Charmant. Bemerkten die beiden, dass sie sich wie Idioten aufführten? Wohl nicht, denn Ian kam auch auf die Füße und griff nach meiner anderen Hand, um mich zurückzuerobern.
„Sie tanzt mit mir.“ Er lächelte mich an. „Darf ich bitten, my Lady?“ Er hob meine Hand an seine Lippen. Okay, das war echt albern.
„Ms Conrad tanzt jetzt mit mir.“
Nicht, dass ich gefragt wurde, weder offiziell, noch überhaupt. Mann, was für ein Affentanz.
„Sei kein Idiot, Is.“
Ein Schwall gälischer Worte, ein Ruck an meinem Arm und ich lag an seiner Brust – für ungefähr eine Millisekunde, dann torkelte ich bereits hinter ihm her. „Hey!“ Das erste Mal an diesem Abend war ich froh, keine Schuhe zu tragen, die mich sicherlich zu Fall gebracht hätten. So fing ich mich spielendleicht und konnte ihm meine Finger entreißen, bevor wir bei der Tanzfläche ankamen. „Was zum Teufel soll das?“
„Tanzen.“
Meine Nägel bohrten sich in meine Handflächen. Tief durchatmen. „Du kannst mich nicht einfach hinter dir herschleifen. Du fragst, wartest meine Entscheidung ab und respektierst diese, verstanden!“
Seine grünen Augen lagen unergründlich auf mir. „Sie wollten tanzen.“
„Richtig. Ich wollte tanzen, du nicht, also habe ich mit Ian getanzt. Sache abgeschlossen.“ Es auszusprechen, linderte meine Wut. „Wenn du nun tanzen möchtest, hast du zu fragen und meine Antwort abzuwarten.“
Es arbeitete in seinem Gesicht. War er verärgert? Weil ich Grenzen aufzeigte? Er war noch verzogener, als ich es bisher vermutet hatte.
„Ms Conrad, bitte erweisen Sie mir die Ehre eines Tanzes.“
Okay, jetzt wollte er mich veräppeln. Er hielt mir die Hand hin.
„Bitte.“
Fein, dann wollte ich Mal nicht so sein. Vielleicht bekam ich zumindest eine Erklärung für sein Verhalten. Schön, ich könnte auch noch Ian fragen, was der Hokuspokus sollte, aber irgendwie wollte ich es von Islay hören. Ehrgeiz vermutlich. Ich kapitulierte doch nicht vor einem Typen, der um einiges jünger war als ich. Fünfundzwanzig, Mann, er war fast noch ein Kind und sollte mich mit etwas mehr Respekt behandeln. Immerhin war ich ganze fünf Jahre älter und damit auch weiser als er. Also gut, ihn als Kind zu bezeichnen, ging dann vielleicht doch etwas zu weit. Seufzend reichte ich ihm meine Hand. Ich war hier die Erwachsene, ich musste für den passenden Umgangston sorgen. Kein Problem. Acht Jahre mit George, seinen cholerischen Ausbrüchen ausgesetzt und ständig um den heißen Brei tanzend, hatten mich abgehärtet. Ein kleiner Junge mit schlechtem Benehmen brachte mich da nicht aus dem Konzept.
Allerdings war ich mir dessen nicht mehr so sicher, als das Lied ausklang und das folgende bedeutend langsamer war. Ein Schmusesong! Sein Entsetzen war köstlich und half, meines zu vertreiben. Es war doch wirklich nichts dabei, also legte ich ihm die Arme um den Hals und trat näher an ihn heran. Ich nahm eine leichte Note Dung wahr und wich zurück.
„Zum Duschen war wohl keine Zeit mehr gewesen.“ Gut, das hätte ich mir verkneifen können. „Wolltest du das bockige Schaf wirklich in das Schlafzimmer der beiden sperren?“ Das Thema lockerte ihn keineswegs auf, das spürte ich an der Verhärtung seiner Nackenmuskulatur, ach ja, und seine Hände drückten sich fester in meine Seiten. Wir gaben sicherlich ein interessantes Bild ab, so stocksteif, wie er sich bewegte, Mal abgesehen davon, dass er mich tatsächlich nur in der Taille berührte. Das letzte Mal, dass ich einen Lovesong so verbrachte, war mit vierzehn Jahren gewesen, als mich mein damaliger Schwarm bei der Jugenddisco zum Tanzen aufgefordert hatte und wir uns beide so verdammt dämlich angestellt hatten, als wäre ein Tanz irgendetwas Besonderes. Als wäre eine Umarmung bereits verrucht, die engere Berührung der Körper verboten. Ich kannte viele, die der Zeit der Pubertät hinterhertrauerten. Mir war es damals alles viel zu gestelzt gewesen, viel zu undurchsichtig.
Ich hatte es damals gehasst und empfand heute nicht anders, aber die Zeit hatte mich gelehrt, dass eine Situation immer auch in meiner Hand lag. Ich wollte diese Beklommenheit nicht, dann musste ich es ändern. „Ich bin nicht ganz schlau aus deinem Gespräch mit Ian geworden. Worum ging es?“ Ich bekam keine Antwort, lediglich einen durchdringenden Blick. „Mein Name tauchte in einem Schwall Gälisch auf. Ich denke, es steht mir zu, den Inhalt des Gesprächs zu erfahren.“
„Ihre Begleitung.“
„Tatsächlich?“ Er brachte mich echt noch Mal auf die Palme. Verflixt, soweit hatte ich es bereits mitbekommen. „Islay, ich halte mich nicht für minderbemittelt, noch habe ich was an den Ohren. Etwas genauer, bitte.“ Innerlich gratulierte ich mir für meinen ruhigen Ton, der Schärfe aus den Worten nehmen sollte.
„Bei den Spielen“, murrte er, nachdem er einige Zeit auf der Zunge herumgekaut hatte. Tja, ein Glück, dass ich kein Mensch war, der sich an langen Gesprächen ergötzte. „Wir sind als Paar vorgesehen.“
Klang merkwürdig.
„Ich wusste nicht, dass noch weitere Spiele geplant sind. Etwas Traditionelles?“ Wovon man mich ruhig hätte unterrichten können. Jetzt schlitterte ich völlig unvorbereitet in etwas, was ich nicht einschätzen konnte. Tja, so war das Leben. Plane, und es kommt definitiv anders.
„Aye.“
„Ich hoffe, man bestreitet diese Spiele im Sitzen.“ Mit etwas Glück war es nichts Aufwendiges, allerdings verpuffte die Hoffnung bei seinem Verdutzen Anblick gleich wieder.
Sein Räuspern dauerte deutlich zu lange an. „Einige davon.“
Ich verlor den Takt, blieb stehen und wurde von seiner Führung umgehauen. Meine Schuld, hundertprozentig, trotzdem regte sich mein Unmut und ich stieß mich von ihm ab, als ich wieder aufrecht stand. Er ließ mich aber nicht los, folgte mir, als wäre es ein Tanzschritt und trat dabei auf meinen nackten Fuß.
„Ahh!“ Er wog mindestens eine Tonne.
„Oh.“
„Verdammt!“ Ich hopste auf meinem unversehrten Fuß und schloss die Finger um meine zerquetschten Zehen.
„Das musste so enden.“ Wo kam der jetzt schon wieder her? Ian zog mich zu sich, hinderte mich dabei am peinlichen Herumhopsen und nahm mich schwungvoll auf den Arm. „Ich hätte mich durchsetzen sollen, verzeih mir, a graidh. Zukünftig passe ich besser auf dich auf und beschütze dich vor Trotteln wie Islay.“
„Es war ein Versehen.“
„Wenn ich meine Schuhe angehabt hätte …“ Ich fing bei dem Vorwurf Islays Blick auf. Schön, ich hatte es selbst verschuldet und war ungerecht.
„Warum bist du auch barfuß? Du solltest lernen, dich durchzusetzen, besonders, wenn Lachlan mit seinem Traditionswahn kommt. Barfuß! Durchbrennen, Mann, er übertreibt es wirklich.“ Er setzte mich ab und hob meinen Fuß auf, um ihn zu betrachten. Er war verdammt dreckig, was mir tatsächlich peinlich war, also zog ich mein Bein zurück.
„Ist nichts, schon gut. Seit wann ist Durchbrennen eine schottische Tradition?“, lenkte ich ab und versteckte meine Füße unter meinem Kleid.
Ian blieb vor mir knien und grinste zu mir auf. „Ein Familiengeheimnis.“
Spielte er mit mir Katz und Maus? Tja, Pech, dass ich Liny fragen konnte und sicherlich eine Antwort bekam.
„Fein. Danke, Ian, es geht schon wieder.“
„Er ist tapsig wie ein junger Bär, ich habe dich gewarnt.“
„Tanzen ist wirklich nicht seine Stärke“, fiel Mairi, eine Cousine, ein. „Er landet immer auf den Zehen seiner Partnerin.“
„Immerhin ist Ihr Kleid ganz geblieben.“ Don lachte. „Und sollten Sie jemanden brauchen, der Ihnen Ihre Kette öffnet …“
„Stimmt!“, griff Vic auf. „Das war ja Islay! Zerrissen hat er sie, dabei sollte er sie mir nur öffnen, weil sie sich in meinem Haar verheddert hatte.“
„Feingefühl ist ihm fremd, a graidh, da bist du mit mir besser beraten.“ Ian drückte meine Finger, was meinen Blick automatisch bannte. Er war deutlich vertrauter als sonst. Ich zog die Hand zurück.
„Vielleicht haben die Spiele nichts mit Feingefühl zu tun und so wie ich das verstehe …“
Ians Heiterkeitsausbruch unterbrach mich. „Du hast keine Chance, auch nur in die Punkte zu kommen mit Islay als Partner. Mal abgesehen davon, dass die McDermitts nie ein Highland-Game verlieren, an dem sie teilnehmen!“
Das weckte zumindest den Widerspruch der anderen Campbells am Tisch.
„Da wäre noch die Einzelwertung, aber ohne Übung hast du da einfach keine Chance. Oder hast du schon Mal einen Baumstamm geworfen?“
Das ging deutlich in eine Richtung, die ich nicht erwartet hatte.
„Sie ist meine Partnerin“, grollte Islay. „Und du hast deine. Wenn du so übermächtig bist …“
Ian ignorierte ihn. „Zusammen sind wir unschlagbar.“
„Highland-Games?“ Also keine Spiele für die Belustigung der Hochzeitsgäste.
„Eine Überraschung für Carolina.“
Und für mich. „Wann …?“
„Den Rest der Woche.“
Das erklärte, warum Lachlan mich die ganze Woche hatte hierbehalten wollen, obwohl ich der Meinung gewesen war, dass die beiden besser ihren Honeymoon zu zweit genossen. Mal abgesehen davon, dass ich jetzt wirklich unter Druck stand. Ich konnte gar nicht abreisen, wenn ich doch an den Highland-Games teilnehmen sollte, selbst wenn ich es meinem Chef George zuliebe in Betracht zöge.
Der Lautsprecher knackte und der DJ verkündete, dass alle ungebundenen Damen sich nun einfinden sollten, um den Brautstrauß zu erhaschen.
„Na prima“, murrte ich, an das Gedränge denkend, das unweigerlich folgen würde. „Und das barfuß! Ich kann froh sein, wenn ich morgen überhaupt noch stehen kann, wenn erst einmal eine Horde heiratswilliger Damen über meine Zehen getrampelt ist.“
Ich klappte den Mund zu, weil mir auffiel, dass ich schon wie Liny klang: mürrisch und negativ. Also schob ich den Stuhl zurück und stellte mich der Herausforderung. Mairi schloss sich mir an.
„Warum bist du denn barfuß?“
„Islay meinte, es wäre Tradition.“ Wie oft musste ich das heute noch wiederholen?
Sie lachte auf. „So ein Trottel.“
Okay, langsam wurde es nervig. „Warum?“
„Weil wir seit mindestens einem Jahrhundert diesen Brauch nicht mehr pflegen. Seine Mutter war da die Ausnahme.“ Wir stellten uns zu den anderen Frauen, die meist in Grüppchen zusammenstanden und miteinander tuschelten. Weitere Campbell-Frauen gesellten sich zu uns und ich bekam einen ungefähren Überblick über das Ausmaß der Feier, die deutlich ausgeufert war. Schließlich war die Zahl in den letzten zwei Wochen täglich nach oben korrigiert worden, und wenn schon fünfzig unverheiratete Frauen aufliefen, um einen Strauß zu fangen, waren es sogar noch mehr geworden, als mein letzter Stand war. Hervorragend, wie die Absprache mit mir lief, obwohl ich mehrfach deutlich gemacht hatte, wie wichtig dieser Aspekt war.
Liny wedelte mit den Blumen. „Das hier ist ein Geschenk meines Gatten und ich schätze ihn sehr. Möge seine neue Besitzerin ihn in Ehren halten und sich ebenso glücklich schätzen wie ich!“ Sie drehte sich und durch den Schwung flog der Strauß in hohem Bogen in die Luft. Lustigerweise direkt auf mich zu. Die Campell-Frauen schoben mich im Pulk weiter und ich verlor die Blumen aus den Augen. Ein großes Stöhnen ging durch die Menge und Mairi fasste die Enttäuschung in Worte: „Daingead! Landet das dumme Ding in der Deko!“ Ihr Finger deutete auf die Stoff- und Gazebahnen, die den Himmel des Zeltes bildeten, und in ihm verheddert baumelte der Strauß.
„Oh.“
Es echote durch den Saal.
„Tja, ich bedaure verkünden zu müssen, dass mein Glück außerordentlich ist und wohl auch einzigartig. Grämt euch bitte nicht, der Schleiertanz wird sicher bessere Aussichten versprechen!“
Ein Glück, dass sie beides eingeplant hatte, die Frauen sahen tatsächlich aus, als wollten sie jeden Augenblick Amok laufen.
„Was bitte schön ist ein Schleiertanz?“, fragte Mairi und schob mich zurück zu unserem Tisch. Viel lieber wäre ich geblieben, wo ich war.
„Na, so ein Jammer“, begrüßte Ian uns grinsend. „Keine weiteren Trauerfeiern, Pardon, Hochzeiten mehr.“
„Idiot!“, warf Mairi ihm vor und ließ sich auf ihren Stuhl fallen. „Mann, und ich hatte echt Hoffnung!“
„Auf Phil?“ Don grinste breit. „Vergiss es, der heiratet dich nicht. Er begleitet dich nicht einmal auf die Hochzeit deines Cousins, da meint er es sicher nicht ernst genug, es mit dir zu versuchen.“
„Er muss arbeiten“, murrte Mairi, während mir die Ohren klingelten. „Er wäre gerne dabei, hat aber nicht freibekommen.“
„Klar.“ Don wechselte einen Blick mit Ian, der es offensichtlich genauso sah.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Erkenntnis. Sie hatten recht, auch George war eine Sackgasse. Einsehen und abhaken – endlich. Das Atmen gelang befreiter, als seit langem, schließlich war ich endlich mit mir im Einklang. Herz und Verstand waren sich nach fünf Jahren endlich einig und es war gut so. Ich grinste zufrieden und erntete verwunderte Blicke.
„Sie sind solo? Dann stört es Sie natürlich nicht, dass der Strauß im Nirvana hängt.“
Sie sollte es gut sein lassen.
„Tja, die Hoffnung stirbt zuletzt“, griff ich fröhlich auf. Mir war deutlich nach Albern zumute. „Bei so vielen potentiellen Partnern hätte ja einer für mich dabei sein können.“
Ian lachte auf und streckte die Hand nach mir aus, um mein Kinn zu umschließen und sacht zu drücken. „Deine hidden Agenda ? Einen Trottel finden, der dich heiratet?“
Ich befreite mein Kinn und schob seine Hand weg. „Mein Partner sollte keinesfalls ein Trottel sein, mit dem kann ich nichts anfangen. Ich suche eher nach einem intelligenten, humorvollen Mann mit Anstand und dem gewissen Etwas.“ Die Herausforderung schwang in meiner Stimme mit, aber ich hatte auch kein Problem damit, es in Worte zu fassen: „Damit scheidest du wohl aus, Ian.“
Don rutschte näher. „Was genau ist das gewisse Etwas?“
„Tja, wenn ich das wüsste. Ich denke Mal, ich merke es rechtzeitig.“ Sicher war ich mir da nicht.
Der Tisch brach in Gelächter aus und mir fiel auf, dass jemand gewohnt Brummiges fehlte. Herrlich, jetzt hatte mich meine Begleitung schon früh am Abend im Stich gelassen. Anscheinend sollte ich meine Anforderungen an zukünftige Partner herunterschrauben, wenn ich schon stehengelassen wurde! Ich sah mich um und konnte Islay tatsächlich nicht ausmachen. Also schön, ich war ja nicht auf ihn angewiesen.
Liny im Auge zu behalten, gestaltete sich schwierig, schließlich saß ich nicht in ihrer Nähe und ständig versperrten mir Tanzende die Sicht. Fein, vielleicht übertrieb ich es auch, das wollte ich gar nicht ausschließen, aber es wunderte mich auch, dass sie so mühelos zurechtkam. Musste sie denn nie aufs stille Örtchen? Brauchte sie nicht hin und wieder einen Augenblick Ruhe vor dem Trouble? Aber sie machte durchweg einen gelösten und fröhlichen Eindruck. Abgelenkt griff ich nach meinem Glas und verfehlte es. Es kippte, ich versuchte es abzufangen und verschüttete den Inhalt trotzdem – nur halt auf mich und nicht quer über den Tisch.
„Oh, je“, griff Vic auf. „Das solltest du auswaschen. Keine Sorge, wir lassen Ian wissen, dass du schnell zurück sein wirst.“
Unnötig, aber ich korrigierte sie nicht. Ian hatte sich angeboten, mir ein Stück der Hochzeitstorte zu besorgen, weil ich keine Anstalten gemacht hatte, sie mir selbst zu holen. Tja, ich hätte ihm sagen können, dass ich kein zuckerverseuchtes Stück gefestigte Sahne in mich hineinschieben würde, aber er war so nervig geworden, dass es mir recht war, wenn er mir alles Mögliche holte. Vielleicht sollte ich ihn auf die Suche nach meinen Schuhen schicken? Das hielte ihn zumindest eine Weile beschäftigt und ich hätte meine Ruhe. Mir war nicht nach Reden zumute. Mir war nicht nach hohlem Geschwätz, steifem Lächeln und nichtssagenden Phrasen. Mir war unergründlicher Weise eher zum Heulen. Zu viel Alkohol? Möglich, aber genauso gut konnte mir einfach die Situation zu viel sein. So gesehen war ich frisch getrennt, auch wenn ich nie offiziell Georges Freundin gewesen war. In trüben Gedanken versunken, wich ich auf dem Weg zum Waschraum blind Tänzern aus. Es war wohl eine Frage der Zeit, bis es schiefgehen musste und ich gegen jemanden stieß. Mit einer Entschuldigung auf den Lippen sah ich auf und stockte. Islay. Der Atem entwich mir. Es war, als wäre es das erste Mal. Mit einem Wusch rutschte mein Herz ab, schlingerte auf Höhe meiner Knie und mein Hirn folgte. Na ja, und dann hopste beides wieder in die Höhe.
Er hob die Hand, meine Pumps hingen von seinen Fingern, das bemerkte ich aber nur, weil er sie mir direkt vor die Augen hielt und damit mein Blickfeld ausfüllte. Schuhe.
Schuhe. Mehr brachte mein Kopf nicht zustande. Natürlich war das Offline nicht nur in meinem Hirn, mein ganzer Körper war off.
Islay ging in die Knie. Mein Blick folgte. Er hob den Saum meines Kleides an, nur ein Stück und sah zu mir auf. „Dürfte ich?“ Seine Finger schlossen sich um meinen Knöchel und hoben meinen Fuß an, um ihn in den Schuh zu schieben. Der zweite Fuß landete ebenso in seinem Hort, aber anstatt aufzustehen, blieb er, wo er war. Sein Daumen glitt federleicht über die Innenseite meines Knöchels. Sollte er lassen, denn meine Knie wurden zittrig. Das könnte peinlich enden, also riss ich mich zusammen und hob den Blick, in der Hoffnung, damit auch meine Gedanken von ihm abwenden zu können. Über mir schwang der Stoffhimmel leicht im Wind und in ihm der Brautstrauß. Zumindest in dem Moment, in dem ich ihn erkannte. Im nächsten segelte er mir bereits entgegen. Es war ein Reflex, die Arme auszustrecken und ihn aufzufangen. Es war ein hübsches Bouquet roter Rosen, abgerundet mit weißen Lilien und etwas Grünzeug. Glitter schimmerte und Perlen umkränzten den Straußkopf. Ich ginge jede Wette ein, dass die Blumen aus dem geheimen Garten stammten.
„Daingead, wo kommt das jetzt her?“ Er kam hoch und nahm mir den Strauß ab, um ihn zu drehen.
„Da bist du ja.“ Ian zog mich an der Hüfte von Islay weg und nahm mich halb in den Arm. „Islay, nicht zu glauben, da haschen alle unverheirateten Frauen zwischen vierzehn und hundert nach dem Ding und du fängst ihn?“
Islay nahm Farbe an und drückte ihn mir schnell an die Brust. „Nay!“
„Er fiel von der Decke“, korrigierte ich, mich von ihm befreiend und Abstand gewinnend. „Und ich habe ihn aufgefangen.“
„Na, herzlichen Glückwunsch, wer ist als Bräutigam eingeplant?“
„Du nicht.“
Er lachte bloß.
„Ich war auf dem Weg in den Waschraum. Entschuldigt mich bitte.“
„Sina.“ Ian folgte mir. „Wir sollten wirklich zusammen an den Games teilnehmen.“
Innerlich stöhnte ich, weil er nicht aufhören wollte, mich als Partnerin zu gewinnen. Es war schon nervig und beruhigend zugleich. Immerhin hatte ich eine gute Erklärung für sein ungewöhnlich intensives Interesse.
„Wirst du mir bis in den Waschraum folgen, Ian?“
„Wenn du es möchtest.“ Sein Grinsen sagte deutlich, was er dort tun wollte.
„Darauf kann ich verzichten.“ Trotzdem folgte er mir weiterhin.
„Hey, warte Mal. Was ist das Problem?“
Also Tacheles? Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm um. „Es ist Linys Hochzeit, da interessiert mich sicher kein Techtelmechtel mit ihrem Schwager.“
„So? A ghoil, so kleinlich bist du nicht.“
„Du kennst mich gar nicht.“
Er streckte die Finger aus und berührte meine Wange. „Gut genug.“
Ihm zu widersprechen war deutlich sinnlos, er wollte wohl nicht hören, also schlug ich einen anderen Weg ein. „Ich sehe es wie Islay. Er ist als mein Partner vorgesehen und ich sehe keinen Grund, daran etwas zu ändern.“ Es war wohl gleich, was die kommenden Tage für mich schwierig machte: die Abwehr Ians oder die Einsilbigkeit Islays.
„Komm schon, er kann dir nicht das Wasser reichen.“
„Das entscheidest nicht du.“ Ich wandte mich ab, für mich war das Gespräch beendet.
„Sina, als ich sagte, er könne dir nicht das Wasser reichen, war es noch freundlich ausgedrückt.“ Er schnitt mir den Weg ab. „Er ist nichts für dich.“
„Du unterstellst mir Absichten?“
Er lachte auf. „Auf Islay? Bitte. Er ist … das musst du doch bemerkt haben.“
Okay, er wusste, wie man mich einfing. Ich zögerte, wartete auf seine nächsten Worte. Angespannt und irgendwie nervös. Mein Knöchel kribbelte, gerade da, wo Islay mich vor kurzem gestreichelt hatte.
„Sein Interesse … wirst du nicht halten können, geschweige denn wecken.“
„Du bist weniger wählerisch, ja?“ Mann, wenn ich mich nicht so gut unter Kontrolle hätte …
Er grinste und berührte meine Wange. „Jetzt willst du mich missverstehen. Islay hat es einfach nicht mit Frauen, Sina. Daran kann auch eine verführerische Sirene wie du nichts ändern.“ 
„So ist das also“, ertönte eine Stimme hinter uns.
Im ersten Moment reagierte ich nicht, was zur Folge hatte, dass ich mit einem Ruck aus Ians Sphäre gerissen wurde und die Stimme zuordnete. Aber natürlich war es unmöglich, George war …
Ich sah auf, um klarzustellen, dass man nicht einfach an mir herumzerrte, und beendete meinen Gedanken: hier.
Sein dunkelbraunes Haar melierte sich nicht nur an den Schläfen, selbst seine Brauen und – ekelig ja – seine Nasenhaare wiesen graue Härchen auf. Er war massig, aber nicht muskulös und auch nur eine Handbreit größer als ich.
„Was für die Eine wirkt, funktioniert auch bei der Anderen, ja?“ Seine Hände umklammerten meine Oberarme. „Du lässt mich also sitzen, um dich gesundzustoßen.“
Ordinär, mehr fiel mir bei bestem Willen nicht ein.
„Verzeihung, dies ist eine Familienfeier …“
Er schob mich zur Seite, um an Ian herabzusehen. „Mylord, ich tue Ihnen hier einen Gefallen.“
„George!“
„Du kennst diesen Mann?“ Ian nahm sich zurück, obwohl sein Blick von Georges fester Umklammerung meiner Oberarme zu meinem Gesicht und zurückglitten.
„Mein Boss“, krächzte ich und bekam endlich wieder etwas Festigkeit zurück. Es war ungeheuerlich und die Situation musste dringend geregelt werden. Ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen und schob mich beherrscht von George fort. „George Mortimer. George, du musst doch Ian McDermitt erkennen. Seine Lordschaft ist der Bruder des Bräutigams und war seinerzeit …“
„Ich bin kein Idiot.“
Meine Zähne schlugen klackernd aufeinander. Ich hasste es, unterbrochen zu werden. „Das wollte ich auch nicht ausdrücken. Lord Culnacnoc …“
„Willst du etwa abstreiten, dass du nur hier bist, um dir ein Stück vom Kuchen zu sichern?“
„Selbstverständlich nicht.“ Zur Beruhigung legte ich ihm die Hand auf die Brust. „George komm mit, hier können wir nicht reden, es ist viel zu laut und …“
„Gehören Sie zu den geladenen Gästen?“, fragte Ian, wobei man ihm anhörte, dass er auf eine negative Antwort hoffte. Momentan schienen sich Männer in meinem Leben zu häufen, die gerne Probleme bereiteten.
„Ian, bitte, ich benötige einen ungestörten Moment.“ Ich lächelte ihm zu, was ihn auch zu beruhigen schien. „Wir klären das Missverständnis.“ Zumindest konnte ich mir sicher sein, dass Ian auf Georges Worte nichts gab, schließlich kannten wir uns gut genug. George zog ich fort. Es war kein Umweg, schließlich befanden sich die Waschräume in unmittelbarer Nähe zu Linys Rückzugsort, den ich nun zweckentfremden wollte. In Abgeschiedenheit haderte ich mit meinem Pech. Es war der absolut falsche Zeitpunkt, sich mit George auseinanderzusetzen, was mein bimmelndes Handy anschaulich unterstrich. Mrs McCollum fragte nach dem Personalstand im Festsaal. Herrlich.
„George …“ Ich wandte mich ihm zu und bemerkte Ian, der uns gefolgt war und am Eingang stehen blieb, die Arme verschränkt, die Miene missmutig. Er war definitiv Lachlans Zwilling, denn den Gesichtsausdruck kannte ich zur Genüge. „Ian, ich brauche wirklich einen Augenblick allein mit meinem Chef.“
„Nay, mich interessiert, was er zu sagen hat und offenbar hat er eine Neigung zu Ausbrüchen, wenn ich Linys Worte richtig interpretiere. Ich bleibe.“
George brodelte, hielt sich aber zurück. Er war nicht dumm, ganz im Gegenteil, er war gewitzt, clever und konnte durchaus charmant sein, wenn er wollte. „Mylord, es ist ein dienstliches Gespräch und unterliegt …“
„Ich bleibe.“
Wieder bimmelte mein Telefon. Ich hatte für diese Auseinandersetzung keine Zeit! „George, ich habe Urlaub. Ich besuche die Hochzeit meiner Freundin und damit ist alles gesagt, was dienstlich gesagt werden muss.“
„Und privat?“ Seine dunklen Augen glimmten auf und sein Auge zuckte. In Abgeschiedenheit hätte er sich nicht so zurückgehalten, sondern mich angebrüllt.
„Es gibt kein privat, George, das hast du mir sehr deutlich zu verstehen gegeben.“
„Ich bin hier, oder?“
Er verblüffte mich damit, zugegeben, aber so leicht bekam man mich nicht rum. „Ich habe dich gebeten, mich zu begleiten, du hast Nein gesagt. Dann wolltest du mich ans andere Ende der Insel schicken und gerade eben warfst du mir Dinge an den Kopf, die ich mir von meinem Partner nicht gefallen ließe.“
Seine Augen verengten sich und seine Lippen bebten vor unterdrücktem Zorn. „Ich liebe dich.“
Okay, das wurde albern.
„Das wurde mir in den letzten Tagen klar und ich wollte dich bei mir haben, während ich mich um die Hochzeit in Lands End kümmere.“
Unsinn. Er kam näher und ich wich automatisch nach hinten aus. „George, hör auf damit.“ Das wurde mir nun wirklich zu bunt. „Hör zu, ich denke schon eine ganze Weile darüber nach …“
„Wegen ihm? Sina, Schätzchen, er ist eine Sackgasse.“ Er streichelte meine Wange und zwang mich, erneut zurückzuweichen.
„Du bist die Sackgasse, George.“ Es tat gut, es in Worte zu fassen und der Krampf in meinem Bauch löste sich. Befreiter atmete ich tief ein. „In allen Belangen. Du siehst mich als Dienerin. Ich springe ein, wenn du pfeifst, mache, was du willst, und sage zu allem Ja und Amen.“ Den Kopf schüttelnd, machte ich einen weiteren Schritt zurück. „Es reicht mir.“
„Du willst es also wie Carolina versuchen? Dir einen reichen Schnösel suchen und …“ Er folgte mir bedrohlich und ich war echt froh, dass Ian da war – zur Sicherheit.
„Ich brauche keinen reichen Schnösel, ich kann meinen Lebensunterhalt selbst bestreiten!“
George lachte mit gehässigem Unterton auf. „Aber natürlich, Madame will ja arbeiten.“
„Ja, richtig. Für mich ist Arbeit ein wichtiger Teil meines Lebens. Ich kann mir nicht vorstellen, den ganzen Tag mit shoppen zu vertrödeln oder beim Teekränzchen Schwachsinn zu plaudern.“ Tatsache, schließlich hatte ich bereits einige dieser Teerunden hinter mir und mir jedes Mal gewünscht, es möge irgendetwas passieren, damit es endlich ein Ende fand. Besonders die Gesellschaft der Duchess war anstrengend. Adel? Nein danke!
„Wenn dir dein Job so viel bedeutet, solltest du ihn nicht so bedenkenlos aufs Spiel setzen!“
Der Umschwung überraschte mich kein bisschen. „Warum? Glaubst du, ich finde sonst nichts?“ Eine dumme Herausforderung, was mir sehr deutlich bewusst war, herrje, ich steuerte geradewegs auf ein Fiasko zu.
„Sina, du schaffst es doch nicht auch nur einmal für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen! Jedes Mal kommen Beschwerden. Nicht ein einziges Mal ist der Kunde mit deiner Leistung  zufrieden gewesen. Wer, glaubst du, wird dich haben wollen? Ein hübsches Gesicht und eine volle Bluse sind leider kein Einstellungsgrund. Schon gar nicht, wenn du dein jämmerliches Zeugnis nicht vorlegen kannst. Acht Jahre, nicht wahr? Unbeschäftigt? Tja, deine Aussichten …“
„Das ist eine Lüge.“ Trotzdem bebte ich vor Erschütterung, weil mir selbstverständlich klar war, wie verheerend es wäre, sollte George nicht nur ein mieses Zeugnis ausstellen – wogegen ich klagen könnte – sondern auch noch solchen Mist über mich verbreiten. Daran zweifeln tat ich nicht, bei seinem fiesen Grinsen.
„Schätzchen, bezichtigst du mich einer Lüge? Ich habe etliche Belege deiner Inkompetenz.“ Seine Wut verpuffte. Auch nichts Neues, aber erst in diesem Moment wurde mir klar, was für ein absoluter Mistkerl er war, sich an der Ausweglosigkeit anderer so zu erfreuen.
„Du gehst nun besser, George. Ich bin im Urlaub, alles Weitere besprechen wir nächste Woche im Büro.“ Das ließ mir Zeit, einige Dinge zu klären. Wo zum Teufel ich Geld herbekam, das erst in einigen Jahren zurückgezahlt werden konnte – wenn überhaupt.
„Du wirfst mich raus?“ Wieder machte er einen Schritt auf mich zu, aber ich ließ mich nicht davon beeindrucken.
„Ja. Und wenn du nicht freiwillig gehst, sorge ich dafür, dass man dich vom Gelände wirft. Ich habe eine ganze Hundertschaft an Sicherheitsleuten engagiert.“ Doppelt ärgerlich, dass er es dennoch auf das Gelände geschafft hatte. Wenn er hindurchschlüpfte, wie viele sonst noch? Gut, das Areal war ein Sicherheitsdesaster und die ständige Änderung der Gästeliste auch keine Hilfe, einen Überblick zu behalten, wer nun zugangsberechtigt war und wer nicht.
Es wäre besser gewesen, meine Beteiligung daran nicht zu erwähnen, denn Georges Blick wurde mörderisch.
„Hast du, ja?“, bellte er und packte mich. Ich war gleich wieder frei, trotzdem war ich immens erschrocken. Mein Herz schlug bis in den Hals und ich begann zu zittern.
„Mal langsam, Freundchen.“
Ian sah mir an, wie ich mich fühlte, verwunderlich genug, und drängte George zum Ausgang.
„Du hast diese Hochzeit arrangiert?“, rief der, wobei er versuchte, sich Ians Griff zu entziehen. „Du hast gegen die Vertragsstatuten verstoßen!“
„Dieser Passus wurde in meinem Vertrag gestrichen“, korrigierte ich ihn dünn. „Aber bitte schön, ich akzeptiere eine fristlose Kündigung.“ Was machte ich nur? Aber natürlich wollte ich einfach nicht schwach wirken, mich nicht einschüchtern lassen und diesen verdammten Schlussstrich ziehen. „Nebenbei stehen mir noch zwei Wochen Urlaub zu und weitere dreiundneunzig Tage an auszuzahlenden Überstunden.“ Natürlich rechnete ich nicht damit, auch nur einen Penny ausgezahlt zu bekommen – nicht ohne Kampf. Deswegen ja der Fünfjahresplan, in dessen Verlauf ich meine Überstunden hätte abfeiern können und meinen Ausstieg in den Winter hätte legen können, sodass mir zur Hochsaison genügend Zeit für die Kundenakquise geblieben wäre.
Ian gab George etwas Spielraum, schirmte mich aber weiterhin vor ihm ab, indem er George am Schlafittchen hielt, was dem gar nicht gefiel, aber jeder Widerstand war zwecklos. Also machte er das Beste daraus und richtete seinen Groll gegen mich.
„Du willst es so. Du bist raus.“
Das Schön! steckte in meinem Hals fest, also nickte ich bloß.
„Dies hier ist Privatgelände. Unbefugtes Betreten ist untersagt. Ich will Sie hier nicht noch einmal herumwieseln sehen, verstanden!“
George starrte mich immer noch an. Erwartete er, ich käme zu Kreuze gekrochen? Gut, bisher hatte ich immer versucht, die Wogen zu glätten und zu vermitteln. Ich hatte immer die Kröten geschluckt, seine Erwartung kam da nicht von ungefähr, sondern war begründet.
Ian schob ihn raus und sprach mit einem der Sicherheitsleute, die die Eingänge bewachten. Mir bebten die Knie. Die Hand ausstreckend, ließ ich mich auf der Bank nieder und schloss die Augen. Meine Gedanken rasten in wilder Panik. Arbeitslos. Tja, das Leben war einfach unberechenbar.