Eine Villa in unmöglichem Stil, Flachdach, rechts und links vom Eingang zwei Türme, mit roten Ziegeln bedeckt. Auf einem schwarzen Marmorschild in Goldbuchstaben: »Pension Mimosa«. Ein offenes Fenster im ersten Stock umrahmt den massigen Oberkörper eines Mannes; das Gesicht des Mannes ist merkwürdig schmal und mager, ein brauner Schnurrbart bedeckt den Mund. Der Mann raucht eine Brissago und schaut auf den See, der weit unten sich ausbreitet, blau, wie eine angelaufene Stahlplatte.
Ich möchte das Gästebuch sehen. Es stimmt, der Graf hat mich nicht angelogen.
»Im ersten Stock«, sagt der Portier, »Zimmer zwölf …« Er spricht Deutsch, was für eine Fremdenpension in Locarno eigentlich selbstverständlich ist.
»Studer, Jakob, Kommissär an der Stadtpolizei Bern.«
Etwas möchte ich gerne wissen, aber ich habe vergessen, gestern Abend danach zu fragen: Wieso hat der Graf, der während des Krieges Militärattaché an der deutschen Gesandtschaft in Bern war, die Bekanntschaft des Polizeikommissärs gemacht? Und hätte ich die Frage auch gestellt, der Graf hätte mir wohl die Antwort verweigert … Der Graf kann sehr diskret sein … Ich bin neugierig, ob der Berner Polizeikommissär mir helfen kann, ich bezweifle es sehr, denn er ist ja in den Ferien, und schließlich geht ihn ja der Fall nichts an … Aufzuklären hat ihn die Tessiner Polizei, aber die ist erstens ungeschickt, und zweitens spricht sie schlecht Deutsch – mein Italienisch aber ist so mangelhaft, dass es immer wieder Missverständnisse gibt – der Graf hat mir gesagt, dass der Berner Polizeikommissär mit den Tessinern gut stehe …
Warum hat die Frau auch gerade fünfzig Meter von meiner Mühle den Tod finden müssen? Die unbekannte Frau? …
»Numme iche …«, sagt eine tiefe Stimme. Und dann bleibe ich im Türrahmen stehen. Der Zugwind reißt an den Gardinen, durchs Fenster sieht man die Berge ob Magadino, sehr dunkel, sehr grün …
Das Fenster hat ein eisernes Gitter, das dem Mann mit der Brissago etwa bis zur Brust reicht, er hat mir zuerst nur den Kopf zugewandt, jetzt dreht er sich ganz um, lehnt sich gegen das Eisengitter, nimmt die Brissago aus dem Munde … In einer Ecke des Zimmers ist eine Frau damit beschäftigt, einen Koffer auszupacken und Wäsche in einem Schrank zu verstauen …
»Was weit-r?«
Ich stelle mich vor, ein wenig stotternd, nenne den Grafen, der mich hierherverwiesen hat, und frage schüchtern, ob ich den Herrn Kommissär nicht allein sprechen könne … Blick auf die Frau … Der Mann nickt, zieht an seiner Brissago, sie ist ausgegangen, er zündet sie an, sagt dann ruhig: »Emmy, los«, und sie solle nur go z’Morge näh, er werde nachkommen … Die Frau nickt, drückt sich an mir vorbei zur Tür hinaus und schließt dann die Tür hinter meinem Rücken …
»Und?«, fragt der Mann. Er ist stehen geblieben, hat seine Ellenbogen auf das eiserne Gitter gestützt und betrachtet mich blinzelnd. Ich kann sein Gesicht schlecht sehen, der Morgen hinter ihm ist sehr hell, darum wirkt der längliche Kopf wie ein Schattenriss.
»Hocked ab …«, sagt der Mann.
»Ja, Herr Kommissär …«
Es kommt mir vor, als verziehe sich sein Gesicht, dann sagt er, er halte nichts von Titeln, ich solle nur ruhig »Studer« zu ihm sagen, in Bern (»Bäärn«, sagt er) seien nur die »Bundeshüüsler« auf Titel erpicht, aber er sei ein einfacher Mann, außerdem in den Ferien … Ob ich auch Berner sei?
Ich nicke. – Und wie ich denn die Bekanntschaft des Grafen gemacht habe?
Wie man eben so Bekanntschaften mache, erwidere ich. Der Graf habe sich in Ascona niedergelassen, er habe ein kleines Haus gemietet, in dem er mit seiner Frau wohne, er verkehre viel mit uns …
»Uns?«
Ja, wir seien eine kleine Gesellschaft von Künstlern, zwei Maler, eine Graphikerin, eine Tänzerin, zwei Schriftsteller, und dann sei ich noch da, ich schriebe auch … Der Graf interessiere sich sehr für Kunst, und als ich ihn gestern Abend wegen des Mordes, der in der Nähe der Mühle passiert sei, in der ich wohne, um Rat gefragt habe, weil ich mich mit der Tessiner Polizei so schlecht verständigen könne, habe mir der Graf gesagt: »In Locarno ist augenblicklich einer meiner guten Freunde in den Ferien, ein Berner Polizeikommissär namens Studer, der mir seinerzeit viel geholfen hat, gehen Sie zu dem Manne, der wird auch Ihnen helfen.« So habe der Graf gesprochen, und darum hätte ich mir erlaubt, den Herrn Kommissär – eh, den Herrn Studer aufzusuchen …
»Mord?«, fragt der Mann, ohne die Grüße, die ich vom Grafen bestelle, zur Kenntnis zu nehmen. – Wer denn ermordet worden sei? …
Gerade das wisse ich nicht. Eine Frauenperson, fremder Herkunft scheinbar, denn niemand aus unserem Kreise habe sie identifizieren können, sie sei etwa fünfzig Meter von dem Hause, das ich an der Straße bewohne, die von Arcegno nach Ronco führe, aufgefunden worden …
»Wann?« Der Kommissär Studer stellt die Frage, ohne mich anzublicken, er sucht nach einem Stuhl, findet einen neben dem Bett, setzt sich, die Beine gespreizt, und stützt die Unterarme auf die Schenkel. Ich kann nun sein Gesicht besser sehen: Die Lider sind halb geschlossen, er blickt zu Boden. Die erloschene Brissago hält er zwischen Zeige- und Mittelfinger …
»Gestern Morgen um fünf Uhr …«
»Von wem?«
»Von einem gewissen Heinrich Gösch, einem sonderbaren Mann, eigentlich meinem unmittelbaren Nachbarn, er bewohnt am Anfange des Dorfes Ronco, etwa achtzig Meter von der Straße entfernt, ein altes Bauernhaus mit seiner Frau und zwei kleinen Mädchen … Das eine Mädchen ist stumm …«
»Stumm? Kann nicht reden?«
Wie dumm dieser Mann daherredet, denke ich. Ob ihn der Graf nicht doch überschätzt hat. Ich antworte ironisch:
»Stumme können gewöhnlich nicht reden, Herr Kommissär!«
Der Mann blickt gar nicht auf. Er drückt auf den Knopf eines Benzinanzünders, zieht umständlich an seinem stinkenden Kraut, nickt abwesend, wie irgendeine Porzellanfigur, deren Kopf beweglich wäre, abwesend und unbeteiligt … Sagt nach einer Weile:
»Gösch? Der Theosoph?«
Ich bin ein wenig erstaunt, denn Heinrich Gösch ist nur in den sogenannten Okkultistenkreisen bekannt … Er hat sich übrigens von den Theosophen getrennt, ist in Unfrieden von ihnen geschieden, er behauptet sogar, die Stummheit seines Töchterchens sei auf die Feindschaft eines der Führer dieser Bewegung zurückzuführen, der »Meister« habe das Kind verhext … Nun, jeder Mann hat seinen Vogel, mich stört das nicht weiter, ich mag Gösch gerne, er kommt oft am Abend zu mir, und wir plaudern sehr lange … Er weiß sehr viel, der Heinrich Gösch … Aber woher weiß dieser Polizeikommissär etwas von meinem Freund …
»Zufall!«, sagt der Mann mit der qualmenden Brissago, so als müsse er meine unausgesprochene Frage beantworten. »Ich habe einmal einen Artikel von diesem Herrn gelesen. In einer Zeitschrift … Ja, also der Heinrich Gösch hat die Leiche entdeckt … Wo lag sie?«
»Wie gesagt, fünfzig Meter von meinem Haus entfernt. Von der Straße, die Ronco mit Arcegno verbindet, zweigt ein Fußweg ab, der nach Ascona führt. Gerade bei dieser Abzweigung ist die Leiche der Frau gelegen …«
»Jung?«
»Achtundzwanzig bis dreißig …«
»Hm … Und was soll ich tun?«
»Die Polizei hat mich im Verdacht, gestern haben zwei Fahnder ihr Generalquartier bei mir aufgeschlagen, am Abend ist noch der Polizeikommissär von Locarno gekommen …«
»Pedrello …«, sagt Studer gedankenvoll. »Ein guter Kerl, aber … äbe … jaaa …«
»Äbe … jaaa …«, wiederhole ich und versuche zu lachen. Aber das ist schwer. Mein Gegenüber lacht auch nicht. Darum fahre ich ernster fort: »Er kann nicht gut Deutsch und ich nicht gut Italienisch, und da gibt es die ganze Zeit Missverständnisse. Der Herr Kommissär Pedrello behauptet, ich kenne das Meitschi … pardon, die Frau … Aber ich habe sie bei Gott nie gesehen … Und es ist ein Zufall gewesen, dass man sie in der Nähe meiner Mühle gefunden hat …«
»Mühle?«
»Ja, ich wohne mit einer Freundin in einer alten Mühle, die schon lange außer Gebrauch ist. Die Miete ist billig, zehn Franken im Monat, denken Sie sich, Herr Kommissär, äh … Herr Studer. Es stehen nur wenige Möbel darin, aber genug für uns, und ich kann in Ruhe schreiben. Manchmal kommen die Freunde uns besuchen, und wir können Lärm machen, so viel wir wollen, wir stören niemanden. Wie gesagt, das nächste Haus gehört Gösch und ist etwa dreihundert Meter von unserer Mühle entfernt …«
»Und die Leiche? …«
»Eben … die Leiche … Sie lag etwa zwei Schritte von der Straße entfernt auf einem kleinen Nebenweg, der nach Ascona führt … Gösch hat sie durch Zufall gefunden, wie er mir sagte, gestern Morgen um acht, als er von Ascona kam, wo er Kommissionen gemacht hatte …«
»Auf dem Rückweg hat er sie gefunden? … Ja? … Warum nicht schon auf dem Hinweg?«
»Weil er von seinem Hause aus einen direkten Weg durch die Wiesen hat, der auf die Hauptstraße Locarno—Brissago führt. Den hat er für den Hinweg genommen. Zurück hat er dann den Fußweg genommen, der am Monte Verità vorbeiführt und bei unserem Sträßli fürechunnt … Um neun Uhr hat Gösch die Leiche gefunden, er ist dann gleich zu mir gekommen, wir sind zusammen an den Fundort gegangen, die Frau hatte einen tiefen Messerstich im Rücken … das Messer hat wohl das Herz getroffen, wenigstens hat der Dottore das behauptet … Ich bin dann nach Ascona zum Syndaco, zum Bürgermeister, und der hat die Locarneser Polizei alarmiert …«
»Und wo ist die Leiche jetzt?«
»Pedrello hat sie nach Ascona schaffen lassen, sie liegt in einem Schulzimmer … Doktor Brambilla hat die ersten Feststellungen gemacht … Morgen soll die Leiche nach Bellinzona überführt werden, dort haben sie einen Gerichtsarzt, der die Sektion machen wird …«
Schweigen. Ganz schwach tönt durch das Fenster das zögernde Schlagen eines Glockenspiels, von der Decke des Zimmers hängt ein brauner Papierstreifen, mit Leim bestrichen. Tote Fliegen kleben daran, eine aber ist noch lebendig und surrt eintönig, um sich zu befreien.
Mein Gegenüber hat die Hände gefaltet und den Kopf gesenkt. Ich sehe nur sein kurzes braunes Haar, das wie eine feine Bürste wirkt. Seine Augen kann ich nicht sehen. Plötzlich murmelt Studer:
»Eine Frau … Messerstich … Heinrich Gösch … Der Graf …« Er schweigt, dann flucht er leise: »Himmelherrgott … nicht einmal ruhige Ferien kann man sich gönnen … aber natürlich, der Pedrello …« Wieder eine Pause, dann hebt er den Blick und fragt, was er eigentlich machen solle? …
»Herr Studer«, sage ich, »seit gestern Mittag haben zwei Polizisten in meiner Mühle ihr Hauptquartier aufgeschlagen, von vier Uhr nachmittags bis zehn Uhr abends ist der Kommissär von Locarno in unserer Küche gehockt und hat mich und meine Freundin gequält: Wir müssten doch die Tote kennen, es sei doch klar, dass die Frau uns habe besuchen wollen, leugnen nütze da gar nichts, ein Geständnis sei das Beste … Sei es nicht Eifersucht gewesen? … Und immer italienisch … Ich halt das nicht mehr aus, Herr Studer, meine Freundin hat einen Weinkrampf bekommen, heut Morgen habe ich nur mit großer Mühe fortkönnen, die Polizisten haben mich nicht gesehen, ich bin zur Hintertür hinaus und durch den Wald nach Locarno gekommen … Der Graf hat mir gesagt, Ihr würdet uns sicher helfen, Herr Studer … Der Graf hat mir erzählt, dass Ihr kriminologisch geschult seid, Ihr habt bei Locard gearbeitet und bei Groß, Ihr geltet in der ganzen Schweiz und nicht nur in Bern als Autorität … Wenn ich sicher sein könnte, dass Ihr die Sache in die Hand nehmen würdet …«
»Wer alles hat die Leiche gesehen?«, fragt Studer trocken.
»Gösch natürlich zuerst, dann Bruno Marlehn und seine Frau, mein Freund Klempter, der Maler, und seine Frau, der Graf natürlich, dann Burkhardt, auch ein Maler, und May Wendelau, die Tänzerin, und noch ein paar andere Leute, an die ich mich nicht erinnere.«
»Viele Leute, allerhand Menschen … Sicuro, wie sie hier sagen … Und niemand hat das Frauenzimmer wiedererkannt? …«
»Niemand …« Ich schweige. Da plötzlich hebt Studer den Kopf, sieht mich an: Es ist kein sogenannter durchbohrender Blick, die Augen sind eher trübe und müde, immer noch hält Studer die Hände gefaltet, und zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand (beide stehen ab) steckt die erloschene Brissago … Vielleicht sieht er mich gar nicht? Er steht auf, geht zum Fenster, beugt sich über das Eisengitter, kommt zurück und wiederholt, während er an seinen Fingern zählt:
»Klempter samt Frau, Bruno Marlehn samt Frau, der Graf …« (kleine Pause) »Burkhardt, May Wendelau … Sieben … Sieben, die Ihr kennt … Und die Ermordete war fünfundzwanzig bis dreißig Jahre alt … Messerstich in den Rücken … Auf einem Seitenweg, der vom Sträßli Arcegno—Ronco nach Ascona abzweigt … Ich will gern mit Pedrello sprechen … Wenn er nichts dagegen hat, kann ich mir die Sache ansehen … Ansehen! … Nichts weiter … Das müsst Ihr begreifen. Ich kenn Euch nicht. Ihr kommt an einem schönen Morgen zu mir mit einer Empfehlung des Grafen – hat Euch der Graf erzählt, wie wir uns kennengelernt haben? Nein? Es war während dem Krieg … Keine angenehme Erinnerung … Eine ermordete Frau sagt Ihr? … Messerstich? Haben die Tschumpel überhaupt nach Spuren gesucht? … Nein? … Konnt ich mir denken … Aber zuerst will ich etwas z’Morgen, wenn dr nüt dagege heit … Heute ist der zehnte Juli … Am neunten Juli am Morgen hat der Heinrich Gösch die Leiche entdeckt … Ja? Also ist die Frau in der Nacht vom Achten zum Neunten ermordet worden … Und Ihr sagt, das Sträßlein verbinde Arcegno mit Ronco? Arcegno! Das ist doch ein verlassenes Kaff. Und in Ronco wohnen auch nicht viel Leute …« Studer geht hinter meinem Rücken auf und ab. Plötzlich schrecke ich zusammen, weil ich seine Hand auf meiner Schulter spüre. Er hat das unwillkürliche Zusammenzucken gespürt, denn er sagt gutmütig:
»Ihr seid sehr nervös geworden, Herr Schlatter. Und Ihr schreibt auch? … Was denn? …«
»Novellen«, sage ich. »Jetzt habe ich einen Roman in der Arbeit, aber ich weiß nicht, ob er etwas geben wird …«
»Äbe …« So etwas könne man wohl nie vorher sagen … Ob es etwas geben werde nämlich … Es sei wie bei einem Kriminalfall …
»Es gibt Fälle, die sehen ganz einfach aus, und dann verrecken sie einem unter der Hand, es gibt andere, die scheinen unentwirrbar, und dann ist die Lösung simpel … In der Nacht vom achten zum neunten Juli … Also in der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch … Wo seid Ihr am Dienstag gewesen? … Hä? …«
»In Ascona«, sage ich leise. »Beim Maler Klempter. Die andern waren auch da, die Tänzerin, Gösch und Bruno Marlehn mit seiner Frau …«
»Wann seid Ihr heimgegangen?«
»Es wird ein Uhr gewesen sein …«
»Über die Abkürzung?«
»Nein, ich habe Gösch noch heimbegleitet …«
»Aber Ihr seid an der Abzweigung vorbeigekommen? …«
»Ja, aber ich hab nichts gesehen.«
»Nichts gesehen? Und war doch Vollmond?«
»Der Wald reicht bis an die Straße …«
»Exakt! … Bis an die Straße … Ich kenn nämlich die Abzweigung … Hab einmal einen Spaziergang in der Gegend gemacht … Ja …« Und ob ich schon Kaffee getrunken habe … (Studer sagt »Gaffee« und betont das Wort auf der ersten Silbe.) Ich schüttle den Kopf.
»So kommet mit«, sagt Studer freundlich. »Ihr werdet meine Frau kennenlernen. Die Emmy … Dann gehen wir meinen Kollegen Pedrello besuchen, und dann komm ich mit Euch nach Ascona. Ihr müsst mich dann Euren Freunden vorstellen … Dem Gösch besonders … Der Gösch interessiert mich … Und’s Töchterli ist ganz stumm? Truurig … Truurig …« Studer schüttelte den Kopf, öffnete die Zimmertür und schob mich auf den Gang hinaus, indem er mir seine knochige Hand wieder auf die Schulter legte … Es war mir nicht sehr angenehm …
Er sagt noch, und es klingt ein ganz leiser Hohn in seiner Stimme:
»Künstler! … Ich werde Künstler kennenlernen … Ich kenn nur einen Künstler, bis jetzt, den alten Heer, ja, den J.C.«, er sagt »ize« als seien die Buchstaben ein Wort, »mit dem hab ich einmal in der Öpfelkammer1 eine halbe Nacht lang gesoffen … ein gäbiger Tüüfel … Sind Eure Freunde auch so gääbig?«
Ich antworte nicht, was soll man auch auf eine solche Frage antworten? Vor meinen Augen ist das Bild der ermordeten Frau, auf dem Rücken liegt sie, zwischen zwei niederen Büschen, und ihre Bluse ist steif von Blut, nur die Ärmel sind noch weiß und durchsichtig … Sie hat schöne Arme … Ameisen kriechen über ihr Gesicht, und Gösch sagt leise und lispelnd: »Eine satanische Sauerei …« Bei ihm klingen die »S« wie die englischen »Th«. »Thatanische Thauerei …«, wiederholt er. Ich stehe stumm daneben … Und dann muss ich Liso auffangen. Sie ist sonst sehr tapfer, meine Freundin, aber der Anblick ist wirklich sehr grauenhaft. Liso ist in Ohnmacht gefallen, und Gösch tätschelt ungeschickt ihre Hände, während er murmelt: »Dapsul, das ist nur der Anfang, es wird noch besser kommen … Wart’s ab, Dapsul …«
Er nennt mich Dapsul, es ist ein Übername, ich heiße Niklaus Schlatter, aber Dapsul von Zabeltau heißt ein Mann in einem Märchen des Gespensterhoffmann2, und meine Freundin Liso ist Bankputtis getauft worden – das ist der Name eines wendischen Kriegsgottes, denn meine Freundin Liso stammt aus dem Baltikum … sie ist sogar eine »von« … aber das spielt keine Rolle … In Ascona laufen allerlei Leute herum … Der Graf zum Beispiel … Ich will seinen Namen gar nicht nennen, man würde meinen, ich wolle aufschneiden … Ich werde ihn auch in Zukunft kurz »den Grafen« nennen, obwohl ich ihm im Gespräch nie seinen Titel gebe, sondern ihn einfach »Herr Doktor« nenne … Er ist nämlich Dr. phil. Kunsthistoriker, trotzdem er Militärattaché war … Das eine schließt das andere nicht aus …