Hinter Southampton änderte sich die Szenerie. Die Hecken hörten auf, dann die hübsch restaurierten Häuschen, denen man von außen schon ansah, wie liebevoll und historisch im Inneren die Treppen knarrten. Dann kam verwildertes Gebüsch, und schließlich tauchten linker Hand ein paar Holzhütten auf, die über und über mit Zigarettenreklame bepflastert waren. Hier bog Richard ab und hielt. Er verschwand in einer der Hütten, und als er wieder herauskam, hatte er eine Stange »Marlboro light« in der Hand, die er Alec beim Einsteigen auf den Schoß warf. Die Indianermarken seien zwar billiger, aber die könne man nicht im Ernst rauchen, er jedenfalls nicht, und als er Alecs fragenden Blick bemerkte, sagte er: Das hier sei ein Reservat, zweitausend Leute, eine kleine Halbinsel und die paar Meter an der Landstraße, wo sie die steuervergünstigten Zigaretten verkaufen, von denen sie leben.
»Man sagt nicht Indianer.«
»Wir waren immer auf deren Seite. Seit Karl May.«
Alec nahm sich eine Marlboro. »Kein Wort zu Vera«, sagte Alec.
»Kein Wort zu Stefanie«, sagte Richard.
»Man spricht Leute heute so an, wie sie angesprochen werden wollen«, sagte Alec.
Er blies den Rauch aus dem Fenster. Stefanie würde es natürlich trotzdem riechen, Vera erst recht, und wenn Sarah den Zigarettenrauch roch, konnten sie sich auf was gefasst machen.
»Dann sprich Vera als Mitarbeiterin des ›New Yorker‹ an und verbring deine Ferien in dem Haus, das sie sich mit ihren Kolumnen hier zusammengeschrieben hat, und nicht in meinem.«
»Du lässt dich als Rischaaaar ansprechen, wenn du vor deinen wealthy clients den Europäer gibst.«
»Weil Amerikaner, speziell in New York, nur ein einziges Ausland kennen, das sie ernst nehmen, und das heißt Paris.«
»Gleichzeitig läufst du rum wie ein Harvard-Student um 1965.«
»Vielleicht auch 1966.«
»Wie so ein WASP mit Segelboot im Hafen von Boston.«
»Ja, aber with a splash of European«, sagte Richard, dem die Beschreibung gefiel. »Der Mercedes zum Beispiel. Außerdem rauch ich. Amerikaner rauchen ja alle nicht mehr. Die haben alle aufgehört.«
Das fand Alec, an dem diese Entwicklung während seiner Jahre in Berlin ein wenig vorbeigegangen war, in der Tat auch bemerkenswert an seinem Land: erst die Welt mit Tabak aus Virginia fluten, dann rumhüsteln, wenn jemand den tatsächlich raucht. Und erst die Indianer so dezimieren, dass sie in lächerliche Reservate passen, wo sie vom Zigarettenverkauf leben müssen, dann Ätsch sagen und mit dem Rauchen aufhören.
Richard verbat sich antiamerikanische Propaganda in seinem Wagen.
Außerdem habe Alec soeben selber »Indianer« gesagt.
Sie fuhren über eine Brücke und sahen tief unter sich in einem schimmernden Flussdelta Motorboote und kleine Yachten liegen. Eine Bude tauchte auf, in der Fisch und Hummer und dergleichen verkauft wurde, jedenfalls stand das groß oben dran. Aber Richard fuhr daran vorbei und erklärte, dass sie in diesem Augenblick die richtigen Hamptons verlassen hätten, dies hier seien die »wrong Hamptons«, die Orte hießen Hampton Bays und Westhampton und seien Arbeiterstädte. Hier wohnten die Gärtner und Hausangestellten, die morgens wie abends für den Stau in den echten Hamptons verantwortlich seien.
»Wohnt hier Ramón?«
»Hier wohnt Rrramónn.«
Richard hielt vor einem kleinen Haus an der Hauptstraße, klopfte, bekam keine Antwort, rief noch mal, erreichte niemanden, trat zaghaft gegen die Wand, nannte Ramón einen »cabronßito« und stieg wieder ein.
Alec bat Richard, nicht immer so eine Show daraus zu machen, dass er die meisten Sommer der Nullerjahre in den Clubs von Ibiza verbracht hatte, »auf Ibiißa«, und sich dort ein entsprechendes Spanisch angeeignet hatte. »Spanish speaking people in Amerika lispeln nicht.« Richard ging darauf nicht ein. Er mutmaßte, dass sein mexikanischer Gärtner von den argentinischen rich kids in die Flucht getrieben worden war, die über Airbnb gekommen waren. »Reiche Südamerikaner benehmen sich generell wie Sklavenhalter«, erklärte er Alec.
Danach fuhren sie auf den Parkplatz eines Einkaufszentrums. Das Meer, der feine Sand, die Welt der Hecken und der Häuser mit den vielen Dächern schien sonderbar weit weg auf einmal. Der Wind wehte Plastiktüten über den Asphalt. Vereinzelte Einkaufswagen standen herum.
»Hier gibt es keine Lobster, und hier gibt es kein Eis«, sagte Alec.
»Fein beobachtet«, erwiderte Richard, während er sich aus dem Sitz schälte: »Aber hier gibt es einen Liquor Store, in dem der Moët Chandon durchgängig im Sonderangebot ist, zwei Flaschen zum Preis von einer.«
Und in dem verschwand Richard.
Als er diesmal wiederkam, trug er außer zwei Flaschen Champagner auch eine Kühltasche mit Eiswürfeln, die er auf den Rücksitz bettete, dann verkündete er, dass sie jetzt für den Rest der Besorgungen nach Sag Harbor fahren würden.
Eine Gruppe von Straßenbauarbeitern blickte ihnen nach. Die Männer hatten mexikanische Ringkämpfermasken mit Totenkopfgesichtern übergezogen gegen den Staub und standen stumm in der Wolke, die Richards Auto hinterließ. Aber das bemerkten die beiden nicht. Denn die Rückspiegel waren nun einmal nicht auf den Beifahrersitz von Alec eingestellt, und Richard war nicht der Typ, der ohne Not nach hinten schaute.