Liebste Ada,

ich habe diesen Brief an Spigl adressiert. Wir haben uns eine Zeit lang geschrieben, dann habe ich meine Spuren verwischt, für ihn und für alle anderen. Aber zuvor habe ich ihm diesen Brief geschickt, mit der Bitte, ihn dir auszuhändigen, sobald du groß bist. Nun bist du zwanzig Jahre alt und weißt nichts über deinen Vater. Oder besser gesagt, Teresa und Sandro sind Mutter und Vater für dich. Das ist gut so. Du heißt natürlich Ada Cattaneo und weißt daher, dass ich, Fredo, dein leiblicher Vater bin, und bestimmt hat man dir auch von deiner Mutter Anja erzählt.

Mir fällt gerade auf, dass ich gar kein Datum genannt habe: Ich schreibe im Mai des Jahres 1923, und du wirst 1940 von mir lesen. Aus Gründen, die zu erklären zu lange dauern würde, musste ich nach dem Tod deiner Mutter aus der Schweiz fliehen. Ich will nicht in die Details gehen, ich denke, es ist besser, die Vergangenheit zu lassen, wo sie ist: im Dunkeln. Ich sage lediglich, dass ich eine Verantwortung für den Tod von Anja trage, die ich sehr, sehr geliebt habe, und dass ich zu deinem Wohl vor zwei Jahren beschlossen habe, für immer zu verschwinden. Ich schreibe dir weder, um mich schuldig zu bekennen, noch, um deine Neugierde zu wecken. Ich will dir bloß sagen, dass ich einen großen

Dafür bitte ich dich um Vergebung.

Außerdem bitte ich dich, dafür zu sorgen, dass mein Name in Vergessenheit gerät. Ich weiß nicht, ob ich noch am Leben sein werde, wenn du diese Zeilen liest. Ich lebe an entlegenen Orten, und meine Gesundheit verschlechtert sich zusehends. Noch hält mein Herz stand, aber vielleicht werde ich tot sein, wenn du zwanzig bist. Oder irgendwo auf der Welt, fernab von allem. Doch du sollst wissen, dass ich tagtäglich an dich, an deine Mutter, deine Adoptiveltern denke. Ich denke an euch und versuche zu beten … ich weiß nicht, ob es zu etwas nutze ist, aber es ist das Einzige, was mir bleibt. Jeden Tag bei der Arbeit, wenn ich den Menschen hier, die in extremer Armut leben, beistehe, ja selbst im Schlaf denke ich an meine kleine Ada, an das einzige Licht, das mein von Wolken verdunkeltes und sturmgepeitschtes Dasein je hat erhellen können.

So sollst du mich bewahren, Ada, wie eine Stimme, die der Wind aus der Ferne zu dir getragen hat, wie einen Hauch, der aufkommt und im selben Moment erstirbt. Ich möchte, dass du glücklich bist. Behalte nur das von mir: Ich habe dich geliebt, noch bevor du auf die Welt gekommen bist, und ich werde dich lieben bis zu meinem letzten Atemzug.

Fredo